Spielbericht Profis

Drei im Dörla

26.01.2013, 22:20 Uhr von:  Redaktion

Im Hinspiel hatte sich Borussia schwer getan, konnte souverän aufspielenden Franken nur einen Punkt abtrotzen. Im neuen Jahr galt es, diese Scharte auszuwetzen und dem 5:0 in Bremen eine ähnlich glanzvolle Partie in der Heimat folgen zu lassen. Für Nuri Sahin bedeutete das Spiel dann gleich auch noch viel mehr: Die Gewissheit, nach einer langen Reise voller Stolpersteine endlich wieder angekommen zu sein – zu Hause!

Auf der einen Seite Borussia Dortmund in Angriffslaune, Leverkusen attackierend und die Meisterschaft trotz aller Unmöglichkeiten weiter im Blick behaltend – auf der anderen Seite harmlose Nürnberger, die nur deshalb nicht als Abstiegskandidaten firmierten, weil Augsburg, Fürth und Hoffenheim bislang im Wochentakt ihre Erstligauntauglichkeit unter Beweis gestellt hatten. Mit Blick auf die Tabelle gab es keine zwei Meinungen, wer den Platz am Freitagabend als Sieger zu verlassen hätte. Und dennoch gab sich Klopp wieder einmal als Mahner, der gehörigen „Druck von hinten“ verspürte (gemeint war wohl die Tabelle, Anm. d. Verf.) und sich darum bemühte, die Konzentration seiner Mannen hochzuhalten.

Die ungünstige Anstoßzeit für Nürnberger Fans und ihre generelle Abneigung gegenüber Auswärtsspielen in Dortmund hatten zur Folge, dass etwa 900 Gästetickets zurückgeschickt werden mussten. Bereitwillige Abnehmer dieser Karten fanden sich in etwa 200 verlorenen Seelen, die in die Bresche sprangen und ihrer traurigen Existenz in Gelsenkirchen zumindest einige Stunden entfliehen wollten. Wie so oft wählten sie ihren Anreiseweg mitten durch Dortmunder Hoheitsgebiet und erfreuten sich dabei freien Geleits, was auf Seite der schwarzgelben Fanschar in gewohntem Maße für Freude und Entzückung sorgte. Wie weit das Nürnberger und Gelsenkirchener Kuscheln mittlerweile geht, zeigten unter anderem die Minuten vor Spielbeginn. Quer über den Gästebereich wurde ein Banner gespannt, auf dem die beiden Gruppen sich ihrer großen Liebe bekannten: „10 Jahre UNvergessliche aUGEnblicke“, garniert mit vielen Luftballons in weißer, blauer, roter und schwarzer Farbe. Gefeiert wurde der rund um die Verabschiedung des Sicherheitspapiers verkündete Abschied der Nürnberger Nordkurve vom über zwei Jahre währenden Verzicht auf Pyrotechnik zudem mit einer ordentlichen Rauchwolke – in hellblau und grau-rosa gehalten, schuf der Rauch einen tuffigen Sichtschutz für die romantische Intensivierung der amourösen Beziehung. Denn wahrlich, es muss einige Begierde im Spiel sein, wenn man einen großen Teil des Blocks in Fremdfarben akzeptiert und auch noch darüber hinwegsehen kann, dass dieser zu keinem Zeitpunkt das eigene Liedgut mitsingen möchte.

Borussia Dortmund konnte aus dem Vollen schöpfen. Mit Ausnahme des langzeitverletzten Patrick Owomoyela und Neven Subotics standen Klopp alle Mannen zur Verfügung, gegenüber dem 5:0 Kantersieg in Bremen erhielt diesmal jedoch Kuba den Vorzug vor Kevin Großkreutz. Auf Nürnberger Seite hatte der trostlose Rückrundenauftakt gegen den HSV für tiefe Stirnfalten gesorgt, so dass mit Hiroshi Kiyotake, Per Nilsson und Ex-Dortmunder Markus Feulner gleich drei neue Spieler ins Team rotierten.

