Die Eintracht besiegt: Chance auf Europa, Schalke in Sichtweite, Bayern vor der Brust
17:40 Uhr. Die Partie des BVB gegen Eintracht Frankfurt ist nicht einmal eine halbe Stunde alt. Ein lautstarkes „Zieht den Bayern die Lederhosen aus“, das einige Fans auf dem Weg nach Hause anstimmen, schallt dumpf durch die Mixed Zone, in der wie nach jedem Heimspiel ein reges Treiben herrscht. Während die Landsmänner Neven Subotic, Aleksandar Ignjovski und Milos Jojic lässig im Gang stehen und flachsen, schlendert Adrian Ramos mit dem Handy am Ohr durch den weitläufigen Raum. Roman Weidenfeller, trotz Beckenprellung und Zwangspause gut gelaunt, verschwindet schnell in der Mannschaftskabine, nachdem er sich kurz mit Ramos abgeklatscht hat. Shinji Kagawa schlurft eilig an den wartenden Presseleuten vorbei – frisch geduscht, aber nur mit einem Handtuch bedeckt, was besonders die japanischen Kollegen zu amüsieren scheint – als Kapitän Mats Hummels umringt von zahlreichen Mikrofonen und Diktiergeräten das Fazit des Tages zieht: „Wir haben jetzt eine Riesenchance auf einen Europacup-Platz und können, was den Fans besonders wichtig ist, am Ende sogar noch vor Schalke landen.“
Der Innenverteidiger, den der zukünftige Trainer Thomas Tuchel, so munkelt man, unbedingt halten will, bringt es damit auf den Punkt. Mit dem 2:0-Sieg gegen die Frankfurter Eintracht eröffnet sich für Borussia Dortmund, das nun nur noch drei Punkte von Platz 5 entfernt ist, nicht nur die vor einigen Wochen noch für unmöglich gehaltene Chance auf Europa – auch das Selbstvertrauen dürfte vor dem so schwierigen DFB-Pokal-Halbfinale gegen die Bayern noch einmal einen Schub bekommen haben. Plötzlich ist da eine Perspektive, um die so turbulente Saison doch noch mehr als versöhnlich ausklingen zu lassen.
Den Grundstein für den Tag, der diese neue Perspektive schuf, legten Pierre-Emerick Aubameyang und Shinji Kagawa, die das Spiel gegen die zuvor punktgleichen Frankfurter mit ihren beiden Toren in Hälfte eins entschieden. Dass das Ergebnis jedoch alles andere als aus einer klaren BVB-Dominanz resultierte, wusste auch Jürgen Klopp: „Wir hatten einige gute, aber auch wieder einige nicht so gute Momente.“ Der Blick auf die Statistik bestätigt den Übungsleiter: 12:11 Torschüsse, 60% Ballbesitz für die Eintracht (!) und eine Zweikampfquote von 45% zu 55% zu Ungunsten der Borussia zeigen, dass das Spiel auch anders hätte ausgehen können – und in der Hinrunde wahrscheinlich auch anders ausgegangen wäre. Das Team von Jürgen Klopp profitierte in einem eher ausgeglichenen Spiel jedoch von einem günstigen Verlauf, einer handvoll guter Aktionen in der Offensive und einer sattelfesten Defensive – hinzu kam, dass das Team von Thomas Schaaf in den entscheidenden Momenten zu ungenau agierte. All das war dem BVB-Coach Klopp jedoch nach dem Spiel egal: „Wenn man gewinnt, ist das alles nicht so wichtig.“ Und gewonnen, das hat die Borussia eben.
