Wolfsburgs Reservierung storniert - Dortmund regiert. Wir fahren nach Berlin.
„Wir fahren nach Berlin!“ Die Borussia ist mit einem 2:0-Arbeitssieg gegen den VfL Wolfsburg ins Finale des DFB-Pokals eingezogen. Der Geschichte des deutschen Fußballs ist damit ein weiterer Schandfleck nach der Meisterschaft der Radkappen im Jahr 2009 erspart geblieben. Am 17. Mai treffen die Schwatzgelben im Berliner Olympiastadion nun auf den Gewinner der Partie des FC Bayern gegen den 1. FC Kaiserslautern, der am heutigen Abend gekürt wird.
Vor dem Spiel: Wer ist Basti?
Auf dem Zaun vor der Südtribüne hing wieder einmal bis kurz vor dem Einlauf der Mannschaften das Transparent mit der Aufschrift „Freiheit für Basti!“ Schon seit geraumer Zeit frage ich mich, was dieser Basti denn eigentlich verbrochen hat oder eben nicht, wie es das Transparent suggeriert, weswegen er demnach seine Freiheit ja eigentlich wiederverdient. Mittlerweile denke ich, dass wir es wohl nie erfahren werden; dabei fände ich das wiederum ganz nett zu wissen, wenn schon die gesamte Tribüne als Plattform für diese Botschaft genutzt wird.
Am 25. Jahrestag der Hillsborough-Katastrophe wurde die traditionelle Hymne „You’ll never walk alone“ den 96 Todesopfern gewidmet, die an jenem 15. April 1989 in Sheffield ihr Leben verloren, obwohl sie eigentlich nur ein Fußballspiel besuchen wollten.
Im Kontrast zu diesem Gedenken stand die Bekanntgabe, dass Ilkay Gündogan seinen Vertrag bis 2016 verlängert hat. Ein deutlich wahrnehmbarer Jubelsturm durchzog das Westfalenstadion, in den ich aber nicht so recht einstimmen wollte. Zu groß ist die Skepsis, wie ernst dieser Schritt zu werten ist. Er wisse, was er an Borussia Dortmund habe und sei „sehr dankbar, dass mein Verein mir die Gelegenheit gibt, weiterhin Teil dieser besonderen Mannschaft und dieses ganz besonderen Umfelds zu sein“. Diese Aussagen muten doch etwas seltsam an, wenn ich daran zurückdenke, dass der gleiche Spieler noch im Januar nachdenklich anmerkte: „Ich werde bald eine Entscheidung treffen, die gut überlegt sein wird. Wie gesagt: Noch ist wirklich alles offen.“
Eine vorzeitige Verlängerung um gerade einmal ein Jahr wirkt - gerade in Relation zu den meisten anderen Verlängerungen unserer Spieler - auch nicht gerade als überschwänglicher Vertrauensbeweis. Ich würde es Ilkay gerne abnehmen, es bleibt jedoch der Eindruck, dass jemand - nach einer starken WM - mit einem Wechsel geliebäugelt hat, der sich nach dem nun feststehenden Saison-Aus verflüchtigt hat. Ilkay darf mich jedoch bei diesen Gedanken gerne eines Besseren belehren. Zunächst einmal möchte ich unserem Kreativ-Sechser jedoch von Herzen alles Gute und eine schnellstmögliche Genesung wünschen, auf dass wir ihn bald wieder auf dem Rasen sehen.
Derweil zeigten die Wolfsburger Fans, dass Stimmung und Choreografien für sie Neuland darstellen und man sich erst einmal damit vertraut machen muss. So versuchten sie sich beim Einlaufen der Mannschaften im synchronen Wedeln grüner und weißer Fahnen, wozu ein Transparent mit dem Vereinslogo, dem DFB-Pokal und der Meisterschale entrollt wurde. Dies ist für Wolfsburger Verhältnisse in der Tat schon durchaus beachtlich. Darüber flatterte ein Spruchband mit der Aufschrift „Gestern war’s die Meisterschaft“. Wie diese Verse nun weitergehen sollten, kann ich an dieser Stelle nicht berichten, denn das untere Spruchband entrollten die Radkappen genau hinter dem Zaun vor der Nordtribüne, sodass niemand je erfahren wird, was uns die Automechaniker mitteilen wollten.
