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Aufgelöst – und jetzt? Wie es mit den Hooligans von "Riot 0231" weitergehen könnte

28.08.2017, 07:59 Uhr von:  Redaktion

Mit ihrer öffentlich erklärten Auflösung hat die Gruppe „Riot 0231“ in der Sommerpause viele überrascht – und für Spekulationen gesorgt. Haben die Ermittlungsbehörden die Hooligans tatsächlich so sehr unter Druck gesetzt, dass sie diesen Schritt für unausweichlich hielten?

Die Riots im Visier der Behörden – und nun von der Bildfläche verschwunden?

Die Erklärung, die vor wenigen Wochen unter anderem dem Fanprojekt, dem BVB und der Dortmunder Polizei ins Haus geflattert ist, verliert nicht viele Worte: „Wir erklären mit sofortiger Wirkung die Auflösung unserer Gruppe, die in der Öffentlichkeit vor allem unter dem Namen RIOT0231 bekannt ist.“ Keine Angabe von Gründen, ein letzter Dank an die Wegbegleiter, das war’s. Knapp drei Monate zuvor hatte das NRW-Innenministerium erklärt, ein Verbot der Gruppe zu prüfen. Viele Fans, so liest man im BVB-Forum und in sozialen Netzwerken, trauen dem Braten nicht.

Wir haben in den vergangenen Wochen in der Fanszene, bei Juristen, Behörden, einem Fanforscher und dem BVB nachgehakt, uns den aufgekommenen Fragen gewidmet und führen am Ende auf, warum vor allem die BVB-Fans nun gefordert sind, sich gegen die Riots zu wappnen – die (vermeintliche) Auflösung hin oder her.


Seit ihrem ersten Auftritt während des Europa-League-Qualifikationsspiels beim Wolfsberger AC im Sommer 2015 haben "Riot 0231" an ihrem Ruf gearbeitet und gelten als Prototyp einer Mischung aus Ultras und Hooligans: Ersteren gleichen sie durch ihren hohen Organisationsgrad, mit Letzteren vereint sie der starke Hang zur Gewalt. "Riot" steht im Englischen für "Randale", 0231 ist die Dortmunder Vorwahl. Einige der Riots, wie die unter BVB-Fans mittlerweilige geläufige Bezeichnung lautet, waren vorher Mitglieder in Dortmunder Ultragruppen. Behörden und Szenekenner vermuten um den fünf- bis sechsköpfigen Führungszirkel einen harten Kern von 20 bis 30 Mann und weitere 50 bis 70 Personen im Umfeld.

Die Gruppe gilt als rechtsoffen, pflegt Kontakte zu Neonazis, Rockern und in die Mixed-Martial-Arts-Szene, die dafür bekannt ist, dass Rechtsextreme immer wieder – und teilweise erfolgreich – an ihr anzudocken versuchen. So beschäftigte sich eine Reportage des WDR im Mai mit einer weiteren pikanten Verbindung: Die Riots stehen offensichtlich Denis Nikitin nahe. Nikitin, der russische Hooligans bei einem Angriff während der Europameisterschaft 2016 in Marseille angeführt haben soll, ist Gründer der Neonazi-Modemarke White Rex. Ein Label, das sich nicht bloß martialischer, rechtsextremer Symbolik bedient, sondern auch Konzerte und professionelle MMA-Turniere veranstaltet. Auf einem Instagram-Foto posiert Nikitin mit Riot-Mitgliedern in einer Dortmunder Kampfschule.

Darüber hinaus dürfte es kein Zufall sein, dass der Neonazi und MMA-Kämpfer Timo K., den die Funke Mediengruppe 2012 als Verbindungsmann zwischen dem mittlerweile verbotenen Nationalen Widerstand Dortmund, kurz NWDO, und Teilen der Dortmunder Ultraszene ausmachte, früh im Umfeld der neuen Hooligangruppe auftauchte.

