Vereinsrekord unter Misstönen
Eigentlich sollte an dieser Stelle ein durchweg heiterer Spielbericht zu finden sein. Über einen knappen 1:0-Heimsieg, dank dem wir trotz einer weiteren bayerischen Tore-Gala mit einem breiten Grinsen Richtung München lächeln können. Seit 20(!) Spielen ungeschlagen – neuer Vereinsrekord. Wahnsinn! Über die ebenso sensationelle wie mysteriöse Tatsache, dass Chuck Sven Bender zu Beginn des Spiels auf der Bank Platz nehmen musste, obwohl er zuvor ganz offensichtlich mit zwei Beinen ins Westfalenstadion eingelaufen war. Und über den würdigen Abschied des ewigen Deutschen Meisters Timo Konietzka. Eigentlich. Denn einige Vorgänge auf der Südtribüne verliehen dem Nachmittag einen faden Beigeschmack. Doch dazu später mehr, denn trotz dieser negativen Begleiterscheinungen wollen wir die fantastische Leistung unserer Borussia im Mittelpunkt wissen.
Vorspiel
Die Tatsache, dass Manni Bender auf dem Aufstellungsbogen lediglich bei den Ersatzspielern gelistet wurde, kann eigentlich nur einen einzigen Grund haben: Vor dem Spiel hat sich unsere Nummer 22 den Bremer Kader zur Brust genommen und einen Werder-Akteur nach dem anderen umgeschmiert. Ein Fingernagel im Auge verhinderte dann höchstwahrscheinlich einen Einsatz in der Startelf. Zitat Stadionheft: "hart härter bender" - Pah, Lügenpresse! Zugegeben, bei der Vorstellung einer Streetfight-Szene zwischen Manni und Tim Wiese musste ich schon schmunzeln. Anders kann ich es mir jedoch nicht erklären, warum die Bremer derart ersatzgeschwächt antraten und ich beim Blick auf ihre Aufstellung flugs zur Fußballfibel greifen musste. Denn die personelle Misere führte dazu, dass die Gäste mit exotischen Namen wie Zlatko Junuzovic, Florian Hartherz und Niclas Füllkrug auf dem Spielberichtsbogen überraschten. Vor dem Spiel gedachte das ausverkaufte Westfalenstadion noch einmal dem kürzlich verstorbenen Timo Konietzka. Steph hatte, wie ich finde, unter der Woche bereits sehr passende Abschiedsworte gefunden. Während die Jubos ihn mit einem kleinen, aber feinen Spruchband ehrten, sagen auch wir noch einmal: Ruhe in Frieden, Timo. Für immer Deutscher Meister!
Auffem Platz
Zumindest der lautstarken Unterstützung von 6.500 mitgereisten Werder-Fans konnten sich die stark dezimierten Gästekicker, so schien kurz vor Spielbeginn, gewiss sein. Denen gelang es nämlich, sich im Vorfeld der Partie mehrmals und gut hörbar in Szene zu setzen. Da half nur eins: Dagegen halten und auf dem Rasen zeigen, wer der eigentliche Herr im Haus ist. Gesagt getan. Es waren keine acht Minuten gespielt, da pfefferten unsere Jungs einen Spielzug aufs Parkett, wie er wohl in keinem Fußball-Lehrbuch besser beschrieben sein könnte. Kevin flankt, Ilkay steht vollkommen frei und legt mustergültig auf Geburtstagskind Shinji ab und der kann sich, allein von Freund und Fein, aussuchen, wie er den Ball über die Linie bringen möchte. 1:0, die bis dato mit zwei Viererreihen dicht gestaffelte Bremer Hintermannschaft mit einem schnellen Gegenzug überrumpelt. „Massiert" ist im Munde eines Fußball-Liebhabers ein äußerst hässliches Wort, traf hier allerdings zu. Der Gästeblock verstummte langsam und konnte sich in der Folge nur selten, mit einem wirklich starken Wechselgesang und Anti-HSV-Schlachtrufen, echtes Gehör verschaffen.
Währenddessen läutete die geduldige Borussia mit einer meisterlich-souveränen Defensive im Rücken langsam aber sicher ein munteres, leider aber erfolgloses, Zielschießen ein: Kubas Distanzschuss wurde abgefälscht und segelte knapp am Kasten vorbei (16.), Großkreutz scheiterte frei vor Wiese-Ersatz Mielitz (18.), Lewandowski haute den Ball über den Kasten (26.) und Kehl traf nach der ersten guten Flanke von Marcel Schmelzer seit gefühlten 1909 Jahren leider nur die Querlatte, von wo aus die Kugel Wembley-artig knapp vor die Torlinie sprang (35.). Der gegnerische Defensivverbund, für Bremer Verhältnisse verdammt tief in der eigenen Hälfte verankert, begann zu bröckeln. Mindestens ein weiterer Treffer gegen einen SVW, der sein Potenzial bis dorthin aufgrund der vielen Ausfälle nur andeuten konnte, wäre nicht nur beruhigend, sondern auch voll verdient gewesen.
