Stell dir vor, es ist Fußball und keiner geht hin
Natürlich, die Überschrift ist pure Provokation und weit übertrieben, getrieben von der Suche nach einem originellen Titel und dabei kläglich gescheitert. Dennoch gibt es gegen Sporting nicht zum ersten Mal diese Saison Tickets an der Abendkasse. Auch gegen Union Berlin hat man schon deutlich leere Plätze erkennen können.
Es gibt viele Gründe dafür. Der Hauptgrund dürfte sein, dass an einem Mittwochabend alles einfach etwas mühsamer ist. Das beginnt schon damit, dass man irgendwie schauen muss, rechtzeitig von der Arbeit wegzukommen. Und dann fängt das Chaos erst an. Bahnen sind überfüllt, Parkplätze voll und auf der B1 steht alles still. Noch kurz zwischen Auto und Tribüne eine Bratwurst reingewürgt und dann ist auch schon Anpfiff. Noch völlig gestresst auf der Tribüne vom mühsamen Hinweg macht man sich auch gleich wieder Gedanken über die Rückfahrt. Hoffentlich kommt man einigermaßen gut vom Parkplatz weg, man muss am nächsten Tag ja auch wieder zur Arbeit und bei Verlängerung und Elfmeterschießen kann es gerne dann auch mal halb zwei werden, bevor man im Bett liegt. Vor allem, wenn man nicht in Dortmund wohnt. Es ist also kaum verwunderlich, dass der eine oder andere dann mal so ein Mittwochspiel sausen lässt. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Denn die An- und Abreise zu Mittwochspielen war vor fünf Jahren auch schon scheiße. Sie sind auch gegen Real Madrid scheiße. Dennoch gab es bis vor kurzer Zeit für Nicht-Dauerkarteninhaber kaum jemals eine Chance, an eine Karte fürs Westfalenstadion zu kommen, wenn man nicht gerade Hotline-Flüsterer oder in einem Fanclub war. Es gibt also scheinbar noch einen anderen Aspekt, der jetzt für lichte Reihen sorgt.
Es ist viel geschrieben worden über die fehlende Emotionalität. Ein Grund dafür könnte sein, dass der BVB in letzter Zeit zu erfolgreich und gleichzeitig zu wenig erfolgreich war. Wir laufen seit einiger Zeit Bayer Leverkusen den Rang als ewiger Zweiter ab. Zweiter zu sein ist prima, es ist eine großartige Leistung und die letzte Saison war beeindruckend. Nur wenn Jahr für Jahr die Meisterschaft spätestens Anfang Oktober entschieden ist, dann ist der zweite Platz halt über weite Strecken einer Saison auch immer der Platz des ersten Verlierers. Und die Tatsache, dass es die meiste Zeit kaum sportliche Herausforderungen gibt, sorgt für eine gewisse Langeweile. Das hat man ganz besonders schön gesehen, als es im letzten Jahr unter Klopp auf einmal gegen den Abstieg ging. Da kam plötzlich die Stimmung zurück, das Stadion war wieder voll und laut. Es ging endlich wieder um etwas – auch wenn es nur der Klassenerhalt war.
Gerne wird diese fehlende Emotionalität auch am Trainer festgemacht, weil der Unterschied zwischen Klopp und Tuchel wahrnehmungstechnisch einfach so groß ist. Doch Tuchel ist letztendlich gar nicht so emotionslos, wie er gerne dargestellt wird. Vielmehr ist es wohl der “Tuchel-Fußball”, dem ein gewisses Maß an Emotion fehlt. Überfallartige Angriffe lassen sich irgendwie besser bejubeln als geduldiges Ballbesitzspiel, auch wenn letzteres technisch anspruchsvoller ist. Es fehlen auch Spieler wie Kehl, Bender oder Subotic, die einfach mal reingrätschen, weil sie es nicht technisch lösen können. Sokratis ist mittlerweile der einizg übriggebliebene Holzhacker in einem Team voller Filigrantechniker. “Du sagst das, als wäre das etwas Schlechtes”, höre ich sagen. Nein, das ist es sicherlich nicht. Es ist etwas sehr Gutes. Es ist wunderbar, wenn unsere so talentierte Offensive loslegt und den Gegner Schicht für Schicht filettiert. Unsere Spieler brauchen nicht zu kämpfen und zu foulen, weil sie die Probleme auf dem Rasen elegant lösen können. Das heißt nicht, dass man den Spielern den Willen absprechen sollte. Das konnte man im Derby auch ganz gut sehen, dass sie nicht nur gewinnen, sondern auch den Abstand zu den Fans verkürzen wollten. So habe ich zumindest die schöne Geste empfunden, beim Warmlaufen und beim Einlaufen geschlossen zur Süd zu kommen.
Das alles hat aber nicht zu den erhofften Erfolgen geführt, weder sportlich noch im Verhältnis zu den Fans. Und ich glaube, der Grund dafür ist ganz einfach.
Der Fußball und die Typen in der Mannschaft sind in den letzten Jahren zu sauber und elegant geworden. Es fehlt das Dreckige, das Kämpfen, das Direkte, das Einfache, das Wilde. Oder anders gesagt: Dem BVB fehlt das Ruhrpott-Element. Und aus dem Ruhrpott kommt die Emotionalität beim BVB her.
Der Ruhrpott muss zurück ins Westfalenstadion! Das können wir aber auch zu einem gewissen Maße erzwingen. Durch Schreien, Pfeifen, Klatschen, Singen, Trommeln. Die Spieler anfeuern, wenn sie Zweikämpfe führen. Klatschen, wenn einer einfach mal drauf hält – und der Ball dann 15 Meter hoch zur Eckfahne fliegt. Bekommen wir gemeinsam den Ruhrpott wieder ins Stadion, dann gewinnen wir nicht nur die Emotionalität von der Tribüne zurück, sondern auch wieder Spiele. Und spätestens dann ist man in Dortmund auch in großen Massen wieder bereit, bei minus 16 Grad fünf Stunden auf der Tribüne zu stehen und zu singen. Oder eben an einem regnerischen November-Mittwochabend zwischen Arbeit und Arbeit die Nachtruhe zu opfern, um den BVB gegen Sporting in die nächste Runde zu schreien.
Also lasst uns beißen, kratzen, pfeifen und den BVB zum Sieg schreien!
So könnten sie spielen:
Borussia Dortmund: Bürki - Piszczek, Sokratis, Ginter, Guerreiro - Weigl - Dembélé, Castro, Götze, Schürrle - Aubameyang
Sporting Lissabon: Rui Patricio - Schelotto, Coates, Ruben Semedo, Zeegelaar - Elias, William Carvalho - Gelson Martins, Bruno César, B. Ruiz - Dost
Schiedsrichter: Makkelie (Niederlande)