Rubbeldikatz am Borsigplatz - Das Meisterwochenende
Der Versuch ein Wochenende in Worte zu fassen. Es ist nicht einfach. Das Wochenende wird für immer in Erinnerung bleiben. Rubbeldikatz am Borsigplatz! Los geht es!
Montag, 16.Mai 2011
9.09 Uhr – Über dem Ruhrgebiet liegt ein grauer Regenschleier. Aufstehen, Frühstücken, Kaffee machen. Danach nachschauen: Das Wochenende war kein Traum. Oder aber das hier ist die 400.000 fache Borussia-Show. Traue so etwas niemandem zu. Rubbeldikatz am Borsigplatz.
Freitag, 13.Mai 2011
18.49 Uhr – In der Nordstadt. Christoph spielt den BVB Boogie Woogie. Christoph ist eigentlich an Fußball nicht interessiert. Er wurde von Klaus und Ente mitgeschleppt. Jetzt steht er auf der Bühne im Subrosa, soundcheckt, neun Leute tanzen.
21.09 Uhr – schwatzgelb-Autor Malte D berichtet von seinen Erlebnissen mit Rollo Fuhrmann. Es geht um 15 Minuten in einem Pissoir. Damals in Andalusien. Im Dezember, als wir schon auf der Welle waren. Auf der Leinwand laufen die vier Minuten im Mai.
22.53 Uhr – Klaus zählt die Spieler auf und vergisst Kagawa Shinji. Das will Ente nicht auf sich sitzen lassen, er ergreift das Mikrofon und stimmt zum dritten Mal an diesem Abend Kagawa Shinji an. Auf der Bühne stehen urplötzlich zehn Leute, der Rest des Ladens singt und schreit und tanzt und trinkt. Alle tragen sie die schönsten Farben der Welt. Um 23 Uhr hat Klaus aus zwei Liedern rund 40 Minuten Spielzeit gemacht. Ich lege „In der Wanne" auf, Klaus sagt, dass er dieses Lied jetzt nicht mehr spielen würde. Egal, mit dem BVB-Walzer geht die Nacht weiter. Sie endet spät. Eine Stunde Schlaf muss reichen. Man wird nicht so häufig Meister. Und so wird man nie wieder Meister.
Samstag, 14.Mai 2011
11.09 Uhr – Aufstehen, ein Toast, einmal Rubbeldikatz am Borsigplatz und hoch zum Stadion. Die Stadt kennt längst nur noch eine Farbe und wenn mich nicht alles täuscht, steht dort gerade Neven Subotic und tanzt auf einem Autodach. Er ist es nicht. Aber wer kann das jetzt schon so genau sagen? Ich auf jeden Fall nicht. In die Möllerstraße einbiegen, die letzten Meter hoch zum Bürgermeister. Einstimmen auf den Tag, der keine Einstimmung benötigt. Auf der Lindemannstraße hält sich hartnäckig das Gerücht, dass im Stadion heute noch ein Fußballspiel ausgetragen wird. Überlege, mir das mal anzuschauen und mache mich auf den Weg. Überall stehen die Menschen, die diese Saison so besonders gemacht haben und alle haben dieses Leuchten in den Augen. Dieses Leuchten, das Jürgen Klopp am nächsten Tag sogar noch hinter seiner Sonnenbrille wahrnehmen wird. Es überstrahlt alles. Ich erkläre einigen leuchtenden Augen mein Problem. „Ich mach heute den Spielbericht. Denn das Spiel findet ja tatsächlich statt." „Ach, komm. Schreib einfach „Deutscher Meister 2011" halten sie mir entgegen. Ich verabschiede mich mit einem dreifachen Rubbeldikatz am Borsigplatz, denke über ihren Vorschlag nach, und obwohl ich gerade erst von dem anstehenden Spiel gegen Frankfurt erfahren habe, entscheide ich mich gegen die Kurzform, ich biege auf die Strobelallee ein. Der komplette Wahnsinn. Ausgelassene Euphorie, die größte Freude über das Geschenk unseres Lebens.
