Gruppenerster: Check!
Weidenfeller oder Langerak? Langerak oder Weidenfeller? Sein oder nicht sein? Schwarz oder weiß? In den Presseberichten der vergangenen Tage gab es scheinbar kein anderes Thema mehr beim BVB. Vergessen waren die Sorgen im Ligaalltag und der Kampf um den Champions-League-Gruppensieg. Stattdessen diskutierten diverse Medien Begriffe wie Generationenwechsel oder Bauernopfer. Ob gewollt oder nicht: Das so verhasste Wörtchen "Abstiegskampf" rückte damit immerhin in den Hintergrund der öffentlichen Wahrnehmung.
Selbst in der voraussichtlichen Aufstellung auf der eigenen Website ließ sich der BVB vor dem letzten Gruppenspiel gegen den RSC Anderlecht nicht in die Karten gucken und stellte kurzerhand Langerak und Weidenfeller ins Tor. Und so kam bei einigen das Warten auf die Aufstellung an diesem Abend vermutlich dem Warten auf den Weihnachtsmann gleich. Pünktlich zur Bescherung rückte der Blick dann aber zunehmend weg vom Tor, denn auch die Reihen davor hatte Klopp ordentlich durchgeschüttelt. Sechs Veränderungen gab es auf dem Rasen, die wohl bemerkenswerteste: Nach rund sieben Monaten Zwangspause feierte Nuri Sahin sein Comeback über die volle Spielzeit. Und das mit einer ordentlichen Vorstellung. Nicht zu vergessen sind mit Oliver Kirch und Jakub Blaszczykowski zwei weitere umjubelte Rückkehrer, die in der 66. bzw. 84. Minute den Platz betraten.
Ein Australier und drei Comebacks
Die Vorzeichen waren klar: Mit einem Unentschieden wäre der BVB so gut wie sicher Gruppenerster - außer natürlich, Arsenal würde im Parallelspiel Istanbul mit mehr als sechs Toren Unterschied abfrühstücken. Und das, ich nehme es an dieser Stelle mal vorweg, ist nicht passiert, auch wenn die Londoner nach einer halben Stunde mit 3:0 in Führung lagen. Man hatte es also komplett in der eigenen Hand, in der nächsten Runde Knallern wie dem FC Chelsea oder Real Madrid aus dem Wege zu gehen. Kurz vor dem Anpfiff machten sich die rund 3.500 Fans aus Anderlecht mit einem violetten Rauchtopf bemerkbar – im Verlauf des Spiels dann immer wieder durch einzelne Gesänge. Insgesamt zeigte sich der Gästeblock wohltuend lautstark und bewegungsfreudig (gut, es war ja auch frisch), sogar die Fans im Oberrang zogen durchweg mit. Demgegenüber präsentierte sich aber auch die Süd in mehr als ordentlicher Verfassung. Der BVB begann auf dem Rasen ähnlich druckvoll: Schon in der 4. Spielminute hatte Immobile die erste ernstzunehmende Schusschance, allerdings konnte Proto seinen Schuss noch abwehren. Auch danach spielte der BVB weiter zielstrebig in Richtung gegnerisches Tor, allerdings fehlte in vielen Aktionen die letzte Genauigkeit, zu häufig standen ein belgisches Abwehrbein oder Keeper Proto im Weg.
Auf der anderen Seite konnte sich aber auch Langerak auszeichnen. Hatte der Australier im Spiel gegen Hoffenheim praktisch nichts zu tun, gab es nun das volle Programm. Und das hieß in der 11. Minute eine großartige Rettungstat gegen den allein auf ihn zustürmenden Mitrovic. Null vorerst gehalten, Aufstellung gerechtfertigt. In der Folge wurden die Aktionen des BVB fahriger. Ein Augenschmaus waren zwar die langen und meist punktgenauen Zuspiele von Gündogan, aus denen seine Mitspieler aber leider kein Kapital schlagen konnten. So stand Schmelzer beim Zuspiel einen Schritt im Abseits (22.), Immobile gelang immerhin ein Abschluss, wenn auch zu ungenau (26.) und Mkhitaryan scheiterte mit seinem Schuss an Proto (30.).