Die 90 Minuten: BVB erst eiskalt, dann als Chancentod
Doch beginnen wir von vorne: Der BVB agierte gegen den Gast aus Hessen im gewohnten 4-2-3-1 mit einer ungewohnten Doppelsechs aus Sven Bender und Matthias Ginter. „So wie die beiden unter der Woche trainiert haben, konnte man schon erahnen, dass das gut wird“, erklärte Klopp, warum seine Entscheidung auf die defensive Variante und mal wieder gegen Jojic gefallen war. In Abwesenheit von Gündogan hatte der Trainer seinen Dortmundern zudem mit auf den Weg gegeben, immer wieder über die Außen in die gefährliche Zone der Frankfurter vorzustoßen. Bei gegnerischem Ballbesitz zogen sich Blaszczykowski und Mkhitaryan aus Respekt vor dem offensivstarken Gegner wiederum regelmäßig weit zurück – die abermals in einem 4-4-2 angetretenen, in der Offensive aber ständig rochierenden Frankfurter schafften es dementsprechend nur selten, gefährlich vor dem Tor von Mitch Langerak aufzutauchen. Auch der BVB, gerade in der Anfangsphase mit Problemen im Aufbauspiel, kam zunächst kaum in vielversprechende Situationen. Ausnahme blieb ein Kopfball von Aubameyang in der 17. Minute, den Blaszczykowski mit einer mustergültigen Flanke vorbereitet hatte. Beiden Mannschaften merkte man zudem die lange Ausfallliste an – den Hessen fehlten Toptorjäger Alexander Meier, Linksverteidiger Bastian Oczipka oder Offensivmann Stefan Aigner. Es entwickelte sich demzufolge ein interessantes, aber chancenarmes Spiel. Bis zum Ende der ersten Hälfte konnten die Borussen gerade einmal zwei weitere Möglichkeiten für sich verbuchen – und gingen dank eiskalter Verwertung mit einer komfortablen 2:0-Führung in die Pause. Der Plan von Klopp, die Frankfurter vermehrt über die Außen zu attackieren, war dabei aufgegangen: Vor dem berechtigten Handelfmeter, der zum 1:0 führte, war Schmelzer über die linke Seite vorgerückt, das 2:0 assistierte Aubameyang mit einem Konter im eigenen Stadion über rechts. Im Zusammenhang mit dem zweiten Treffer gebührt zwei weiteren Spielern ein Extralob: Langerak, der den Ball schnell wieder ins Spiel gebracht hatte und Durm, der Aubameyang auf die Reise geschickt hatte, besaßen einen entscheidenden Anteil an seiner Entstehung. Die Eintracht hingegen tauchte erst kurz vor der Pause in einigen Situationen gefährlich vor Langerak auf, ohne jedoch Kapital daraus schlagen zu können.
Sofort nach der Pause reagierte Eintracht-Trainer Schaaf auf den Rückstand: Kreativspieler Marc Stendera ersetzte den eher rustikal veranlagten Medojevic – ein Zeichen dafür, dass die Eintracht noch offensiver spielen wollte. Der BVB wiederum blieb seinem System treu und hoffte zugleich auf Räume zum Kontern. Genau so kam es: Die Eintracht blieb immer wieder an der vielbeinigen Dortmunder Abwehr hängen oder scheiterte am eigenen Unvermögen, bot dem BVB aber mit zunehmender Spieldauer zunehmenden Platz, den insbesondere Blaszczykoswki und Durm über rechts zu nutzen wussten. Die Chancenverwertung jedoch blieb im Gegensatz zu Hälfte eins mangelhaft: Symbolisch dafür muss wieder einmal Henrikh Mkhitaryan herhalten, der in der 85. Minute frei vor Trapp mit einer Mischung aus Flanke und Schuss kläglich vergab – ein Makel der eigentlich ordentlichen Leistung des Armeniers. „Miki“ befand sich dabei jedoch in bester Gesellschaft: Auch Kagawa, Blaszczykowski und Durm nach einem tollen Solo oder den eingewechselten Reus, Kampl und Immobile boten sich schon zuvor, aber auch danach weitere gute Einschusschancen. Dass Klopp vor allem Immobile einen Treffer sehr gegönnt hätte, ließ er den italienischen Stürmer am Ende der 90 Minuten noch einmal persönlich wissen – entsprechend emotional fiel die Reaktion des Trainers bereits während des Spiels aus. Auf der Gegenseite, da konnte man unken wie man wollte, rächte sich die schwache Chancenverwertung der Borussia jedoch nicht – die Eintracht brachte trotz einem noch offensiver ausgelegten 4-4-2 nur wenig zustande, dafür den aber oft stoisch ruhigen Schaaf auf die Palme.
Und dann war da noch...