14.49 Uhr – Die Mannschaftsaufstellung ist da. Neven Subotic ist nicht im Kader, war er es gerade doch? „Rachenentzündung" raunt man sich im Presseraum zu. Sven Bender nimmt auf der Bank Platz, und wird dort neben Leonardo Dede und Florian Kringe sitzen. Der Fette mit die 6 hat es also auch noch in den Kader geschafft. Ich bete für ein paar Einsatzminuten, die hätte sich Florian verdient. Die Pressetribüne platzt aus allen Nähten. Das Stadion dürstet nach der Mannschaft. Es bekommt erst einmal eine Verabschiedung und noch eine Verabschiedung.
15.19 Uhr – Dede und Nuri stehen vor den Trainerbänken, sie werden verabschiedet. Fällt der Applaus bei Nuri noch verhalten aus, kennt das Stadion bei der Verabschiedung von Dede keine Grenzen mehr. Am Ende steht er mit freiem Oberkörper und hochrotem Kopf vor der Süd und sprintet in Richtung Kabine. Die Choreo beginnt mit einem Meer aus schwarzen und gelben Fahnen. Ein beeindruckendes Bild. Auf der Süd breitet sich eine Meisterfahne aus. 50x50 Meter soll sie groß sein, unten spannt sich der erste Teil der Choreo mit „Deutscher Meister 2011". Zuerst sieht man dann Weidenfellers grünes Trikot, Stück für Stück ziehen die Seile nun die legendärste aller Borussen-Mannschaften nach oben. Das Team 2011, festgehalten für die Ewigkeit. Auf den Leinwänden erklärt Jürgen Klopp: „Der Titel ist für die Geschichtsbücher, der Weg dahin wird für immer in unseren Herzen bleiben." Der Film der Saison läuft im Schnelldurchlauf an mir vorbei. Schmelzers Tor gegen Stuttgart, der Derbyempfang, das 2-1 in Köln, der späte Freistoß von da Silva, die Chance von Kuba, der Abend in Leverkusen, der Traum in München, das Götze-Solo gegen Hannover, die Gelbe Wand in Gladbach, der Titel gegen Nürnberg. Der Titel, von dem ich bereits im Januar wusste. Der Titel, den ich für diesen Tag vorausgesagt hatte und der doch so überraschend kam. Immer wieder sehe ich Neven und die Gesichter an der Bushaltestelle.
15.33 Uhr – Das Spiel beginnt. Für Frankfurt geht es um alles, für Borussia um noch viel mehr. Es geht um die Ehre. Schnell wird sich Marcel Reif dann auch festlegen. Hier geht es nicht mit rechten Dingen zu, das ist Wettbewerbsverzerrung, fabuliert er während des Spiels mehrmals, erzählt man sich später. Doch auf dem Platz übernimmt Borussia sofort das Kommando. Mario Götze spielt für den angeschlagenen Bender auf der Sechs, neben ihm spielt da Silva. Kuba bearbeitet mit seinem Landsmann die rechte Seite, links tritt das bewährte Duo Schmelzer/Großkreutz zum letzten Mal in dieser Saison gemeinsam an. Nach zehn Minuten läuft Barrios zum Elfmeter an, Fährmann hält souverän. Das youtube-Video hat nicht gelogen. Es kursierte nach der Verpflichtung von Barrios und zeigte seine Welttorjägersaison. Auch damals waren Elfmeter nicht gerade seine Stärke. Auf den Tribünen sind auch die Frankfurter laut. Es ist ein schönes Gegeneinander. Ihre „Und ihr wollt Deutscher Meister sein?"-Gesänge bleiben jedoch ein Rätsel. Ich schau auf die vor mir liegende Tabelle. Wir sind Deutscher Meister, denke ich und frage vorsichtshalber auch noch einmal bei den Nachbarn nach. Sie bestätigen es mir. Es dauert bis zur 44. Minute, es dauert etliche ungenutzte Borussia-Chancen, die mit der für diese unglaubliche Saison so üblichen Chancenverwertungsproblematik einhergehen, bis der Abstiegskandidat aus Frankfurt erstmals gefährlich vor das Tor von Weidenfeller kommt. Doch Gekas scheitert einmal aus gut 25 und einmal aus gut drei Metern. Gladbach führt in Hamburg. Für Frankfurt sieht es zur Pause nicht gut aus.