Bei eisiger Kälte begannen beide Mannschaften ihr erwartetes Spiel. Dortmund drängte auf ein schnelles Führungstor, um erst gar keinen Zweifel an den eigenen Ambitionen aufkommen zu lassen, während der Glubb sich darum bemühte, eben diesen frühen Rückstand nicht hinnehmen zu müssen. Dabei stellte sich der FCN keineswegs blöd an und bereitete Borussia „deutlich mehr Probleme als andere Clubs, die nicht gerade hierher kommen, um uns 8:0 oder 9:0 vom Platz zu schießen“, wie Klopp nach Spielende erklärte. Und dennoch setzten sich individuelle Klasse und mannschaftliche Geschlossenheit bei unseren Jungs durch: Schon in der fünften Minute hätte es in Raphael Schäfers Kasten klingeln müssen, als Robert Lewandowski den Ball nach Lukasz Piszceks sensationeller Vorarbeit nur knapp rechts am Tor vorbei legen konnte.

Nach einigen weiteren Dortmunder Chancen, die allesamt an ihrem harmlosen Abschluss gescheitert waren, fanden die Gäste erstmals die Lücke für einen Konter. Nur zögerlich hatten sie sich aus der eigenen Hälfte bewegt, bis Feulner mit einer weiten Flanke das Spiel schnell machte und die gesamte Dortmunder Hintermannschaft überraschte – wenige Meter vor dem Tor, es mögen sechs oder sieben gewesen sein, köpfte Tomas Pekhart den Ball wuchtig auf Roman Weidenfellers Kasten. Mit einem Wahnsinnsreflex konnte dieser den Ball von der Linie kratzen, doch Felipe Santana bugsierte den Ball nicht aus der Gefahrenzone und eröffnete damit Feulner die Chance zum Nachschuss – ein mächtiges Pfund, das Weidenfeller abermals in Weltklassemanier parieren konnte, ließ die 80.000 tief durchatmen.

Unter gütiger Mithilfe des Schiedsrichters Michael Weiner, sollte Borussia nur wenige Augenblicke später die passende Antwort geben. Der in Galaform aufspielende Piszcek hatte sich wieder einmal in die Offensive eingeschaltet und war im Strafraum von Timo Gebhart gefoult worden – eine äußerst strittige Entscheidung, die man sicherlich auch anders hätte treffen können. Doch glücklicherweise fand das Leben nicht im Konjunktiv statt und fasste sich mit Kuba der an diesem Tag überragende Akteur ein Herz – den Anlauf schön verzögert, nicht perfekt geschossen und doch das verdiente 1:0 erzielt.

Die Rot-Schwarzen verfielen nicht in Schockstarre, sondern sammelten ihre Kräfte und setzten zur Gegenoffensive an – eine kleine Unaufmerksamkeit im Mittelfeld brachte den Ball wieder zu Borussia, die den Turbo einlegte und abermals glücklich einen Freistoß in gefährlicher Tornähe halbrechts herausholen konnte. Die von Marcel Schmelzer getretene Standardsituation gehörte zu den eher mittelmäßigen ihrer Art, angesichts der harten Entscheidungen traute sich aber kein Nürnberger, gleich wieder robust zu Werke zu gehen – wie Slalomstangen umkurvten unsere Jungs in der Folge ihre Gegenspieler und spielten sich die Bälle unbedrängt zu. Im Zweikampf mit Javier Pinola ließ Mario Götze dann seine Klasse aufblitzen und schob den Ball zu Kuba, der seinen ersten Treffer stante pede mit dem 2:0 krönte.

Der Gegner war in diesem Augenblick geschlagen und legte den Schalter auf Schadensbegrenzung um. Mit Blick auf die große Verletzungsgefahr bei hartgefrorenem Boden nahmen auch die elf Borussen Tempo aus dem Spiel, das nun deutlich verflachte. Wenn etwas ging, waren so gut wie immer Einzelaktionen dafür verantwortlich – so wie in der 28. Minute, als das sichere 3:0 nur an Piszczeks hastigem Lupfer über Schäfer scheiterte oder in der 41. Minute, als Lewandowski den Ball nach feiner Vorarbeit von Ilkay Gündogan und Piszczek nur aus einer Abseitsstellung ins Tor schieben konnte.

