"...fühlt sich scheiße an!"
Nach der 1:2 Niederlage im Derby trifft man einen redseligen Jürgen Klopp in der Mixed-Zone an. Er hat Redebedarf. In einem langen Monolog erklärt er sich und die Mannschaft, spricht von dem Plan, den man sich überlegt hat und wie er innerhalb von kürzester Zeit ad acta gelegt werden konnte. Am Ende „fühlt es sich scheiße an“ so Klopp und „auch die Mannschaft wird einige Zeit benötigen, um diese Niederlage zu verarbeiten“.
Neben der schmerzhaften Derbyniederlage gab es aber auch etwas Positives zu vermelden: Es blieb rund um das Derby friedlich. Die Knapp 6.000 mitgereisten Schwatzgelben waren ohne größere Komplikationen mit Entlastungszügen und Bussen angereist. Auch im Stadion blieb es, bis auf kleinere Scharmützel, aus denen letztlich nur 39 Strafanzeigen und 29 Freiheitsentziehungen entstanden, ungewohnt ruhig. Gegenüber früheren Derbys eine signifikante Verbesserung. Sicherlich war ein Grund dafür, dass durch sämtliche Dortmunder Ultra-Gruppierungen hindurch 498 Betretungsverbote ausgesprochen wurden und man sich an dieses Verbot hielt. Des Weiteren wurde ganz Gelsenkirchen zu einer Sicherheitszone erklärt, indem man an jeder Kreuzung Ordnungshüter postierte. Auch im Stadion hatte man eine Sicherheitszone eingerichtet, in dem man knapp 900 Sitzplätze um den Stehplatzbereich herum frei gelassen hat. Bei erneuten Verstößen innerhalb der Bewährungsfirst (läuft am 21. Oktober ab), wäre die Südtribüne für ein Spiel gesperrt und zukünftige Derbys würden ohne Gästefans stattfinden. Zumindest in dieser Hinsicht haben alle friedliebenden BVB-Fans einen Grund zu feiern.
Vielleicht lag es am Spielverlauf, vielleicht am Fernbleiben der Ultras, dass es stimmungsmäßig während der 90 Minuten ein stetiges Ungleichgewicht in den beiden Fanlagern gab. Der Gästeblock war vollkommen utensilienlos. Weder Fahnen noch Doppelhalter waren im gesamten Gästebereich zu sehen, was sicherlich den strengen Sicherheitsvorgaben geschuldet war. Der Heimblock gestaltete sich für ein Derby auch eher enttäuschend. Neben dem gewohnten Fahnenmaterial in der Mitte der Kurve wirkte der Rest karg und leer. Dafür schaffte es die Kurve immer wieder, das gesamte Stadion mit einzubeziehen. Trotz redlicher Bemühungen hatte der Gästeblock dem nur selten etwas entgegen zu setzen. Die zahlenmäßige Überlegenheit, das Fernbleiben der Ultras machte sich bei der der Lautstärke heute bemerkbar. Bereits vor dem Einlaufen der Mannschaften lag der Gastgeber, was die Schmähgesänge anging, ganz klar in Front. Derbystimmung pur!
Umstellung des Systems
Erster Verletzter nach 30 Sekunden
Das Derby hatte aus Dortmunder Sicht keinen guten Start. Gleich in der ersten Minute musste Piszcek nach einem Zweikampf mit Choupo-Moting an der Augenbraue genäht werden. Dortmund spielte die folgenden vier Minuten in Unterzahl. Dafür nahm das Spiel relativ schnell an Fahrt auf. Sam prüfte bereits nach einer Minute durch einen strammen Schuss Roman Weidenfäller, der glänzend parieren konnte. Auch der BVB suchte sein Glück in der Offensive, jedoch ohne wirklich in der Anfangsphase zwingend gefährlich zu werden. Doch bereits nach 10 Minuten wird es in der Dortmunder Abwehr richtig abenteuerlich. Nach einer Ecke halten alle BVB-Abwehrspieler den Sicherheitsabstand von zwei Metern zu Matip ein, der vollkommen frei den Ball zur 1:0 Führung für Blau-Weiß einköpft. Die Hauptschuld an diesem Gegentor wird später Mats Hummels auf sich nehmen. Jürgen Klopp sagt dann zu dieser Situation, dass die Abstimmung und die Abläufe gerade bei Standardsituationen bei einigen Spielern, die lange Zeit verletzt waren, noch nicht stimmen und die Mannschaft aufgrund der vielen Verletzungen noch nicht eingespielt sei. Ein bitterer Start für