Kommentar: Borussia bleibt bestehen
Eigentlich wollte ich mich zu dem Theater um Mats Hummels nicht äußern. Zu abgestumpft bin ich im Grunde gegenüber dem ganzen Schmarrn, den das Event Fußball mittlerweile produziert. Doch der gestrige Tag im Westfalenstadion hat dann doch etwas ausgelöst.
Für mich ist Mats Hummels seit dem schwatzgelb.de-Interview irgendwie dann doch mehr Thema. Es war mein erstes und letztes Spielerinterview, das ich geführt habe. Ich habe mir damals schon wenig aus den angestellten Ich-AGs gemacht und so traf mich dieses Interview etwas unvorbereitet. Mats Hummels war ein eloquenter junger Mann, der offensichtlich mehr im Kopf hat, als den Ball, den er beruflich malträtiert. Der auch bereit ist, Dinge zu sagen, die nicht dem Konformitätsgebot der Branche entsprechen. Ich war sicher, dieser Mann hat einen Plan, der nicht zwangsläufig „Legende bei Borussia Dortmund“ hieß, aber eben auch nicht „FC Bayern München“.
Eine Meisterschaft, einen Pokalsieg, einen Weltmeistertitel und mehrere Pokalfinalspiele später ist das Verhältnis ein anderes. Doch der Verfall des Ansehens von Mats Hummels hat lange vor dieser Saison begonnen. Im Grunde ging es im Vorfeld der WM 2014 los. Ich bin eigentlich in der schönen Situation, dass viel vom Fußballzirkus an mir vorbeirauscht. Ein Desinteresse an Facebook, viel Arbeit, konsequentes Verweigern, gewisse Artikel und Medien zu lesen und mein Lebensumfeld machen es möglich, dass mich der ganz große Teil des Fußballboulevards wie ein Hintergrundrauschen kaum erreicht. Ich weiß, das gibt es, ich bekomme mal Andeutungen davon mit, aber im Grunde bin ich der Letzte, der es erfährt.
In dieses Paradies brach dann Cathy Fischer (heute Hummels) mit ihrer Kolumne. Da war der Mikrokosmos Borussia Dortmund eben doch zu klein. Ich war mehr oder minder schockiert, was für eine gequirlte Scheiße da aufgeführt wurde, die nur öffentlich interessierte, da sie mit einem bekannten BVB-Spieler zusammen war. Irgendwie passt das so gar nicht zu dem Mats Hummels, den ich 2012 meinte, kennengelernt zu haben. Insbesondere die Stereotypen, die hier bedient wurden („Meine Uhr nehme ich nicht mit, die klauen ja in Brasilien“ – frei aus der Erinnerung), brannten sich bei mir ein. Danach soll sie auch noch bei einigen B-Promi-Events im Privatfernsehen aufgetaucht sein. Aber gut, vielleicht war das auch ein Plan, nach dem Abgang von Verona Pooth hat das Ehepaar Hummels hier eventuell eine Marktlücke identifiziert. Mir sollte es eigentlich egal sein, am Ende soll schließlich er ordentlich kicken. Dennoch nervt mich, dass irgendwie mein Verein dafür als Plattform genutzt wurde.
Dann kam die Weltmeisterschaft 2014 und die Saison 2014/2015. Mats Hummels war mittlerweile Weltmeister und Kapitän von Borussia Dortmund. Seine Leistungen in dieser Saison waren insbesondere in der Hinrunde auf dem Rasen – wie auch neben dem Rasen – schlichtweg schlecht. Seinem sportlichen Anspruch wurde er in keinster Weise gerecht und neben dem Rasen verkörperten Roman Weidenfeller und Sebastian Kehl für mich das Amt des Kapitäns. Trotz der extrem hohen Fallhöhe von Platz 2 Mitte 2014 auf Platz 17 Ende 2014 blieben die Dortmunder Fans lange Zeit positiv gegenüber der Mannschaft. Man erinnere sich an die Gesangsstunden nach Niederlagen im Westfalenstadion, die deutschlandweit beachtet wurden. Trotzdem war der Kapitän meist der Letzte, der sich den Fans zuwandte. Erklärungen hatte er reichlich wie einen „schmerzenden Rücken“. So blieb es an Weidenfeller und Kehl, hier immer wieder voranzugehen und sich den Fans zu stellen. Raus aus der Komfortzone hin zu der manchmal brachial harten und ungerechten Atmosphäre der Tribüne.
Damals verabschiedete ich mich von der Persönlichkeit Mats Hummels. Wie einige WM-Fahrer schien auch ihm (und seinem Umfeld) alles zu Kopf gestiegen zu sein. Man war Weltmeister und die Niederungen der Dortmunder Fanlandschaft waren ein notwendiges Übel, das bespielt werden musste. Es wurde als selbstverständlich hingenommen, dass die Stimmung lange Zeit nicht kippte, obwohl man saft- und kraftlos auf dem Weg Richtung Liga 2 stolperte. Stattdessen wurden Modekollektionen (Reus, Hummels, Großkreutz) veröffentlicht und mit peinlichsten Beiträgen beworben – nicht nur von Reus und Großkreutz. Aus diesem Blick begann auch das Interview von 2012 im neuen Licht zu erscheinen: Als geplante Charmeoffensive, um einen gewissen Teil der Dortmunder Fanlandschaft zu erreichen und für sich einzunehmen.