Auf den Rängen war bis zu diesem Zeitpunkt nicht viel passiert. Die Nürnberger Seite enttäuschend wie selten, schon auf Höhe der Mittellinie gab es aus dem Norden so gut wie gar nichts zu hören – die einzige (!) Ausnahme bildete ein Wechselgesang mit der Südtribüne, bei dem ein originelles „Scheiß BVB“ erwidert wurde. Ansonsten braucht man sich über die Stimmlosigkeit wohl auch nicht zu wundern, wenn man einen ganzen Haufen seiner Freunde im Block stehen hat, die ihren Mund mit Ausnahme von Gepöbel zu keiner Minute aufbekommen.

Andererseits bekleckerte sich auch der schwarzgelbe Anhang nicht mit Ruhm. Einige Pöbeleien gegenüber Gelsenkirchen ließen aufhorchen, richtig überzeugend wurde es bei eigenem Liedgut nicht. Auch optisch sah die Südtribüne deutlich trister aus, als gewohnt – bis auf Block Drölf schien die gelbe Wand verwaist und fehlten Schwenkfahnen und Doppelhalter fast vollständig. Trotz zweistellig negativer Temperaturen fanden sich auch nur wenige Fans, die Lust auf Bewegung hatten – wo sonst das halbe Stadion vor Freude im Dreieck springt, blieb es diesmal bei einer überschaubaren Anzahl Hüpfer außerhalb Drölfs. Der einzige Stimmungshöhepunkt neben der Begrüßung Nuri Sahins war der von vielen Fans mitgesungene Klassiker „Leuchte auf, mein Stern Borussia“, der für wenige Augenblicke einen Hauch von echter Fußballatmosphäre entstehen ließ.

Spielerisch blieb es im zweiten Durchgang bei Magerkost. Nürnberg konnte und wollte nichts riskieren, hatte sich mit dem 0:2 bestens arrangiert – Borussia musste nichts riskieren und konnte ihre Kräfte für die bevorstehenden harten Wochen der Mehrfachbelastung schonen. Mit deutlich über 60% Ballbesitz lullte der BVB Gegner wie Zuschauer ein, kombinierte gefällig und dennoch ohne besonderen Esprit – nur um in der 60. Minute ganz plötzlich umzuschalten: Der emsige Gündogan mit einem Musterpass in den freien Raum, Reus Ablage auf den durchgestarteten und plötzlich ganz allein vor Schäfer aufgetauchten Lewandowksi, Lewandowksi mit dem Blick für den hervorragend positionierten Götze und Götzes Rückgabe auf Lewandowksi – ein schöner Angriff, der mit einem Tor hätte belohnt werden müssen, jedoch am mangelnden Abschlusswillen Götzes und einem starken Reflex Schäfers scheiterte. Kurz später, in der 67. Minute, scheiterte dann auch Reus nach Vorarbeit Sebastian Kehls knapp im Abschluss.

Weil sich Nürnberg nun endgültig in sein Schicksal gefügt hatte, fand Klopp Gefallen an einer taktischen Spielerei. Sven Bender bildete mit dem frenetisch begrüßten Heimkehrer Sahin eine Doppel-Sechs, Gündogan rutschte etwas weiter in die Offensive und wirbelte anstelle Kubas durch die fränkischen Reihen. Eine interessante Variante, die auf Anhieb (gegen einen zugegebenermaßen schwachen Gegner) funktionierte und Borussia Dortmund zukünftig ein bisschen unberechenbarer machen wird – obendrein darf sich ab sofort widerlegt sehen, wer bislang daran zweifelte, dass sich für Sahin überhaupt noch ein Platz in unserem Mittelfeld finden lassen würde.

Den spielerischen Schlusspunkt setzte Lewandowski. Santana schlug einen langen Pass tief aus der eigenen Hälfte hin zu Reus, der am rechten Strafraumeck den in der Mitte frei gelaufenen Polen ausmachen konnte – der nahm keine Rücksicht und nagelte einen ordentlichen Kawentsmann knapp unter die Latte. Es blieb beim 3:0 (drei im Dörla), einem würdigen Endstand und sicherlich unvergesslichen Augenblick für alle Fans des Ballspielvereins Borussia.