Überhaupt gab es die erste Sensation schon vor dem Anpfiff. Vermutlich unter Androhung betriebsrechtlicher Sanktionen jagte der Autokonzern seine Mitarbeiter in die Fußballhauptstadt und schaffte es tatsächlich, den Stehbereich zu füllen! Hut ab, man hat wohl noch nie so viele Wolfsburger auf einem Fleck gesehen, die Bänder am Mittellandkanal dürften derweil für einen Abend stillgestanden haben - war ja auch niemand da. Aber erbärmlicher als vor zwei Wochen, als man gefühlte 50 Mann zu einer Auswärtsfahrt ins Westfalenstadion zum Samstagabend-Topspiel motivieren konnte, konnte sich der VfL ohnehin nicht mehr präsentieren.
Taktik
Jürgen Klopp schickte seine Jungs in einem 4-1-4-1-System auf den Platz. Durm und Piszczek besetzten dabei die Außenbahnen, Hummels und Sokratis verteidigten in der Zentrale. Vor dem Sechser Kehl formierte sich die Viererreihe aus Großkreutz links, Reus halblinks, Jojic halbrechts und Mkhitaryan rechts. Lewandowski lief als Sturmspitze auf.
Der VfL Wolfsburg begann mit einem 4-2-3-1-System, in dem der Ex-Dortmunder Perisic den linken Flügel besetzte und der Eventuell-Fast-Dortmunder des Sommers 2013, de Bruyne, den rechten Flügel.
Erste Hälfte
Das Spiel nahm zunächst ordentlich Fahrt auf. Reus brachte den Ball mit dem Rücken zum Tor stehend per Hacke auf den Kasten, doch dies war keine Mühe für den VfL-Schlussmann Grün (8.). In der Folge schickte Reus erst auf der rechten Seite Jojic mit einem genialen Pass steil, wenig später mit einer Sahnevorlage Lewandowski auf der linken Seite, beide konnten die Zuspiele jedoch nicht verwerten.
Folgerichtig erzielte Mkhitaryan in der 12. Minute das 1:0. Einen Reus-Pass von der Grundlinie in den Rücken der Abwehr an die Strafraumkante verwertete der Armenier zur verdienten Führung. Wenig später war es abermals der auffällige Reus, der einen Ball über seinen Gegenspieler hob und frei durchstartete, sich dann den Ball aber zu weit vorlegte (17.). Auf der Gegenseite musste Weidenfeller in höchster Not per Fuß gegen de Bruyne zur Ecke parieren (21.).
Nach einem starken Beginn verflachte das Spiel zusehends. Der BVB war bemüht, den Ball und den Gegner laufen zu lassen. Die Gastgeber agierten fast etwas zu nachlässig. So strich ein Freistoß von de Bruyne aus 25 Metern halblinker Position nur knapp am zweiten Pfosten vorbei (33.). Ein Kopfball von Malanda landete nur an dem Pfosten, der Nachschuss von de Bruyne verfehlte das Gehäuse (42.). Im Gegenzug erhöhte der BVB auf 2:0. Jojic startete über rechts durch, spielte die Kugel zu Reus, der für Lewandowski ablegte. Der Pole vollendete in der Mitte mit einem satten Schuss in den linken Torwinkel (43.).
Zweite Hälfte
Der zweite Durchgang startete mit einer weiteren Chance für den BVB. Lewandowski verpasste jedoch eine Flanke von Mkhitaryan (47.). Abermals nach Zuspiel von „Micki“ setzte Lewandowski den Ball an den Außenpfosten (49.). Auf der Gegenseite verfehlte Arnold nach einer Abwehraktion das leere Tor aus über 20 Metern (51.). Einem Treffer von Lewandowski wurde nach einer Freistoßflanke von Reus zurecht die Anerkennung wegen einer Abseitsstellung des Stürmers verwehrt (54.). Für den VfL strich ein Olic-Kopfball nur knapp am Tor vorbei (56.).
Nach einer Flanke stand plötzlich Wolfsburgs Malanda völlig blank vor dem Tor, doch er schaffte das Wunder, den Ball in Richtung Schwimmbad zu donnern (75.). Eine Doppelchance vergaben kurze Zeit später abermals Malanda gegen Weidenfeller und sodann Luiz Gustavo im Nachschuss (81.).
