3:0 in Anderlecht - Borussia auf Kurs in der Champions League
Einer unangenehmen Woche der Pflicht folgte in Anderlecht die Kür: Mit der Schießbude der vergangenen Champions League Saison wartete ein Gegner der Kategorie „schlagbar“ auf den BVB, gegen den es keine Ausflüchte geben durfte. Dabei war klar, dass nicht nur das Ergebnis, sondern vor allem auch die Art und Weise seines Entstehens wichtig sein würde. Rund 1100 Borussen unterstützten die Mannschaft mustergültig, obwohl die Rahmenbedingungen alles andere als erfreulich gewesen waren.
Die Auslosung hatte es mit dem reisefreudigen BVB-Anhang in dieser Champions League Saison nicht ganz so gut gemeint. Statt einer lohnenswerten Tour nach Sofia, Minsk, Lissabon oder Nikosia ging es in den Brüsseler Vorort Anderlecht. Da belgische Behörden Gastvereinen kurzfristig Anreisewege vorschreiben können (Anreise nur im Buskonvoi unter Polizeibegleitung), hatten die Fanbeauftragen des BVB frühzeitig Kontakt zum RSC Anderlecht aufgenommen. Als bis wenige Tage vor dem Spiel noch immer keine Klarheit herrschte, entschied der BVB von sich aus, die Tickets (die meisten zu unverschämten 70 Euro) nur in Verbindung mit einer Anfahrt im selbst organisierten Konvoi auszugeben. Um den wenigen selbstständig mitgereisten Fans vollends die Stimmung zu verhageln, wurden große Teile des Gästeblocks als Pufferzone freigehalten und folgte am Vorabend des Spiels die Information, dass die belgische Polizei Fans ohne Ticket im gesamten Ortsbereich Anderlecht bis zu 12 Stunden in Haft nehmen konnte. Es musste ein heißes Pflaster sein, das die Borussen an diesem Abend erwartete.
Doch Pustekuchen. Als der RSC die mit dem BVB getroffene Absprache kurzerhand ignorierte und Arbeitskarten erst am Stadion ausgeben wollte, war bereits zu ahnen, dass es so schlimm dann doch nicht werden würde. Tatsächlich wirkte das Wohngebiet um das Constant Vanden Stock Stadion eher unauffällig, hielten zahlreiche belebte Kneipen und Kioske in der direkten Umgebung günstiges Fangetränk bereit und mussten deutsche Zuschauer keinen Spießrutenlauf befürchten. Letzten Endes waren die im Vorfeld getroffenen Maßnahmen wohl nichts als Schikane, die in erster Linie dafür sorgen sollte, dass idealerweise erst gar keine Gästefans die Reise antreten würden.
Das Miniatur-Stadion machte einen netten Eindruck. Es herrschte gute Sicht von den meisten Plätzen (im sündhaft teuren Gästeblock durfte man sich allerdings über bauliche Sichtsperren freuen), die sich aufgrund der so nahe am Stadion gelegenen Kneipen erst wenige Augenblicke vor Spielbeginn füllten. Aus den Lautsprechern tönte mit „Olé, olé, olé, olé, we are the champions!“ eine wunderbar schäbige Old School Hymne so blechern, als ob sie vom Soundchip eines 5 Euro Geschenkartikels abgespielt worden wäre. Noch immer schunkelnd und ungläubig staunend, passte sich dann eine Choreo der Heimtribüne in das Gesamtbild ein – eine Blockfahne über den Unterrang („Together we are invincible“) mit weißen und violetten Fähnchen im Oberrang war einfach, aber effektiv.
Jürgen Klopp hatte wieder einmal die Aufstellung geändert. Mit Shinji Kagawa und Sebastian Kehl in der Startelf sowie Adrian Ramos und Mats Hummels auf der Bank ging es in einem 4-2-3-1 in die Partie. Borussia wirkte von Beginn an entschlossener und schickte sich an, die noch unsortiert wirkenden Belgier zu überraschen. Im Gegensatz zu den vergangenen Spielen sollte es damit auch gleich klappen: Pierre-Emerick Aubameyang spitzelte den Ball vorbei an zwei Gegenspielern zum ungedeckten Kagawa, ein butterweicher Lupfer fand seinen Weg zum im Strafraum lauernden Ciro Immobile und Torwart Silvio Proto durfte zum ersten Mal hinter sich greifen. Die Heimtribüne war geschockt, im Gästeblock ging mächtig der Punk ab – so soll es sein!
