Topspiele in schwatzgelb

Erinnerungen an Berlin 1989

10.05.2012, 19:51 Uhr von:  Henry

Es ist kein großes Geheimnis - Borussia Dortmund und der DFB-Pokal - das war häufig nie eine sehr erfreuliche Kombination! Die Anzahl an Pleiten und Blamagen der Schwarzgelben in diesem Wettbewerb ist um ein Vielfaches höher als die Zahl der Erfolge. Und sehr häufig schieden wir in diesem Wettbewerb gegen unterklassige Vereine aus. Braunschweig, Fürth, Jena, Wattenscheid, Trier, die Amateure von Wolfsburg oder 2010 Kickers Offenbach sind Städte bzw. Fußballclubs, die bei fast jedem Borussen in den letzten Jahren Magenbeschwerden oder finstersten Galgenhumor auslösten! Denn alle diese Teams sorgten dafür, daß der BVB im Pokal frühzeitig ausschied oder - positiver ausgedrückt - die Reisekosten für weitere Auswärtsspiele im Pokal sehr niedrig halten konnte.

Seit Gründung der Bundesliga 1963 kamen die Borussen 4 Mal ins Pokal- Endspiel. Zweimal ging dabei das Finale verloren: 1963 mit 0:3 gegen den HSV und dann 2008, 1:2 gegen die Bayern. Aber kommen wir zu den schwarzgelben Highlights des Pokals und das sind immerhin zwei Pokalsiege: Da wäre zunächst mal der 2:0 Finalsieg gegen die Aachener Alemannia 1965 und dann vor 23 Jahren, das legendäre 4:1 am 24. Juni 1989 gegen Werder Bremen. Und über diesen 4:1 Sieg, der nicht nur Norbert Dickel zum Helden von Berlin machte, sondern noch heute jeden, der im Olympiastadion oder vor dem Fernseher dabei war, zum Schwärmen bringt, will ich heute einige Zeilen schreiben. Es war ein Tag, an dem unsere Borussia endlich wieder einen Titel holte. Denn der letzte Titel, der den BVB-Wimpel damals zierte, war der Europapokalsieg 1966 im damaligen Europapokal der Pokalsieger, ebenfalls 23 Jahre her.

Die Erinnerungen an einen der schönsten Tage seit dem man Borusse ist, sind unvergänglich!

Und was fällt mir auf, wenn ich heute mein Fotoalbum (ja, Fotoalbum – 1989 gab es noch keine Digitalkameras!) aus dem Schrank hole und mir die Bilder von diesem traumhaften Juni-Tag 1989 ansehe? Man stellt fest, daß sich zwar die Frisuren und Haarfarben von meinen Freunden und mir verändert haben – aber die Erinnerungen an einen der schönsten Tage seit dem man Borusse ist, sind unvergänglich! Und darum, an dieser Stelle, für alle die vielleicht ähnliches erlebt haben oder noch nicht dabei sein konnten, mein 23 Jahre alter Augenzeugenbericht:

Der damalige Spritpreis von rd. 57 cent/l erleichterte die Entscheidung von meinem Freund Ralf und mir, zu zweit mit dem Auto zum Pokalfinale zu fahren. Hätte der Kraftstoffpreis schon damals das heutige Niveau gehabt – also fast 3 Mal so hoch – hätten wir sicherlich eine andere Anreise gewählt, aber so fuhren wir Freitagmorgen, den 23. Juni los. Das Auto selbstverständlich geschmückt mit im Fahrtwind flatternden, in den Seitenfenstern eingeklemmten Schals. Eigentlich war uns klar, daß es für unseren BVB in Berlin nicht viel zu holen gab. Der Gegner war Bremen und Werder hatte bis zum Schluss gemeinsam mit Köln und Bayern um die Meisterschaft gekämpft. Letztlich hatte Werder dann als Tabellendritter die Saison beendet. Borussia hatte sich unter Trainer Horst Köppel lange um einen UEFA-Cup-Platz bemüht, die Saison dann aber letztlich als Tabellensiebter abgeschlossen. Damit war Bremen aus unserer Sicht der glasklare Favorit für das Pokalendspiel.

