Mit Vollgas in den Endspurt - 4:1 gegen Hannover 96
Ein Gegentreffer erinnert die Helden in Schwatzgelb an ihre Aufgabe. In der letzten halben Stunde dreht die Borussia das Spiel gegen Hannover und versprüht fast verloren gegangenen Glanz. Hannover-Trainer Mirko Slomka gratuliert Borussia zum Titelgewinn, der Übungsleiter schaut verwegen zur Seite und macht ein Pokerface, Dede verabschiedet sich von seinem Publikum, Götze brilliert spät, Barrios gelingt ein Hackentrick. Die Sonne scheint. Borussia gewinnt 4-1. Noch maximal vier Siege bis zur siebten Meisterschaft.
Es gibt Tage, da kann einfach nichts schiefgehen. Der gestrige Samstag war so einer. Bei bestem Wetter leuchtete die Stadt schon früh in Schwatzgelb. Im Westpark sieht man bereits um 11 Uhr die ersten Borussia-Trikots, über den Park legt sich in den nächsten Stunden der sanfte Geruch auf den Punkt gegrillter Würstchen. Auf dem Weg zum Stadion sieht man endlich wieder die Farben, die wir alle so lieben. Die Bundesliga biegt auf die Zielgerade ein, der Frühling ist im Lande, Borussia marschiert weiter.
Im natürlich ausverkauften Westfalenstadion sieht es ähnlich aus. Eine silberne Meisterschale hier, ein paar weiße Shirts da, doch die Mehrheit hat sich in Schale geschmissen und lechzt nach der Länderspielpause nach Bundesligafußball. Norbert Dickel wird nach längerer Zeit wieder von der Südtribüne gefeiert. Der ehemals schlaksige Torjäger formuliert dann noch schnell das Motto des Tages „Vollgas und die Punkte hierbehalten“. Aus der Ferne sieht man bereits die ersten Anzeichen einer Choreo. Die Buchstaben W S D O & N werden im unteren Block der Süd nach oben gehalten. Noch eine Westfalenstadion-Choreo also. Abwarten und schauen, raunen sich die Vertreter der angereisten Fachmedien auf der Pressetribüne zu. Dann explodiert der Stimmungsblock. Ein Banner „Wir halten an Dir fest - 02.04.1974“ ergänzt die Westfalenstadion-Choreo, die durch einen gelben Konfettiregen direkt ins Herz geht. Ein prächtiger Auftakt, 37 Jahre nach dem ersten Spiel im schönsten Stadion der Welt.
Runter von den Tribünen aufs Spielfeld, Manuel Gräfe krallt sich den Spielball und führt die Teams zur Mittellinie, bei Borussia sehen wir auch das Sorgenkind Subotic, der somit weiterhin auf eine makellose Ligabilanz verweisen kann. Kuba, das andere Sorgenkind, ist auch rechtzeitig fit, nimmt jedoch erst einmal auf der Bank Platz. Zentral läuft also Lewandowski auf, er wird von Götze und Großkreutz auf den Außenpositionen flankiert. Hannover muss auf den neuen Stammtorhüter Zieler verzichten und auf Iro-Fromlowitz zurückgreifen. Weidenfeller verliert die Seitenwahl, US-Boy Cherundolo will erst auf die gelbe Wand im Norden spielen. Soll er auch. Unter mächtigem Gebrüll und Wechselgesängen verlaufen die ersten Minuten des Spiels eher schleppend, doch bereits in dieser kurzen Anfangszeit zeigt sich, dass Hannover hier mitspielen will. Angetrieben vom starken Schmiedebach stoßen die Leinestädter immer wieder über ihre rechte Seite in Richtung Weidenfeller vor. Doch bis auf zahlreiche Ecken springt dabei wenig Zählbares raus. Die jungen Helden beginnen nervös, Bender klärt früh einen Eckball in die Mitte, doch Schmiedebach ist zu überrascht von diesem ungewohnten Bender-Fehler und kann die sich ergebende Möglichkeit nicht nutzen. Nach einer guten Viertelstunde findet ein Diagonalpass Ya Konan. Rund 25 Meter vor dem Tor steht der Ivorer gegen Piszczek und Subotic und den aus dem Tor eilenden Weidenfeller. Er bekommt seinen Fuß an den Ball, doch flankiert von Subotic trudelt dieser ins Toraus.