Nach einer halben Stunde war der Punkt erreicht, an dem die letzte Teewärme die Fingerspitzen verlassen hatte und man erkennen musste, dass es von nun an nicht mehr besser werden würde. So ähnlich stellte es sich auch auf dem Platz dar. Dem BVB fiel insgesamt zu wenig ein, Anderlecht kam auf der anderen Seite selten zu gefährlichen Szenen. Und wenn, dann war der Serbe Mitrovic beteiligt wie in der 34. Minute, als er knapp an einer Hereingabe von Conte vorbeirutschte. Wenige Minuten später zielte dann Kljestan aus elf Metern zum Glück (aus BVB-Sicht) zu ungenau. Kurz vor der Pause verpasste der mitgelaufene Durm einen per Hackentrick weitergeleiteten Ball von Mkhitaryan, dann pfiff Schiedsrichter Mallenco zur Pause.
Unglücksrabe Mkhitaryan
Personell unverändert ging es in Halbzeit zwei weiter, die erneut Mkhitaryan mit einem Schuss einläutete, der allerdings keine Probleme für Proto darstellte (54.). Besser machte es wenige Minuten später Immobile. Nach einem feinen Zuspiel von Sahin zog der Italiener aus 15 Metern trocken ab und traf ins rechte Eck – so einfach kann es manchmal sein. Im Anschluss hatte Kagawa nach Pass von Gündogan die große Chance zum 2:0, verzog allerdings hoffnungslos. Es war das einzige Mal, dass der kleine Japaner wirklich ein Zeichen in diesem Spiel setzen konnte, ansonsten war er mit nur knapp 21% gewonnen Zweikämpfen eher stiller Beobachter. Das Gegenteil lässt sich über Mkhitaryan sagen, der immer wieder seine Chancen suchte, dem das (vor allem für sich selbst) erlösende Tor aber einfach nicht gelingen wollte. Haste Scheiße am Fuß… ihr kennt das ja. Die größte Chance vergab er in der Minute 80, als er sich nach einem weiten Abwurf von Langerak zwar im Laufduell gegen Vanden Borre durchsetzen konnte, aber erneut Proto mit der Fußspitze den Torerfolg verhinderte. Eine Pause bekam der Armenier dennoch nicht verordnet, auf der Bank Platz nehmen durften im Laufe des Spiels andere. Ilkay Gündogan zum Beispiel, der völlig zurecht mit Standing Ovations verabschiedet wurde und bis dato die Schaltzentrale im Dortmunder Mittelfeld war.
Kurz vor Schluss sollte es dann doch passieren: Vanden Borre setzte sich über rechts durch, wurde nicht am Flanken gehindert und sein Ball fand in der Mitte den Kopf von Mitrovic, da Bewacher Großkreutz nicht energisch genug den Zweikampf suchte. Ausgleich in der 84. Minute, dumm gelaufen. Danach passierte – mit Ausnahme des Comebacks von Kuba – nichts mehr, die drei Minuten Nachspielzeit wurden geräuschlos runtergespielt. Am Ende ging das Ergebnis durchaus in Ordnung, obwohl der BVB auf dem Papier mit 19:8 zwar deutlich mehr Torschüsse ausweisen konnte, insgesamt aber auch zu viele Chancen leichtfertig vergab. Dennoch sicherte man sich mit dem Unentschieden wie erhofft den Gruppensieg. Ziel erreicht. Das Kapitel Champions League ist damit für dieses Jahr beendet. Nun also am Samstag in Berlin nachlegen und Montag bei der Auslosung auf den Wunschgegner hoffen.
Randnotiz UEFA oder "Ich mach mir die Welt..."