„Alles Gute und viel Glück“ sagte der DDR-Grenzbeamte

Auf der A2 in Richtung Berlin veränderte sich aber nach und nach unsere Stimmungslage. Warum sollte nicht mal ein Außenseiter gewinnen? Schon der Gedanke, in einigen Wochen vielleicht einen neuen BVB- Wimpel für’s Auto mit dem Aufdruck „Pokalsieger 1989“ zu kaufen, hatte etwas sehr Angenehmes. Möglicherweise waren die zahlreichen anderen schwarzgelb geschmückten Autos die uns überholten oder an denen wir vorbeifuhren, der Auslöser für unseren langsam aufkeimenden Optimismus. Blicke mit den Insassen anderer Fahrzeuge wurden ausgetauscht, bei jedem ein Lächeln und das „Daumen hoch“- oder „Victory“-Zeichen. Ganz selten war auch mal ein in Bremen-Farben geschmücktes Auto zu sehen. Das Duell mit Werder hatten wir auf der Autobahn also schon mal klar gewonnen! Etwas gedrücktere Stimmung dann am Grenzübergang zur DDR in Helmstedt-Marienborn. Motor ausstellen und geduldig warten bis die Einreisekontrollen abgeschlossen waren. „Alles Gute und viel Glück“ sagte der DDR-Grenzbeamte völlig unerwartet zu uns und gab uns unsere Reisepässe zurück. Hatten wir da richtig gehört? Ein DDR-Grenzer wünscht den Kapitalisten aus dem bösen Westen Glück? Für uns der beste Beweis, daß Stacheldraht und Spanische Reiter leider vieles aufhalten und trennen konnten – aber Fußball ist in manchen Situationen schlicht und einfach mächtiger als Politik! Daß nur ein Jahr später die DDR, die Grenze und die Berliner Mauer verschwinden sollten, war allerdings an diesem Freitagvormittag im Juni 1989 nicht mal zu erahnen!

„Morgen holt Ihr den Pokal…“

In Westberlin angekommen, stoppten wir in Wedding. Bekannte von Ralf waren vor einigen Jahren von Dortmund nach Berlin gezogen und hatten uns angeboten, bei Ihnen zu übernachten. Nachdem wir eine kleine Sightseeing Tour in der näheren Umgebung unternommen hatten, merkten wir, daß unsere Nervosität langsam anstieg. Der Anpfiff war nur noch 20 Stunden entfernt und das eine oder andere Beruhigungsbier würde sicherlich helfen, dagegen anzukämpfen. Wir betraten also die Gaststätte „Turiner Fass“, schräg gegenüber von der Wohnung unserer Bekannten und kamen sofort mit zahlreichen Gästen ins Gespräch, für die das „Turiner Fass“ wohl der perfekte Wohnzimmerersatz war. „Jungs, Ihr schafft das schon…“, „Morgen holt Ihr den Pokal…“ usw. usw.. Dazwischen immer wieder Schulterklopfen und noch mehr aufmunternde Worte. Unsere ohnehin schon vorhandene Sympathie für die Berliner stieg um einiges an. Wäre ja schön, wenn sich morgen herausstellen würde, daß diese „Propheten“ alle Recht hatten.