Das Spiel der Borussia ist weiterhin fahrig, doch in der 18. Minute findet eine traumhafte vertikale Spieleröffnung von Hummels Götze am rechten Strafraumeck, der schaut einmal und passt dann in den Lauf von Barrios. Der Südamerikaner verstolpert die Torchance kläglich, freistehend vor Fromlowitz verspringt ihm der Ball und fliegt Richtung Eckfahne. Wenig später setzt der wieder einmal unglücklich agierende Lewandowski ein Ausrufezeichen. Aus knapp 30 Metern zimmert der Pole den Ball mit 108 km/h knapp am linken Pfosten vorbei. Danach plätschert das Spiel dahin. Direkt vor der Trainerbank duellieren sich Stindl, Schmiedebach und Cherundolo weiterhin mit Schmelzer und Großkreutz. Ein spannendes Duell, in der ersten Halbzeit noch ohne klaren Sieger. Einmal wird es nach einer Schmelzer-Großkreutz-Kombination fast gefährlich, doch bevor Götze an den Ball von Schmelzer kommen kann, stoppt ihn Lewandowski in der Mitte und vertendelt die Gelegenheit. In dieser Phase des Spiels geht für Borussia sonst wenig und auch Hannover kommt nicht gefährlich vor das Dortmunder Tor. Götze verspringen kurz vor der Pause mehrere Bälle in Folge, die Nervosität der Mannschaft ist auch auf den Rängen spürbar, doch anders als in den letzten Spielen hält das Stadion dagegen. Die Stimmung ist endlich mal wieder eines kommenden Deutschen Meisters würdig. Kevin Großkreutz zeigte sich noch weit nach Spielende von der Leistung beeindruckt. „Die Fans hatten ja schon vor dem Spiel gesagt, dass sie Vollgas geben wollen, und das haben sie ja dann auch gemacht. Sie haben die Schale verdient.“ Halbzeit.
Vor der Schale steht jedoch erst einmal das Gegentor. Nachdem Slomka in der Halbzeit den Schwachpunkt Rausch durch den offensiveren Schlaudraff ersetzt hat, will das Spiel auch in den ersten 10 Minuten der zweiten Halbzeit nicht wirklich Fahrt aufnehmen. Die Borussia jetzt stärker, aber immer wieder einen Tick zu spät im Passspiel, im Abspiel, und in der 56. Minute auch im Zweikampf. Leichtfertig vertändelt Piszczek direkt vor der Trainerbank eine gute Konterchance, wenige Sekunden später liegt der Ball auf dem Eckpunkt. Die kurze Ecke wird von Pinto lang in den Strafraum gebracht, Ya Konan verpasst noch mit einem Seitenfallzieher, wenige Schritte vor dem Tor hat Abedellaoue dann jedoch keine Mühe den Ball im Dortmunder Kasten unterzubringen. Hannover liegt vorne, in Lautern steht es zu diesem Zeitpunkt 0-0, Leverkusen ist auf 6 Punkte dran. Bevor sich aber überhaupt Nervosität breit machen kann, schnappt sich Götze auf der linken Seite den Ball und zieht parallel zum Strafraum in Richtung Mitte, die rechte Seite ist verwaist, vor Götze stehen vier Hannoveraner, Götze legt den Schalter um, biegt links ab und rennt auf die grünweiße Mauer zu. In einer einzigen Bewegung vernascht Götze die gesamte 96er-Abwehr. Was ein Dribbling! Der verzweifelte Abwehrversuch von Haggui und Götzes Fuß lenken den Ball unhaltbar für Fromlowitz in die Maschen. 1-1 und der mächtige Westfalenstadion-Roar will einfach nicht mehr abebben. Super-Mario zieht sein Trikot hoch, dort erscheint ein Shirt mit dem Aufdruck „17 – DEDE“. Wie entfesselt stürmt Götze in Richtung Süd und umarmt den ewigen Dortmunder. „Als Mario nach dem Tor gezeigt hat, was er für ein T-Shirt unter dem Trikot hatte, war ich gerührt. Das war die schönste Überraschung in meinem Leben. Ich mag Mario ja sehr, aber das war wunderschön“, wird Dede hinterher zur Protokoll geben.
