Zwischen Après Ski, Penis- und Europapokal – Borussia zittert sich zum Auswärtssieg
Die 3. Qualifikationsrunde zur Europa League führte den BVB in diesem Jahr nach Kärnten, genauer gesagt zum RZ Pellets Wolfsberger Athletik Club. Die Überraschungsmannschaft der Österreichischen Liga hatte von Red Bull Salzburgs Double aus Meisterschaft und Pokalsieg profitiert und sich auf diesem Weg das Ticket zur Qualifikationsrunde gesichert, während Borussia Dortmund zur Strafe für das vergeigte Pokalfinale zum ersten von bis zu vier zusätzlichen Spielen in Klagenfurt antreten musste. Während das schöne Österreich, das angrenzende Slowenien und auch die Beachvolleyball EM die mitgereisten BVB-Fans begeisterten, gerieten Stadion und Spiel dann auch wirklich zu einer Strafe.
Die Fanszene des WAC war klein, doch entschied man sich für einen Umzug ins benachbarte Klagenfurt. Das dortige Stadion am Wörthersee, ein Traum in Gussbeton und 2000er Jahre Dachverschalung, fasste immerhin 30.250 Zuschauer – 6.000 Tickets wurden dem BVB-Anhang zur Verfügung gestellt, der diese Karten auch in kürzester Zeit ausverkaufte. Die meisten Karten fanden ihren Weg jedoch nicht nach Deutschland, sondern nach Kärnten, Slowenien oder andere naheliegende Regionen, in denen bemerkenswert viele BVB-Fans zu leben schienen. Diese hatten mit dem Spiel den Höhepunkt ihres Fußballjahres erreicht und standen vielfach vor ihrem ersten schwarzgelben Stadionerlebnis, was erwartungsgemäß dazu führte, dass ein Großteil der Anhängerschaft die Europa League Bühne nicht zuletzt als seine eigene interpretierte.
Bereits Stunden vor dem Spiel wurde in den Bierhäusern der Innenstadt eifrig Liedgut angestimmt, das man in so oder so ähnlich klingender Form schon einmal im Stadion gehört haben könnte – unnötig zu erwähnen, dass Schmähgesänge in Richtung München oder Gelsenkirchen ebenso wenig fehlen durften, wie eine formvollendete Humba am Esstisch. Vor dem Stadion verteilte die örtliche Boulevardpresse „Österreich“, die Satire gerne auch als Tatsachenbericht übernimmt, ihre Pamphlete, die wirklich kein Auge trocken ließen. Neben Koks-und-Nutten-Politikern im rosa BH, dem Liebesdrama um eine Nonne sowie dem für Gelächter sorgenden Penis-Pokal für die Siegerinnen der Frauen-Beachvolleyball-EM (zum 20. Mal in Folge in Klagenfurt, weil die Stimmung großartig sein soll, wie sich auch zahlreiche aus Dortmund angereiste Fans überzeugen konnten), dominierte der BVB das Gratisblättchen: Der Traum von der Sensation, der Hit, der Schlager des Jahres – nicht einmal auf Trainer Dietmar Kühbauers Expertise („Wir müssen unser Fell teuer verkaufen“) wollte man verzichten, freilich ohne den gar nicht mal so versteckten Namenswitz auszuschlachten (man ist ja doch irgendwie seriöse Qualitätspresse).
Im Stadion ging es munter weiter mit der guten Laune: Bereits drei Stunden vor Spielbeginn geöffnet, verwöhnte die Stadionregie die anwesenden Gäste bis Sekunden vor dem Spielbeginn mit wummernden Bässen, Après Ski und Ballermann Hits vom allerfeinsten in für Diskotheken nur leicht überhöhter Lautstärke. Gute Laune Ansagen rundeten das Testspiel den Europapokalkracher in perfekter Weise ab: „Wo sind die Fans aus Dortmund? Wo sind die Deutschen? Und wo sind die Fans vom WAC?“ Unterbrochen wurde das Drumherum nur von 90 Minuten Fußball, die sich trotz Thomas Tuchels Pflichtspieldebut und aller Bedeutung für den weiteren Saisonverlauf irgendwie nicht so anfühlten, als ob es um etwas ginge.
Die Aufstellung des BVB ließ noch keine Schlüsse auf die kommende Saison zu, da auf vielen Positionen noch immer getestet wurde. So bekam Neuzugang Roman Bürki die Gelegenheit sich im Tor zu präsentieren, wohingegen Roman Weidenfeller im Rückspiel sein Können unter Beweis stellen darf. Kevin Kampl hatte in Testspielen von Beginn an wirken dürfen, stattdessen bekam nun Jonas Hofmann seine Bewährungschance. Ohne Umschweife gab Tuchel zu verstehen, dass die ohnehin nur sehr kurze Vorbereitung noch längst nicht abgeschlossen sei und sich bis weit in die Saison ziehen werde, bis auf Mats Hummels kein Spieler 90 Minuten durchgespielt hatte und eine Glanzleistung gegen die Österreicher, die bereits mehrere Pflichtspiele auf dem Buckel hatten, nicht zu erwarten gewesen war. Die Hoffnungen lagen demnach auf einem starken Beginn mit einer idealerweise frühen Führung und defensiver Stabilität ohne die typischen Fehler der Vorsaison.