Aus der Hinrunde 2015 blieben dann noch zwei Szenen in Erinnerung. Ein Hummels, der einen Kollegen auf dem Rasen zusammenstaucht, obwohl er vorher den Zweikampf verbaselte und in Krasnodar der ihm zugeschriebene Ausspruch in Richtung Fans „Was wollt ihr Affen eigentlich?“ nach dem Spiel. Das kann man denken, aber wenn man es sagt, muss man sich nicht über einen Ansehensverlust wundern. Aus dieser Zeit stammen auch Verlautbarungen aus dem Umfeld der Mannschaft, dass Hummels Rolle im Mannschaftsgefüge eben nicht der Binde entspreche, die er trägt.
Zuletzt war ich mir sicher: „Er geht. Nicht zu den Bayern, aber ins Ausland“. Nun ist auch diese Gewissheit vom Tisch. Geld und Titelperspektiven scheinen alle Wunden zu heilen und vielleicht haben vier Jahre da eben auch eine Rolle gespielt. In den Tagen vor Samstag spülte dann das Internet einige Zitate nach oben, an denen Hummels sich nun messen lassen musste und in den Augen vieler Fans eben nur durchfallen konnte. Das war umso bemerkenswerter, da gemeinhin viele Fans sowieso hingenommen haben, dass Worte von Spielern, Beratern und Funktionären Schall und Rauch sind. Gerade bei der Person Hummels hätte man irgendwie mehr erwartet, das unterschied ihn von vielen anderen Profis. Das ist wohl auch der Grund für die Fallhöhe, die hier vorliegt.
Wie das Westfalenstadion sich verhalten und wie die Reaktion im Nachgang sein würde, war dann auch für mich spannend. Im Grunde regte mich der Hummels-Wechsel weniger auf als das alljährliche Theater um Gündogan oder der Wechsel von Lewandowski. Aber da bin ich sowieso etwas alleine: Während die Aufregung um den Götze-Wechsel etwas an mir vorbeiging, hat mir das Theater um Lewandowski und seine Berater so richtig die Hasskappe aufgesetzt. Da habe ich null Toleranz und wünsche nach wie vor ihm und seiner Bagage alles sportlich schlechte.
Ich fand es gut, dass Schmelzer herausgestellt wurde – auch wenn sicherlich ein Mangel an attraktiveren Alternativen bei einer solchen Vertragsverlängerung maßgeblich war. Noch besser war das Betonen der Bedeutung von Borussia Dortmund. Die Pfiffe während der 90 Minuten stören mich persönlich, hier kann es nur um Borussia Dortmund gehen, denn der BVB ist größer als jede der einzelnen Ich-AGs auf dem Rasen. Die Gesänge nach dem Spiel waren dann ein letztes Mal Luft machen. Der Frust musste offensichtlich bei vielen einfach mal raus.
Die Reaktionen im Nachgang waren wieder umso bemerkenswerter. Die Hummels'schen 300, die ihn sowieso nicht mögen – das war wieder eine unglaubliche Verkennung der Realität im Westfalenstadion. Entweder ist der Bezug tatsächlich komplett weg oder der Markenbildung würde ein anderes Eingeständnis schaden. Beides erscheint mir als Motivation für diesen verbalen Unsinn möglich. Daneben betätigte sich ein Watzke (mal wieder) durch seine Äußerungen als Verstärker, die das Thema immer höher brachten. In seiner unnachahmlichen populistischen Weise verrannte er sich selbst in Pauschalaussagen, die der diffusen Gemengelage kaum gut taten. Manchmal ist weniger mehr.
„Natürlich kommt das auch ein wenig daher, dass wir auch Leute kennen, die jedes Mal auf der Süd stehen. Sogar ich kenne ein paar, Mario kennt ein paar,Schmelle kennt ein paar und Kevin sowieso. Kevin kennt vermutlich alle.Dann ist dieser Bezug auf beiden Seiten eben auch enger.“ (Mats Hummels)
Mit einer Nacht nachdenken bin ich über die Reaktion, wie sie war, froh. Was sich in allem zeigt: es sind noch Emotionen im Spiel. Wäre dieser Wechsel einfach sachlich abgefrühstückt worden, wäre es wohl das Schlimmste. Es ist eben noch nicht alles im Fußball austauschbar geworden. Es gibt noch Wechselwirkungen zwischen der Tribüne und dem Rasen. Wir sind dem ganzen Rummel irgendwie doch noch emotional verbunden. Jeder auf seine Weise.