Und so zitterte sich der BVB in der Schlussphase zu dem 2:0-Erfolg. In Anspielung auf ein Spruchband der Wolfsburger beim Auswärtsspiel in Berlin mit der Aufschrift „Reserviert für den 17. Mai 2014“ wurde Sekunden vor dem Abpfiff auf der Südtribüne ein Transparent hochgehalten, auf dem es zutreffend hieß: „Reservierung storniert - Dortmund regiert“.
Statistik
BVB: Weidenfeller - Durm, Hummels, Sokratis, Piszczek - Kehl - Großkreutz, Reus (90.+3 Schieber), Jojic, Mkhitaryan (72. Kirch) - Lewandowski (85. Aubameyang).
Wolfsburg: Grün - Schäfer, Knoche, Naldo, Träsch - Malanda (83. Caligiuri), Luiz Gustavo - Perisic, Arnold (63. Vieirinha), de Bruyne - Olic.
Tore: 1:0 Mkhitaryan (12.), 2:0 Lewandowski (43.). Schiedsrichter: Manuel Gräfe. Gelbe Karten: Kehl, Aubameyang - Luiz Gustavo. Zuschauer: 80.200 (ausverkauft).
Noten:
Roman Weidenfeller: Ein starker Rückhalt, wenn es brenzlig wurde. Note 2.
Erik Durm: Tastete sich manchmal mit nach vorne. Note 3+.
Mats Hummels: Räumte im Zentrum zuverlässig auf, dazu ein Kalle-Riedle-Gedächtnis-Flugkopfball (38.). Note 2.
Sokratis: Die Leitplanke für die Wolfsburger Autos. Vorne ein Kopfball in des Torwarts Arme (58.). Note 2-.
Lukasz Piszczek: Agierte relativ unauffällig. Note 3.
Sebastian Kehl: Staubsaugte auf der 6 ein ganzes Spiel lang. Note 3+.
Kevin Großkreutz: Pflügte den Rasen um, besaß aber wenig nennenswerte Aktionen. Note 3.
Marco Reus: Furioser Beginn, zwei Tor-Vorlagen, am Ende wurde es ruhiger um ihn. Note 2.
Milos Jojic: Schwebte am Anfang mit Reus, landete dann aber auch schnell. Danach solide, aber nach vorne glücklos. Note 3-.
Henrikh Mkhitaryan: Schien ein kongeniales Duo mit Marco Reus zu bilden. Sorgte für kreative Momente und gelegentlich Torgefahr. Note 2-.
Robert Lewandowski: Erzielte das 2:0, ansonsten öfters auch mal zu verspielt. Note 3-.
Oliver Kirch, Pierre-Emerick Aubameyang und Julian Schieber: Ohne Note.
Stimmen zum Spiel
Jürgen Klopp (BVB): „Das war ein brutal starkes Spiel von Wolfsburg. Sie waren der denkbar ungünstigste Gegner, den wir heute kriegen konnten. Bei uns waren die Räume zu groß, dadurch hatte Wolfsburg zu viel Platz. Damit haben wir uns brutal viel Laufarbeit aufgebürdet. Man hat es allen angemerkt, dass es wehtut und ich hätte Panikattacken bekommen, wenn wir in die Verlängerung gemusst hätten. Wir sind ein glücklicher Sieger, aber kein unverdienter. Wir haben uns selbst müde gespielt und mussten am Ende beißen. Aber ich bin stolz auf die Mannschaft. Auf uns wartet nun ein großartiges Event in Berlin.“
Dieter Hecking (Wolfsburg): „Wir haben überragend gespielt. Es war eine Klasseleistung, für die wir uns nicht belohnt haben. Wenn man sieht, welche Torchancen wir uns jetzt hier in den 10 Tagen in Dortmund erspielt haben, dann erkennt man, dass wir nahe dran sind, aber es fehlt ein entscheidender Tick. Wir haben hier die Riesenchance zum 1:1, bekommen im Gegenzug das 0:2. In der Halbzeit war die Mannschaft geknickt. Aber nach den letzten 25 Minuten des Spiels musst Du Dich belohnen und hier Tore machen. Aber diese engen Spiele werden durch Kleinigkeiten entschieden. Es war würdig für ein Halbfinale. Jetzt zeigt den Bayern, dass die Anderen da sind.“
Daniel Mertens, 16.04.2014