Hochverdiente CL Siege 2.0
Manch einer im Stadion und sicherlich auch vor den TV-Geräten in heimischen Gefilden musste sich die Augen reiben. "Verwundert", "verblüfft", "erstaunt", "begeistert" waren an diesem wundervollen Europapokal-Abend nur eine Handvoll der Adjektive, die nach Abpfiff durchs Westfalenstadion schwebten und dem Spielverlauf gerecht wurden. "Stolz" wäre ein weiteres dieser gefühlsträchtigen Wörter, das nur ansatzweise beschreibt, wie die Mannschaft mit altbekanntem Powerfußball jeden einzelnen auf den Rängen für 90 Minuten mitgerissen und dabei tief beeindruckt hat.
Dabei waren trotz ungebrochener Europapokal-Vorfreude die Vorzeichen nicht gerade optimal - die allseits bekannte und ohnehin schon lange Verletztenliste natürlich inklusive. Es wäre ja auch merkwürdig gewesen, hätte die einen Tag vorher angekündigte Startformation tatsächlich die letzten Stunden bis zum Anpfiff frei von Verletzungen überstanden. Leider Dortmund like zwickte es hier und da bei Piszczek und Jojic, sodass es nicht für einen Einsatz von Beginn reichte. Shinjis Startelf-Ausfall hatte sich mehr oder weniger schon bei seiner Auswechslung am Samstag angekündigt, sodass die Rekonvaleszenten Schmelzer und Bender sowie Aubameyang im Vergleich zum Freiburg-Spiel starteten. Außerdem ließ Klop zunächst den formstarken Ramos draußen und verhalf Neuzugang Ciro Immobile zu seiner ersten Europapokal-Partie - Klopp und sein Gespür für große Momente.
Noch lange bevor der Ball rollte oder besser gesagt noch lange, bevor der Ball in Arsenals Spielhälfte zu kleben schien, sorgten zahlreiche Gunners in der Innenstadt, vor allem am Alten Markt für Champions League Flair. Bier in den Händen, Schaum im Brunnen und BFG-Schriftzüge auf den Trikots konnten die Engländer zumindest diesen Part ihres internationalen Ausfluges voll und ganz genießen.
Im Stadion angekommen, erlebten unsere Gäste von der ersten Sekunde des Spiels an eine starke Symbiose aus Mannschaft und Westfalenstadion - Nobbys flammender Appell kurz vor Beginn der Begegnung in allen Ehren, aber das hätten wir auch so hinbekommen. Manchmal weiß man einfach schon nach nur fünf Spielminuten, dass am Ende eigentlich nur ein Sieg des eigenen Teams stehen kann. Und genau dieses Gefühl vermittelte unsere Mannschaft vom Anstoß weg. Der Wille der Gunners, sowohl auf dem Feld als auch im Gästeblock, schien bereits nach wenigen Augenblicken in der Anfangsphase des Spiels gebrochen.
Übungsleiter Klopp sprach nach der Partie von "Pressing und Gegenpressing in Perfektion" und wer bin ich, ihm zu widersprechen. Das Spielgerät verließ gefühlte drei Mal in den ersten 15 Minute die gegnerische Spielhälfte und das auch nur, weil unsere Offensivreihe mit dem einen oder anderen Rückpass Subotic und Sokratis bei der Stange halten wollte. Bis auf Weidenfeller hatten sich zu diesem Zeitpunkt eh alle Dortmunder zu einer Art Dauerbelagerung der Arsenal-Box entschieden. Die Atmosphäre im Stadion brodelte, ob des Revivals der besten Pressingmaschine der Champions League. Klare Torchancen ließen zwar noch auf sich warten, und doch war die Leistung schon jetzt beeindruckend.
Den ersten größeren Aufreger sahen die Zuschauer bereits nach sechs Minuten, als Mkhitaryan von rechts kommend in den Strafraum drängte und nach einem flinken Haken an Arteta hängen blieb. Der Elfmeterpfiff blieb aus, zu allem Überfluss gab es auch noch gelb. Der portugiesische Schiri lief also nicht nur im Auswärtslook der Gunners auf, er hatte sich scheinbar auch fest vorgenommen tatsächlich als zusätzliche Arsenal-Kraft zu fungieren.