Diese Gegenstände fand die Polizei bei der Durchsuchung des Busses nach Darmstadt (Quelle: Polizei Hessen)

Die Hooligans, die Freundschaften zu gleichgesinnten Fans aus Essen, Köln und Berlin hoch halten, sollen an mehreren großen Schlägereien mit gegnerischen Anhängern beteiligt gewesen sein, unter anderem in Osnabrück und Pulheim. Auch Auseinandersetzungen mit Schalke-Fans suchte die Gruppe gezielt und immer wieder. In einem Interview mit Spiegel Online berichtete ein anonymer BVB-Fan außerdem von einer Entführung eines Fans von Hannover 96. Erst im Februar dieses Jahres wies die Polizei die Riots in die Schranken: Sie stoppte einen Bus auf dem Weg nach Darmstadt, in dem neben Dortmundern auch andere gewaltbereite Fans saßen. Die Beamtinnen und Beamten fanden dabei große Mengen an Pyrotechnik, Kampfmontur und Drogen. Der DFB belegte alle Insassen mit bundesweiten Stadionverboten bis Sommer 2017. Mehr war nicht möglich, da den Einzelpersonen nicht individuell Straftaten nachgewiesen werden konnten.

Doch nicht nur Fans anderer Vereine sind im Visier der Riots. Früh begannen sie, ihren Anspruch auf das Gewaltmonopol auf der Südtribüne zu untermauern. Immer wieder kommt es zu Bedrohungen und körperlicher Gewalt gegen Personen aus der BVB-Fanszene. Öffentliches Aufsehen erregten sie durch antisemitische Gesänge im Sonderzug zum Pokalfinale 2016, Drohungen gegen einen BVB-Fanbeauftragten und ein gewaltverherrlichendes Graffiti gegen Hans-Joachim Watzke. Das BVB-Engagement gegen Rechts scheint den Hooligans ein Dorn im Auge zu sein. Betroffene berichteten regelmäßig, von Riot-Mitgliedern wegen des Tragens antirassistischer T-Shirts bedroht worden zu sein.

Die große Frage: Reicht all dies, um die Riots zu verbieten?

Rückblick: Was ist in den Wochen vor ihrer Auflösung passiert?

Am 9. Mai durchsuchte die Polizei die Wohnungen von vier Mitgliedern der Riots. Neben Datenträgern und Sturmhauben beschlagnahmte sie eine Schreckschusspistole, Baseballschläger, Zahnschutz und Quarzsandhandschuhe. Am selben Tag kündigte NRW-Innenminister Ralf Jäger an, ein Verbot der Gruppe prüfen zu wollen.

Doch kurz vor der Landtagswahl vermuteten nicht wenige ein Wahlkampfmanöver des spätestens seit den Untersuchungen im Fall Anis Amri stark angeschlagenen SPD-Politikers. Ob die Beamtinnen und Beamten des Innenministeriums in der Folge wirklich intensiv an einem Vereinsverbot arbeiteten, blieb jedenfalls offen. Auch, ob der Regierungswechsel – Ende Juni trat Herbert Reul (CDU) die Nachfolge Jägers an – hierauf noch einmal zusätzlichen Einfluss nahm. Und schließlich war da noch die grundsätzliche Skepsis gegenüber den Behörden: Immer wieder äußerten BVB-Fans den Vorwurf, die Polizei gehe nicht entschlossen genug gegen die Hooligans vor.

Das NRW-Innenministerium hält sich sehr bedeckt: „Das Verfahren läuft noch und es ist üblich, dass dies länger dauert. Hierüber eine genaue Aussage zu treffen, ist nicht möglich“, erklärte Behördensprecher Wolfgang Beus auf unsere Nachfrage.

Die öffentlichkeitswirksame Auflösung, mit der die Riots der Behörde einen Schritt vorauseilen, verschafft der Sache nun eine neue Dynamik.

„Erfahrungen mit anderen Gruppen zeigen, dass ein solcher Rückzug Kalkül der Gruppenköpfe sein kann, um sich Luft zu verschaffen, einem Vereinsverbot vorzubeugen und zu schauen, wie die Fanszene darauf reagiert“, berichtet Robert Claus. Der wissenschaftliche Mitarbeiter der Kompetenzgruppe Fankulturen & Sport bezogene Soziale Arbeit, kurz KoFaS, berät den BVB seit 2013 im Umgang mit rechtsextremen und gewaltsuchenden Fans. Einen Masterplan sieht er hinter all dem jedenfalls nicht.