Der große Tag des Finales

Samstagmorgen war er dann da, der große Tag des Finales. Nach dem Frühstück waren die leichten Kopfschmerzen, die anscheinend irgendwas mit dem Vorabend im „Turiner Fass“ zu tun hatten, verschwunden. Das Wetter war top, keine Wolke am Himmel und herrliche, sommerliche Temperaturen. Wir nahmen die U-Bahn Richtung Gedächtniskirche und als wir dort ausstiegen war der Anblick schlicht und einfach atemberaubend! Tausende von Borussiafans überall verteilt und dazwischen immer Hunderte von gelben aufblasbaren Bananen. Es war der geniale Marketing Schachzug eines großen Bananenproduzenten, diese überdimensionalen Bananen an die BVB-Fans zu verteilen. Einfach ein unvergesslicher Anblick, als immer wieder Hunderte von Bananen in den blauen Himmel gestreckt wurden. An einem Verkaufsstand erstanden wir 2 Kappen mit der Aufschrift „Pokalfinale Berlin 1989“, selbstverständlich in schwarzgelb. „Habt Ihr die auch in grün weiß?“ fragte ein fast einsamer Bremer Fan. „Nee, wir verkaufen keine Verliererkappen“ antwortete der Verkäufer in herrlichem Berliner Slang. Super! Was für eine Antwort! Berliner Ihr seid Spitze! Ein interessantes „Beiprogramm“ war eine Schwulen- und Lesbenparade auf dem Kudamm, die sich ausgerechnet den Endspieltag für ihren Umzug ausgesucht hatten. Nicht ganz ohne Risiko – aber das Ganze lief absolut friedlich ab. Feiernde Schwule und Lesben inmitten von Fußballfans in Vorfreude auf das Pokalfinale – ein Bild das sich wirklich nicht alle Tage bietet. Und auf Seiten der Fußballfans dominierte klar die herrliche Farbkombination schwarzgelb. Den Anteil der Bremer Fans in der Innenstadt an diesem Tag schätze ich mal auf mickerige 30%. Ein witziger Moment war, als eine Gruppe Bremer Fans ein vorbeifahrendes Polizeifahrzeug, wegen seiner grün weißen Farbe beklatschte und mit „Werder, Werder“ Sprechchören anfeuerte.

Nachdem wir eine Gruppe weiterer Freunde, die erst zum Endspieltag mit dem Zug angereist waren vom Bahnhof Zoo abgeholt hatten, nahmen wir die U-Bahn zum Olympiastadion. Dort angekommen, hatten wir uns mit weiteren Bekannten verabredet, die mit dem Wohnmobil angereist waren. Mittlerweile waren wir um die 20 Leute und wir fassten den Entschluss anstatt das Pokalendspiel der Frauen anzusehen (der Vollständigkeit halber Siegen – Frankfurt 5:1), doch lieber die Atmosphäre rund um das Stadion zu genießen. Ein Fahrer eines Bremer Busses verkaufte uns einen Großteil seiner Dosenbiervorräte. Hatte er möglicherweise eine Vorahnung, daß seine Fahrgäste für den Rückweg nicht mehr so viel Bier trinken wollten?

Die magischen Zigarillos

Vom Sitzplatz im damals noch nicht umgebauten Olympiastadion - mit roter Laufbahn und nur teilweise überdacht - dann wieder ein unvergesslicher Anblick: Wie schon in der Stadt waren die schwarzgelben Fans klar in der Mehrheit. Und überall auf den Rängen wurden wieder die Bananen geschwenkt. Das musste doch heute einfach ein Sieg werden, bei dieser beeindruckenden schwarzgelben Übermacht! Unser Optimismus hielt sich allerdings nur eine knappe Viertelstunde lang. Kalle Riedle, Jahre später einer der BVB-Champions League-Helden machte das 1:0 für Werder Bremen. Schluss, Aus – all die schönen Pokalsiegträume waren wohl ausgeträumt. „Wie wäre es mit einem Zigarillo?“ fragte mich mein rechter Sitznachbar. „Mensch, lass mich doch in Ruhe“ dachte ich. Wir liegen im wichtigsten Spiel des Jahres zurück und mir wird ausgerechnet jetzt als Nichtraucher etwas zu rauchen angeboten. „Danke ich rauche nicht“, antwortete ich, wohl nicht gerade in freundlichem Ton und ziemlich nervös. „Aber diese Zigarillos sind mit BVB-Torgeschmack“ lautete die umgehende Antwort des Nachbarn. „OK was soll’s?“ war mein Gedanke. Beim 0:1 Rückstand sollte jedes Mittel Recht sein, schlimmer konnte es auf dem Rasen ja eigentlich nicht mehr werden. Ich griff in die Blechschachtel und mein Nachbar gab mir Feuer. Ich behaupte, was dann geschah war pure Magie! Ich rauchte den ersten Zigarillo meines Lebens und während dieser Zeit glich Norbert Dickel zum 1:1 aus! „Habe ich doch gleich gesagt“ behauptete mein Nachbar „die Dinger sind mit BVB-Torgeschmack!“

