Dreckig, aber gut
Wir überwintern im Pokal. Das ist es, was wir vor dem Spiel hören wollten. Und das ist haargenau das, was wir jetzt hören können – St. Pauli besiegt und im März dann das Achtelfinale vor Augen. Der (früher mal) kultige Kiez-Klub entpuppte sich glücklicherweise nicht als aufmuckender Favoriten-Schreck. Wenn überhaupt, dann lag so etwas wie Sensation nur in ganz wenigen Augenblicken in der Luft. Aber eigentlich hatte man zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, unsere Jungs könnten dieses Spiel vergeigen.
Das 3:0 in Hamburg war sicherlich kein Gourmet-Häppchen über die vollen 90 Minuten. Das hatte auch wirklich niemand erwartet. Nach Hannover wollten alle in schwarz und gelb einfach nur irgendwie in die nächste Runde einziehen und um so weiterhin von Berlin träumen zu dürfen. Im Nachhinein aber fällt es mir nicht schwer zuzugeben, dass die Jungs diese Aufgabe – die derzeitige Situation als düsterer Rahmen um diese Partie gespannt – einfach klasse gelöst haben. Ein bisschen steckte so eine Art Abarbeitung eines Pokalratgebers, nennen wir ihn mal salopp „Tipps und Tricks gegen sensationelle Pokalpleiten“, hinter dem Gesamtauftritt des BVB an diesem schweinekalten Abend. Hier die umgesetzten Tipps 1 bis 3:
1. Der BVB schnürte den Gastgeber von Beginn an in die eigene Hälfte, sodass Ballbesitz für St. Pauli in der schwarzgelben Spielhälfte ein Fremdwort war. Dementsprechend gelang es den Hamburgern auch nicht, so etwas wie Torgefahr zu entwickeln.
2. Jeder Spieler ging mit der nötigen Entschlossenheit in die Zweikämpfe und machte es den ohnehin schon überforderten Kiez-Kickern noch schwerer, gezielte Pässe an den Mann zu bringen.
3. Die Tore vor der Pause nahmen jegliche Spannung aus dem Spiel, sodass auch das lautstarke Heimpublikum keinen Anlass für eine Sensation erkennen konnte.
Der Gästeblock präsentierte sich erwartungsgemäß prall gefüllt, was auch den Stadionsprecher zu erfreuen schien. Dem sind so klanghafte Gegner wie Ingolstadt und Sandhausen verständlicherweise auch ein Dorn im Auge. Durch die Sperrung der A1 schafften es einige nicht ganz pünktlich zum Millerntor, weswegen kurz vor Anpfiff auch noch einmal die Bitte um Aufrücken an den Steher herangetragen wurde. Mit Einlaufen der Teams präsentierte der Heimblock der Paulianer eine riesige Choreo in Form des Vereinslogos. Pokalatmosphäre machte sich breit. Zu diesem Zeitpunkt glaubten auch die Hamburger noch an ein Wunder, denn sie waren die letzten Wochen ja nicht umhin gekommen, den BVB im Liga-Alltag zu beobachten.
Beim obligatorischen Blase leeren vor dem Spiel, war es schwierig, die Erwartungshaltung der Hamburger zu überhören. „Mensch, Helge. Es riecht nach Pokalsensation.“ Eigentlich roch es nach Urin und WC-Frisch, aber ich ließ die Urinal-Mitstreiter in ihrem Glauben.
Die erste Halbzeit
Jürgen Klopp setzte die angekündigten Veränderungen nicht nur im Personalbereich durch, sondern schraubte auch an der taktischen Grundausrichtung. Kehl spielte als einziger Sechser. Davor sollten Kevin, Reus, Shinji und Mkhitaryan das Spiel vor allem über die Breite aufziehen. Immobile durfte als Stoßstürmer ran. Aubameyang und Gündogan waren gar nicht erst mit in den Norden gereist. Piszczek bekam eine wohlverdiente Pause und wurde von Sokratis vertreten. Langerak hütete das Tor und setzte damit seinen Pokallauf der letzten Jahre fort.
Die Anfangsphase gehörte komplett dem BVB, ohne dass wirklich gefährliche Situationen bei raussprangen. Borussia konnte nach gut zehn Minuten den ersten gefährlicheren Abschluss der Partie verzeichnen, nachdem sich Shinji mit einem Schlenzer versucht hatte. Wenig später war es dann der aufgerückte Mats Hummels, der den Ball in zentraler Position mustergültig von Sokratis aufgelegt bekam, aber am bis dato starken Tschauner scheiterte. Nach 18 Minuten zappelte der Ball dann endlich im Netz, aber leider ging die Fahne hoch. Immobile soll wohl nach Zuspiel quer durch den Fünfer ganz knapp im Abseits gestanden haben – Tendenz aber eher gleiche Höhe.
St. Pauli konnte sich in dieser Phase überhaupt nicht mehr befreien und bolzte bei Ballgewinn die Bälle einfach hoch und weit in die gegnerische Hälfte. Trainer Meggle hatte sich wohl an den CL-Spielen als Videomaterial orientiert, denn der Respekt des Zweitligisten vorm souveränen Tabellenführer der Gruppe D war enorm.