Seit ihrem öffentlichen Rückzug wird viel spekuliert, ob das drohende Vereinsverbot wirklich ein gewichtiges Motiv, vielleicht sogar der Hauptgrund war, der die Hooligans zu diesem Schritt bewogen hat. Das Futter hierfür haben sie selbst geliefert, indem sie die Auflösungserklärung über ihren Anwalt direkt an das Landeskriminalamt sowie die Dortmunder Polizei und Staatsanwaltschaft schicken ließen. Darüber hinaus ging sie auch an den BVB, das Dortmunder Fanprojekt und das Magazin Faszination Fankurve. „Mit Blick auf ein Verbotsverfahren dürfte der Verteiler bewusst gewählt sein. Er spricht alle drei für die Gruppe relevanten Spektren an: Strafverfolgungsbehörden, Institutionen der Dortmunder Fanarbeit und Fanmedien beziehungsweise die Öffentlichkeit“, ist sich KoFaS-Wissenschaftler Claus sicher.

Zwei weitere Dinge fallen trotz der Knappheit der Erklärung auf: Die Hooligans bezeichnen sich selbst als Gruppe, „die in der Öffentlichkeit unter dem Namen RIOT0231 bekannt ist“. Mit dieser Schreibweise und der Verwendung von Versalien lehnt sie sich an die ungelenke Formulierung des Innenministeriums an, das in öffentlichen Erklärungen die Bezeichnung „RIOT0231 - Ultras h“ verwendet. Der ausdrückliche Verweis auf die Öffentlichkeit wirkt zudem, als wolle man sich von dem Namen, der in den letzten zwei Jahren Programm war, schon mal vorsorglich distanzieren. Eine bewusst gewählte Formulierung?

Im Vereinsumfeld herrscht Skepsis, ob die gewaltsuchenden Hooligans nun einfach von der Bildfläche verschwinden werden. Nicht wenige erwarten sie vorerst in Lauerstellung: weiterhin präsent, bloß vorsichtiger und Reaktionen der Behörden abwartend. Für die 60 bis 80 Mitglieder, die sich über offen gelebte Extreme definieren, sicherlich ein schwieriger Spagat.

Dennoch vermutet Robert Claus, dass bereits die Auflösungserklärung eine Zäsur sein könnte, an der sich die Gruppe scheidet: „Teile könnten abwandern, was individuell zum Beispiel davon abhängig ist, welche Berufskarriere die jeweilige Person noch anstrebt, ob sie Wert auf ein halbwegs sauberes Strafregister legt oder wie ihre familiären Verhältnisse sind.“ Er betont, dass die Gruppe nicht homogen sei. Personen aus dem harten Kern entschieden sich tendenziell anders als solche aus dem Umfeld.

„Der harte Kern der Riots ist ideologisch und organisatorisch zu tief eingebunden. Hier kommt man nur noch mit Intervention und Strafverfolgung bei.“ Bei Personen aus dem Gruppenumfeld hat er jedoch Hoffnung und ermutigt, dass diese für pädagogische Interventionen teilweise noch empfänglich seien.

Diejenigen, die weitermachen möchten, würden sich nach so einem Einschnitt meist in andere zum Teil kriminelle und gewalttätige Milieus vertiefen, in denen sie sich fortan geschützter wähnen. „Häufig ist es das Rocker-Milieu. Das mag skurril klingen, weil Hooligans nicht so recht zum Bild von Rockerkutten und Motorbikes passen, doch persönliche Verbindungen gibt es regelmäßig und Rockergruppen haben ein ähnliches Gewaltpotential“, berichtet der Fanforscher aus Erfahrungen mit vergleichbaren Fällen in anderen Fanszenen.

Was natürlich nicht heißt, dass diese Leute sich nicht weiterhin im BVB-Umfeld bewegen werden.

