Erdmann doof, Reus kaputt, Dynamo besiegt - Borussia steht im Viertelfinale
Borussia Dortmund gewinnt ein K.O.-Spiel bei Dynamo Dresden – und nichts passiert. Mit diesem Ausgang hatte wohl niemand gerechnet, waren doch die Gefährdungspotentiale über Wochen hinweg mit voller Berechtigung diskutiert worden. Busse und sonstige Reisegruppen aus Dortmund hatten sich einige Kilometer vor dem Stadion zu einem Konvoi unter Polizeischutz getroffen, von Einzelanreisen war auf allen Kanälen nachdrücklich gewarnt worden. Als Berichterstatter hatte man sich schon seine Gedanken gemacht, an welcher Stelle was genau passieren könnte, hatte seine Augen aufgehalten und sich schon die eine oder andere Pöbelei zurechtgelegt, die man gegen dümmliche Krawallmacher so hätte ins Feld führen können. Doch wo immer man auch hinsah, gab es hierzu überhaupt keinen Anlass.
Dresden, einstmals eines der prachtvollsten Kultur- und Politikzentren Europas (und damit der Welt), zeigte sich von seiner gastfreundlichen Seite. Angefangen bei Semperoper und Zwinger, die notgedrungen im montäglichen Wochentakt eine ziemlich hohe Arschlochdichte bei Pegida-Versammlungen erdulden müssen und sich mit erfreulich deutlichen Aussagen dagegen stellen (z.B. „Für ein weltoffenes Dresden“, „Die Würde des Menschen ist unantastbar: Türen auf. Herzen auf. Augen auf.“, „Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden – 14 Museen mit Werken aller Kontinente: Ein großes Haus voller Ausländer! Der Stolz des Freistaats.“) über Frauenkirche und Goldenen Reiter bis hin zum Residenzschloss, das mit dem grünen Gewölbe die wohl prunkvollste Schatzkammer Europas und mit der Türckischen Cammer eine der großartigsten Sammlungen orientalischer Waffen und Kulturgegenstände beherbergt (zur Hochzeit Dresdens galt es als Zeichen der Intelligenz und des Reichtums, sich am orientalischen Lebensstil zu orientieren, weshalb August der Starke die größte Heerschau seiner Zeit unter türkischen Zelten durchführen ließ – manch ein Dresdner sollte vielleicht mal das Museum besuchen, bevor er mit Pegida um die Wette blökt), wurde klar, warum die Stadt einstmals als eine der schönsten Europas galt.
Zwischen all diesen Sehenswürdigkeiten waren BVB-Fans zu finden, die sich unbekümmert (und trotz allem wohl arg naiv) durch die ebenfalls deutlich im Stadtbild auszumachenden Kleingruppen joggingbehoster und bauchbetaschter Dresdner bewegten. Doch die einen ignorierten die anderen und die anderen ließen die einen schlichtweg in Ruhe. Das Spiel war jedoch in aller Munde: Auf den Straßen unterhielten sich die Einheimischen über ihre Chancen, im Ausschank der Brauerei Watzke gab es kein anderes Thema und als der Mannschaftsbus am Taschenbergpalais auf und ab fuhr, blieben auch weniger fußballbegeisterte Passanten stehen. Die Mannschaft selbst begab sich gegen 17 Uhr auf einen Abendspaziergang, um wenigstens für eine Viertelstunde die Schönheiten der Stadt zu erkunden. Unter Begleitung eines mittleren Polizeiaufgebots kam es zu keinerlei Problemen, Spieler und Trainer gaben Autogramme und nahmen sich Zeit für einige Fotos mit den Fans oder wie Neven Subotic auch für ihre privaten Fotoalben.