Beflügelt vom Führungstreffer ging es für den BVB weiter nach vorne. In der neunten Minute nutzte Aubameyang seine Geschwindigkeit und überraschte Proto mit einer Grätsche im Strafraum, doch konnte dieser den Ball gerade noch klären. Im Spiel nach hinten haperte es wie bereits in den vergangenen Tagen: Ein unnötiger Ballverlust, fehlende Zuordnung im Abwehrverbund und schon hatte der Ball wieder einmal im Dortmunder Tor eingeschlagen – Glück für den BVB, dass der Schiedsrichter die (deutliche) Abseitsstellung erkannte und ein Fehler zur Abwechslung einmal nicht direkt bestraft wurde.
In der zehnten Minute hätte es dann bereits 2:0 für den BVB stehen müssen. Immobile spielte Kagawa frei, der mit guter Übersicht den durchstartenden Kevin Großkreutz bediente und gleich mehrere Gegenspieler binden konnte. Als kein Belgier mehr die Augen von Großkreutz nehmen konnte, legte der einfach quer und fand den vollkommen vergessenen Aubameyang, der den Ball freistehend vor dem leeren Tor aus unerklärlichen Gründen nur ans Außennetz schießen konnte.
Anderlecht wirkte in der Defensive überfordert und war als Mannschaft zu schwach, die teilweise großen Lücken der schwarzgelben Abwehr zu überwinden. Mit dem starken aber eher lauffaulen Aleksandar Mitrovic in der Spitze und talentierten Jung-Kickern wie Dennis Praet oder Ibrahima Conté im Mittelfeld ruhten die Hoffnungen vor allem in Einzelspielern. So war es auch Conté, der in der 15. Minute den ansonsten starken Kehl zu einer fehlgeleiteten Rückgabe zwang und Praet, der alleine vor Roman Weidenfeller durchaus mehr aus der überraschenden Chance hätte machen können.
Nach vorne ließ der BVB dafür sein Können aufblitzen. Zum Beispiel in der 18. Minute: Aubameyang auf Immobile, über Großkreutz Hacke zurück zu Aubameyang – gehalten. Nur wenige Minuten später luchste Aubameyang Conté den Ball 30 Meter vor dem Tor ab, nur um direkt den Abschluss zu suchen und den Ball deutlich am Tor vorbei zu platzieren. Es sah spielend leicht aus, wie sich Borussia Großchancen erarbeitete und doch war es ärgerlich, wie überhastet diese teilweise vergeben wurden - als es dann doch einmal mit dem Abschluss geklappt hatte, verwehrte der Schiedsrichter Großkreutz Torerfolg in der 26. Minute aufgrund einer nur hauchdünnen Abseitsstellung die Geltung.
Als auch Marcel Schmelzer nach einer schönen Kombination von Aubameyang und Großkreutz einen guten Schuss aufs gegnerische Tor abgegeben hatte, begann die Phase schwarzgelber Schludrigkeit. Hatte das defensive Mittelfeld um die beiden Sechser Kehl und Sven Bender die Bälle bislang gut und sicher verteilt, wurden die Querpässe in der eigenen Hälfte nun länger und länger. Weniger energisch gingen die Borussen den Bällen entgegen, immer wieder hofften die Belgier auf einfache Ballgewinne mit dann freiem Weg zum Tor. Es war zu spüren, dass der Gegner trotz allen technischen Geschicks kein echter Prüfstein sein würde und in der Bundesliga wohl ein gutes Stück davon entfernt gewesen wäre, sich für den Europapokal zu qualifizieren.
Immerhin hüpfte der Gästeblock geschlossen und gab bis zur Halbzeit ein ansprechendes Bild ab. Gut zu hören mit viel Bewegung beeindruckten die mitgereisten Borussen die Heimtribüne, die das anfangs noch laute Singen etwa Mitte der ersten Hälfte eingestellt hatte. Leider kam es zu Beginn der zweiten Hälfte zu einem eher unschönen Zwischenfall, der das Gesamtbild des guten Auftritts trübte – ein gerüttelt Maß an Pyrotechnik kam im Oberrang zum Einsatz und flog teilweise in den Pufferblock des Unterrangs sowie in Richtung Spielfeld. Auch tropfte brennendes Material auf die Fans im Unterrang, deren Kleidung später – Berichten zufolge – um einige Brandlöcher reicher war. Nun kann man nachvollziehen, dass die Gängelei der belgischen Seite im Vorfeld kein Anreiz zu besonders vorbildlichem Verhalten gewesen war, doch muss auf Pyrotechnik schlichtweg verzichtet werden, wenn andere Fans gefährdet werden. So zog die Pyroshow zwar sämtliche Blicke auf sich, war letzten Endes aber einfach nur scheiße, weil das brennende Material wieder einmal nicht kontrolliert werden konnte.