…das Banner für Großkreutz: „Mit Großkreutz verlängern – jetzt!“ So prangte es bereits vor dem Spiel in großen Buchstaben auf einem Banner vor der Südtribüne. Gleichzeitig wurden im ganzen Stadion Plakate angebracht, die die selbe Botschaft vermittelten. Die weitere Entwicklung im Fall Großkreutz ist eines der spannenden Themen, die auf uns in den nächsten Wochen und Monaten zukommt. Bleibt der Dortmunder Junge, der besonders als Verbindung zwischen Fans und Mannschaft und Integrationsfigur immer noch eine wichtige Rolle einnimmt, oder muss er gehen? Eins ist sicher: Die Personalie Großkreutz birgt Sprengstoff und die Verantwortlichen sollten sich ganz genau überlegen, was sie machen.
…die Stimmung: Die Frankfurter Fans präsentierten sich wie gewohnt lautstark und feuerten ihr Team mit vielen stakkatoartigen Gesängen an – allerdings erst ab Halbzeit 2. Zuvor war von einem Stimmungsboykott die Rede. Der Support wurde zudem von einem Böllerwurf in Halbzeit eins überschattet. Die BVB-Fans ließen sich, so würde es Jürgen Klopp wohl sagen, hingegen wieder auf das Spiel ein, und feierten den Trainer abermals erst kurz vor und kurz nach Abpfiff – dafür aber wieder lautstark. Vor dem Spiel war es von Gruppen aus beiden Fanlagern zu Auseinandersetzungen gekommen – unnötig!
Stimmen zum Spiel
Sven Bender
… zu seiner Verletzungspause: „Es war nicht so schwer, wieder reinzukommen, ich war ja nicht so lange draußen. Letzte Woche gegen Paderborn war die Zeit zu knapp, da wollten wir nichts riskieren. Das war zu gefährlich, aber heute ging es gut.“
...zu seiner frühen gelben Karte: „Ich musste mich dann etwas zurückhalten, da geht man dann geschickter und intelligenter in die Zweikämpfe. Das ist kein großes Problem.“
...zum Spiel gegen die Eintracht und zur Aussicht auf Europa: „Frankfurt muss man erst einmal schlagen, das ist nicht so leicht. Die waren jetzt eine ganze Weile vor uns in der Tabelle. Wir müssen jetzt so wie heute weiter machen, dann ist das internationale Geschäft auch drin.“
...zum kommenden Spiel gegen die Bayern: „Das wird ein ganz anderes Spiel als heute, aber dass wir das können, haben wir ja schon öfter gezeigt. Da müssen wir auch wieder alles raushauen, dann haben wir eine Chance.“
Mats Hummels
...zum Spiel gegen die Eintracht und zur Aussicht auf Europa: „Das wussten wir schon vor dem Spiel: Wir haben jetzt eine Riesenchance auf einen Europacup-Platz und können, was den Fans besonders wichtig ist, am Ende sogar noch vor Schalke landen. Damit könnte man die Saison noch zu einem versöhnlichen Ende bringen. Wir haben noch hohe Ziele, die uns im Sommer zwar vermutlich nicht gereicht hätten, aber das wäre eine gute Sache.“
...zum Spiel gegen die Bayern: „Das wird ein geiles Spiel, eine große Aufgabe und enorm eng. Mal sehen, was dabei herauskommt. Wir brauchen eine geschlossene Mannschaftsleistung, eine kompakte Defensive und müssen dann schnell kontern. Im Bundesliga-Spiel hatten wir einen etwas anderen Plan, da haben wir extrem hoch gepresst. Mal sehen, welche Herangehensweise wir uns einfallen lassen.“
Shinji Kagawa
...zum Spiel gegen die Eintracht: „Es ist schon seit einigen Spielen so, dass jedes Spiel wichtig ist. Es ist schön zu gewinnen, aber es ist wichtig, von Spiel zu Spiel zu denken. In unserer Mannschaft passt es im Moment richtig gut. Alle haben Spaß, deswegen gewinnen wir auch. Wir müssen die Form mitnehmen in die nächsten Spiele.“
...zum Spiel gegen die Bayern: „Das ist eine K.o.-Runde, da müssen wir alles reinlegen, was wir haben. Weniger wird nicht reichen. Aber wir sind gut drauf. Bayern kommt uns richtig gelegen. Wir müssen den Schwung mitnehmen.“
