Raphaël Guerreiro - Ein Juwel auf Raten
Als zum Ende der vergangenen Saison klar wurde, dass trotz der großen Ankündigungen auf keinen Fall alle drei für die Offensive nicht ganz unwichtigen Akteure, Hummels, Gündogan und Mkhitaryan, ziehen zu lassen, genau dies geschehen würde, waren die Bemühungen um neue kreative Spieler groß. Schon früh ging der große Sommereinkauf los und in den Medien und auch bei uns wuchs die Spannung auf die neue Saison ins Unermessliche. Der zuvor schon oft und lang herbeigeredete Neuanfang war kaum mehr aufzuhalten und mit Dembélé, Schürrle, Götze und Mor waren Kreativspieler dabei, von denen mehr oder weniger einiges zu erwarten war. Raphaël Guerreiro hingegen, der für ca. 12 Millionen Euro zu uns gewechselt war, hatte man zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht zwangsläufig für die Offensive auf dem Schirm. Eher auf der linken Abwehrseite beheimatet, erhoffte man sich endlich ein wenig Konkurrenzkampf auf der linken Verteidigerposition, der durch Durms längere Verletzung bis dato eher eingeschlafen war. Einige Schwarzgelbe munkelten sogar schon, dass es für Schmelzer außerordentlich schwierig werden könnte, sich gegen Guerreiro durchzusetzen. Dass ein Schmelzer jedoch Qualitäten hat, die nicht so einfach wegzureden sind, und Tuchel auch mit Guerreiro offensichtlich ganz andere Pläne hatte, wurde nach den ersten Spielen schnell deutlich. Dazu passt, dass man bei der Verpflichtung betont hatte, dass Guerreiro ein versierter Spieler sei und somit auch auf verschiedenen Positionen einsetzbar.
So richtig wusste man zum Ende der letzten Saison nicht, was einen bei Raphaël Guerreiro erwarten würde. Spiele vom FC Loriont hatte wohl kaum einer von uns verfolgt und auch die portugiesische Nationalmannschaft war nicht gerade die Mannschaft, die man als erstzunehmenden Titelaspiranten der EM ins Auge gefasst hatte. Dass es dann doch so gekommen war, hatte nicht wenige überrascht. Guerreiros Leistungen auf der linken Defensivseite hatten dann aber doch Lust auf mehr gemacht. In Dortmund musste man sich dann allerdings noch eine Weile gedulden. Erst am 1. August standen die ersten Trainingseinheiten mit Guerreiro auf dem Plan und auch in der Bundesliga ließ Tuchel sich Zeit. Seinen unspektakulären Bundesligaeinstand feierte er gegen Mainz in der 86. Minute. Und auch bei der gefühlt desaströsen Niederlage beim Brauseverein aus Leipzig nahte keine Rettung in Form von Guerreiro, der erst 20 Minuten vor Schluss eingewechselt worden war.
Doch spätestens dann kamen die Glanzstunden des Ballspielvereins, die symbolisch auch mit de Wirken von Guerreiro verbunden sind und temporär wieder in der Versenkung verschwanden, nachdem jener durch eine kleine Verletzungsserie längerfristig ausfiel. So folgte zunächst ein fulminanter Sieg nach dem anderen, in der Presse wurde man bereits als absoluter Titelaspirant hochgelobt und überhaupt, wo man diese Spieler Dembélé, Guerreiro und Pulisic ausgegraben hatte – man wisse es nicht - sie seien jedoch, überspitzt gesprochen, der reinste Wahnsinn und mit diesem BVB müsse man absolut rechnen. Es las sich alles wunderbar und als Schwarzgelbe(r) schwamm man gern auf dieser Erfolgswelle mit. Bereits beim 6:0 gegen Darmstadt wusste Guerreiro durch ein Tor und ein Assist zu entzücken, beim 5:1 in Wolfsburg sogar mit einem Tor und zwei Assists und auch beim 6:0 gegen Legia Warschau war er mit einem Tor dabei. Bemerkenswert war, dass er bei diesen Spielen nicht auf der linken Abwehrseite zu finden war, denn da war nach wie vor Kapitän Schmelle zu Hause. In Dortmund hatte man Guerreiros offensives Potential schnell für sich entdeckt und das kreative Loch, das durch die Abgänge von Mkhitaryan und Gündogan entstanden war, wunderbar gefüllt. Beeindruckend war hierbei vor allem die technische Raffinesse, mit welcher Guerreiro sich mit einer gekonnten Leichtigkeit durch das Mittelfeld und die Abwehr des Gegners spielte - den Ball dabei immer eng am Fuß. Hin und wieder erinnerte Guerreiro mich an den jungen Rosicky, der mit einer ähnlichen Statur die selbe Leichtigkeit versprühte wie Guerreiro. Seine hohe Ballsicherheit und sein rasantes Tempo sind definitiv Qualitätsmerkmale, die in den folgenden Wochen, in denen er verletzt ausfiel, fehlten. Diese Verletzungsanfälligkeit könnte man direkt auch als erste Schwäche ausfindig machen.
Nicht selten hörte man auf der Tribüne und in Gesprächen „der Guerreiro fehlt“, wenn man mal wieder mit einer blassen Kreativleistung des Vereins zu hadern hatte. Zugegebenermaßen hatte man von Guerreiro durch die vielen Verletzungen auf lange Sicht noch nicht viel gesehen. Das, was man in der Offensive gesehen hatte, war jedoch vielversprechend. Seine eigentliche Position des Linksverteidigers erscheint jedoch vernachlässungswürdig. Denn wie hoch die Defensivqualitäten eines Marcel Schmelzers zu bewerten sind, fällt immer dann auf, wenn diese nicht vorhanden sind. Beim 1:0-Heimsieg gegen Lissabon wurde Guerreiro kurzerhand auf die linke Abwehrseite verfrachtet, da der dort ansässige Schmelzer verletzungsbedingt ausfiel. Und auch wenn man in diesem Spiel kein Gegentor gegen sich verbuchen musste, so sah man sich auf der Bühne immer wieder mal einem Herzkasper etwas näher. Auch Marcel Schmelzer interpretiert die Rolle des Außenverteidigers so, dass er immer wieder mit in die Offensive vorrückt. Meist erkennt er jedoch auch den Moment, in dem er sich schleunigst zurückbewegen sollte.Ein Merkmal, das Guerreiro in diesem Spiel eindeutig vermissen ließ. Hinten klafften immer wieder riesige Lücken, wenn Guerreiro in seinem offensiven Antrieb wieder vorn herumwirbelte. Immer wieder kam es so zu brenzligen Situationen, deren Konsequenzen man zum Glück nicht tragen musste. Die Diskrepanz zwischen offensiven Glanzleistungen und sicheren Abwehrleistungen erschienen in den gesehenen Spielen noch recht hoch.
Insgesamt sind acht Bundesligaeinsätze, von denen nur 3+1 von Beginn an waren,drei Championsleaguespiele und ein Pokaleinsatz über 20 Minuten zu wenig, um eine endgültige Beurteilung über Raphaël Guerreiro abzugeben. Trotzdem ließ er mehr als nur einmal aufblitzen, welches Talent und welche Stärken in ihm stecken. Es bleibt zu wünschen, dass man im Trainingslager in Spanien eine gewisse Sicherheit ins Spiel bekommen konnte und auch Guerreiro von erneuten Verletzungen verschont bleibt, denn dann bestehen kaum Zweifel, dass man sich mit dem 23-jährigen Portugiesen ein absolutes Juwel ins Haus geholt hat.
Ida, 15.01.2017
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Marc Bartra