Fußball, Hagel, La Farraca – 3500 Borussen in Madrid
„Nicht schon wieder“ jammerten die einen, die so langsam die Nase voll hatten von der spanischen Hauptstadt und ihrem königlichen Starensemble. „Geiles Los“ freuten sich die anderen, die trotz der dritten Madridreise in 18 Monaten die Rückkehr auf die große europäische Fußballbühne in vollen Zügen genossen. Trotz kurzer Planungszeit und frecher Eintrittspreise von 77 bis 94 Euro hatten sich dementsprechend fast 3.500 Borussen auf den Weg begeben – und trotz einer unnötigen Niederlage eine richtig geile Zeit erlebt.
Zweimal hatte uns Real Madrid als Gegner belächelt und zweimal den direkten Vergleich gegen Borussia Dortmund verloren. So weit zu den harten Fakten, die bei der Pressekonferenz am Vortag des Spiels so manchem spanischen Pressevertreter einige Falten auf die Stirn zauberten. Jürgen Klopp wiegelte in charmanter Art ab und betonte, dass es diesmal ein anderes Spiel werden würde. Es gäbe nicht viel zu unterschätzen an diesem BVB, der sich mit größten Personalsorgen durch die Saison schleppte und gleich auf zwei der weltbesten Mittelfeldspieler des Vorjahres verzichten musste. Andererseits habe es auch in der Vorsaison wohl keine Mannschaft im Turnier gegeben, die man schwächer hätte einschätzen müssen – Real solle gewarnt sein und sich darauf gefasst machen, dass Borussia Dortmund selbst auf dem Zahnfleisch kriechend den Anspruch habe, der „unangenehmste Gegner der Welt“ zu sein.
Die Fans hatten es sich derweil in ihren Stammkneipen rund um die Puerta del Sol gemütlich gemacht. Niemand hatte ernsthaft einen Sieg erwartet, ein 2:1 oder 2:0 hätte wohl jeder mit Kusshand genommen. So war die Laune wie immer bestens: Der Wirt des Vertrauens schenkte Wodka con Lemon aus, dass die Schwarte krachte. Im Irish Pub kreisten die Cider und Cerveza Humpen, bis keiner mehr konnte. Es wurde gesungen, getanzt und auch das ein oder andere Mal das Stadion eines mit Recht ausgeschiedenen Vorortvereins besucht, gelegentlich sogar schon die Planung für ein mögliches Halbfinale beim Stadtrivalen Atlético diskutiert. Nein, hier hatte wirklich niemand die Schnauze voll von dieser Stadt und ihren Kneipen und erst recht nicht vom wohl größten Fußballclub dieses Planeten.
Um das schöne Wetter am Dienstag zu nutzen, entschieden wir uns diesmal für eine Tour zum Teleférico. Die Seilbahn fährt etwa 2.500 Meter über das Casa de Campo, das alte königliche Jagdrevier und heute größte Naherholungsgebiet der Stadt. Mit bester Sicht auf den Königspalast und die Almudena-Kathedrale schmeckte das Fangetränk sogar noch einen Tick besser, als ohnehin. Weil das Wetter am Mittwoch leider sehr schlecht ausfiel, es zeitweise wie aus Eimern schüttete und selbst Hagelschauer nicht wirklich an Spanien erinnern ließen, blieb für Aktivitäten im freien leider nicht viel Zeit. Dafür konnte man vielerorts mitverfolgen, wie heftig die Preise in Spanien verfallen sind. 3,90 Euro für ein Menü bei Burger King waren laut Plakatierung das Gebot der Stunde, im Schinkenmuseum gab es Baguettes mit Chorizo, Salami, Käse oder herrlichem Jamon für einen Euro zu erstehen – wer zum Baguette dann noch ein Bierchen schlürfte, musste gerade einmal 40 Cent für ein Stößchen und 70 Cent für einen Viertelliter auf den Tisch legen. Schade, dass man im spanischen Fußball noch immer nicht die Realität des eigenen Landes erkennen will und 5.000 bis 10.000 freien Plätzen im Stadion den Vorzug vor einem um 10 oder 20 Euro gesenkten Ticketpreis gab – gerade das Milliardengeschäft Fußball hätte hier in der Lage dazu sein müssen, auf ein paar Euro zu verzichten und sich in angemessenere Bahnen zu bewegen. Immerhin hatten auch spanische Fernsehsender die extremen Kartenpreise einzelner Viertelfinalisten thematisiert und in einem schaurigen TV-Bild besprochen.
Doch kommen wir zum Spiel – ein großes Geheimnis hatte Klopp aus seiner Offensive gemacht und auf die Frage eines Journalisten mit einem kleinen Rätsel geantwortet: „Ihr macht euch so viele Gedanken und spielt alles Mögliche durch. Vielleicht hat ja einer von euch Recht, vielleicht aber auch keiner, wer weiß das schon. Irgendjemand wird da morgen jedenfalls spielen und richtig cool wäre es, wenn ihr selbst nach dem Spiel noch nicht wüsstet, wer es denn war. Lasst euch überraschen!“
Mit Nuri Sahin, Lukasz Piszczek und Pierre-Emerick Aubameyang kamen im Vergleich zum 3:2 Auswärtssieg in Stuttgart drei neue Spieler ins Team – für sie auf der Bank blieben Oliver Kirch und Jonas Hofmann, während der gelb gesperrte Robert Lewandowski zuhause auf dem Sofa Platz nehmen durfte. Was sie dort sahen, dürfte ihnen nicht besonders gefallen haben: Gerade einmal drei Minuten waren gespielt, da hatten Karim Benzema, Daniel Carvajal und Gareth Bale das Leder schon über die Linie gedrückt. Der Stimmung im BVB-Lager tat dies freilich keinen Abbruch: Es war klar, dass Real Madrid zu großen Torchancen kommen und kaum weniger als zwei Tore schießen würde – ob es in der zweiten oder 65. Minute klingelte, konnte einem dann letzten Endes auch egal sein. Real indes wollte den Anfangsschwung nutzen und hielt den Druck hoch – Zweikämpfe waren für den BVB kaum zu gewinnen, das Mittelfeld stand nicht wirklich sicher. Immerhin war Verlass auf Roman Weidenfeller, der einen Freistoß und einen Torschuss Ronaldos mit Bravour parierte – erst als er bei einer Rettungstat einen Tritt von Marco Reus abbekommen und sich an der Elle verletzt hatte, rutschte so manchem Fan das Herz in die Hose.