Eine halbe Stunde vor Spielbeginn konnten es die Fans der Sachsen nicht mehr erwarten – viel zu früh hoben sie die Papptafeln hoch und ließen ihre Choreographie zur Hälfte erscheinen. Das gleiche Schauspiel gab es einige Minuten später im Gästeblock zu sehen. Die Ultragruppen, die erst relativ spät im Block erschienen waren, hatten schwarze und gelbe Fahnen verteilt – doch statt diese bis zum Einlauf der Mannschaften zurückzuhalten, wurden auch sie eifrig geschwenkt. Als es die beiden Choreos später in voller Entfaltung zu sehen gab, kamen auf Dresdner Seite das Motto des Tages („Heute walzen wir euch platt“) sowie eine Blockfahne mit einer Dampfwalze zum Schein, während auf Dortmunder Seite einige Blinker und Bengalos gezündet und zum Teil leider auch auf den Platz geworfen wurden.
Beinahe drollig wurde es bei der Ankündigung des Samstagspieltags, der die andere, oft übersehene Seite Dynamos zeigte. Im Spiel gegen die SG Sonnenhof Großaspach soll der Gästeblock voll mit Heimfans belegt werden. Die etwa 50 Fans der Aspacher werden zum Dank für den freundlichen Empfang im Hinspiel von den Ultras Dynamo zum Spiel eingeladen sowie mit einer Stadtführung und einem Umtrunk im Fanhaus begrüßt. Auf den Videoleinwänden freuten sich Fans auf ein volles Haus, in dem man „endlich einmal wieder eine LaOla starten und durchhalten“ können soll. Ein schönes Beispiel, dass bisweilen selbst die gefürchtesten Fangruppen handzahm werden und sich im Griff behalten können, wenn man sie denn freundlich behandelt. Dass dazu über 90 Minuten auf den Anzeigetafeln das klare Statement „Rassismus ist kein Fangesang“ eingeblendet wurde, gehörte ebenfalls zu den Aspekten, die angesichts der medial beliebten Aufforderungen zur Positionierung bzw. Distanzierung an dieser Stelle Erwähnung finden sollen.
Während Mitch Langerak als Pokaltorwart für Roman Weidenfeller ins Tor gerückt war, mussten Nuri Sahin und Pierre-Emerick Aubameyang leicht angeschlagen in Dortmund bleiben. Kuba erhielt seine erste Berufung in die Startelf seit seiner schweren Verletzung vor einem Jahr, auch Ciro Immobile fand sich neu in der Startelf ein. Der Auftakt ins Spiel geriet flott – Dynamo drückte auf dem Platz und auf den Rängen gewaltig, wie man es hatte erwarten können. Von Beginn an gab es viele Nickligkeiten, mehr oder weniger versteckte Fouls und ruppige Szenen zu sehen – am deutlichsten in der 7. Minute, als Sinan Tekerci Oliver Kirch die Füße wegzog und in der 8. Minute, als Immobile bei einem Luftzweikampf von Michael Hefelers Arm in Gesichtsnähe getroffen wurde.
Erst in der 12. Minute gab es eine erste Gelegenheit für Borussia, die sich auf dem unterirdischen Platz (der den Ehrentitel Acker niemals verdient gehabt hätte) einigermaßen schwertat. Während Marco Reus und Immobile von drei oder vier Dresdnern auf Schritt und Tritt verfolgt wurden und sich kaum Raum verschaffen konnten, stießen Shinji Kagawa, Ilkay Gündogan und Marcel Schmelzer in die Lücken und bemühten sich darum, die gegnerischen Hoppelpässe abzufangen. Sämtliche der wenigen Offensivszenen liefen in dieser Phase über sie, von einer ernstzunehmenden Torgefahr konnte dennoch zu keinem Zeitpunkt gesprochen werden. Den Dynamo hatte sich so weit zurückgezogen, dass an ein anspruchsvolles, kreatives Spiel insbesondere angesichts der katastrophalen Rasenverhältnisse nicht zu denken war.
In der 24. Minute kam es dann zum großen Schock: Der Ball war weit entfernt, da hatte sich Dennis Erdmann selbst zum Depp des Monats gekürt. Ohne jede Not hatte der blaue Penner kreisligatalentierte Spieler Reus umgetreten, der nach langer Behandlungspause mit einem Pferdekuss ausgewechselt werden musste. Während Jürgen Klopp mit den Physios schimpfte, weil diese wohl zu lange mit einem Signal zur Auswechslung gebraucht hatten, war sich Erdmann keiner Schuld bewusst und verwies auf eben jene Kreisliga, die ihm als Maßstab für sein Handeln auf dem Platz diene.