Zuständig für ein Vereinsverbot sind in Deutschland die Länder oder, wenn ein Verein bundesweit agiert, das Bundesministerium des Innern (BMI). Verbotsbehörde in NRW ist das Landesinnenministerium in Düsseldorf. Die Verbotsbehörde ermittelt, ob ein Verbotsgrund vorliegt. Dabei bedient sie sich sogenannter Hilfsbehörden wie beispielsweise der Polizei. Im Rahmen der Ermittlungen können unter anderem Zeugen richterlich vernommen, Beweismittel beschlagnahmt oder Durchsuchungen durchgeführt werden.

Um im Mai Razzien bei den Riots durchzuführen, bedurfte es beispielsweise der Zustimmung des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen, wie Ministeriumssprecher Wolfgang Beus ausführt: „Da die Durchsuchung einer Wohnung ein erheblicher Grundrechtseingriff ist, mussten wir im Vorfeld ausreichend Fakten liefern, um unseren Verdacht im Einzelfall zu belegen. Das Gericht hat dies aber als hinreichend bewertet.“ Bezüglich der Stichhaltigkeit eines möglichen späteren Verbots dürfte dies jedoch bloß ein schwaches Indiz sein.

Sind genügend Beweise gesammelt und kommt das NRW-Innenministerium zu dem Schluss, dass ein Verbot berechtigt ist, so wird es dies aussprechen. Dies muss schriftlich oder elektronisch geschehen. Eine Verbotsverfügung muss außerdem immer eine Begründung enthalten. Der betroffene Verein hat daraufhin die Möglichkeit, sich vor Gericht gegen die Maßnahme zu wehren. Allerdings dürfte jedes Mitglied eine Klage gründlich abwägen. Schließlich müsste es sich vor Gericht öffentlich als Vertreter einer Hooligangruppe outen.

Wolfgang Beus vom Innenministerium NRW hat bereits angekündigt, dass die „vermeintliche Auflösungserklärung“ vorerst nichts am Verfahren ändern werde. Man werde weiter genau hinschauen, ob die Riots immer noch geschlossen und vielleicht unter einem anderen Namen auftreten oder in einer anderen Gruppe aufgehen.

Übrigens: Jüngstes Beispiel für ein Vereinsverbot ist die am Freitag vom BMI verbotene Plattform linksunten.indymedia.org. Es ist das erste Mal, dass die Bundesbehörde diese Maßnahme bei einer als linksextremistisch eingestuften Vereinigung angewendet hat. Verbote sprach sie bisher ausschließlich in den Bereichen Rechtsextremismus, Islamismus und Ausländerextremismus aus.

Verboten werden können nicht nur offiziell gegründete, eingetragene Vereine mit handfester Satzung und einem gewählten Vorstand. Das Gesetz meint vielmehr jede Vereinigung mehrerer Personen mit einer gewissen Struktur und organisierter Willensbildung – ausdrücklich ohne Rücksicht auf die Rechtsform. Dies kann auf eine Gruppe wie die Riots zutreffen.

Das Recht, einen Verein zu bilden, wird im Grundgesetz garantiert und unterliegt daher einem starken Schutz. Auch wenn es sich, wie im Fall der Riots, nicht um einen eingetragenen Verein handelt, müssen hohe Hürden genommen werden, um ihn zu verbieten. Das Vereinsgesetz erlaubt dies nur bei Handlungen gegen Strafgesetze, die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung.

„Das entscheidende Merkmal bei Hooliganvereinen dürfte die Strafgesetzwidrigkeit sein“, analysiert Verwaltungsrechtler und Kriminologe Florian Albrecht. Man müsste also beweisen, dass Ziel und/oder Zweck der Riots zumindest auch die Begehung von Straftaten ist. Entscheidend ist: Zwischen Verein und Straftat(en) muss ein Zurechnungszusammenhang bestehen. „Die Zurechnung zwischen Straftat und Verein wird etwa dadurch hergestellt, dass der Verein oder sein Vorstand Straftaten organisiert, sie billigt oder Straftäter aus den Vereinsreihen bei der Verdunkelung der Taten unterstützt“, führt Albrecht aus. Dabei sei es egal, ob er sich ansonsten mit völlig legalen Tätigkeiten beschäftigt.

