Was geschah rund um das Derby am 26. Oktober 2013? - Teil 2
Im ersten Teil "Was geschah rund um das Derby am 26. Oktober 2013" sprachen wir mit der Bundespolizei über die Vorfälle am Derby-Tag am Bahnhof Essen West. Der zweite Teil beleuchtet die Rolle der Landespolizei Gelsenkirchen und des Vereins Schalke 04.
Die rechtswidrige Datenübermittlung durch die Polizei Gelsenkirchen
In der Folge stellte schwatzgelb.de aufgrund der Auskunftsverweigerung der Landespolizei Gelsenkirchen eigene Nachforschungen nach der Rechtsgrundlage der Übermittlung personenbezogener Daten an den Verein Schalke 04 an. Da der Verein die Landespolizei Gelsenkirchen nach deren Aussage um eine Übermittlung gebeten habe, würde hierbei der Paragraf 29 Absatz 2 des Polizeigesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen zur Geltung kommen. Darin heißt es zur „Datenübermittlung an Personen oder an Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs“:„Die Polizei kann auf Antrag von Personen oder Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs personenbezogene Daten übermitteln, soweit die oder der Auskunftsbegehrende
- ein rechtliches Interesse an der Kenntnis der zu übermittelnden Daten glaubhaft macht und kein Grund zu der Annahme besteht, dass das Geheimhaltungsinteresse der betroffenen Person überwiegt,
- ein berechtigtes Interesse geltend macht und offensichtlich ist, dass die Datenübermittlung im Interesse der betroffenen Person liegt und sie in Kenntnis der Sachlage ihre Einwilligung hierzu erteilen würde.“
Die Ziffer 2 dürfte von vornherein ausscheiden, da - das sei hier unterstellt - die Datenübermittlung nicht im Interesse der betroffenen Personen lagen und diese in Kenntnis der Sachlage keine Einwilligung erteilen würden; bleibt also Ziffer 1.
Demnach müsste als Basis das Geheimhaltungsinteresse der betroffenen Personen nachrangiger sein als das rechtliche Interesse des Auskunftsbegehrenden - in diesem Falle des FC Schalke 04 - an der Kenntnis der zu übermittelnden Daten. Doch schauen wir uns näher an, was dem Verein eigentlich mitgeteilt werden sollte.
Aus 55 Ordnungswidrigkeiten werden 500 Gewalttäter
Rein von den Fakten her - und nur darum geht es in einem Rechtsstaat, nicht um Vermutungen und Unterstellungen - sollten dem Verein Schalke 04 pauschal die Daten von über 500 Personen mitgeteilt werden, die im Bahnhof Essen-West zunächst einmal schlichtweg als anwesend festgestellt wurden. Ob und welchen Personen individuell Vergehen im Sinne einer Ordnungswidrigkeit oder gar Straftat nachgewiesen werden konnte, war bei dieser Übermittlung schlichtweg nicht von Bedeutung.
Wie oben bereits dargelegt wurde, konnte nach Angaben der Bundespolizei etwa 55 Personen die Ordnungswidrigkeit des Gleisüberquerens nachgewiesen werden. Selbst eine Übermittlung dieser 55 Namen über die Landespolizei an den Verein Schalke 04 wäre aufgrund der laufenden Verfahren und der in Deutschland gängigen Unschuldsvermutung bis zum Beweis der Schuld rechtlich höchst bedenklich. Skandalös hingegen ist die pauschale Übermittlung von über 500(!) Datensätzen von der Landespolizei Gelsenkirchen an den Verein Schalke 04. Mit der Übermittlung legte die Landespolizei die Basis, dass mehr als 500 Personen pauschal als Gewalttäter stigmatisiert werden, ohne dass ihnen gegenwärtig überhaupt juristisch etwas nachgewiesen werden kann. Eine höchst bedenkliche Form von Rechtsstaatlichkeit. Nach gegenwärtiger Faktenlage wurden über 500 Datensätze an den Verein Schalke 04 übermittelt, in rund 450 Fällen davon ohne einen einzigen greifbaren Verdacht eines individuellen Vergehens. Einer möglichen Datenübermittlung steht also hier das deutlich überwiegende „Geheimhaltungsinteresse der betroffenen Person“ gemäß Paragraf 29 Absatz 2 des Polizeigesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen im Wege, womit die Datenübermittlung de jure rechtswidrig war.
