Systemimmanenter Dilettantismus
Das Spiel Borussia Dortmund gegen den 1. FC Union Berlin wurde von reichlich Begleitumständen geprägt, die Anlass zur Sorge geben. Die Sicherheit der Fans schien eher ein zweitrangiges Ziel vom BVB und der Polizei Dortmund zu sein.
Für mich begann alles mit einem reißerischen Artikel der BZ. Die BZ ist eine typische „Yellow Press“-Gazette, für die jede Beachtung eigentlich verschenkte Lebenszeit ist. Die Autoren schwadronierten von einem Pyro-Inferno und der angespannten Lage zwischen den Fangruppen beim Pokalspiel in Dortmund. Da war eigentlich klar, dass die selbsternannte Fußballhauptstadt wieder einmal unter Beweis stellen würde, dass man Großlagen nicht kann.
Richtig ist, dass das Verhältnis zwischen Unionern und Borussen nicht nur durch Zuneigung geprägt ist, wie auch die Materialien-Show im Gästeblock in der zweiten Halbzeit gezeigt hat. Richtig ist aber auch, dass es keine langgeprägte Feindschaft zwischen den Kurven gibt, schon aus dem Grund heraus, dass man sich selten über den Weg gelaufen ist.
Am Spieltag selbst erreichten einen dann immer mehr Berichte, die nur das Schlimmste befürchten ließen. Vor dem Westfalenstadion wurde wieder der Gästeeingang hochgerüstet und die Polizei Dortmund ließ Hamburger Gitter am Hauptbahnhof errichten. Es war wie so häufig in Dortmund: Gäste werden als Problem – als Feind – gesehen und nicht als Gäste. Am Hauptbahnhof selbst sollen die Fanströme dann noch einigermaßen geordnet gelaufen sein, je näher es aber zum Westfalenstadion ging, desto deutlicher wurde die „Festung“ Dortmund.
Die Dortmunder Ultrasgruppen erfreuten sich wieder einer Polizeibegleitung, die man ansonsten nur vom Derby kennt. Beim letzten dermaßen von polizeilicher Seite hochgerüsteten Spiel gegen PAOK war dann auch wieder der Effekt zu beobachten, dass nach dem Spiel „heiß gemachte“ Polizeihundertschaften den Druck abbauen mussten. Dieses Mal sperrte man extra die Straßen für die Anmarschphase und forderte auf, eben diese zu begehen. Mal gucken, ob die SKBs es tatsächlich bringen, wieder Bußgelder für „auf der Straße laufen“ zu verhängen. Wundern würde es nicht.
Das eigentliche Drama des Abends mussten dann aber die Fans aus Berlin über sich ergehen lassen. Der BVB hatte sich wieder einmal nicht lumpen lassen und den Gästebereich hochgerüstet. Trotz der Hinweise in der Vergangenheit von Fanvertretern aus Dortmund wurde unter anderem wieder auf Blickschutz gesetzt, was keine vertrauensbildende Maßnahme ist. Hier scheint auch eine gewisse Beratungsresistenz seitens der zuständigen Stellen beim BVB zu bestehen. Logischerweise wurde dieser Aufwand für intensivere Kontrollen betrieben. Das mag aus Sicht des Vereins notwendig sein, dann muss aber die Infrastruktur stimmen. Doch der zweitumsatzstärkste Verein Deutschlands bietet tausenden Union-Fans nur sieben (!) Drehkreuze an und entsprechend wenige Ordner dahinter.
Das ist Versagen mit Ansage und wirklich jedem Fan sofort ersichtlich. Da hilft dann auch keine Ampel am Drehkreuz, die im Grunde permanent auf „rot“ steht. Es lässt sich sogar vermuten, dass permanentes signalisieren „Stopp! Es geht nicht weiter!“ sogar kontraproduktiv ist. So nahm der Druck immer weiter zu, bis ein Bauzaun fiel. Danach wurde es chaotisch, verängstigte Menschen, Gedränge und Pfefferspray ergeben eine Mischung, die wirklich hoch gefährlich ist. Kurze Zeit nach diesem Vorfall (der vom BVB eilfertig als Blocksturm vermeldet wurde!) wurden weitere Tore geöffnet. Mehreren Berichten zu Folge soll es vor allem der Ultra-Szene aus Berlin zu verdanken sein, dass das Chaos wieder eingedämmt wurde. Hier schien Vorausdenken, Abwägen der Eigeninteressen und die Kommunikation besser geklappt zu haben.
