Unsa Senf

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09.05.2011, 13:32 Uhr von:  Redaktion

Nuri Sahin verlässt Borussia Dortmund. Der 22jährige türkische Nationalspieler wird ab der kommenden Saison das Trikot der Königlichen aus Madrid überstreifen. Sein Vertrag dort wird bis 2017 laufen. Der in Lüdenscheid geborene Sahin wird somit der erste Türke sein, der das legendäre Trikot überstreifen wird. Es wird die Türken mit Stolz ausfüllen. Einer von ihnen hat es geschafft. Gegen alle Widerstände, die sich ihm über die Jahre hinweg in den Weg gestellt haben. Der beste Bundesligaspieler der abgelaufenen Saison, der Herzstück der Dortmunder Meistermannschaft wird aufgrund einer Ausstiegsklausel nach Spanien transferiert. Das sind die nüchternen Fakten eines höchst emotionalen Transfers.

„Zwei gehen gemeinsam / Der ist anders / Auch der ist anders / Vielleicht sind es mehrere / Denn manchmal blicken zwischen ihnen / fremde, gefühllose Gesichter / gezeichnet von Grausamkeit / Dann umarmen sie einander / Dann sind sie einer / Mit offenem Mund schnappt der eine / verschlingt Luftklumpen / ein Spielball in den Händen des harten Winds"

„Es gibt ein schönes Bild, das aus dieser Zeit stammt. Jan Koller und Tomas Rosicky bejubeln vor der Süd einen Treffer, am Bildrand sehen wir einen kleinen Balljungen, der begeistert gegen die Bande schlägt. Ein Betreuer schaut lächelnd auf ihn hinab. Der Mund des Jungen ist weit aufgerissen, die Augen strahlen, die Augenbrauen sind imposant. Es ist Nuri Sahin, der aus solchen Momenten sicher seine Motivation gezogen hat. Sahin, das Herzstück der Mannschaft, spielt eine überragende Saison." schrieb ich im September 2010 im Sevilla-Vorbericht. Die Meistersaison war gerade ein paar Wochen alt, doch Nuri Sahin hatte sich bereits zu diesem frühen Saisonzeitpunkt in den Vordergrund gespielt. Das dort beschriebene Bild symbolisierte das Borussen-Herz, welches in Sahin schon seit so vielen Jahren schlug. Sein Traum, hatte er später einmal gesagt, sei es die Borussia in einem Champions-League-Spiel als Kapitän auf den Platz zu führen.

Für diesen Traum hatte Sahin seine Ausbootung unter Thomas Doll in Kauf genommen und war in seinem Auslandsjahr unter Bert van Marwijk in Rotterdam gewachsen. Nach seiner Rückkehr im Sommer 2008 setzte er sich unter ungünstigen Voraussetzungen durch. Er verweigerte einen Transfer, er wollte seinen Traum leben und mit Borussia Dortmund etwas erreichen. In den kommenden beiden Spielzeiten entwickelte sich Nuri zu dem Herzstück des neuen Dortmunder Spiels. 2009 verlängerte Nuri Sahin seinen Vertrag bis 2013. „Wir waren damals nicht die schönste Braut" sagt Aki Watzke heute über diese Zeit, die sportliche Entwicklung war noch nicht absehbar, Sahin-Berater Fazeli ließ eine Ausstiegsklausel in den Vertrag einbauen. Nuri blieb und dirigierte die Schwatzgelben zur ersten Meisterschaft seit neun Jahren, zugleich die wohl romantischste Meisterschaft der Vereinsgeschichte.

Das junge Team, so hört man, hatte sich geschworen, den Verein nicht zu verlassen. Sie wollten gemeinsam große Dinge erreichen und nicht bei der ersten Gelegenheit auf das große Geld schielen. „Ja, wir haben in Dortmund wirklich eine besondere Konstellation. Wir erleben eine Ausnahmesituation. Das ist so besonders, dass ich nicht weiß, ob ich so etwas noch einmal erleben werde, wenn es in Dortmund einmal vorbei sein sollte. Ich weiß nicht, wie lange das anhält, aber missen möchte ich das auf keinen Fall" berichtete Mats Hummels noch in einem ZEIT-Interview im März 2011. Längst waren da die ersten Gerüchte um Nuri Sahin in der Welt.

Im Dezember 2010, kurz vor dem entscheidenden Europa-League-Rückspiel in Sevilla, wird über einen möglichen Barrios-Transfer zu Real Madrid spekuliert. Es wird vielfach als ein branchenübliches Störfeuer der spanischen Presse abgetan. Auf der Pressekonferenz vor dem Spiel äußerte sich Jürgen Klopp zu den Gerüchten: „Es gibt viele Spieler in der Bundesliga, die für Real interessant wären. Für Barcelona vielleicht nicht, aber für Real würde es reichen." Zu dem Barrios-Transfer würde es nie kommen, nach dem Sevilla-Spiel verstummte das Gerücht.

