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Die Woche des Wahnsinns
Samstag: Hamburg
Als Jakub Blaszczykowski gegen 17:20 Uhr den Ball volley in die Maschen drosch, war die schwarzgelbe Welt wieder in Ordnung. Was für eine Truppe wir da haben! Spielt den HSV im eigenen Stadion an die Wand und gibt trotz unglücklichem Gegentor, Pfosten, Latte und Rettungstaten à la Jürgen Kohler weiland in Manchester nicht auf. In der 92. Minute wird die Mannschaft endlich belohnt und liefert in der Summe wohl den letzten Beweis, dass sie psychisch völlig stabil ist und weiterhin im Wochentakt erstklassige Leistungen auf den Platz bringen kann.
Entspannte Zeiten in Dortmund, sollte man meinen. Doch was dann folgte, waren in der Summe vielleicht die unwürdigsten sieben Tage des Jahres.
Sonntag: Leverkusen
Bereits einen Tag nach der großen Partie in Hamburg trägt Dortmund schon wieder Trauer. Ob wir wohl "wieder" alles "verdaddeln"? Was dabei gern vergessen wird: Für sich genommen ist die Rückrundenbilanz der Borussia völlig in Ordnung. Bei einer Bilanz von 6-5-1 stehen 23 von 36 möglichen Punkten zu Buche, also ein Schnitt von etwa zwei Punkten pro Spiel. Gemessen an den anderen Halbserien unter Klopp ist das die zweitbeste, und alle Rechenspiele im Winter hätten uns bei einem solchen Schnitt praktisch uneinholbar vorn gesehen.
Den Strich durch die Rechnung macht nur Bayer Leverkusen. Durch das glückliche (wenn auch völlig verdiente) 2:1 gegen den FC St. Pauli stehen sieben Siege aus den letzten acht Spielen zu Buche, und mit solchen Serien holt man auf jeden Verein der Welt Punkte auf. Ohne dass die Konkurrenz groß was verspielen würde.
Montag: Robert Lewandowski
Eine Sau, die gerne mal durchs Dorf getrieben wird, ist unser polnischer Neuzugang. Erstaunlich eigentlich, weil man gar nicht so richtig verstehen kann, was dem Jungen da vorgeworfen wird. Er ist von Hause aus Stürmer, und dass er weiß, wo das Tor steht, hat er in dieser Saison auch schon das ein oder andere Mal nachgewiesen. Nur wird er in dieser Rückrunde verletzungsbedingt vor allem hinter den Spitzen eingesetzt, und da reicht seine Klasse unbestritten nicht an die von Shinji Kagawa oder Mario Götze heran. Aber ist das wirklich ein fairer Vergleich? Mario Götze als Stoßstürmer würde wahrscheinlich auch keine Bäume ausreißen, und ob Lucas Barrios die Rolle als Zehner besser als Robert Lewandowski ausfüllen würde, möchte man ebenfalls bezweifeln. So wird Vielseitigkeit in der öffentlichen Meinung zum Nachteil.
Am Sonntag wird ihm diese Rolle jedenfalls erspart bleiben, da Lucas Barrios wie bekannt ausfällt. Zum Glück wohl nur eine Woche, denn langsam wird es vorne richtig dünn.
Dienstag: Top-Zuschlag
Durch die Hintertür hat Borussia den Saisonabschluss gegen Eintracht Frankfurt zum Topspiel hochgestuft. Eine aus wirtschaftlichen Gründen sicher nachvollziehbare Entscheidung, bei der sich allein die Art und Weise etwas fragwürdig ausnimmt: Kein offenes Wort im Vorfeld der Verlosung, nur grobe Preiskategorien im Formular, ein einziger Hinweis versteckt auf der ganzen Website. Für den Kunden ist der Zuschlag erst mit Versand der Reservierungsschreiben erkennbar, was die wenigen Glücklichen kaum jucken wird. Umso unverständlicher, dass man damit nicht offener umgegangen ist.
Sowieso nehmen sich die Preise im Ticketshop noch ziemlich human aus, wenn man sich die Angebote bei einschlägigen Online-Auktionshäusern ansieht. Erschreckend, wie viele Schmierlappen es unter hunderttausend Freunden gibt, die kein Probleme damit haben, ihre Dauerkarte meistbietend für ein halbes Monatsgehalt zu verscheuern.