Nach einer kleinen Pyroshow im Gästeblock startete Borussia auch gut in die Partie. Die erste Großchance von Pierre-Emerick Aubameyang, der kurz nach dem Spiel seinen Vertrag um weitere zwei Jahre verlängerte, segelte nach gerade einmal 80 Sekunden knapp am rechten Pfosten vorbei. Nach neun Minuten wurde Hofmann im Strafraum umgerannt und hätte einen klaren Elfmeter bekommen müssen, den der Schiedsrichter so aber eher nicht auf dem Schirm hatte (wohl aber einen Abseitspfiff auf Zuruf aus dem Publikum in der 14. Minute, was jetzt nicht besonders souverän wirkte). Und in der 16. Minute fiel das 0:1, als Marco Reus seine Abseitsposition erkannte und ein passgenaues Zuspiel Henrikh Mkhitaryan überließ, der den nun freistehenden (und aufgrund einer neuen Spielsituation nicht mehr im Abseits stehenden) Jonas Hofmann in Szene setzte.
Weiter ging das Dortmunder Offensivspiel, das von Hofmann und Mkhitaryan (der seine seit April stark ansteigende Form bestätigen konnte) klug organisiert und von Marcel Schmelzer ebenso wie Lukasz Piszczek immer wieder neu in Szene gesetzt wurde. Weitere hochkarätige Chancen wurden in der ersten Halbzeit vergeben (Mkhitaryan nach Steilpass von Schmelzer knapp rechts vorbei, 29. / Hofmann nach Vorarbeit von Julian Weigl und Reus, 36.), doch hatte immerhin der deutlich schwächer besetzte Gegner rein gar nichts zu melden.
Nach weiteren 15 Minuten Ballermann Hits behielt Borussia die Oberhand und drängte aufs 0:2 – leider jedoch ohne Erfolg. Die Chancen des BVB waren zwar vorhanden, wurden jedoch immer schlampiger ausgespielt – Querpässe in die Leere (Reus nach Vorarbeit Hummels 52., Aubameyang 77.) oder in die Arme Alexander Koflers (Aubameyang, 69.) ließen Gefahr so gut wie gar nicht mehr entstehen. Ein klares Ziehen an Mkhitaryans Schulter, der zu leicht fiel und einen Elfmeter wohl eher nicht verdient hatte (65.), und das gefühlt zehnte Abseits, infolgedessen ein Tor Mkhitaryans nicht anerkannt wurde (74.), passte nun zur Dortmunder Harmlosigkeit.
Anders die Österreicher, die zunehmend erkannten, dass die Kräfte beim BVB nachließen und sich die Fehler der vergangenen Saison immer öfter einstellten: Stockfehler, schlampige Zweikämpfe und unnötige Ballverluste in Abwehr und Mittelfeld erlaubten es dem WAC, ab der 60. Minute ein echtes Chancenplus herauszuspielen. Das Aushebeln der Defensive mit einer einfachen Kombination (Thomas Zündel, 61., über das Tor) gab das Aufbruchsignal, weitere Chancen folgten: Der neu ins Spiel gekommene Gonzalo Castro verlor den Ball und ermöglichte einen Konter, der nur mit großer Mühe zur Ecke geklärt werden könnte – diese führte beinahe zum Ausgleich, doch konnte Mkhitaryan den Ball in höchster Not von der Linie köpfen (70.). Eine weitere Ecke nach demselben Schema konnte von Bürki abgewehrt werden, doch scheiterten diesmal zwei Spieler des WAC dabei, den Ball aus einem Meter über die Linie zu drücken.
Es blieb letztlich beim glücklichen 0:1 der Borussia, die sich erwartungsgemäß schwer getan hatte. Die Fehler der vergangenen Saison traten insbesondere ab der 60. Minute immer wieder zum Vorschein, als es dem deutlich unterlegenen Gegner gleich mehrfach gelungen war, über stabile Abwehrarbeit und engagiertes Nachsetzen Raumgewinne zu erzielen. Schlampige Pässe, pomadiges Auftreten und deutlich nachlassende Kräfte hätten mit etwas Pech zu einer richtigen Blamage führen können – auf Tuchel wartet doch noch eine ganze Menge Arbeit.
Statistik
WAC: Kofler - Berger, Sollbauer, Hüttenbrenner, Palla - Standfest - Zündel, Seidl, Putsche, Wernitznig - Silvio
Wechsel: Trdina für Putsche (70.), Jacobo für Wernitznig (81.), Tschernegg für Standfest (90.)
BVB: Bürki - Piszczek , Sokratis , Hummels , Schmelzer - Gündogan , Weigl - Hofmann , Reus , H. Mkhitaryan - Aubameyang
Wechsel: Castro für Weigl, Kagawa für Hofmann (beide 66.), Kampl für Reus (80.)
Tor: 0:1 Hofmann (14.)
Gelbe Karten: Zündel - Weigl, Hummels
SSC, 01.08.2015