Eine tolle Kombination über die linke Seite ließ den Gästeblock nach 33 Minuten dann endlich jubeln – diesmal zählte der Treffer. Mit direkten Kurzpässen spielten sich Kevin und Reus in den Strafraum. Zu schnell für die Hamburger. Kevin legte gekonnt zurück auf Shinji, der eher unfreiwillig noch einmal zu Immobile durchsteckte. Der Italiener musste nur noch den Fuß ranhalten und es stand 0:1.
Das tat der guten Stimmung am Millerntor keinen Abbruch. Die „St. Pauli, St. Pauli“ Rufe wurden nach dem Rückstand des Heimteams sogar kurzzeitig noch lauter. Der Gästeblock feierte sowieso und war zumindest bis zur Pressetribüne sehr gut hörbar. So kreierten beide Fanlager eine geile Pokalatmosphäre.
In den Folgeminuten brach dann die Zeit der Torhüter an. Erst durfte sich zum wiederholten Male Tschauner mit einer Parade auszeichnen, bevor dann auch Langerak zum ersten Mal in diesem Spiel geprüft wurde. Nach einer Ecke stieg Sören Gonther am höchsten, sein Kopfball aufs kurze Eck konnte Mitch noch um den Pfosten lenken.
Den perfekten Schlusspunkt fand die erste Halbzeit mit dem 0:2 unseres Ballspielvereins. Kevin grätschte an der Außenlinie entschlossen in den Ball, der etwas glücklich zu Immobile sprang. Mit dem Ball am Fuß nahm der Stürmer sofort Fahrt auf und hatte dann die Übersicht den Ball auf den nachgelaufenen Reus zu legen. Trockener Abschluss in die rechte untere Torecke. Vorentscheidung.
Die zweite Halbzeit
Tatsächlich gibt es zum zweiten Durchgang nicht wirklich viel zu sagen. Die Borussia schaltete im Hinblick auf den kommenden Spieltag ein, vielleicht sogar zwei Gänge zurück und ließ dem Kiez-Klub mehr Räume. Das einzige, das zu dieser Zeit störte, waren wieder kleinere individuelle Fehler, die sich bei dem einen oder anderen einschlichen. Hier mal ein schlecht angenommener Ball, da mal ein unpräziser Pass im Spielaufbau. St. Pauli besaß aber nicht die Mittel, daraus Profit zu schlagen. In dieser kleineren Drangphase der Heimelf hatte der „einmal, immer Borusse“ Florian Kringe die größte Möglichkeit, den Anschluss zu erzielen. Aber sein abgefälschter Schuss flog knapp am schon geschlagenen Langerak vorbei. Der Treffer fiel nicht, und die Formkurve der Paulianer ging folgerichtig wieder nach unten. Borussia verwaltete in der Phase zwischen 65. und 80. Minute geschickt. Die Kräfte bei den Gastgebern schwanden zusehend und so kam auch keine Schlussoffensive zustande. Im Gegenteil: Shinji durfte in seinem ersten Pokalspiel nach dem Finale 2012 direkt wieder ein Tor erzielen. Keeper Tschauner hatte mit einem miserablen Befreiungsschlag das Tor perfekt eingeleitet.
Ein dreckiger, aber auch nie gefährdeter Sieg stand schlussendlich zu Buche. Die Jungs haben die Aufgabe nach dem ganzen Ligafrust der letzten Wochen souverän gelöst und uns Fans an einem Abend unter der Woche mal wieder glücklich gemacht – wenn es Wochenenden doch nicht gäbe. Am Samstag geht’s nach München. Über das verdiente Weiterkommen darf sich trotzdem standesgemäß gefreut werden.
Aufstellungen
St. Pauli: Tschauner – Startsev (Kalla 46.), Gonther, Sobiech, Ziereis – Kurt, Kringe (Thy 72.) – Rzatkowski, Daube, Nöthe – Verhoek (Maier 55.)
Borussia Dortmund: Langerak – Sokratis, Subotic, Hummels, Durm – Kehl – Mkhitaryan (Jojic 78.), Kagawa (Ramos 88.), Reus (Bender 65.), Großkreutz - Immobile
Tore
0:1 Immobile (33.)
0:2 Reus (44.)
0:3 Kagawa (86.)
Stimmen
Jürgen Klopp: "Wir haben in der ersten Halbzeit sehr gut gespielt und hochverdient gewonnen. Natürlich hätte man in der zweiten Halbzeit ein wenig cleverer spielen und das 3:0 etwas früher machen können. Aber im Pokal kann man nicht mehr machen, als weiterzukommen. Das Gefühl heute ist deutlich besser als am vergangenen Wochenende. Wir fahren sicherlich nicht nach München und sagen: Wir holen da nichts. Wir werden uns sehr gut vorbereiten."
Sebastian Kehl: „Wir freuen uns, den Fans mal wieder ein Erfolgserlebnis zu bescheren. Wir waren dann auch noch mal in der Kurve und wollten damit auch zeigen, dass wir die Unterstützung derzeit sehr wohlwollend aufnehmen. Wie sie hierher reisen, am Wochenende nach München fahren werden und auch wie die Fans die Niederlagen der letzten Wochen erleben. Da war das heute ein kleines Dankeschön. Gerade in schwierigen Zeiten steht man beim BVB sehr eng zusammen. Ich freue mich, dass das auch nach den glorreichen Jahren noch immer in dieser Art zu spüren ist.“
Tim, 29.10.2014