Dynamo sah nun seine Zeit gekommen, mit Kontern gefährliche Nadelstiche zu setzen. Ob Kagawa ohne linken Schuh 30 Meter nach hinten sprinten und dort verteidigen musste oder ein Dresdner Freistoß nach einem harmlosen Foul Subotics für richtig Alarm und eine schauspielreife Schwalbe im Dortmunder Strafraum sorgte – ein echter Klassenunterschied war jetzt nicht mehr zu erkennen und mehr als eher schwache Freistöße konnte Borussia gegen die aufopferungsvoll verteidigenden Dresdner nicht herausholen.
Die zweite Halbzeit begann dafür mit dem großen Knall: Erst hatte Niklas Kreuzer auf Julian Eilers gelegt, der knapp am linken Pfosten vorbeigeschossen hatte, dann hatte sich Hefele seinen zweiten Riesenbock geschossen: Nach einer Ellenbogenattacke gegen Immobile, der Ende der ersten Halbzeit längere Zeit behandelt werden musste, verlor er in der 50. Minute den Ball bei einem katastrophalen Querpass vor dem eigenen Tor an den Italiener. Immobile hatte alle Zeit der Welt, zögerte lange und verwandelte doch sicher gegen Patrick Wiegers zum 0:1.
Dynamo hatte nun die große Gefahr erkannt: Das aufwändige Spiel hatte Kräfte gekostet und würde sich nicht ewig durchhalten lassen, ein schneller Ausgleich musste also her. Statt sich zurückzuziehen und um Schadensbegrenzung zu hoffen, marschierten die Dresdner nun also nach vorne. Drei Minuten nach dem Tor verlor der sonst sicher stehende Mats Hummels einen Zweikampf gegen Eilers, der nun ganz allein vor Langerak auftauchte und von diesem nur mit Mühe aufgehalten werden konnte. Abermals nur drei Minuten später hielt Luca Dürholz die Dortmunder Innenverteidigung auf Trab, bis in der 61. Minute Nils Teixeira einen Distanzschuss aufs Tor brachte, nachdem Eilers mit Schmelzer und Hummels Katz und Maus gespielt hatte.
Der Gästeblock war nun erstmal lauter, als die Heimtribüne. Die sonst schnellen und lauten Anfeuerungsrufe DY-NA-MO waren deutlich seltener geworden, der Dortmunder Dauergesang mit Trommelbegleitung nun gut zu hören. Wirklich viel los schien aber nur im Stehbereich zu sein, die Sitzplätze waren allenfalls noch in dessen Nähe in Bewegung. Auch auf dem Platz musste Dynamo dem hohen Aufwand der ersten Halbzeit nun Tribut zollen. Zuspiele wurden ungenauer, in Zweikämpfen gingen sie weniger klar zur Sache und die Spieler wirkten längst nicht mehr so flink und dynamisch, wie noch in der ersten Halbzeit.
Stattdessen bedienten sie sich fragwürdiger Psychotricks – rund um die 70. Minute seine Mauer zu einem Freistoß stellte, liefen gleich zwei Dresdner Wechselspieler demonstrativ und ohne Eile vor seinem Tor über den Platz, um die andere Seite zu erreichen. Nickligkeiten und Fouls häuften sich wieder und der Schiedsrichter, der bislang noch keine einzige Karte gezeigt hatte, musste in der 75. Minute tatsächlich doch noch einmal aktiv werden und Cristian Fiels Sense gegen Gündogan mit gelb bestrafen.
Der BVB setzte nun an zum Schlussspurt. In der 76. Minute tauchten Immobile und Mkhitaryan hinter der Dresdner Abwehr in abseitsverdächtiger Situation auf, ein Pfiff blieb zum Entsetzen der Hausherren aus – Immobile wollte zu Micki querlegen, hatte seinen Kopf aber nicht gehoben und ohne Not in Dresdner Abwehrbeine gespielt. Sekunden später war es wieder Immobile, der diesmal einen Gewaltmarsch über links mit einem Querpass auf Ramos abgeschlossen hatte, der jedoch abermals nicht optimal getimt war und von Ramos aus spitzem Winkel nur noch an den rechten Innenpfosten geschossen werden konnte. Beide Großchancen nicht zu nutzen, war schon wahrlich eine Kunst.
