Ein Versprechen für die Zukunft - Mo Dahoud im Fokus
Zugegeben, dieser Text existiert mit seinen gesammelten Gedanken schon seit längerer Zeit, zumindest in einer anfänglichen Theorie spätestens seit dem 21. Juli 2013. Denn der Protagonist hat sich mit langem Anlauf dort hin entwickelt, wo er spielerisch und leistungstechnisch am besten aufgehoben ist. Beim BVB. Aber der Reihe nach.
Mit großer Sicherheit war der Autor dieses Artikels damals nicht der einzige Bundesliga-affine Zuschauer, der das schier endlos lange, tiefe und fußballlose Sommerloch vor dem Start der neuen Saison mit dem „hochklassigen" „Telekom Cup" aufzufüllen versuchte. So auch selbstredend an jenem Tag des großen Finals zwischen der Borussia aus Gladbach und dem FC Bayern. Das Endergebnis? 5:1 für Rot, der sportliche Wert und neue Erkenntnisse eher Mangelware. Bis auf eine Ausnahme: Ein schlaksiger, in grün gekleideter Junge mit der 19 auf dem Rücken. Gegen das so viel zitierte „Star-Ensemble" des frisch gebackenen Triple-Siegers aus dem Süden tanzte der blutjunge Deutsch-Syrer deutlich aus der Reihe. Lahm, Thiago, Ribery und Guardiola auf der einen, ein gerade in die U19 gewechselter 17-jähriger Nachwuchsspieler auf der anderen Seite. Von Respekt vor großen Namen keine Spur, von Angst ganz zu schweigen. Übersicht, Ballsicherheit und ein äußerst feiner Fuß, als Highlight garniert mit Finten, die gestandene Stars wie Thiago und Ribery ins Leere laufen und wie Schuljungen aussehen ließ. Dieser Junge brannte sich an diesem Tag deutlich ins Gedächtnis.
Zeitsprung, knapp vier Jahre später: "Mo Dahoud ist ein hoch talentierter und spannender Spieler für das zentrale Mittelfeld, den wir seit mehreren Jahren sehr intensiv beobachten. Er hat bereits nachgewiesen, dass er auf Top-Niveau spielen kann". Genauer gesagt Mahmoud Dahoud, heute 21 Jahre jung und seit dem 1. Juli offiziell Spieler von Borussia Dortmund.
Doch zwischen dem erstmaligen großen Auftritt im Scheinwerferlicht und den vielversprechenden und lobenden Worten von Michael Zorc liegt eine rasante und steile Entwicklung. Begleitet und geprägt wurde diese jedoch nicht ausschließlich von Erfolgserlebnissen. Für den jungen U-21 Nationalspieler, der seine fußballerische Laufbahn in der U15 bei Fortuna Düsseldorf begann, folgte nach der Glanzleistung beim Telekom Cup eine schwierige Phase mit Verletzungen und Nichtberücksichtigungen unter Coach Lucien Favre. Mit dem damals dann völlig überraschenden Rücktritt des Schweizer Trainers und der Ernennung Andre Schuberts zum neuen Übungsleiter der Fohlen begann auch gleichermaßen der rapide Aufstieg des mit so viel Talent gesegneten Mittelfeldstrategen.
Was folgte, waren teilweise überragende Auftritte. Sowohl in der Bundesliga als auch auf der großen europäischen Bühne der Champions League. Dahoud spielte mit einer für sein Alter beeindruckenden Ruhe und Gelassenheit am Ball, die man so nur selten zuvor gesehen hatte. Vor der Ballannahme immer mit dem Schulterblick und der intuitiv richtigen Bewegung in den sinnvollen (freien) Raum, beim Antizipieren und Verteilen der Bälle mit einem äußerst feinem Fuß und der Gabe, Spielsituationen schon Sekunden vorher erahnen und analysieren zu können. Hinzu kamen eine Technik und Geschmeidigkeit an der Kugel, die in nicht wenigen Facetten an einen gewissen Ilkay Gündogan erinnerten.
Selbstredend ließ das Interesse anderer Vereine nicht lange auf sich warten. Nicht nur Schwarz-Gelb erkannte das Potenzial des schussgewaltigen Achters, vor allem Jürgen Klopps „Reds" sowie die Alte Dame aus Turin sollen zwischendurch verstärkt ihre Fühler ausgestreckt haben. Doch der ausdrückliche Wunschspieler von Ex-Projektmanager Thomas Tuchel entschied sich für den nächsten logischen Schritt in seiner Karriere, die nächste sinnvolle Stufe auf der Karriereleiter. Der Transfer von der einen Borussia zur anderen vollzog sich relativ unspektakulär und unauffällig, begleitet „nur" von vereinzelten Pfiffen der Gladbacher Fans beim letzten Heimspiel der Saison gegen Darmstadt. Dass dem Eigengewächs und Hochbegabten der Abgang nach sieben Jahren äußerst schwerfiel, daran bestand kein Zweifel. „Ich bin Borussia sehr dankbar, dass ich hier bei diesem tollen Verein, mit diesen unglaublichen Fans, groß werden durfte. Das alles bedeutet mir sehr viel. Das bleibt mir auch immer im Herzen. Für mich ist das hier wie eine Familie. Das Gefühl ist so, als würde ich von zu Hause ausziehen."
In Dortmund, Mos neuem Zuhause, trifft der neben dem Platz so bescheidene Typ mit Peter Bosz zwar nicht auf seinen ursprünglichen Rekrutierer, doch kann der so polyvalent einsetzbare Akteur dem BVB sportlich in jeder Hinsicht weiterhelfen. Von der 6 bis zur 10 - auf jeder spielbaren Position im Mittelfeld kann der frisch gebackene U21-Europameister seine Stärken auf den Rasen bringen. Die unmittelbar nach der Verpflichtung noch kritisch beäugten Möglichkeiten auf regelmäßige Einsätze scheinen nun nach den Abgängen von Mikel Merino, Sven Bender und Matthias Ginter kein Thema mehr zu sein. Dahouds Chancen, zu Saisonbeginn dauerhaft in der ersten Elf zu stehen, sind äußerst gut, zumal mit Julian Weigl zusätzlich das Herz des Dortmunder Spiels noch nicht wieder einsatzbereit ist.
Ohne Frage: Dem Neuzugang hängt das Talent aus den Ohren raus. Seine Fähigkeiten das Spiel zu lenken, zu gestalten, das Tempo und den Spielfluss zu bestimmen, sind auf diesem Niveau und in seiner Altersklasse wohl einmalig. Gepaart mit seiner Technik, Spielintelligenz, der Beweglichkeit mit und ohne Ball und einem äußerst präzisen Passspiel, kann der in Syrien geborene Youngster dem Dortmunder Spiel eine neue und besonders kreative Qualität verleihen. Doch sollte man sich davor hüten, sofortige Wunderdinge zu erwarten. Mit seinen erst 21 Jahren, einem komplett neuen Umfeld und einer verspätet begonnenen Saisonvorbereitung bedarf es ohne Zweifel noch einer gewissen Eingewöhnungszeit und einer überdurchschnittlichen Fehlertoleranz. Schöpft Dahoud sein ganzes Leistungspotenzial und seine spielerisch wertvollen Eigenschaften jedoch komplett aus, dürfen sich alle Schwarz-Gelben auf einen weiteren Top-Mann mit absolutem Potenzial zur Weltklasse freuen.
Boris Davidovski, 14.08.2017