Derweilen wurde in Dortmund weiterhin fleißig über eine mögliche Ausstiegsklausel von Sahin spekuliert. Der deutsche Rekordmeister Bayern München zeigte großes Interesse, doch sowohl der Verein als auch Sahin ließen sich von den Gerüchten nicht beeindrucken. Auch diese Gerüchte verstummten, doch die Ausstiegsklausel war in der Welt. Spätestens jedoch als Mats Hummels sein Vertrag in Dortmund verlängerte und sich damit gegen seinen Heimatverein Bayern München entschied und derweilen die Young Guns unbeeindruckt von allem medialen Druck in Richtung Meisterschaft stürmten, verdrängten wir unsere Sorge um einen möglichen Nuri-Abgang. Wir warteten täglich auf die Vertragsverlängerung, aber viel mehr warteten wir täglich auf den Tag der Meisterwerdung. Wir waren alles Fußballromantiker. Wir lebten den Traum. Es ging um die Auferstehung aus den Trümmern des Niemeierschen Größenwahns, es ging um die von Mannschaft, Verein und Fans geformte Einheit, es ging um den großen Traum von der perfekten Saison.

Der Tag der Meisterwerdung kam, der Tag der Vertragsverlängerung kam nicht. Es hatte sich längst Unruhe unter den Jubel gemischt. Es war nicht nur die im Rückblick unberechtigte Sorge um das Verspielen der Meisterschaft, es war die Angst vor dem Auseinanderbrechen der Mannschaft, die uns bedrückte. „Mit Nuri in die Champions League" hieß es auf einem Banner und der so angesprochene antwortete: „Die Fans wissen wie ich mich entschieden habe". Es war der 17. April 2011, das Spiel gegen den SC Freiburg gerade beendet. Was wir an diesem Sonntag im April nicht wissen konnten, Nuri Sahin hatte soeben seine letzten Einsatz im Trikot der Borussia gehabt. Mit einer Knieverletzung fiel er für das Saisonfinale aus.

Während wir in Gladbach verloren und gegen Nürnberg den Titel holten, hatte Nuri viel Zeit über seine Zukunft nachzudenken. Mit Sicherheit lag ihm ein unterschriftsreifer Vertrag in Dortmund vor und mit Sicherheit hatte er mehrmals mit dem Gedanken gespielt, den Vertrag auch zu unterschreiben. Doch würde das Interesse von Real Madrid auch noch in einem Jahr bestehen? Er würde der erste Türke im Trikot der Königlichen sein und mit seinem Kumpel Mesut Özil hätte er bereits einen Freund bei Real. Was in den Wochen nach dem Freiburg-Spiel passierte, darüber können wir heute nur spekulieren. In der Mannschaft, so Nuri auf der heutigen Pressekonferenz, war man sich einig, dass man bei einem Angebot eines großen Vereins noch einmal über den Schwur reden müsse. Nuri hatte dieses Angebot eines großen Klubs nun auf dem Tisch, er entschied sich gegen die Vertragsverlängerung und für den Sprung zu einem der namhaftesten Klubs in ganz Europa. Er entschied sich gegen einen eventuellen Legendenstatus in Dortmund und wechselte zur Legende. Mit einer Entscheidung für Borussia wäre er nicht automatisch der neue Michael Zorc oder der neue Leonardo Dede geworden. Mit der Entscheidung für Real Madrid hingegen beschreitet Nuri seinen Weg konsequent weiter.

„Ich bin sehr stolz darauf diesen Schritt zu gehen. Es ist mir sehr schwer gefallen. Ich bin ein Borusse und bleibe Borusse" hat Nuri Sahin heute auf der Pressekonferenz gesagt und mit stockender Stimme ergänzt: "Der Abschied von der Mannschaft fiel mir sehr schwer. Sie ist mir sehr ans Herz gewachsen und der Abschied war sehr emotional." Wir sollten ihm diese Worte glauben und ihm am Samstag für die großartigen Jahre im Borussia-Trikot danken. Das Herz der Meistersaison hat heute jedoch aufgehört zu schlagen. Und Hand aufs Herz, Nuri. Deine Worte nach dem Freiburg-Spiel konnte man anders interpretieren. Aus den Dortmunder Fußballromantikern sind wieder normale Fans geworden. Wir haben den Traum ein Jahr gelebt und dafür werde ich auf ewig dankbar sein.

steph, 09.05.2011

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