den Dortmunder Anhang. Doch es sollte nur kurze Zeit später noch schlimmer kommen. Schwatzgelb hatte zwar inzwischen mehr Ballbesitz und kam immer wieder zu guten Abschlussmöglichkeiten (Großkreutz in der 16. Minute und Immobile in der 19. Minute), doch den nächsten Tiefpunkt gab es erneut nach einer Ecke. Obwohl die Situation eigentlich schon geklärt war, schafft es Ramos vom Strafraumrand, statt den Ball einfach nach vorne zu „pöhlen“, den Ball wunderbar für Choupo-Moting aufzulegen, der völlig frei den Ball im Tor unterbringen kann. Dortmund kassiert momentan Gegentore, eines kurioser als das andere. So lag man nach nur 23. Minuten bereits mit 0:2 im Derby hinten. Eine Tragödie bahnte sich an. Schon jetzt war der BVB auf Platz zwei der „Schießbuden-Statistik, lediglich Bremen hatte mehr Gegentore bis dato kassiert. "Die Nummer Eins im Pott sind wir" schallte es aus der gesamten Arena. Doch fast im direkten Gegenangriff setzte sich Ramos auf der rechten Seite durch und legt mustergültig für Aubameyang auf, der aus 10 Metern in das obere rechte Eck trifft. Das 1: 2 war die richtige Antwort und irgendwie die Wiedergutmachung von Ramos, für seinen dicken Bock beim zweiten Gegentor. Der BVB-Anhang atmete tief durch, der BVB war zurück im Spiel. Die Gastgeber wirkten zunächst einmal geschockt. Das Stadion wurde ruhiger und die große Euphorie-Welle ebbte ein wenig ab. Zumindest für wenige Minuten rockte der BVB-Anhang die Arena. Die Partie wirkte wieder offen. Hinzukam, dass Schalke sich in der Folgezeit viele unnötige Ballverluste erlaubte und den BVB dadurch immer wieder vielversprechend vor das gegnerische Tor kommen ließ. Doch der BVB schaffte es nicht, aus der „Schwächephase“ der Gastgeber Profit zuschlagen. Somit ging es mit einem Tor Rückstand in die Pause.
Keine Besserung in Sicht
Wer geglaubt hat, Jürgen Klopp würde die Mannschaft umstellen, hatte sich geirrt. Es gab zur Halbzeit weder eine Systemumstellung, noch eine Auswechslung. Unverändert wollte man die zweite Halbzeit angehen. Gleiches galt für sein Pendent, auch Keller sah keinen Grund für einen Wechsel, nachdem er bereits in der ersten Halbzeit Sam aufgrund einer Muskelverletzung auswechseln musste. Für ihn kam in der 38. Minute Clemens in die Partie. Es waren noch nicht alle Zuschauer wieder auf ihren Plätzen, als der BVB durch Immobile die erste gute Gelegenheit zum Ausgleich hatte. Auf Höhe des Sechszehners visierte er das untere linke Eck an, doch Fährmann konnte parieren. Der Beginn des BVB zur zweiten Halbzeit wirkte vielversprechend, sollte sich allerdings als ein laues Spätsommerlüftchen herausstellen. Die Blau-Weißen wurden lediglich dann gefährlich, wenn Schwatzgelb sie durch individuelle Fehler zum Kontern einlud. Es war die 60. Minute, als Jürgen Klopp mit der Einwechslung von Kagawa für Immobile die eingeschlafene Kreativität des BVB wiederbeleben wollte. Doch das Abwehr-Bollwerk der Gastgeber schien kaum überwindbar zu sein. Diese kämpften, grätschten um jeden Ball und ließen kaum Chancen für den BVB zu. Auch wenn der BVB inzwischen fast in allen Belangen überlegen war, etwas Zählbares war bis dahin nicht herausgekommen. Die einzige größere Aufregung in der zweiten Halbzeit geschah in der 66. Minute, als Matip Ramos im Strafraum von den Beinen holte. Eine knifflige Situation, welche der bis dahin souveräne Schiedsrichter Gagelmann nicht als Strafstoß würdig erachtete. Der BVB wirkte im weiteren Verlauf dominant, doch die beste Möglichkeit sollte Blau-Weiß kurz vor Schluss haben. Huntelaar tauchte frei vor Weidenfeller auf, doch dessen Schuss konnte von Weidenfeller noch mit dem Fuß zur Ecke entschärft werden. Auch die 4 Minuten Nachspielzeit brachten nicht den Ausgleich.
"Wir kommen zurück!"
