Ich treff' das Tor vor lauter Chancen nicht
Eine alternative, aber keineswegs förderliche Überschrift für diese Europapokalpartie wäre „Das Ende einer Krise, der Ballspielverein springt über seinen eigenen Schatten und gewinnt endlich mal wieder ein Spiel“. Hust, Hust. Na wie dem auch sei, unsere Jungs haben das Ding gezogen und sich das Endspiel in Südfrankreich mehr als nur verdient. BVB-iger hätte dieser Heimsieg nicht herausgespielt werden können, beinhaltete er doch alle schwarzgelben Elemente, die zu einem grandiosen Flutlichtabend alla Borussia einfach dazugehören:
Ein ohrenbetäubendes „Borussia, Borussia“ von allen Tribünen kurz vor Anpfiff. Eine mehr als bescheidene Chancenverwertung. Manni, Gesichtsverletzungen und seine unverwüstliche Chuck-Bender-Art. Schlechte Eckbälle (auch wenn gleich der erste zu einem Elfer führte). Traumhafte Ballpassagen. Ein irre schnelles Umschaltspiel. Frust auf den Schiri. Ein irre schneller Aubameyang. Ein Gegentor nach haarsträubendem Ballverlust. Ein gut aufgelegter Gästekeeper. Kurze Nervosität nach einem Anschlusstreffer des Gegners. Ein Ergebnis, das am Ende des Abends alle (schwarzgelben) zufrieden nach Hause gehen lässt…
Sicherlich habe ich in dieser Aufzählung noch den ein oder anderen Punkt vergessen, oder vielleicht ja auch bewusst ignoriert. Alle anderen wichtigen Spielelemente folgen dann hoffentlich jetzt:
Erster Durchgang
Wie zu erwarten war, startete “Manni“ Bender neben Sokratis in der Innenverteidigung, Kapitän Kehl kehrte nach achtwöchiger Verletzungspause auf das satte Grün zurück und rückte auf Benders Position im zentral defensiven Mittelfeld. Die ersten Zeigerumdrehungen des Spiels gehörten der dem BVB durchaus anzumerkenden Nervosität ein gutes Ergebnis erzielen zu müssen. Es war spürbar, dass der Matchplan in den Köpfen der Spieler steckte, bis dato aber noch nicht vollends den Weg in die Beine gefunden hatte. Und so passierte dann erst mal 09 Minuten lang nicht sonderlich viel, weder auf der einen noch auf der anderen Seite – im Gästeblock zündelte Bengalo numero uno spärlich vor sich her, den der hauptsächlich in zivil-dunkel gekleidete Gästeanhang vor den eigenen Füßen ausbrennen ließ.
Umso größer und überraschender war dann das, was in der 10. Minute passierte. Zwei fast schon unglaubliche, weil verloren geglaubte Begebenheiten setzten dem Spiel den ersten Stempel auf. Ein von Reus mit viel Schnitt hereingebrachter Eckball (!) hätte wohl den Kopf von Lewandowski gefunden, doch dieser wurde wie mittlerweile ja handelsüblich vom Gegenspieler in einen beherzten Klammergriff genommen und durch den halben Strafraum eskortiert. Ein Pfiff (!) des Schiris, zwei Sekunden Reaktionszeit der Spieler und des Publikums, und dann der Jubel über eine völlig berechtigte Elfmeterentscheidung. Reus, trocken rechts unten, 1:0. Neapel zeigte sich jedoch nur kurz geschockt und reagierte mit kleineren Angriffswellen. Doch die nächste große Szene im Strafraum hatte wieder der BVB, als Mkhitaryan nach einer Viertelstunde traumhaft auf Lewandowski durchsteckte. Allein auf den Torwart, knapp rechts am Kasten vorbei. Schwarzgelb hatte das Spiel im Griff, ein zweites Tor lag in der Luft. Den Italieners fiel in dieser Phase nicht viel ein, außer vielleicht das 0:1 möglichst lange halten zu wollen – denn schon früh in der Partie wurde nach Zweikämpfen viel lamentiert und gestikuliert (die Arme wild nach oben und dann die typische „Scusi-da-fehlt-noch-Oregano“-Geste).