Es ist wie immer im Fußball: Es muss erst etwas passieren, damit die Vereine reagieren. Doch die Fans hatten nun die Rechnung ohne die Polizei gemacht. Denn als die ersten Menschen den neuen Einlässen entgegen strömten, fühlte sich die Reiterstaffel bemüßigt, genau in jene Menschenmasse hineinzureiten. Vermutlich hat hier – wieder einmal – nichts in der Kommunikation geklappt. Ein Phänomen, das wir in Dortmund bei Risikospielen eigentlich regelmäßig erleben. Wird eine gewisse Mannstärke erreicht, scheint die Kommunikation und Fähigkeit zur Selbstorganisation bei der Polizei in Dortmund rapide abzubauen.
Die Hand weiß nicht, was ihre Finger tun, und die linke Hand denkt, sie sei die rechte Hand. Anders ist das programmierte Chaos eigentlich nicht mehr zu erklären. Dazu passt dann auch die Gesamtsituation auf dem Nordvorplatz des Westfalenstadions. Man erinnere sich: Der BVB hat die vergangenen Jahre immer wieder andere Kontroll- und Vereinzelungsanlagen an der Strobelallee erprobt. Die Herausforderung ist hierbei, dass die Entfluchtung sichergestellt sein muss. Erschwert wird dies dadurch, dass – dem Vernehmen nach – die Polizei darauf besteht, die Einsatzfahrzeuge an der Strobelallee vor der Nordtribüne zu parken.
Gegen Union wurde nun jeder Entfluchtungsgedanke ad absurdum geführt. Nicht nur, dass beide Seiten der Strobelallee mit Einsatzfahrzeugen und einem Wasserwerfer (!) vollgestellt wurden, nein, auf der Seite des Westfalenstadions wurden die Fahrzeuge in einem hanebüchenen Versuch auch noch als Barriere Stoßstange an Stoßstange gestellt, eine Fantrennung bei 12000 Gästefans zu erzwingen. Der Fluchtweg im Bereich Nordost vom Stadion weg war nun komplett blockiert.
Durch diese Barriere und die parkenden Fahrzeuge auf der Westfalenhallenseite war auch der Durchgang für BVB-Fans von den Westfallenhallen kommend sehr schmal. Doch als sei dies noch nicht genug, wurden zusätzlich Gruppen von Einsatzpolizisten in diesen Durchgang gestellt, was zu einer weiteren Verengung führte. Die absolute Krönung war dann aber, dass ausgerechnet durch diese Engstelle ein Polizeifahrzeug fahren musste. Als Beifahrer einer der Beamten, die man immer wieder bei Borussia-Spielen in exponierter Position im Einsatz sieht.
Es war alles in allem eine nicht nachvollziehbare Demonstration der Macht und des „Wir können, was wir wollen!“. Umgangssprachlich könnte man vermuten, es ging darum zu zeigen, dass man hier den größten Schwanz hat. Vor der Nordtribüne war permanent zu spüren, wie genervt beide Seiten – Union- und BVB-Fans – von dieser Machtdemonstration waren. Die vielen Beschwerden bei den eingesetzten Beamten führten aber zu absolut keinem erkennbaren Umdenken. Auch am Südeingang sollen wieder die Personenströme durch geparkte Einsatzfahrzeuge der Polizei behindert worden sein, obwohl es eigentlich bekannt sein muss, dass sich bei Wochenspielen die An- und Abmarschphasen deutlich dichter gestalten als am Wochenende. Das setzte sich dann im Stadion fort, überall war Polizei an den unsinnigsten Orten platziert.
Es bleibt zu folgern, dass nicht nur die vielbemühte „Minderheit“ genervt, wütend oder mit Unverständnis auf den BVB und die Polizei Dortmund blickte. Mit Aussicht auf das Derby am Samstag muss man wirklich hoffen, dass der BVB und die Polizei ihre "Konzepte" überdenken. Scheinbar ist die Sorge vor einer DFB-Verbandsstrafe größer als die um die Sicherheit der Gästefans – auch eine Folge der einseitigen Verbandspolitik. Gleichzeitig kommt man nicht an dem Gedanken vorbei, dass das Pokalspiel ein willkommener Probelauf für die Dortmunder Polizei war. Es passt in das Bild eines Einsatzleiters in Dortmund, der seit seiner Verantwortlichkeit im Derby 2014 bei Risikospielen vor allem auf pure Masse an Material und Personal setzt. Ob das der Weisheit letzter Schluss ist, muss bezweifelt werden.