Am Ende unterliegt der BVB im Derby mit 2:1. Mit sieben Punkten aus sechs Spielen steht man weit hinter den eigenen Erwartungen zurück. Hinzukommt, dass man mit inzwischen schon 11 Gegentoren ein echtes Abwehrproblem attestiert bekommt. Durch individuelle Fehler bringt die Mannschaft sich stets um ihren verdienten Lohn. Für die Leistungs-Diskrepanz zwischen dem Arsenal-Spiel und den Bundesligaauftritten gibt es keine logische Erklärung. Auch wenn viele die Hoffnung hatten, die Mannschaft könne ihr Potential im Derby abrufen, welches sie gegen Arsenal unter Beweis gestellt hatte, musste man sich am Ende einer hochmotivierten und mit Leidenschaft kämpfenden Mannschaft aus Ge geschlagen geben, die nicht unverdient gewonnen hat. Wie sagte Klopp: „..es fühlt sich scheiße an, aber eines ist sicher: Wir werden zurückschlagen. Ich will mich noch nicht auf einen Zeitpunkt festlegen. Aber wir haben Qualität, Charakter und die richtige Mentalität!- Wir kommen zurück. Das kann noch einen Moment dauern, aber wir kommen zurück!“
Stimmen zum Spiel:
Schalke hat zwei Tore gemacht, bei denen wir ihnen tatkräftig unter die Arme gegriffen haben. Wer solche Gegentore kriegt, kann generell nur selten Spiele gewinnen. Das ist uns vollkommen klar. Das hat die Partie dramatisch beeinflusst und lag natürlich nicht in unserer Absicht. Nach dem Anschluss haben wir Schalke wundgelaufen und sind marschiert. Die Mannschaft hat alles gegeben. In dem einen oder anderen Moment hat uns die Klarheit oder auch das Glück gefehlt. Im Fußball kann man fast alles erklären. Aber nach so einem Spiel, das für alle Beteiligten diese Wichtigkeit hat, muss man das nicht. Man muss es fühlen. Das tun wir. Nichtsdestotrotz geht es weiter für uns. Ich gratuliere Jens Keller zum Sieg.
So ist es besser, ohne Wenn und Aber. Ich hoffe, dass es überall ruhig geblieben ist. Ich habe ja nur den Blick innen im Stadion. Das Spiel braucht keine Zusatz-Schauplätze außen herum.
Wir wussten, dass Matip und Neustädter bei Standardsituationen freigesperrt werden, und verteidigen es trotzdem nicht gut. Beim zweiten Tor, wieder nach einer Ecke, haben wir lange verteidigt und den Ball dann nochmal selber scharf gemacht. Dafür gibt es natürlich keine Erklärung. Aber wir kommen zurück, machen das 2:1 und gestalten das Spiel in der zweiten Hälfte offen. Wir waren die bessere Mannschaft, haben unseren Plan durchgezogen. Uns war klar: Da geht noch was. Aber ich muss auch sagen: Wenn du solche Gegentore bekommst, wird es natürlich sehr schwer. Wir müssen Ergebnisse liefern. Nicht nur, aber besonders im Derby. Man muss Niederlagen richtig spüren, um daraus auch Kraft zu ziehen. Die Gegentore heute haben mit eingespielter Formation nichts zu tun. Wir haben die größte Mannschaft, die wir je auf dem Eis hatten, gestellt. Wir kriegen trotzdem zwei Gegentore nach Ecken. Unser Plan war, mit einer defensiven Doppelsechs zu spielen, und schnellen Leuten auf außen. Wir wollten hinter die letzte Linie spielen, unser Tempo ausnutzen und nachrücken. Im Ansatz ist das sogar oft gelungen, im Abschluss nicht. Der Plan, den wir hatten, der basierte nicht auf Eingespieltheit. Im Moment sind alle Argumente bei den Leuten, die kritisieren. Können sie auch gerne und zu Recht machen. Wir werden unsere eigenen Analysen machen. Wir betreiben riesigen Aufwand, holen dafür aber nichts ab. Wir laufen Schalke wund, kommen aber nicht klar zum Abschluss.
Wir sind überglücklich. Ein Derby ist immer etwas Besonderes. So einen Sieg zu Hause vor den fantastischen Fans, die uns wieder unglaublich unterstützt haben, zu feiern, ist unglaublich schön. Wir sind sehr gut ins Spiel gekommen und haben von Anfang an Druck gemacht. Der Plan, dass wir über die Außenbahnen in Eins-gegen-Eins-Situationen kommen, ging voll auf. Der Anschlusstreffer hat bei uns einen Knick hereingebracht, was das Spielerische angeht. Aber die Jungs haben sich in jeden Ball geworfen und bis zur letzten Sekunde gefightet. Das war große Klasse. Dementsprechend froh dürfte jetzt ganz GE sein.