Die erste halbe Stunde blieb das Geschehen unverändert. Das BVB-Pressing machte keine Pause. Vorne wirbelten der agile Immobile und Aubameyang durch die Mitte, auf den Außenbahnen drängten Schmelzer und Durm Arsenals Außenspieler fast durchgängig bis an den eigenen Sechzehner zurück. Bender und Kehl machten als moderne (Zer)Störer mit überragenden Aktionen gegen den Ball die Mitte dicht, sodass Ansätze von Angriffen bereits im Keim erstickt wurden. Arsenal wirkte gelähmt, was sich über die Gesamtdauer auch nicht mehr ändern sollte. Und um eines klarzustellen, nach einer derart starken schwarzgelben Darbietung sollte keinesfalls die Rede von einem enttäuschenden Gunners-Auftritt sein. Vielmehr war es eine absolut geschlossene und in sich stimmige Topleistung aller Borussen, die Arsenal das Aufziehen eines Fußballspieles unmöglich machte. Denn wer würde Sanchez, Wilshere oder auch Welbeck die fußballerische Qualität absprechen, die sie schon so oft eindrucksvoll unter Beweis gestellt haben - Özil lasse ich bewusst außen vor, denn sein Auftritt war (wieder einmal) äußerst schwach (und das ist noch nett formuliert).
Die Minuten 27 und 29 brachten dem Spiel dann die ersten Großchancen. Erst schoss Aubameyang Szczesny nach toller Großkreutz-Vorarbeit aus kurzer Distanz an, dann fehlte Mkhitaryan die Präzision als er die Kugel aus knapp elf Metern über den Kasten setzte. Die Führung lag in der Luft. Nach der x-ten Balleroberung unseres defensiven Mittelfeld war es Kehl, der mit Tempo in den Strafraum ging und Auba neben sich bediente, der mit einem Schuss aufs kurze Eck wiederum am Gunners-Keeper scheiterte (37.).
Und wie es dann manchmal so kommt, wenn der Fußball Bock auf unfaires Treiben hat, hatte Arsenal in Person von Welbeck aus dem Nichts die Führung auf dem Fuß. Nach gutem Durm-Tackling gegen eben jenen Welbeck landete der zweite Ball bei Wilshere, der sofort wieder auf den englischen Stoßstürmer durchsteckte. Frei vor Weidenfeller fehlten dem Last-Minute-Deal zum Glück die Nerven (41.).
Als beide Teams auf Halbzeit eingestellt waren und Arsenal schon fast den ersten großen Teilerfolg feiern konnte nahm sich Ciro nicht nur ein Herz, sondern auch den Ball und sprintete mit der Kugel am Fuß knapp 50 Meter gen Sczcesny, flankiert von vier Abwehrspielern. War es nun Können oder ein Versehen, brachte er den Ball im Strafraum sehenswert an zwei verdutzten Gunners vorbei und schob überlegt links unten ein. Was ein geiles Tor, das sich der Junge im ersten Durchgang dank seines beherzten Auftritts verdient hatte!
Zum zweiten Durchgang eine - wie könnte es anders sein - verletzungsbedingte Veränderung. Ginter kam für Kehl, der über muskuläre Probleme klagte, und er fügte sich auch in seiner ersten Champions League Begegnung nahtlos ein. Keine Veränderung im Spielgeschehen. Wenger hätte an diesem Abend wohl auch eine filmreife Motivations-Kabinenpredigt halten können, es hätte nichts am Dortmunder Spiel geändert. Aubameyang! Mit Ball halb stürzend vorbei ein Szczesny, Dropkick. 2:0! Boom! Und wieder ein überragendes Tor dank starker Vorarbeit durch Kevin, den man getrost als besten Mann auf dem Feld herausheben kann, weil er nicht nur wie gewohnt die Linie rauf und runter machte, Löcher stopfte und Schmelle unterstützte, sondern auch offensiv entscheidende Akzente setzte.