16.36 Uhr – Die zweite Halbzeit beginnt mit einer Pyroshow auf der Südtribüne, daher auch mit einiger Verzögerung und nach einer Zeigerumdrehung hat Weidenfeller den Rekord verloren. Rode schiebt eine Gekas-Vorarbeit aus zwei Metern ins Tor. Die überraschende Führung für die Frankfurter, deren Fans jetzt erstmal den Randalemeister 2011 und somit sich selbst feiern. Ein fragwürdiges Selbstverständnis. Wieder ist das Spiel für längere Zeit unterbrochen, Amanaditis steigt auf den Zaun und bittet herzlichst um ein wenig Ordnung. Die kehrt wieder ein, der Eintracht scheint es jetzt zu genügen. Die Borussen greifen nunmehr mit drei Spitzen an und dominieren das Spiel weiterhin. Nach 68. Minuten ist es dann soweit. Lukasz Piszczek, die Überraschung der Saison, erobert den Ball auf rechts, bleibt irgendwie am Ball und spielt den Ball mit der Hacke zum Hackenkönig Barrios, der aber diesmal auf die Hacke verzichtet und den Ball an Fährmann vorbei ins Netz legt. 1-1. Frankfurt ist wieder unten. Wenige Minuten später schlendert Hummels durchs Mittelfeld, erst hat er den Ball vergessen, holt ihn sich dann wieder und spielt einen fantastischen Pass auf Barrios, der verzögert und scheitert erst an Fährmann. Doch gegen die Russ/Lewandowski-Co-Produktion ist er machtlos. Die Adler aus Frankfurt haben sich aufgegeben. Großkreutz verlässt den Platz, zum letzten Mal läuft Leonardo Dede auf. Das Trikot mit der 17, 13 Jahre echte Liebe. In der 80 Minuten ist Schmelzer durch, muss nur noch den Ball am Torwart vorbeischieben, wird aber von dem 17 Sekunden zuvor eingewechselten Titsch-Rivero gestoppt. Rote Karte und Elfmeter für Borussia. Jetzt kann Dede seinen Abschied perfekt machen, doch Fährmann hält auch diesen Strafstoß. Der sechste Elfmeter in Folge, der nicht im gegnerischen Tor landet. Egal. Kagawa feiert sein Comeback und Barrios sorgt mit dem Schlußpfiff für das letzte Tor der Saison. Ein wuchtiger Kopfball nach einer Lewandowski-Flanke.
17.21 Uhr – Das Spiel ist vorbei, hinter der Süd fliegt ein Gitter in die Luft. Der erste Ordnerring hält und drückt die Fans zurück in Richtung Block. Es sieht ein wenig bedrohlich aus. Dahinter baut sich ein weiterer Ordnerring auf. In der Mitte des Spielfelds wird alles für eine klinisch-reine Schalenübergabe vorbereitet. Doch die Spieler sind erst einmal an der Süd, bedanken sich für die Saison, versuchen gleichzeitig, die Massen zu beruhigen. Wo Platzsturm draufsteht, soll der auch drin stecken. Langsam, ganz langsam arbeitet die Masse gegen den Ordnerring. Dede probt ein Bad in der Menge.
17.41 Uhr – Die Schale wird übergeben. Weidenfeller übernimmt sie als Kapitän. Längst ist die Spitze des Platzsturms am zweiten Ordnerring angekommen. Und irgendwann bricht auch dieser zusammen. Die ersten Fans haben leider nix besseres zu tun, als gegen die paralysierten Absteigerfans zu pöbeln. Jetzt also auch Team Green auf dem Platz. Dazu die Mannschaft, ein bemitleidenswerter TV-Reporter, dem das Mikrofon aus der Hand gerissen wird. Langsam verschwindet der Rasen in den Händen der Fans. Auf der Pressekonferenz sitzt ein irritierter und am Boden zerstörter Christoph Daum, Aki Watzke ahnt es schon. Er sagt: „Jetzt kommt dieser Idiot schon wieder". Sekunden danach sind Watzke, Klopp und Schneck mit Bier überschüttet, Christoph Daum entschwunden und Kevin gießt sich das Bier direkt ins eigene Gesicht.