Darüber hinaus müssen die Straftaten ein gewisses Gewicht aufweisen. Schwere Gewalttaten einzelner Vereinsmitglieder, die von Führungsmitgliedern gebilligt werden, genügten für die Aussprache eines Vereinsverbotes nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes. Dennoch warnt der Dozent der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung: „Die Problematik ist äußerst komplex und bedarf einer Einzelfallbetrachtung.“

All dies stichhaltig nachzuweisen, dürfte für die Beamtinnen und Beamten die größte Herausforderung sein.

Kommt man tatsächlich zu dem Ergebnis, die Hooligans verbieten zu können, wäre dies ein gravierender Einschnitt. Das Tragen von Gruppenkleidung und -symbolen ist ihnen dann ebenso verboten wie das Gründen einer Nachfolgeorganisation. Mögliches Vereinsvermögen würde beschlagnahmt und eingezogen.

Stets wird bei Verboten dieser Art gewarnt, eine Zerschlagung der Strukturen könne dazu führen, dass die Mitglieder einfach im Untergrund und damit im toten Winkel der Behörden weiter ihr Unwesen treiben. Demgegenüber steht, dass das Weiterführen eines verbotenen Vereins eine Straftat ist. Relevant ist das, weil einige Mitglieder der Riots vorbestraft sind. Und: Wie viel Freiraum sie einer verbotenen Organisation lässt, hat die Polizei mit ihren zahlreichen Mitteln noch immer selbst in der Hand – auch im Untergrund. Daran müsste sie sich messen lassen.

In Dortmund ist das Vereinsverbot eine wohlbekannte Maßnahme. Nordrhein-Westfalens Ex-Innenminister Jäger löste im Sommer 2012 den Nationalen Widerstand Dortmund auf. Die rechtsextreme Kameradschaft versuchte die Folgen mit der Gründung der Partei Die Rechte aufzufangen. Parteien stehen in Deutschland unter einem noch stärkeren Schutz als Vereine.

Die Klage gegen das NWDO-Vereinsverbot scheiterte damals bereits aus formalen Gründen: Die sechs Kläger, die sich als Führungsleute bezeichneten, seien nicht berechtigt gewesen, für den gesamten NWDO zu sprechen, entschied das Verwaltungsgericht Münster. Weil sie keine erkennbare Vertretungsbefugnis besaßen, zum Beispiel durch eine Satzung oder ausdrückliche Erklärung ihrer Kameraden, hätten stattdessen alle 62 vom Innenministerium geführten Mitglieder gemeinschaftlich vor Gericht gehen müssen.

Vor wenigen Tagen berichtete der WDR, dass die Dortmunder Rechtsextremen durch das Vereinsverbot ihre Vorreiterrolle in der bundesweiten Neonaziszene eingebüßt hätten. Die Organisation in einer Partei sei für junge Leute laut nordrhein-westfälischem Verfassungsschutz und Polizei weniger attraktiv. Seit dem Verbot vor fast genau fünf Jahren sei auch die Nachfrage nach dem Aussteigerprogramm für Neonazis deutlich gestiegen. Genaue Zahlen nennt der Verfassungsschutz nicht. Kritiker wenden hingegen ein, dass das Parteienprivileg die ehemaligen NWDO-Mitglieder strukturell stärke, zum Beispiel durch Wahlkampffinanzierung.

Ja, die gibt es. Die Tür geöffnet hat eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs, die im Januar 2015 für ein mittelschweres Erdbeben in der Hooliganszene sorgte. Der Dritte Strafsenat bestätigte ein Urteil, wonach Hooligangruppen als kriminelle Vereinigungen eingestuft und allein die Mitgliedschaft bestraft werden kann – ein Novum. Dafür reiche es aus, wenn sich Hooligans zu Schlägereien verabreden und treffen.

Vor Gericht mussten sich fünf Mitglieder der 2009 aufgelösten Dresdener Hooligangruppe „Elbflorenz“ verantworten.