Und Klopp, der in seiner Coaching Zone vor der Werbebande wie ein Löwe in seinem Käfig auf- und abmarschierte, gelegentlich brüllte und sich die Mähne raufte, sollte seine Nerven noch einige Male angespannt sehen. Ein mittelschwerer Bock in der 80. Minute erlaubte es Dynamo, den Ball aus dem linken Mittelfeld nach rechts zu legen, wo Teixeira mit Effet abziehen konnte und den Ball nur knapp übers Tor legte. Sechs Minuten später war Langerak gegen Eilers unbedrängt ins Tippel-Duell gegangen und im Boden hängen geblieben, hatte den Ball aber noch geistesgegenwärtig ins Seitenaus schlagen können. Dazu kamen die Privatduelle zwischen Erdmann und Immobile, die sich durch viele Schiebereien und gegenseitige Attacken auszeichneten.
Es dauerte bis zur 90. Minute, bis die Erlösung dann auch zu einer endgültigen geworden war. Ein Dortmunder Konter war mit Nachdruck vorgetragen worden, nach einem ersten Ballverlust war das Leder zurückerobert worden. Kuba startete auf rechts durch, hatte in der Mitte Mkhitaryan und Immobile zur Auswahl, Reingabe zu Immobile, das humorlose und sichere 2:0. Aus dem Dresdner Publikumsbereich flog nun ein Böller in den eigenen Fünfmeterraum, der Schiedsrichter hatte ein Einsehen und beendete die Partie. Borussia steht nun zum vierten Mal in Folge im Viertelfinale des Pokals, rund ums Stadion und auf den Abreisewegen war es nach Aussage der Polizei friedlich geblieben.
Statistik:
SG Dynamo: Wiegers - Teixeira, Erdmann, Hefele, Vrzogic - Moll, Müller - Kreuzer, Tekerci - Andrich - Eilers
Wechsel: Dürholtz für Andrich (54.), Stefaniak für Kreuzer (66.), Fiel für Müller (70.)
BV Borussia 1909: Langerak - Kirch, Subotic, Hummels, Schmelzer - Kehl, Gündogan - Kuba - Kagawa, Reus - Immobile
Wechsel: Mkhitaryan für Reus (24.), Ramos für Kagawa (67.), Bender für Kuba (91.)
Tore: 0:1 Immobile (50.), 0:2 Immobile (90.)
Gelbe Karten: Vrzogic, Fiel - Kuba
Stimmen
Jürgen Klopp: "Dresden ist wirklich eine wunderschöne Stadt. Aber dieser Rasen hier ist eine Frechheit. Normalerweise sollte man da ja nichts sagen, aber wenn ich mir überlege, dass hier vor kurzer Zeit ein Kollege entlassen wurde, weil das Ziel des Wiederaufstiegs in Gefahr zu geraten schien, muss ich das hier doch ansprechen. Wenn sich die Leute wundern, warum die Jungs hier plötzlich nicht mehr spielen können, die einfachsten Bälle beim Stoppen ins Aus verspringen, dann kann ich ihnen sagen, woran es liegt: am Rasen. Jeder, der will, dass Dynamo Dresden wieder aufsteigt, muss sich dafür einsetzen, dass hier ein neuer Rasen reinkommt. Meinem Kollegen werde ich nachher frohe Ostern und eben das wünschen! Ansonsten war das Spiel wie zu erwarten schwer. Dresden hat vieles gut gemacht, wir haben teilweise zu kompliziert gespielt. In der zweiten Halbzeit wurde es dann aber besser und wir haben verdient gewonnen."
Sebastian Kehl: "Wir wollten keine Fehler machen und keine blöden Konter fangen, haben unsere Sache dabei auch ganz gut gemacht. Dennoch haben wir uns lange schwer getan, weil Dresden gut gespielt und die Räume eng gemacht hat."
SSC, 03+1.03.2015