Die zweite Halbzeit begann ein wenig beschwingter, als die erste geendet hatte. Doch abermals konnte Proto die Dortmunder Torschüsse abwehren – in der 52. Minute an den Pfosten und einige Augenblicke später mit einer Glanzparade gegen Immobile. Das sollte es seitens des BVB aber erst einmal gewesen sein – das Spiel verflachte wieder und drohte tatsächlich noch zu kippen. Ein Schuss Chancel Mbembas aus der Drehung senkte sich gefährlich in Richtung des Dortmunder Tors und diente als Hallo-Wach-Effekt. Das bislang so schwache Anderlecht erspielte sich ein Übergewicht und schlug unter Zusehen der Dortmunder Hintermannschaft immer wieder Flanken in den schwarzgelben Strafraum. Dass es hinten nicht wieder rappelte, lag nun gleichermaßen am Glück wie auch am Unvermögen der Hausherren. Dass der nach seiner langen Verletzungspause mit der Kondition kämpfende Neven Subotic zum Torschuss aus 30 Metern Entfernung angesetzt hatte, konnte man noch unter Verzweiflungstat verbuchen. Dass Kagawa bei Gegenstößen der Belgier wiederholt als letzter Mann vor Weidenfeller stand, war gefährlich und wäre von stärkeren Gegnern wohl bestraft worden.
Da zwischenzeitlich auch Kehl einen heftigen Schlag abbekommen und zunächst eine Auswechslung angezeigt hatte (um dann doch bis zum Ende durchzuhalten), konnte Klopp mit dieser Entwicklung nicht zufrieden sein. Mit Ramos brachte er einen frischen Mann für Großkreutz, der sich aufopferungsvoll reingeschmissen, aber diesmal nicht den Unterschied gemacht hatte. Damit bewies Klopp dann auch ein gutes Gespür: Denn gerade einmal vier Minuten später war Ramos mitgelaufen, hatte eine wunderbare Hereingabe Lukasz Piszczeks entgegengenommen und den Ball satt ins Tor gedrückt. Nachdem die erste Halbzeit locker eine Führung mit drei Toren hätte erbringen müssen und die zweite Halbzeit bislang deutlich an Anderlecht gegangen war, hatte Borussia und das Glück insgesamt verdient und zum richtigen Zeitpunkt das entscheidende Tor zu schießen.
Doch Anderlecht spekulierte weiterhin auf die Schwächen des Dortmunder Defensivspiels. In der 74. Minute pennte Subotic bei einer Flanke und lud Mitrovic geradezu ein, den Ball aufs Tor zu schießen – der geschlagene Weidenfeller konnte sich glücklich schätzen, mit dem Pfosten einen weiteren Mitspieler hinter sich zu wissen. Der Gästeblock drehte nun wieder auf und trieb die Mannschaft an, die den Impuls nur allzu gerne anzunehmen schien und wieder den Vorwärtsgang einlegte – in der 78. Minute brach Aubameyang auf links bis zur Grundlinie durch, sah zunächst den in den Strafraum eindringenden Ramos und legte ihm das dritte Tor des Abends direkt auf den Fuß.
Die Luft war nun raus und das Spiel entschieden. Borussia gewann mit einer ordentlichen Leistung gegen überforderte Belgier, die nicht verstanden hatten, die noch immer deutlich sichtbaren Defensivprobleme des BVB zu nutzen. Borussia hingegen zeigte Charakterstärke und biss sich trotz aller Probleme in das Spiel hinein, um letzten Endes verdient zu gewinnen. Jetzt fehlt nur noch ein Arbeitssieg gegen den HSV, um den Saisonbeginn halbwegs versöhnlich zu gestalten und sich auf die Rückkehr der Verletzten in der Länderspielpause zu freuen.
Statistik
RSC Anderlecht: Proto - Najar, Mbemba, Nuytinck, Deschacht - Tielemans, Defour - Conte, Praet- Suarez - Mitrovic
Wechsel: Acheampong für Conte (73.), Kabasele für Mitrovic (82.), Cyriac für Suarez (82.)
BV Borussia von 1909: Weidenfeller - Piszczek, Subotic, Sokratis, Schmelzer - Bender, Kehl - Aubameyang, Kagawa, Großkreutz - Immobile
Wechsel: Ramos für Großkreutz (65.), Durm für Immobile (72.), Hummels für Bender (82.)