...zum DFB-Pokalfinale 2012: „Das werde ich nie vergessen, mein ganzes Leben lang nicht. Aber jetzt hilft es natürlich nicht, in Erinnerungen zu schwelgen. Das ist ein neues Spiel gegen eine neue Mannschaft.“
Statistik auf einen Blick
BVB: Langerak - Durm, Sokratis, Hummels, Schmelzer - Ginter, Bender - Blaszczykowski (67. Reus), Kagawa, Mkhitaryan (87. Immobile) - Aubameyang (78. Kampl)
Eintracht: Trapp - Chandler, Madlung, Zambrano, Ignjovski - Hasebe, Medojevic (46. Stendera, 78. Inui) – Kittel (73. Waldschmidt), Piazon - Valdez, Seferovic
Tore: 1:0 Aubameyang (24., Handelfmeter), 2:0 Kagawa (32., Aubameyang)
Gelbe Karten: Bender, Mkhitaryan, Sokratis - Kittel, Zambrano, Madlung
80.667 Zuschauer im Westfalenstadion
Torschüsse: 12:11
Ballbesitz: 40% : 60%
Zweikampfquote: 45% : 55%
Passquote: 70% : 78%
Noten
Langerak: Kaum geprüft. Zeigte bei Rückgaben, dass er fußballerisch besser als Weidenfeller ist – und zwar sowohl mit dem linken als auch mit dem rechten Fuß – und bewies zudem beim 2:0, wie effektiv schnelle Abstöße sein können. Note 2,5
Durm: Leitete das 2:0 mit einem Pass auf Aubameyang ein, zeigte ein paar tolle Flankenläufe und ein starkes Solo, bei dem er zwei Frankfurter aussteigen ließ, dann aber seinen Meister in Trapp fand. Auch hinten sicher. Note 2
Hummels: Souverän und sicher, obwohl er einige Male wieder zu früh nach vorne rückte und Frankfurter Situationen gefährlicher machte, als es hätte sein müssen. Zeigte aber in vielen Zweikämpfen auch, wer Herr im Hause ist. Note 3
Sokratis: Hatte seinen Anteil daran, dass die eigentlich torgefährliche Eintracht vorne kaum einen Fuß auf den Boden bekam. Stark, wie er in der ersten Halbzeit mit einer Grätsche in höchster Not rettete. Note 2,5
Schmelzer: Schlug die Flanke, die Kittel mit der Hand abwehrte, und war damit nicht unwesentlich am 1:0 beteiligt. Bestätigte seine aufsteigende Form und wird so möglicherweise wieder für Löw interessant. Note 3
Bender: Präsent, zweikampfstark (67% gewonnene Zweikämpfe) und Chef im Mittelfeld. Endlich mal wieder ein Spiel, das ganz nach dem Geschmack von „Manni“ gewesen sein dürfte. Agierte auch nach der gelben Karte klug und stoppte zahlreiche Frankfurter Angriffe. Seine Stärken liegen jedoch ganz klar in der Ballbehauptung und nicht im Aufbauspiel. Note 2,5
Ginter: Auch er bestätigte seine aufsteigende Form. Hatte viele gute Aktionen, vor allem im Passspiel. Könnte dauerhaft zum Kehl-Nachfolger auf der Position im defensiven Mittelfeld werden, sollte Tuchel ihn nicht zwingend als Innenverteidiger einplanen. Note 3
Blaszczykowski: In Hälfte eins der Spieler mit den meisten Ballkontakten, den meisten Torschussvorlagen und der stärksten Zweikampfbilanz. Hatte allerdings auch einige leichte Ballverluste und kann noch zielstrebiger agieren. Note 3
Kagawa: Ständig in Bewegung, sehr stark im Gegenpressing und mit dem wichtigen 2:0. Wird langsam wieder der Spieler, den die BVB-Fans lieben gelernt haben. Note 2
Mkhitaryan: An ihm scheiden sich weiterhin die Geister. Während der ein oder andere auf der Pressetribüne den Armenier schon nach 20 Minuten ausgewechselt hätte, sahen andere einen bemühten Antreiber, der durchaus gelungene Aktionen hatte, aber in der Chancenverwertung wieder einmal schwach war. Dennoch Note 3,5
Aubameyang: Wirkte nicht so spritzig wie gewohnt, war aber in den entscheidenden Momenten da – nämlich sowohl beim 1:0, das er per Elfmeter mit einem lässigen Heber markierte („Ich wollte schon länger mal so schießen.“) als auch beim 2:0, das er mit einer tollen Flanke vorbereitete. Note 2
Daniel R., 26.03+1.2015
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