Pokalsieger

Dann die zweite Halbzeit – warum nicht das Orakel noch einmal bemühen? Mit dem zweiten Zigarillo meines Lebens in der Hand durfte ich dann Frank Mills Kopfball zur 2:1-Führung bejubeln. „Lass uns die Sache ganz sicher machen und noch eine rauchen“ lautete die nächste Empfehlung meines Nachbarn. Jetzt war ich restlos überzeugt, rauchen war eigentlich doch nicht so eine üble Sache. Meinem dritten Zigarillo folgte Nobbys Volleyschuss zum 3:1! Grenzenloser schwarzgelber Jubel im Olympiastadion, wir sind ganz nah dran, wir holen endlich wieder einen Titel! Zwischenzeitlich hatten auch andere Zuschauer in unserer Umgebung die Zauberkraft der „Wunderzigarillos“ mitbekommen und der Nachbar verteilte bereitwillig den restlichen Inhalt seiner Schachtel. Fast überflüssig anzumerken, daß wir alle Michael Luschs Treffer zum 4:1 bei einem wohlverdienten Zigarillo genossen. Schlusspfiff! Umarmungen, Freudentaumel, schwarzgelber Wahnsinn, egal in welche Richtung man schaute. Danke Nobby Dickel, Frank Mill und Michael Lusch für vier sensationelle Tore! Danke an Horst Köppel und alle anderen auf dem Rasen! Und ganz wichtig: Danke an meinen „magischen Nachbarn“ und seine „magischen Zigarillos“.

Um ganz ehrlich zu sein, kann ich die folgenden Stunden unserer Siegesfeiern nicht mehr ganz hundertprozentig rekonstruieren. Was folgte waren mehrere Pokalsiegerpils in diversen Gaststätten und die letzte Station war erneut das „Turiner Fass“. Wir umarmten die „Propheten“, die uns am Vorabend noch unseren Pokalsieg vorhergesagt hatten und schwebten dann auf Wolke 09 irgendwann ins Bett.

Die Rückfahrt nach Dortmund am folgenden Tag war wie ein Triumphzug. Fahrer anderer Fahrzeuge hupten und grüßten, wenn sie heimfahrende BVB-Fans sahen. Applaudierende Leute auf Autobahnbrücken und an Raststätten. Ein tolles Gefühl, Pokalsieger zu sein! Wieder in Dortmund angekommen waren die Siegesfeiern am damals neu eingeweihten Rathaus am Friedensplatz schon so gut wie vorüber. Aber egal, wir waren in Berlin dabei, wir haben unvergessliche Momente erlebt und ich habe das Geheimnis der „Wunderzigarillos“ live erlebt.

Ich bin seit diesem Erlebnissen zwar nicht zum Raucher geworden, aber eins weiß ich jetzt schon: Am kommenden Samstag nehme ich eine Schachtel Zigarillos mit ins Olympiastadion! Und falls mein 89er Nachbar zufällig diese Zeilen lesen sollte, auch an ihn die dringende Bitte: Auf keinen Fall vergessen die Zigarillos mit Torgeschmack einzustecken!

Auf zum Double!

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