Für Aufsehen sorgte die Entscheidung, weil die Richter Hooligan-Prügeleien und die damit verbundenen Körperverletzungen als sittenwidrig und deshalb strafbar einstuften. Daran könne auch die Einwilligung der Beteiligten, bei einem Kampf verletzt zu werden, nichts ändern.

Warum der BGH dies hervorhob? Grundsätzlich wird jemand, der eine andere Person mit ihrem Einverständnis verletzt, nicht bestraft. Die Ausnahme kommt regelmäßig beim Stechen eines Tattoos, bei operativen Eingriffen oder kommerziellen Boxkämpfen zum Tragen und ist vom Strafgesetzbuch ausdrücklich vorgesehen – es sei denn, es handelt sich um eine sogenannte sittenwidrige Körperverletzung. Und genau die sah der BGH in den vorliegenden Fällen als gegeben. Bei den verabredeten Schlägereien habe die konkrete Gefahr schwerer Gesundheitsbeschädigungen bestanden. Auch weil der Hooligan-Kodex, der unter anderem besagt, dass auf am Boden Liegende nicht weiter eingeprügelt wird, für gewöhnlich übertreten worden sei. Sich an einer solchen Schlägerei zu beteiligen, sei sittenwidrig. Außerdem könne eine Einwilligung der Kontrahenten schon deshalb keine rechtfertigende Wirkung haben, weil bei einer Prügelei Unbeteiligte in Gefahr gebracht würden.

Der BGH rückte auf diese Weise „Wald und Wiesen“-Schlägereien, die häufig unbemerkt und ungestraft abseits des Stadions stattfinden, in den Fokus. Weil die Hooligangruppe „Elbflorenz“ gerade auf solche Schlägereien ausgerichtet war, stuften die Richter sie als kriminelle Vereinigung ein. So konnten die fünf Angeklagten wegen ihrer Mitgliedschaft und teilweise in Tateinheit mit schwerem Landfriedensbruch und gefährlicher Körperverletzung zu Freiheits- und Geldstrafen verurteilt werden. Vor allem aber ermöglicht das Urteil ein Verbot strukturell ähnlicher Gruppen.

Ähnlich wie bei einem Verein bedarf eine kriminelle Vereinigung zwar keiner Satzung oder gewählter Ämter, aber dennoch eines gewissen Organisationsgrades. Das wichtigste Kriterium einer kriminellen Vereinigung sei, dass die Gruppe Straftaten begeht oder mindestens begehen will, erklärt Tobias Westkamp, Rechtsanwalt für Strafrecht und Mitglied der AG Fananwälte. Jedoch: „Nicht jede Bagatellstraftat reicht aus, um auf sie den Vorwurf einer kriminellen Vereinigung zu stützen. Es müssen Taten sein, die im Höchstmaß eine Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren nach sich ziehen“, schränkt Westkamp ein. „Darunter fallen die meisten Straftaten, auch die einfache Körperverletzung oder Verstöße gegen das Sprengstoffgesetz.“

Kommt das zuständige Gericht zu dem Schluss, dass es sich bei einer Gruppe um eine kriminelle Vereinigung handelt, werden die Einzelpersonen bestraft, die Mitglied sind, diese gegründet haben oder sie unterstützen. Der Fananwalt aus Köln beschreibt die Abstufungen, die es hierbei gibt: „Die sogenannten Rädelsführer und Hintermänner sehen sich dem höchsten Strafrahmen ausgesetzt. Auf der anderen Seite gibt es das Mitläuferprivileg: Personen mit geringer Schuld und Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung sollen geringer bestraft werden.“

Im Vergleich zum Vereinsverbot ist die Einstufung als kriminelle Vereinigung das deutlich schärfere Schwert. Während bei Ersterem lediglich die organisatorischen Strukturen zerschlagen werden, die Mitglieder ansonsten aber unbehelligt bleiben (sofern sie sich an das Verbot halten), ist bereits die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung eine Straftat, bei der eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf, in besonders schweren Fällen gar bis zu sechs Jahren droht. Außerdem: Mitglieder einer kriminellen Vereinigung müssen von einem Gericht verurteilt werden – ein Vereinsverbot auszusprechen liegt hingegen im alleinigen Ermessen einer Behörde. Erst wenn die Mitglieder sich dagegen wehren, entscheidet ein Gericht über die Rechtmäßigkeit des Verbots.