Europapokal-Gänsehaut beim Blick von der Pressetribüne nach links, rechts, oben, unten, geradeaus. Die Tribünen erhoben sich und ließen es standesgemäß krachen. Der vergleichsweise kleine rote Tupfer im Norden wurde noch kleiner. Geräuschtechnisch konnte man den Gästeblock ohnehin nur ein oder zweimal vernehmen. Gut am Bier und beim Einsingen in der City, im Stadion aber wie immer library. Alles schon gesehen, kennt man. Modern English football halt. Nach 49 Minuten war das Ding sowas von durch... Und noch mal, weil man es nicht oft genug erwähnen kann: Das alles gegen einen europäischen Topkontrahenten, dessen Ambitionen nicht nur so aus der Luft gegriffen sind.
Das Stadion feierte sich und die Mannschaft. Borussia Dortmund international. Und Immobile und Co. hatten bei weitem noch nicht genug. Es lief weiter wie an der Playstation, wenn die optionale Einstellung "Teampressing" aber mal so richtig greift und deinem Gegenüber die Daumen glühen, weil er nicht weiß, wo er die Bälle noch hinhauen kann um mal wieder Luft zu holen.
Einziges Manko - und jaha, da ist es endlich, das berüchtigte Haar in der Suppe - war die Chancenverwertung. Von den 24 (!) Torschüssen hätten gut und gern fünf, wenn nicht sogar sechs ihren Weg ins Tor finden können/müssen.
Auba im Halb-Sprint an allen vorbei, strammer Schuss, Latte. Außenristflanke Immobile, Auba Kopfball knapp neben das Tor. Drei gegen eins-Situation, Mkhitaryan entscheidet sich, selbst den Absschluss zu suchen anstatt einfach auf Immobile quer zu legen, drüber. Und weil es so schön ist, noch mal Mkhitaryan, der wieder durch die Arsenal-Abwehr gleitet und im letzten Moment geblockt wird.
Diese "kleine" Auswahl an guten und sehr guten bis hin zu "den macht die Mama mit zwei Promille" Tormöglichkeiten bringt dieses eineineineinseitige Spiel auf den Punkt. Den vergebenen Torchancen musste dies mal ja nicht nachgetrauert werden und so konnte die Bourssia in den letzten Minuten der Partie ein paar Gänge runterschalten ohne dabei jemals Gefahr zu laufen, die Spielkontrolle zu verlieren. Immobile holte sich einen fetten, weil verdienten Applaus ab und auch Poldi wurde bei seiner viel zu späten Einwechslung höflichst beklatscht (denn Weltmeister dürfen ja bekanntlich nicht ausgepfiffen werden). Ach ja, fast vergessen: Zwischendurch wagte auch Neven Subotic, der mit Sokratis ein bärenstarkes Duo bildete, eine Art Ciro-Solo mit Ball am Fuß, das nur durch ein Foul gestoppt werden konnte. Jeder wollte, jeder konnte...
So ging dann ein Champions League Auftakt zu Ende, der so richtig Lust auf mehr macht. Das gleichzeitige Unentschieden von Galatasaray und Anderlecht rundet diesen ersten Spieltag aus BVB-Sicht gekonnt ab.
Die große Bühne hat den alten BVB wieder. Den Gegner erdrückende Spielanteile, Pressing in Perfektion, einmalige Westfalenstadion-Atmosphäre und vergebene Großchancen. Nicht nur bei Real Madrid schrillen schon jetzt wieder die Alarmglocken, auch andere werden Teams werden diese Auftaktpartie ehrfürchtig zur Kenntnis genommen haben. Aber lasst uns erst einmal die Europapokal-Reise genüsslich fortsetzen, bevor wir darüber sprechen, wo sie enden soll.