Wie die Landespolizei Gelsenkirchen und der FC Schalke 04 sich fast aller Dortmunder Ultras entledigten
Im Raum steht aufgrund dieses Vorgehens eine mehr oder weniger stillschweigende Kooperation zwischen der Polizei Gelsenkirchen und dem Verein Schalke 04. Nähert man sich dem Vorgehen mit der Frage „cui bono?“ - „wem nutzt es?“ - stellt man schnell fest, dass sich sowohl die Landespolizei Gelsenkirchen als auch der FC Schalke 04 in einer Win-Win-Situation wiederfinden. Einerseits hat sich der Verein FC Schalke 04 mit einem höchst anrüchigen, aber juristisch kaum angreifbaren Vorgehen für über fünf Jahre fast aller Dortmunder Ultras entledigt. Und die Polizei Gelsenkirchen wiederum profitiert ebenfalls, da man der Meinung sein dürfte, dass die Ultras - die man wohl als potenzielle Störenfriede und Gewalttäter ansieht - fünf Jahre nicht im eigenen Zuständigkeitsbereich auftauchen werden.
Hier liegt der starke Verdacht eines Günstlingshandelns zwischen einer staatlichen Institution und einem privaten Unternehmen zu Lasten hunderter Fußballfans vor, der in anderen Bereichen bei einem Bekanntwerden die zuständigen Politiker wohl ihre Ämter kosten dürfte. Vor diesem Hintergrund erscheint die Aussageverweigerung der Landespolizei Gelsenkirchen in einem ganz anderen, verdächtigen Licht. Es drängt sich der Verdacht auf, dass hier Vorgänge vertuscht werden sollen, die einer juristischen Überprüfung wohl niemals standhalten würden.
Um diesen sich aufdrängenden Verdacht auszuräumen, hat schwatzgelb.de zwei Mal beim FC Schalke 04 um eine Stellungnahme angefragt. Der erste Kontaktversuch vom 17. Februar blieb gänzlich unbeantwortet. Auf eine zweite Anfrage vom 27. Februar teilte der Verein lediglich mit: „Wir bitten [...] um Verständnis, dass wir bei aller Hochachtung vor Ihrer engagierten Arbeit Ihren Fragenkatalog zu den Ereignissen des Derbys am 26. Oktober 2013 nicht beantworten möchten.“ So fügten sich die Puzzle-Teile schließlich zusammen.
Interne Konsequenzen bei "The Unity"
Doch auch die Vorfälle in der Gelsenkirchener Arena waren Gegenstand der Recherchen. In ihrer Publikation „Vorspiel“ teilte die Ultra-Gruppierung „The Unity“ vor dem Heimspiel gegen den VfB Stuttgart am 1. November mit:„Es sind Dinge passiert, die nicht akzeptabel sind! Da die Art und Weise der Geschehnisse keinesfalls so geplant waren müssen wir uns ehrlich eingestehen, dass uns die Gemengelage im Stadion sowie die handelnden Personen leider völlig aus den Händen geglitten sind. Bevor die ganze Welt aber weiter auf uns hereinbricht bitten wir um Zeit. Zeit, die sich auch alle anderen Beteiligten erbeten haben um die Geschehnisse sachlich zu analysieren und anschließend auch zielführende Konsequenzen ziehen zu können.“
Angesprochen auf diese damalige Aussagen hieß es von Seiten „The Unitys“, dass die interne Aufarbeitung gegenwärtig weiter andauere. Nicht zuletzt der öffentliche, teilweise hysterisch-populistische Druck, der dabei insbesondere von Seiten der Medien auf die Ultra-Szene ausgeübt wurde, scheint jedoch die Skepsis in der Kommunikation nach außen nachhaltig erschüttert zu haben. So habe man mit den oben genannten Aussagen aus dem „Vorspiel“ auch nicht den Eindruck erwecken wollen, dass man wenig später öffentlich Konsequenzen verkünden werde. Auch wenn Einzelheiten nicht genannt wurden, so vermittelte „The Unity“ im Gespräch mit schwatzgelb.de den glaubhaften Eindruck, dass man intern um ernsthafte Konsequenzen aus den Vorfällen bemüht war und ist, um derartige Bilder bei kommenden Derbys zu verhindern. Verneinen konnte man aber, dass die Entgleisungen während der Pyro-Aktion dem möglichen Einfluss befreundeter Ultra-Gruppierungen aus dem In- und Ausland zuzuschreiben sein könnten, die derartige Eskapaden aus ihren Ligen möglicherweise als „Alltag“ ansehen.
Im Recherche-Gespräch zeigte sich also zumindest mit Blick auf „The Unity“, dass man sich der Verfehlungen im Gästeblock durchaus sehr bewusst sei und interne Konsequenzen gezogen habe. Es bleibt zu wünschen, dass dies trotz des enormen öffentlichen Drucks, unter dem die Ultras gegenwärtig stehen, auch während der kommenden Derbys tatsächlich zum Ausdruck kommt.
Teil 3 - Das Sicherheitskonzept für das Derby am 25. März 2014