Das Dortmunder Fanlager konnte seinen Stimmungs-Aufwärtstrend in Durchgang eins weitgehend bestätigten und baute erst nach der Pause etwas ab. Und nicht nur das: Zur Überraschung vieler ging mit Beginn der zweiten Halbzeit auch die latente, im Jahr 2012 beinahe schon chronische Siegesgewissheit flöten. Denn unsere Elf büßte im Vergleich zu den ersten 45 Minuten einiges an Zielstrebigkeit ein. Ganz anders die Gäste, die es ihrerseits schafften, das Spiel mit neuem Mut noch einmal offen zu gestalten. Auch die Werderaner im Norden wachten wieder auf und obwohl allein der BVB mit Kagawa (55.), Piszczek (66.) und Gündogan (70.), wirklich gute Chancen produzierte, blieb auf den Tribünen das unangenehme Gefühl, hier jederzeit noch den Ausgleich kassieren zu können. Er wäre wirklich nicht unverdient gewesen.
Stark: Genau in dieser Situation zeigte das gesamte Westfalenstadion die einzig richtige Reaktion und legte gegen Ende der Partie akustisch noch einmal mächtig zu. Wir halten fest: Mit ein wenig Zittern drei weitere Punkte im Sack! Sage und schreibe 20 Spiele in Folge ungeschlagen, in der Rückserie erst zwei Punkte abgegeben und, als wäre das nicht schon genug, am Dienstagabend die Chance, ins Pokalfinale einzuziehen. Borussia ist Wahnsinn! Also weiter schön die blanken Beißerchen fletschen und recht freundlich Richtung Süden lächeln. Bleibt vorerst nur noch, diesen Spielbericht mit Jammern auf hohem Niveau(?) zu garnieren: Unsere Freistöße und Eckbälle, heute mal überwiegend in kurzer Ausführung, sind weiterhin erschreckend ungefährlich und eines der wenigen echten Makel in unserem aktuellen Spiel.
Nachspiel
Nun zu den bereits angekündigten, negativen Begleiterscheinungen inmitten der Südtribüne. Was war geschehen? Zum Ende des Spiels tauchten in Block 13 zwei unangenehme Transparente der Desperados auf, die einige Personen zudem wohl in ihrem Sichtfeld störten. Es wurde deshalb versucht, den Konflikt über Sinn oder Unsinn körperlich zu lösen. Das eigentlich pikante dabei ist, dass die Banner auch mit Inhalten „glänzten", über deren Geschmacklosigkeit es keine zwei Meinungen gibt: „Lieber 'ne Gruppe in der Kritik als Lutschertum & Homofick" sowie „Gutmenschen, Schwuchteln und Alerta-Aktivisten, wir haben euch im 20 vs. 100 gezeigt, was Fußball ist" stand dort geschrieben.
Verstanden werden sollten sie wohl als eine Replik auf die links gerichteten Bremer Ultras-Gruppierungen, welche sich – unter anderem – offen und regelmäßig gegen Homophobie, also Schwulen- und Lesbenfeindlichkeit, einsetzen und die ihrerseits die Desperados bereits mehrfach in die rechte Ecke gerückt haben. Doch mit diesen, für mich beschämenden, Plakaten haben die DES zu Mitteln gegriffen, die jenseits gruppeninterner Kleinkriege sind. Die Südtribüne ist ein bunter Pool der verschiedensten Gruppen unserer Gesellschaft, deren kleinster gemeinsamer Nenner der BVB ist, und als solcher ein äußerst schützenswertes Gut.
Doch so kann bei Außenstehenden der Eindruck wachsen, dass es sich bei diesen Botschaften um einen Grundkonsens der Südtribüne handelt. Auf diese Art und Weise entsteht ein Zerrbild, das keinesfalls der BVB-Anhängerschaft als Ganzes entspricht. Mindestens genauso schlimm ist die Tatsache, dass solche Äußerung fernab vom Ultras-Horizont mehr als nur ein Mittel zur Provokation des Gegners darstellen. Diskriminieren sie doch gleichzeitig auch Teile der eigenen Fanszene. Schließlich ist Homosexualität längst Teil unserer Gesellschaft. Beim Erstellen der Banner wurde darüber aber unverständlicherweise hinweg gesehen. Fakt ist: Homophobie und ähnliches Gedankengut haben in keinem Fußballstadion der Welt etwas verloren!
Ferdinand, 18.03.2012