Einen ersten kleineren Bruch (Doppeldeutigkeit beabsichtigt) im Spiel gab es nach 17 Minuten, als Gäste-Capitano Maggio Bender im Kopfballduell per Ellenbogen die Nase demolierte. Manni blutete stark und musste gute zwei Minuten draußen behandelt werden. Und weil das Blut auch vor den Textilien nicht Halt machte, wurde kurzerhand schon mal ein Ersatzersatztrikot im Fanshop geordert (so ganz ohne offizielle Aufdrucke versteht sich). Aber Manni wäre nicht Manni wäre nicht der unverwüstlichste Spieler in der Geschichte des Ballsports, würde er sich nicht aufraffen und einfach das Spiel fehlerlos zu Ende bringen.
Reus versuchte sich kurze Zeit später bei einem Freistoß aus halbrechter Position, fand aber im starken Reina seinen Meister (so wie auch Lewandowski in der 35. Minute alleinstehend vor dem Keeper nach Vorabreit von Kuba). Bis zur Pause sollte das dann die letzte richtig gefährliche Situation bleiben, denn Neapel fand sich von der 25. bis zur 40. Minute in seiner stärksten Phase wieder. Auch der Gästeblock war nun zwei, dreimal lautstark vernehmbar (Zündelei numero due e tre inbegriffen). Die größte Chance hatte dann Neuzugang Callejón, der einen Stellungsfehler von Durm nutze und mit Tempo und Ball eng am Fuß in den Sechszehner eindrang. Sein platzierter Flachschuss traf zum Glück nur den Pfosten. Napoli blieb am Drücker, ohne dabei jedoch wirklich Gefahr zu versprühen. Der nächste Aufreger dann in der 37. Minute. Eine Szene am Mittelkreis, für die die Rote Karte eben jene Farbe hat und dann auch vom Schiedsrichter aus der Gesäßtasche geholt werden muss. Unglaublich, dass dieses Foul an Mkhitaryan nur mit Gelb geahndet wurde. Nationaltorhüter Weidenfeller riss dann kurz vor Pausenpfiff die Fäuste nach oben und entschärfte einen Fernschuss von Armero.
Zweiter Durchgang
Der BVB zeigte Napoli ab der ersten Sekunde in der zweiten Halbzeit wie man Konter der Marke Weltklasse spielt. Aber weder Reus (53.) noch Mkhitaryan (58.) konnten die Riesen im Kasten unterbringen, Kuba wählte mit einem Anspiel in die Mitte die falsche der zwei Optionen (ja, ja, die andere wäre der direkte Abschluss gewesen) und so ahnte fast jeder, was bald kommen sollte. Die Chance zum Ausgleich aus dem Nichts: Higuaín tauchte allein vor Weide auf, aber unsere Nummer eins behielt die Nerven und leitete ungewollt das 2:0 ein. Konter, so weit das Auge reicht. Und diesmal reichte es zum Glück. Lewandowski bekommt den Ball links außen unter Kontrolle, leitet blitzschnell auf Reus weiter, der dann wiederum sofort zu Kuba quer im Strafraum legt. Tunnel gegen Reina. 2:0!
Hochhochhochhochverdient! Bengalo numero cinque (quattro bereits kurz nach Wiederanpfiff) war mittlerweile das einzige Lebenszeichen der gut 3.000 mitgereisten Neapolitaner. Innerhalb von drei Minuten hatte die Lautsprecheranlage dann mehr zu tun, als die Spieler auf dem Feld – die Einwechslung zwei spätere Torschützen (Insigne auf der einen, und Aubameyang auf der anderen Seite) und der Ausruf eines Herren, dessen Namen wie immer rein zufällig im Zusammenhang mit dem ausverkauften Westfalenstadion stand (wie nennt man nochmal Geräte, die piepen?). Borussia hatte das Spiel im Griff. Bis zur 71. Minute. Anschlusstreffer. Kurzer
Schockmoment. Kehl fühlte sich bestimmt ein wenig an Arsenal 2011 erinnert, als sein Fehlpass in der Nähe des eigenen Strafraums Higuaín zum tödlichen Pass auf Insigne einlud. Aber die Freude auf italienischer Seite sollte nur kurz andauern, denn Aubameyang lief nach Traumpass von Lewandowski mutterseelenallein auf Reina zu. Die Vorentscheidung!? Nein! Auba schwach, Reina stark. Eckball. So langsam war es nicht mehr witzig. Diese Chancenverwertung. Menno. Jetzt nicht noch den Ausgleich kassieren. Nuri Sahin gab nach dem Spiel zu Protokoll, dass Kloppo seinen Mannen zwar die Punkte-Konstellation erklärt hatte, aber er (und wahrscheinlich auch einige andere) das Ganze nicht so wirklich verstanden habe. Vielleicht war das auch gut so, denn die Mannschaft blieb sehr aggressiv gegen den Ball und stellte sich keineswegs tief in die eigene Hälfte.