Das Stadion steht weiterhin Kopf, Hannover ist sichtlich schockiert. Zwar kocht Abdellaoue Hummels im 16er ab, doch der fantastische Schmelzer entwickelt daraus einen Konter, der bei Sahin auf der halblinken Seite eigentlich bereits wieder gestoppt ist. Sahin spielt den Ball zurück auf Bender, der Piszczek starten sieht, der weite Ball auf den rechten Flügel landet punktgenau an der Eckfahne, eine Ballberührung von Piszczek, der den Ball dann mit dem Vollspann in die Mitte zimmert, dort steht Barrios bereits seit 4 Minuten in der Luft und hämmert den Ball mit dem Kopf in den Winkel. Ein perfektes Tor, das Westfalenstadion steht Kopf, lauter war es hier selten. Jetzt ist er wieder der da, der Traum vom Titel, der Rausch der Gefühle, das perfekte Spiel, das Selbstvertrauen. Auf einmal kommen die Pässe, werden sich verloren geglaubte Bälle ergrätscht, ersprintet, erblockt – nur Lewandowski bleibt weiter unglücklich und vergibt auch seine letzte Chance. Sein Arbeitstag endet unter stehenden Ovationen, sein Nationalmannschaftskapitän Kuba ersetzt ihn, Götze geht in die Mitte. Wenige Minuten später ist der Ball wieder drin. Götze hat den Ball auf Barrios durchgesteckt, der geschickt verzögert und durch Fromlowitz Hosenträger zum 3-1 einschiebt. Jetzt ist alles egal, die Stimmung ist gekippt, das Stadion ist hungrig, peitscht die Dortmunder Jungs weiter nach vorne. Diese lassen sich nicht lange bitten. Wieder kann sich Piszczek in Szene setzen, nachdem Bender einen grätschenden Pass in den Lauf des Rechtsverteidigers gespielt hat. Der Pole legt den Ball in die Mitte auf Barrios, der mit der Hacke Spitze 1,2,3 weiter auf den durchstartenden Großkreutz. Der versenkt den Ball im langen Eck und startet gleich durch in Richtung Trainerbank, dort fällt er Dede in die Arme. Doch nicht Dede, sondern da Silva erhält dann noch ein wenig Spielzeit. Das Spiel trudelt in Richtung Ende, ein Sahin-Heber lässt das Herz noch einmal höher springen, Fromlowitz ist auf dem Posten, Gräfe hat genug gesehen, das Spiel ist beendet, die Party beginnt.
Die Party endet 17 Minuten später, in der Zeit hat Slomka Dede innig umarmt, hat sich Dede vor der Süd verbeugt, während sich die Mannschaft in seinem Rücken vor dem großen Brasilianer verbeugt, ist Dede fast zwei Ehrenrunde gelaufen und musste mit den Tränen kämpfen, während auf den Rängen sicher bereits einige Tränen flossen. Vor der Nord hat sich derweilen die Mannschaft für eine Humba niedergelassen. So etwas hat man lange nicht mehr gesehen. Aus gutem Grund. Mit einem breiten Grinsen schreiten die Spieler in die Kabine, um 17.32 Uhr verlässt Dede den Platz, die Sonne wird erstmals von einer dünnen Wolkenschicht verdeckt. Ein perfekte halbe Stunde liegt hinter den Fans der Borussia.