Es folgte die Zeit der großen Ernüchterung über Henrikh Mkhitaryan und Aubameyang. Beide Spieler gehörten zu den teuersten Transfers der Vereinsgeschichte und waren gerade für Spiele wie diese verpflichtet worden. Sie sollten der Mannschaft Stabilität geben, das Spiel lenken und ihren Gegenspielern jederzeit Furcht einflößen können – von alledem war jedoch nicht viel zu sehen. Obwohl sie nun schon fast eine ganze Saison beim BVB spielen und ihre Klasse schon mehrfach unter Beweis stellen konnten, fielen sie im Bernabeu wieder einmal durch die fehlende Bindung zu ihren Mitspielern auf. Wo Ilkay Gündogan und Faithboy mit geschlossenen Augen die richtige Gasse für einen tödlichen Pass fanden, spielten Mkhitaryan und Aubameyang das Leder reihenweise in den Rücken ihrer Mannschaftskameraden.
So landete zeitweise fast jeder zweite oder dritte Ball beim Gegner und wurde es stets dann besonders ärgerlich, wenn schlampige Spielzüge einen gefährlichen Gegenangriff einleiteten oder eine eigene Großchance zunichte machten. Genau dieser Fall trat ein in der 26. Minute: Mkhitaryan zeigte sich uninspiriert gegen Xabi Alonso, Isco gelangte an den Ball, zwei bis drei kleine Bewegungen später zappelte das Leder hinter Weidenfeller im Kasten. Nur fünf Minuten später hätte gut und gerne das 3:0 fallen können, das zu diesem Zeitpunkt wohl auch verdient gewesen wäre: Bales Freistoß senkte sich irrsinnig schnell, Weidenfeller zeigte jedoch seine Qualitäten als Weltklassetorhüter. Real hatte für den eigenen Geschmack erst einmal genug Zähne gezeigt und lehnte sich etwas zurück, Borussia war insbesondere im Mittelfeld zu verängstigt und ideenlos, um ernsthaft etwas zum Spiel beitragen zu können. Bis zur Halbzeit passierte jedenfalls nicht mehr viel.
Zurück auf dem Feld wirkten die Schwatzgelben wie ausgewechselt, wollten das so wichtige Auswärtstor erzwingen. Real unterstützte dieses Anliegen mit einer schon unverschämt lässigen Defensivarbeit, die der BVB der Vorsaison wohl gnadenlos ausgenutzt hätte. Doch entweder segelte Aubameyangs Ball neben das Tor oder bekam der im Strafraum freistehende Reus den Ball in die Hacken und durfte sich über eine vergangene Torchance ärgern. Dass nur wenige Augenblicke später Luka Modric einen schlampigen Pass Piszczeks abfing und Ronaldo mit zwei kleinen Bewegungen aus den Fußgelenken das 3:0 erzielte, gehörte irgendwie zur Geschichte dieses seltsamen Spiels.
Real verlegte sich zunehmend aufs Kontern, Borussia bemühte sich um Schadensbegrenzung und hätte mit ein bisschen Glück sogar tatsächlich noch eine Bude machen können – der schwache Mkhitaryan vergab aber ebenso wie der glücklose Reus. So endete das Spiel mit einem auch in der Höhe verdienten 3:0 – ein Auswärtstor wäre schön gewesen, Borussia war den Madrilenen an diesem Abend aber nicht gewachsen und hätte wohl kaum standhalten können, wenn Real wieder zwei oder drei Gänge höher geschaltet hätte. Sportlich bleibt damit nur die Hoffnung auf das Rückspiel, bei dem mit Robert Lewandowski im eigenen Stadion vielleicht tatsächlich eine kleine Hoffnung auf die große Sensation besteht.
Statistik
Real Madrid: Casillas – Carvajal, Pepe, Sergio Ramos, Fabio Coentrao - Xabi Alonso - Modric, Isco - Bale - Ronaldo- Benzema
Wechsel: Illarramendi für Isco (71.), Morata für Benzema (75.), Casemiro für Ronaldo (80.)
BVB: Weidenfeller – Piszczek, Sokratis, Hummels, Durm – Kehl, Sahin - Reus, Mkhitaryan, Großkreutz – Aubameyang
Wechsel: Hofmann für Mkhitaryan (60.), Schieber für Piszczek (67.), Jojic für Kehl (74.)
Tore:
1:0 Bale (3.)
2:0 Isco (26.)
3:0 Ronaldo (57.)
Gelbe Karten: Reus, Kehl, Großkreutz
Zuschauer: 73.000
Vollständige Statistik (UEFA): Lineups, Fulltime-Report, Players Statistics, Team Statistics, Passing Distribution, Tactical Lineups