Ein Wermutstropfen bleibt trotz allem: An diesem Abend hatte der BVB lobenswerterweise einen Aktionsspieltag gegen Diskriminierung und Rassismus ausgerufen. So wurden im Stadion Getränke in limitierten „Borussia unites“-Becher ausgeschenkt, und Fanbeauftragter Daniel Lörcher, der zu diesem Thema bei Fanomenal zu Gast war, trug wie alle BVB-Mitarbeiter einen Button mit der Aufschrift „Gemeinsam für Borussia gegen Rassismus“. Noch größer und umfangreicher hätten die Aktionen an diesem Tag ausfallen sollen. Genannt seien hier beispielsweise das Aufhängen des Fanabteilungsbanners „Borussia verbindet Generationen“, das Aufwärmen der Mannschaft in speziell bedruckten T-Shirts oder ein Mannschaftsfoto mit dem neu aufgelegten Antirassismus-Schal. Allein die UEFA hatte etwas dagegen. Genau der Verband also, der seinen „no to rasicm“-Claim, ob als TV-Spot oder Aufsteller, bei jeder sich bietenden Gelegenheit in Szene setzt und nicht müde wird zu betonen, wie wichtig ihm dieses Thema ist. Oder zumindest öffentlich zu sein scheint. Gegen Diskriminierung ja - aber bitte nur so, wie es die UEFA gerne hätte. Heißt: Am vorgeschriebenen Spieltag und im vorgeschriebenen Rahmen. Und bloß keine vereinseigenen Aktionen, keine eigenen Vorschläge, die von der durchdeklinierten (Marketing-)Idee möglicherweise abweichen könnten. So muss sich die UEFA die Frage gefallen lassen, warum man es den Vereinen, die teils viel Arbeit und Herzblut in dieses Thema investieren, derart erschwert, diese so wichtige Botschaft selbstständig mit Leben zu füllen, und stattdessen von oben Maßnahmen und Mottos diktieren will? Ein solcher Verband jedenfalls darf sich nicht wundern, wenn ihm statt Anerkennung und Zustimmung in erster Linie Kritik und Misstrauen entgegenschlagen.
Stimmen
Mitch Langerak: Persönlich bin ich mit dem Spiel zufrieden. Schade trotzdem, dass wir ein Gegentor bekommen haben. Wenn wir 1:0 gewonnen hätten, wäre es super gewesen. Das hat heute leider nicht geklappt. Aber wir haben unser Ziel erreicht und sind Gruppenerster.
... zur neuen Aufstellung: Für mich war das normal. Ich spiele ab und zu und es ist immer alles ein bisschen anders. Wir haben das Spiel fast über 90 Minuten kontrolliert. Für mich war es einfach, ich muss mich bei den zehn Jungs vor mir bedanken. Sie haben mir meinen Job extrem erleichtert
... zur Torwartentscheidung: Ich weiß nicht nicht, wie es Samstag aussieht. Der Trainer hat uns nur gesagt, wie es heute aussieht. Roman ist die Nummer eins und ich bin die Nummer zwei. Wenn ich 50 Spiele nacheinander mache, dann könnte ich sagen, ich bin die Nummer eins. Bis dahin muss ich hart arbeiten und dann werden wir sehen, was passiert. Ich muss einfach trainieren. Das tut Roman auch. Wenn er spielt, sitze ich auf der Bank und unterstütze ihn. Ich mache mir da wirklich keinen Druck weil ich keine Ahnung habe, wie es weitergeht. Wenn ich spielen darf, muss ich Leistung zeigen. Wir müssen beide bereit sein, wenn der Trainer entscheidet, wer im Tor steht. Das ist alles, was wir tun können.
... dazu dass er wegen des Asien Cups die komplette Vorrunde verpassen könnte: Ja, das ist schwierig. Der Asien Cup ist in Australien und wir haben eine gute Chance, ihn zu gewinnen. Ich habe mir noch keine Gedanken darüber gemacht, wie es dann weitergeht.
Statistik
Borussia Dortmund: Langerak – Durm, Subotic, Ginter, Schmelzer – Gündogan, Sahin – Großkreutz, Kagawa, Mkhitaryan – Immobile
RSC Anderlecht: Proto - Vanden Borre, Mbemba, Deschacht, N’Sakala – Dendoncker, Kljestan – Conté, Praet, Acheampong – Mitrovic
Einwechselungen: 66. Kirch für Gündogan, 75. Aubameyang für Schmelzer, 84. Blaszczykowski für Kagawa - 69. Tielemans für Kljestan, 79. Cyriac für Conté, 89. Heylen für Mitrovic
Tore: 1:0 Immobile (58., Sahin), 1:1 Mitrovic (84., Vanden Borre)
Eckstöße: 4:3 (Halbzeit 3:2), Chancenverhältnis: 11:3 (3:2)
Schiedsrichter: Mallenco (ESP), Gelbe Karten: keine
Zuschauer: 65.851 (auuuuusverkauft!)
goldkind, 10.12.2014