Bisschen Statistik
Torschützen: Immobile, Aubameyang
Torschüsse: 24 - 4
Gelbe Karten: Mkhitaryan - Wilshere, Özil
Noten
Weidenfeller: Eine kleine Unsicherheit im ersten Durchgang gegen Welbeck, ansonsten wenig bis gar nicht geprüft. 3+
Schmelzer: Als wäre er nie weg gewesen, machte er seine Seite zu und schaltete sich mit zunehmender Spielzeit immer häufiger in die Offensive ein. 3+
Subotic: Sehr souveräner Auftritt. Antizipierte viele Situationen und unterband sie, bevor es gefährlich werden konnte. Auch sein Spielaufbau konnte sich sehen lassen. 2+
Sokratis: Genau wie Subotic ganz stark in den Zweikämpfen, mit gutem Auge für die Mitspieler auf den Außenpositionen. Ließ bis auf einen Zweikampf gegen Welbeck nie etwas anbrennen. 2+
Durm: Klare Steigerung gegenüber den letzten Auftritten. Auf rechts wirkte er irgendwie befreiter und bei seinen offensiven Vorstößen auch mutiger. Leitete viele Angriffe mit ein. 2+
Kehl: Leider zur Halbzeit ausgewechselt, bis dahin aber ein echter Leader für seine Mitspieler. Zusammen mit Manni (und dem Rest natürlich) schnürte er Arsenal komplett ein. Gute öffnende Anspiele in die Spitze und sonst präsent wie eh und je. 2+
Bender: Manni at his best! Verletzungspause und fehlende Spielpraxis? Egal! Wenn Manni uf der Sechs spielt, haben die Gegner nicht viel zu lachen. Absolut grandios, wie er quasi Endstation für jeden ansatzweise gefährlichen Pass der Gunners war. 1
Großkreutz: Vielleicht sein bisheriges Meisterstück in der Champions League. Defensiv wie offensiv eine absolute Bank. Hinten die Null, vorne beide Buden vorbereitet. Dortmunder Fußballherz, was willst du mehr. 1+
Aubameyang: Spielmacher, hängende Spitze, zweite Spitze. Auba interpretierte seine Rolle sehr variabel und war so für die Londoner nie greifbar. Immer ein Auge für die Mitspieler, gewohnte Schnelligkeitsvorteile und das vorentscheidende 2:0. Top! 1
Mkhitaryan: Forderte viele Bälle und zog so mehrere Gunners auf sich, die er dann wiederum mit schnellen Drehungen eiskalt stehen ließ. Insgesamt eine starke Partie, wenn diese vielen Torchancen nicht wären... 2+
Immobile: Kein großes Geheimnis – sein bisher bester Auftritt! Starkes Tor und auch sonst immer anspielbar und körperlich sehr präsent. Machte Bälle fest und beteiligte sich dann und wann als hängende Spitze am Spielaufbau. 1
Ginter: Kam etwas überraschend zur zweiten Halbzeit. Hatte überhaupt keine Anlaufschwierigkeiten und setzte direkt dort an, wo Kehl aufgehört hatte. 2
Jojic und Ramos kamen zu spät für Bewertungen, machten in den wenigen Minuten, die sie noch auf dem Platz stehen durften aber nichts falsch und vieles richtig.
Stimmen
Klopp: "Wir wollten gegen Arsenal eine Pressing- und Gegenmaschine auf den Platz stellen. Das war heute nahe an der Perfektion. Ich habe beim Pressing und Gegenpressing ein paar Szenen vor Augen, die werde ich ganz lange in Erinnerung behalten. Wie wir die Räume gesehen und genutzt haben, wie gallig und zielstrebig, wie bereit wir waren, über uns hinaus zu wachsen, das alles hat mir gefallen. Wir hatten großes Tempo in unserem Spiel und viele Momente, die einfach nicht zu verteidigen sind. Das hat den Gegner sicher beeindruckt."
Immobile: "Ich bin sehr glücklich, dass ich getroffen habe und der Mannschaft helfen konnte. Es war nicht einfach für mich, ich musste mich erst an das Spiel von Borussia Dortmund gewöhnen."
Szczesny: "Wir haben in einem der besten Stadien Europas gegen eine der besten Teams des Kontinents gespielt. Sie haben uns direkt unter Druck gesetzt. Wenn du hier 0:1 zurückliegst, dann ist es schwer zurückzukommen. Wir waren einfach nicht gut genug."
Tim, 17.09.2014