Tore: 0:1 Immobile (3.), 0:2 Ramos (69.), 0:3 Ramos (79.)
Technischer Bericht: UEFA
Taktische Formationen: UEFA
Spielerstatistiken: UEFA
Team-Statistiken: UEFA
Passquoten: UEFA
Stimmen zum Spiel
Neven Subotic: „Es geht uns jetzt richtig gut, alle sind froh. Einige haben auch nach dem Ergebnis im anderen Spiel gefragt und ein bisschen gerechnet, aber ich bin nicht der Typ dafür und denke lieber an das schwere Spiel gegen den HSV. Bis dahin bin ich aber sehr glücklich über das Spiel heute und dass es so gut gelaufen ist. Das Ergebnis war meiner Meinung nach in der Höhe verdient, weil wir uns viele Chancen erarbeitet haben und nur wenige Chancen des Gegners zugelassen haben. Auf dem Niveau in der Champions League ist es klar, dass der Gegner immer wieder mal aufs Tor schießen wird, aber alles in allem haben wir den Gegner gut im Griff gehabt. Natürlich hätten wir heute auch zwei Gegentore kassieren können, dann würden wir jetzt dastehen und uns über ein Katastrophenspiel unterhalten, dass es in der Abwehr nicht stimmt und wir nochmal komplett durchwechseln müssen. Dabei war es in den letzten drei Spielen ja auch nicht gerade so, dass wir katastrophal standen. Wir haben in Einzelsituationen Fehler gemacht und wurden von den Gegnern bestraft. Heute hat der Gegner auch ein paar Chancen gehabt und den Ball an den Pfosten gehauen, auch Roman musste einmal richtig gut parieren. Das war keine überragende Abwehrleistung und ganz besonders nicht von mir, weil ich zum Schluss noch zwei Bälle verloren habe. Aber wichtig war, dass es über 90 Minuten insgesamt eine gute Leistung war, wir den Gegner unter Druck gesetzt und einfach unsere Chancen genutzt haben. Das war genau das Problem in den letzten Tagen, als wir zwar ganz gut gespielt, unsere Leistung aber nicht mit einem Tor gekrönt haben. Es war heute auch wichtig, dass Kehli wieder mit dabei war. Ich habe heute immer wieder auf ihn geschaut und habe gesehen, dass er wirklich immer da war, wenn es irgendwo eng wurde. Er hat abgesichert, uns gepusht und auf seiner sehr wichtigen Position viel Einfluss auf das Spiel genommen. Das hat die letzten drei Spiele gefehlt und ich muss sagen, dass man ihm die kleine Pause jetzt kaum angemerkt hat. Er ist stärker denn je, das finde ich ziemlich unglaublich. Er zieht die Mannschaft in den schwachen Phasen mit und pusht uns nach vorne, einfach indem er einen Zweikampf gewinnt oder dem Gegner den Ball abnimmt und einen Konter einleitet. Es ist oft nur eine kleine Situation, die auch nicht direkt zum Tor führt, für uns aber sehr hilfreich ist, um eine kleine Wende zu schaffen. Drei, vier, fünf solcher Aktionen bringen die Wende, aber irgendjemand muss die erste Aktion bringen und das kann Kehli einfach extrem gut.“
Mats Hummels: „Es war ein guter, solider und am Ende auch souveräner Auftritt, der uns gut tut. Es ist wichtig, dass wir gewonnen haben, aber in ein oder zwei Situationen hätte es auch heute richtig eng werden können. Das versuchen wir noch herauszukriegen, aber es war heute ein wichtiger Schritt erstens ein gutes Ergebnis zu erzielen und zweitens eine gute Gesamtleistung abzuliefern. Ich denke, dass das Ergebnis auch ein bisschen Wiedergutmachung bedeutet. Ein Auswärtssieg in der Champions League ist schon gut, ein 3:0 sehr gut, und wir haben den ersten Schritt gemacht, um die schlechte Woche vergessen zu machen. Aber wir wollen uns natürlich weiter steigern bis zum Ende der Saison, das ist unser ganz klares Ziel. Am Samstag gegen Hamburg sind wir ganz klarer Favorit, da müssen wir nicht drum herum reden, da wollen wir unbedingt einen Sieg holen. Allerdings hat Hamburg unter dem neuen Trainer auf eine etwas laufintensivere, vielleicht auch schwieriger zu bespielende, Spielweise umgeschaltet. Wir werden uns das in den kommenden Tagen detailliert anschauen, müssen das Spiel zuhause aber in jedem Fall in die Hand nehmen.“
SSC, 2.10.2014