19.09 Uhr – Lindemannstraße, Ecke Neuer Graben. Aus Richtung Stadion strömen die Massen. Ein schwarzgelbes Meer, ein nicht abreißender Fluß mit den glücklichsten Menschen aller Zeiten. Einige tragen Meisterrasen mit sich, sie singen und tanzen und trinken und tanzen und singen und tanzen und trinken und singen und liegen sich in den Armen. Ein Stück weiter oben wird für Neven auf der Lindemannstraße ein Parkplatz freigehalten. Unser ganzes Leben, unser ganzer Stolz. Rubbeldikatz am Borsigplatz. Die anliegenden Kioske und Kneipen haben kaum noch gekühltes Pils. Es gibt niemanden, der nicht die Farben der Borussia trägt. Menschen verlieren sich und ihre Stimme. Sie finden andere Menschen, nicht aber ihre Stimme. Bis spät in die Nacht feiert die ganze Stadt ausgelassen. We've got a goalkeeper, he comes from Down Under, Number 20 on his back, his name is Langerak. Auch Mitch ist der Spieler der Saison. Er war in München da. Ist das jetzt die größte Meisterschaft aller Zeiten? Die alten Säcke ordnen 95 anders ein, als die halb alten Säcke. Sie verweisen auf den mächtigen Urknall, wir verweisen auf den Sex dieser Mannschaft. Für zwölf Monate hat sie dem Fußball seine Unschuld zurückgegeben, wird sonntags jemand während der Meisterfeierübertragung sagen. Und so war es.
Sonntag, 15.Mai 2011
11.09 Uhr – Aufwachen. Kurz überlegen. Rubbeldikatz am Borsigplatz. So eine Feier findet so häufig auch nicht statt. Also noch einmal in die Stadt. Die Mannschaft sehen. Hat hier überhaupt jemand geschlafen? Viele Familien finden sich entlang der Paradestrecke. Irgendwann taucht die Mannschaft auch auf dem Ostwall auf. Man muss nur in ihre Gesichter schauen, so wie sie in unsere Gesichter schauen. Die perfekte Saison, die grenzenloseste Euphorie. Auf dem Wagen übt Jürgen Klopp Elfmeter. Und Weidenfeller hat zwei Bier gleichzeitig in der Hand, Kuba wirkt erschöpft und glücklich, Nuri wehmütig. Für mich heißt es um 15.30 Uhr, nach Hause auf die Couch und weiterschauen. Auf dem Heimweg laufen zwei sechsjährige Mädchen vor uns her. Sie scheinen griechischer Abstammung zu sein. Ihr Vater ist vielleicht zwei Schritte vor uns. Die Mädchen singen „Deutscher Meister ist nur der BVB", wir stimmen ein. Ein perfekter Abschluss.
23.59 Uhr - Zeigler filmt Kevin Großkreutz, der von der Meisterbühne auf die Toilette eskortiert wird. Zeigler hält Klaus Neuhaus für Dr. Gerd Niebaum. Gemeinsam mit Rollo Fuhrmann singt er Rubbeldikatz am Borsigplatz.
Danke für das unglaublichste Wochenende und für die unglaublichste Saison. Aller Zeiten. Rubbeldikatz am Borsigplatz. Bambule, Randale, Dortmund hat die Schale!
Borussia Dortmund: Weidenfeller - Piszczek, Hummels, Santana, Schmelzer - Götze, da Silva - Kuba, Lewandowski, Großkreutz - Barrios.
Eintr. Frankfurt: Fährmann - Jung, Vasoski, Russ, Köhler - Rode, Schwegler - Ochs, Caio, Fenin - Gekas.
Einwechselungen: 73. Dede für Großkreutz, 88. Feulner und Kagawa für Götze und Kuba - 20. Altintop für Köhler, 79. Titsch-Rivero für Rode, 85. Heller für Schwegler.
Tore: 0:1 Rode (46., Gekas), 1:1 Barrios (68., Piszczek), 2:1 Russ (72., Eigentor, Barrios), 3:1 Barrios (90., Lewandowski).
Schiedsrichter: Gagelmann (Bremen), Rote Karte: Titsch-Rivero (80., Notbremse), Gelbe Karten: Barrios - Köhler, Fenin.
Zuschauer: 500.000 (ausverkauft).
steph, 16.05.2011