Die Fotos zum Heimsieg gegen den Club aus Nürnberg findet Ihr wie gewohnt auf unserer BVB-Fotoseite unter diesem Link.

Statistik

Rückrundentabellenführer: Weidenfeller - Piszczek, Santana, Hummels, Schmelzer - Gündogan, Kehl, Kuba - Götze, Reus - Lewandowski

Wechsel: Sahin für Kehl (76.), Bender für Kuba (76. ), Leitner für Gündogan (89.)

FCN: Schäfer - Chandler, Nilsson, Klose, Pinola - Balitsch, Simons - Feulner, Kiyotake, Gebhart - Pekhart

Wechsel: Mak für Feulner (66. ), Frantz für Gebhart (78.), Polter für Pekhart (78.)

Tore: 1:0 Kuba (18., Elfmeter), 2:0 Kuba (21.), 3:0 Lewandowski (88.)

Zuschauer: 80.100
Torschüsse: 20 : 7
Ecken: 3 : 3
Flanken: 9 : 8
Ballkontakte: 66% : 34%
Gewonnene Zweikämpfe: 52% : 48%
Fouls: 12 : 8
Abseits: 3 : 1
Meiste Torschüsse: Lewandowski 9 : 3 Feulner
Meiste Vorlagen: Götze, Reus 4 : 2 Kiyotake
Meiste Ballkontakte: Gündogan (147) : Chandler (60)
Zweikampfstärkste Spieler: Piszczek 80% - 74% Nilsson

Noten

Weidenfeller: Wurde so gut wie nie geprüft, musste sein Können nur zweimal in der 15. Minute aufblitzen lassen – Note 1,5.

Piszczek: Wahnsinnsspiel – ließ als bester Zweikämpfer auf dem Platz (80%) nichts anbrennen, holte den Elfmeter heraus und hätte zweimal die Chance gehabt, ein Tor zu schießen. Großartiges Kombinationsspiel mit Kuba – Note 1,5.

Santana: Bei der Nürnberger Doppelchance etwas fahrig, ansonsten ordentlich. Tolle Spielöffnung vor dem 3:0 – Note 2,5.

Hummels: Wie gewohnt stark im Stellungsspiel, nach vorne jedoch nicht so auffällig wie sonst. Note 2,5.

Schmelzer: Ebenfalls eine eher unauffällige Partie, hatte Ball und Gegner stets unter bester Kontrolle. Standards waren gegen Nürnberg eher nicht sein Fall. Note 2,5.

Gündogan: Großes Spiel! Stets beteiligt, wenn es für Nürnberg gefährlich wurde – 91 Ballkontakte in der ersten Halbzeit (147 insgesamt) sind ein deutlicher Nachweis seines Stellenwerts im Dortmunder Mittelfeld. Note 1,5.

Kehl: Ebenfalls ein Tor vorbereitet, lenkte das Spiel in gewohnt ruhiger Manier. Note 2,5.

Kuba: Machte Spaß auf mehr. Schäfer beim Elfmeter gekonnt verladen, eiskalt das 2:0 erzielt und stets beweglich im Spiel nach vorne – Note 1,5.

Götze: Ließ sich zu einer durchsichtigen Schwalbe hinreißen und hätte das 3:0 erzielen müssen – ansonsten mit einer gewohnt guten Partie und klasse Vorarbeit zum 2:0. Note 2.

Reus: Neben Gündogan der wohl wichtigste Vorbereiter des Spiels – Vorlage zum 3:0, aktiv beteiligt am 1:0 und 2:0 sowie an Lewandowskis Großchance. Auch wenn er selbst diesmal nicht traf, zu meckern gibt es da rein gar nichts. Note 1,5.

Lewandowski: Wie immer ein emsiges Arbeitstier. Tolles Tor zum 3:0, hätte mit etwas Glück schon vorher treffen können. Lewandowski in Topform macht einfach Spaß. Note 2.

ssc, 26.01.2013

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