Das würde im Zweifel ein Gericht entscheiden. Im Fall der Riots wird es hierzu jedoch erstmal nicht kommen. Denn die Staatsanwaltschaft Dortmund, die ebenfalls zu den Adressaten der Auflösungserklärung gehörte, hat erklärt, dass wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung nicht gegen die Gruppe ermittelt werde: „Wir sehen hierfür keinen Anfangsverdacht. Daher haben wir kein Verfahren eingeleitet und erwägen auch nicht, dies zu tun“, bestätigte Sprecher Henner Kruse auf Anfrage von schwatzgelb.de.

Graffiti der Riots, versehen mit ihrem Gruppennamen

Als Außenstehender ist diese Frage schwierig zu beantworten. Das Urteil des Bundesgerichtshofs wurde wenige Monate vor Gründung der Riots verkündet. In der BVB-Fanszene wurde immer wieder spekuliert, ob dies bei der Gruppe das Bedürfnis geweckt habe, ein Stück weit ungreifbar zu bleiben.

Da wäre zum Beispiel das ambivalente Verhältnis der Riots zu ihrem Gruppennamen: Die mittlerweile geläufige Bezeichnung verbreitete sich eher durch Mund-zu-Mund-Propaganda. Beobachter berichteten regelmäßig, dass Mitglieder sich gegenüber anderen Fans wahlweise auch als „vierte Gruppe“ oder „neue Gruppe“ ausgaben. Das Wort „Riot“ und die Dortmunder Vorwahl sind zwar wiederkehrende Elemente ihrer Gruppenkleidung und Graffitis, auf ihrer Zaunfahne, die lediglich das BVB-Logo, das für Hooligans kennzeichnende "h" und den Schriftzug "Ultras" trägt, verzichten sie jedoch auf die Verwendung eines eindeutigen Namens. Für eine Gruppe, die sich selbst der Ultraszene zurechnet, ist das sehr untypisch.

Die Zurückhaltung interpretierten manche als Vorsichtsmaßnahme, um nach außen nicht den Eindruck einer geschlossen auftretenden gewalttätigen Gruppe zu erwecken.

Der Verein hat auf die im Sommer ausgelaufenen bundesweiten Stadionverbote durch den DFB reagiert und Anfang August allen 88 Insassen des Busses nach Darmstadt, und damit einem Großteil der Riots sowie Mitgliedern befreundeter Gruppen, ein fünfjähriges lokales Stadionverbot in Dortmund erteilt. Das bestätigte der Verein auf unsere Anfrage. Die Betroffenen können außerdem keine Karten mehr für Auswärtsspiele über den BVB erwerben.

Doch der Handlungsspielraum des Vereins ist begrenzt. Er kann Hausverbote erteilen, gemeinsam mit dem Fanprojekt die positiven Kräfte in der eigenen Fanszene stärken und hierfür empfänglichen Hooligans mit pädagogischer Arbeit begegnen, wobei er stets auf den Schutz der eigenen Mitarbeitenden achten muss. Um die Scharfmacher jedoch aus dem Verkehr zu ziehen und die Freiräume der Gruppe effektiv einzuschränken, bedarf es mehr. Hier ist die Polizei gefragt. Sie muss potentielle Straftraten konsequent verfolgen, die Netzwerke der Gruppe beobachten und ihr das Wasser abgraben.