Mittwoch: Nuri Sahin
Wahrscheinlich die perverseste Debatte der ganzen Woche. Zwar hat so ziemlich jedes Presseerzeugnis des Landes den guten Nuri Sahin schon zur Sommerpause verkauft, und trotzdem schafft es die bei BVB-Themen bekanntermaßen schlecht informierte Bild-Zeitung, halb Dortmund mit seiner Meldung in Aufruhr zu versetzen, dass Sahins neuer Arbeitgeber Real Madrid heißt. Fragt sich nur, ob die FIFA da mitspielt, schließlich hat er ja schon beim FC Bayern, in Leverkusen, bei Inter Mailand und auch in Liverpool unterschrieben. Mal gibt es eine Klausel, mal gibt es keine, mal sind es 6 Mio. Euro und mal mehr. Mein Tipp: Wenn nächste Woche dann der FC Barcelona anklopft, wird es wohl auf einen ablösefreien Wechsel hinauslaufen.
Dass Nuri Sahin selbst immer wieder seine emotionale Nähe zu Borussia bekundet und mit keinem Wort bisher Interesse an einem Vereinswechsel hat erkennen lassen, fällt natürlich nicht ins Gewicht. Der gemeine Fan glaubt halt lieber den gesammelten Unsinn von oben.
Donnerstag: Bastian Schweinsteiger
Das nächste Drama ereignet sich in München. Nicht nur Vollpfosten Arjen Robben und Trainer Louis van Gaal fallen für das Spiel gegen Leverkusen aus, nun hat es auch Basti Schweini (und tags darauf Franck Ribéry) erwischt. War der Nullinger für Bayer 04 zuvor fest eingeplant, würde es heute niemanden mehr verwundern, wenn das Spiel ausfällt, weil der FC Bayern die Punkte bereits per Einschreiben nach Leverkusen verschickt hat.
Keine Rolle spielt dagegen, dass gerade Schweinsteigers Saison nur mit gutem Willen als durchschnittlich bezeichnet werden kann, dass die Bayern nach dem Trainerwechsel sicher hochmotiviert sein werden und dass Leverkusen in den letzten Wochen seine Gegner wahrlich nicht an die Wand gespielt hat. Und natürlich, dass es völlig ausreicht, wenn wir unsere Spiele gewinnen.
Freitag: Ticketverlosung
Schön war die Zeit Ende Februar und Anfang März irgendwie doch, als nicht mehr die Frage im Vordergrund stand, ob der BVB die siebte Deutsche Meisterschaft feiern darf, sondern bloß noch über Ort und Zeitpunkt diskutiert wurde. Lieber zuhause oder auswärts? Wäre es an Oma Ernas Geburtstag wirklich passend? Und natürlich die Horrorvision schlechthin: Könnte man es ertragen, wenn der BVB nicht durch einen eigenen Sieg Meister wird, sondern weil die Konkurrenz vorher oder nachher ihre Spiele verliert?
Ein kleines Revival dieser seligen Zeiten gab es dann am Freitag zu bestaunen: Dank 396.064 Anfragen für Karten zum Saisonfinale gegen Eintracht Frankfurt wurde in Dortmund die größte Verlosung außerhalb des Deutschen Lotto- und Totoblocks veranstaltet, und mit einem Schlag waren all die Dramen der vorigen Tage vergessen: Die B-Elf der Bayern, die Top-Zuschläge bei eBay und auch Nuri Sahins Wechsel nach Bielefeld. Hauptsache, man darf dabei sein, wenn unser brasilianisches Urgestein verabschiedet wird. Und bei allem, was da noch kommen mag.
Tu felix Borussia. Wir haben wirklich keine anderen Sorgen.
Sonntag: Bundesliga
Borussia Dortmund: Weidenfeller - Schmelzer, Hummels, Subotic, Piszczek - Sahin, Bender - Großkreutz, Götze, Kuba - Lewandowski
SC Freiburg: Baumann - Butscher, Toprak, Barth, Mujdza - Schuster - Putsila, Makiadi, Flum, Caligiuri - Cissé
Schiedsrichter: Zwayer - Schalk, Emmer - Assmuth
Westfalenstadion: praktisch ausverkauft, nur noch 600 Karten für Dortmunder und 300 für Gästefans
Scherben, 16.04.11
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