Und dann endlich, passierte es. Fast eine Kopie der Möglichkeit zuvor, steckte Lewandowski erneut mustergültig auf Aubameyang durch, der diesmal aus schwierigerer Position (weil spitzerer Winkel) Reina per gekonntem Lupfer keine Chance ließ. 3:1! Mkhitaryan hatte noch immer nicht genug und zündete den Turbo zum gefühlt zehnten Mal in dieser Partie. Vorbei an allen Gegenspielern, waren Reina und der Außenpfosten die Endstation. Neapel gab sich seinem Schicksal hin, der BVB verteidigte auf hohem Niveau – vor allem Sokratis spielte in der Schlussphase überragend, wenn es um die Balance zwischen aggressivem Zweikampfverhalten und elegantem Körpereinsatz ging. Bengalo numero keine Ahnung im Gästeblock und Schalparade inklusive „Leuchte auf mein Stern, Borussia“ im Süden. Der Abgesang. Schlusspfiff. Heimsieg. Verdiente drei Punkte. Die Hoffnung aufs Achtelfinale. Das Endspiel in Marseille in zwei Wochen. Und wenn du das Spiel gewinnst…
Ein bisschen Statistik
Torschüsse 19 : 13 Torschüsse
Ballbesitz 43% : 57%
Zweikämpfe 52% : 48%
Einzelbewertung
Weidenfeller: Schuldlos beim Gegentreffer, ansonsten sehr stark auf der Linie, vor allem im Ein-gegen-Eins gegen Higuaín. Note 2
Durm: Zwei schlimme Stellungsfehler. Mit steigender Spieldauer aber immer sicherer, auch auf dem Weg nach vorne mit guten Aktionen. 3
Bender: Mit Nasenbeinbruch nicht schlechter als schon in den Minuten zuvor. Hielt hinten den Laden dicht. Leitete einige Konter aus hinterster Reihe ein. Starkes Spiel. 1-
Sokratis: Stark am Mann und mit dem Gespür für den Gang mit Ball am Fuß. Zweikampfstärkster Borusse. 1-
Großkreutz: Die Lunge lief auch gegen Neapel wieder hoch und runter. Spielte sehr souverän und wusste die einzelnen Spielsituationen immer genau auszunutzen (defensiv in der Balleroberung, offensiv im Spiel nach vorne). 2+
Kehl: Die fehlende Spielpraxis merkte man ihm an. Wirkte sehr präsent, forderte die Bälle, vertändelte sie aber auch einige Male wie beim Gegentor. 3
Sahin: Wie Kehl sehr präsent. Verpasste allerdings in einigen Situationen die Chance zum Abspiel in die Tiefe. Ansonsten machte er mit dem Kapitän die 6 dicht und unterband Druckphasen des Gegners. 3
Reus: Stark im Spiel nach vorne. Wirkte frisch und spritzig wie eh und je. Gab viele Torschüsse ab und blieb beim Elfer eiskalt. 2+
Mkhitaryan: Stärkster Borusse, weil er immer wieder das Tempo anzog und bei Höchstgeschwindigkeit auch noch Traumpässe spielte. Die absolute Bestnote wäre es geworden, wenn einer seiner vielen Bälle den Weg ins Tor gefunden hätte. 1-
Blaszczykowski: Torschütze des wichtigen 2:0. Sehr auffällig auf der Außenbahn. Wählte allerdings in manchen Szenen die falsche Option (Abspiel/Abschluss). 2+
Lewandowski: Starker Auftritt. Endlich mal wieder ein Elferpfiff für ihn. Muss aber mindestens zwei Tore erzielen. Die Pässe auf Aubameyang waren Sahne. 2+
Aubameyang: Treffer zur Vorentscheidung, jedoch eine Szene zu spät, denn das Ding vorher muss er auch schon machen. Sorgte durch seine Schnelligkeit in den Schlussminuten dafür, dass sich zwei Neapel-Verteidiger nicht nach vorne orientieren konnten. 2-
Piszczek: Zu spät für eine Bewertung, aber egal: Er ist wieder da!
Schieber: Ohne Bewertung
Tim, 27.11.2013