Nach der Auflösung der Riots reagierte die Polizei recht allgemein: „Die Mitteilung über die Auflösung der Gruppierung haben wir zur Kenntnis bekommen. Was wir jetzt vorliegen haben, sind Worte. Was wir jedoch brauchen, sind Fakten. Deshalb werden wir sehr genau beobachten, was in der kommenden Bundesliga-Saison tatsächlich in den Stadien und im Umfeld geschieht. Daran werden wir unsere weiteren Maßnahmen ausrichten. Wir werden alle Strafverfahren konsequent weiterführen und die Szene weiterhin sehr aufmerksam beobachten.“

In der vergangenen Saison hatten Dortmunder Ultragruppen immer wieder beklagt, mit hohem personellen Aufwand beobachtet und für Ordnungswidrigkeiten penibel bestraft worden zu sein, während die Riots sich teilweise unter dem polizeilichen Radar hätten bewegen können.

Unter anderem kam es am letzten Spieltag der vergangenen Saison zu Auseinandersetzungen, nachdem Ultras vor dem Heimspiel gegen Werder Bremen fernab des Stadions Pyrotechnik gezündet hatten. Das für gewöhnlich zurückhaltende Dortmunder Fanprojekt kritisierte den „massiven“ Polizeieinsatz, in dessen Verlauf Beamtinnen und Beamte auch in die pädagogischen Räume, die normalerweise von allen Seiten vorbehaltlos als Schutzzone akzeptiert werden, eingedrungen seien und beim Einsatz von Pfefferspray und Schlagstöcken weder vor unbeteiligten Fans noch vor Mitarbeitenden des Fanprojekts Halt gemacht hätten.

Trotz der berechtigten Kritik am Verhalten der Ultragruppen: In einer Zeit, in der die Ultraszene zunehmend in ein schlechtes Licht gerückt wird – auch und vor allem durch die aktuelle Kampagne der Bild-Zeitung, wie der Bildblog hier, hier und hier ausführlich darlegt –, muss die Polizei in besonderem Maße Sorge tragen, die tatsächliche Verteilung des Gewalt- und Gefahrenpotenzials durch ihre Maßnahmen nicht zu verzerren.

Mit Blick auf die Riots muss man den Beamtinnen und Beamten allerdings auch zugutehalten: Ihre Ermittlungsarbeit wird deutlich dadurch erschwert, dass vor allem Ultras sich grundsätzlich weigern, mit der Polizei zu sprechen – selbst wenn sie Opfer von Drohungen oder Gewalttaten durch Mitglieder der Riots werden, wie in den vergangen zwei Jahren immer wieder geschehen. So bleiben den Behörden teilweise wichtige Ermittlungsansätze verwehrt. Zumal die Ultras eine wichtige Rolle beim Zurückdrängen der Riots spielen können.

Fazit: Jetzt sind die BVB-Fans gefordert

Welchen Weg die Mitglieder der Riots nach ihrer Auflösung tatsächlich einschlagen, wird die Saison zeigen. Es wird auch davon abhängen, ob das Innenministerium ein Verbot für durchsetzungsfähig hält. Die Entscheidung lässt noch auf sich warten. Es ist wahrscheinlich, dass erstmal etwas Ruhe einkehren wird. Trotzdem ist die BVB-Fanszene nun gefordert. Sie muss die jüngsten Ereignisse und den – zumindest temporären – Rückzug der Riots für sich nutzen. Ultragruppen und Fanclubs müssen, bestenfalls gemeinsam mit Verein und Fanprojekt, Strategien entwickeln, um die Tür für Gruppen wie die Riots zu schließen und Angriffe auf eine offene Fankultur, in der Antirassismus selbstverständlich und Gewalt tabu sein müssen, künftig abwehren zu können.

Fanforscher Robert Claus appelliert, Entwicklungen gewalttätiger Hooligangruppen stets als wellenförmig zu betrachten. Heißt: Der (vermeintliche) Rückzug der Riots ist nicht in Stein gemeißelt, ihr Verhalten hängt von vielen Faktoren ab – auch von den Maßnahmen der Gegenseite. Deshalb rät der jahrelange Beobachter der BVB-Fanszene: „Demokratische Akteure müssen die Phasen der relativen Ruhe immer nutzen, um sich zu vernetzen und für kommende Probleme zu wappnen.“

Zurücklehnen dürfen sich die BVB-Fans also nicht.

Redaktion, 28.08.2017

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