Ein verdammt wichtiger Sieg für die Borussia, mit 7 Punkten Vorsprung vor Leverkusen reisen wir nun in der kommenden Woche zum Gastspiel an die Elbe. Das Motto dann lautet: „Vollgas geben, Punkte mitnehmen!“. Danke Borussia, Danke Westfalenstadion für diesen verdammt geilen Nachmittag.
Die Statistik:
Borussia Dortmund: Weidenfeller - Piszczek, Subotic, Hummels, Schmelzer - Bender, Sahin - Götze, Lewandowski, Großkreutz - Barrios..
Hannover 96: Fromlowitz - Cherundolo, Haggui, Pogatetz, Schulz - Schmiedebach, Pinto - Stindl, Rausch - Ya Konan, Abdellaoue.
Einwechselungen: 71. Kuba für Lewandowski, 80. Santana für Hummels, 85. da Silva für Götze - 46. Schlaudraff für Rausch, 61. Chahed für Schulz, 76. Carlitos für Schmiedebach.
Tore: 0:1 Abdellaoue (57., Pinto), 1:1 Götze (59., Großkreutz), 2:1 Barrios (64., Piszczek), 3:1 Barrios (73., Götze), 4:1 Großkreutz (83., Barrios).
Eckstöße: 5:7 (Halbzeit 3:5), Chancenverhältnis: 6:2 (2:1).
Schiedsrichter: Manuel Gräfe (Berlin), Gelbe Karten: Götze - Schmiedebach, Chahed.
Zuschauer: 80.720 (ausverkauft). Wetter: sonnig 23, Grad.
Die Noten
Weidenfeller – ungewohnt fehlerbehaftete erste Halbzeit mit einigen Wiese-Spieleröffnungen. Dafür gibt es leider nur eine 3
Piszczek - mit einem katastrophalen Fehler vor dem 0-1, danach überragend. 2,5
Subotic – Wenn man einen Verteidiger eigentlich nur in der Offensive wahrnimmt, hat er seinen Job hinten ordentlich erledigt. Der Spielaufbau bleibt jedoch weiterhin nicht sein Ding - 3
Hummels – Traumpass in der ersten Halbzeit, ein richtig gutes Dribbling in der zweiten Halbzeit. Tat viel für die Offensive, sah einmal gegen Abdellaoue schlecht aus - 2,5
Schmelzer - Gemeinsam mit Großkreutz in Galaform - 2
Bender - Ungewohnt nervöser Beginn des Offenders, dann aber wie gewohnt solide, mit toller Vorarbeit zum 4:1 – 3
Sahin – Bei Sahin ist ein wenig der Wurm drin, trotzdem unmerklich an fast jedem Treffer beteiligt - 3,5
Götze - Die zwei Halbzeiten des Mario Götze. Als sich alle schon über die ungewohnten Stockfehler wunderten und Götze auf die Bank wünschten, legte der 18jährige den Schalter um. Was ein verdammtes Tor! Verdammtes Tor! Verdammtes Tor! - 1,5
Lewandowski - Mit jedem Meter näher zum Tor wird der junge Pole immer nervöser. Folgerichtig war seine stärkste Szene ein Torschuss aus 30 Metern. Agierte teils sehr unglücklich - 4
Großkreutz - Gemeinsam mit Schmelzer in Galaform. Der stille Held des Spiels – 2
Barrios – In der ersten Halbzeit von nicht wenigen zurück zu Colo Colo gewünscht, in der zweiten Halbzeit wie ausgewechselt, steht beim 2-1 knappe vier Minuten in der Luft, bereitet das 4-1 brillant mit der Hacke vor – 1,5
steph, 03.04.2011