Mühsam ernährt sich Borussia
In der Hinrunde eilten die Dortmunder Jungspunde von Rekord zu Rekord, doch ein weiterer Eintrag in die Geschichtsbücher lässt weiter auf sich warten. Wer schon in Hoffenheim den zwölften Auswärtssieg der Saison erwartet hatte, musste so auch in Hamburg etwas kosterniert drein blicken – mehr als ein 1:1 wollte trotz massiver Überlegenheit nicht herausspringen, abermals hat es nicht an Moral und Einsatz gemangelt.
Gut und gerne 8000 BVB-Fans hatten sich auf den Weg in den hohen Norden begeben, um eines der wohl beliebtesten Auswärtsspiele zu erleben. Bei bestem Wetter durch das wunderschöne Hamburg ziehen, sich dabei willkommen fühlen und mit dem einen oder anderen HSV-Fan auf ein Bier in die Sonne setzen – auch in diesem Jahr gab es wieder nahezu perfekte Bedingungen für einen entspannten Fußballnachmittag.
Doch vor das Spiel hatten der liebe Gott und vor allem die Macher der Kein-Zwanni-Initiative eine Protestkundgebung gelegt. Gegen die unverschämt hohen Eintrittspreise in der Bundesliga sollte es im Allgemeinen gehen, im Speziellen gegen die besonders hohen Preise im Hamburger Volksparkstadion (und dessen Nachfolgearenen, über deren Namen man so langsam den Überblick verloren hat). Die Hamburger Fanszene hatte weit im Vorfeld ihre Unterstützung angedeutet, ein Boykott des Spiels konnte letztlich nur infolge des Einlenkens des alten HSV-Vorstands verhindert werden – dieser hatte auf die neu geschaffene höchste Preiskategorie verzichtet und problemlösende Gespräche für die Sommerpause zugesagt.
Je zwei Dortmunder und Hamburger Fanvertreter wendeten sich an die bis zu 700 Teilnehmer der Kundgebung, erläuterten die Ziele und Vorstellungen der Kampagne. Niemandem gehe es darum, „den Vereinen das Geldverdienen zu verbieten“, sie zum „Verschenken von Karten“ oder „Verschleudern der Tickets zu Fantasiepreisen wie 4,90 Euro“ zu zwingen. Vielmehr gehe es darum, Fairness für die Anhänger zu schaffen – der einzige Grund keine Karte zu bekommen dürfe demnach im Verpassen des Vorverkaufs begründet liegen, nicht jedoch in allzu hohen Eintrittspreisen. Unter diesen sei bereits der englische Fußball zugrunde gegangen, der „längst nicht mehr durch großartige Stadionstimmung auffällt und gegen den selbst Hoffenheim einen Hexenkessel sein Eigen nennen kann.“
Doch neben den allgemeinen Aspekten wurde es auch konkret. So erläuterte der Hamburger Vertreter Jojo seine persönlichen Erfahrungen: umgerechnet 10,51 Euro habe seine Eintrittskarte in der Champions League 2000 gegen Juventus Turin gekostet, 2006 waren es auf dem gleichen Platz gegen Spartak Moskau schon 24 Euro – eine Preissteigerung um satte 130 Prozent im sicheren Bewusstsein, dass bei der nächsten Champions-League-Teilnahme abermals an der Preisschraube gedreht werden dürfte. Immer wieder unterbrachen die Demonstranten die Kundgebung mit „Fußball muss bezahlbar sein“-Sprechchören, die so laut und eindrucksvoll waren, dass sich rund um den Rathausmarkt immer mehr Passanten stellten, die sich nach den Hintergründen der Aktion erkundigten. Wie Jojo und Marc die Kundgebung empfanden und welche Hoffnungen sie in die Kein-Zwanni-Initiative setzen, könnt ihr in einem separaten Kurzinterview (Link) lesen.
Die gute Atmosphäre fand im Stadion ihre Fortsetzung. Vor Spielbeginn kam es zu einem imposanten Schlagabtausch zwischen Heimkurve und Gästeblock, der mit das lauteste gewesen sein dürfte, was wir in dieser Saison bei einem Auswärtsspiel erleben durften. Mehrere Spruchbänder auf beiden Seiten griffen wie im gesamten Spielverlauf die Problematik der Eintrittspreise auf, wiesen dabei vor allem auf den starken Zusammenhang zur Stadionstimmung hin. Sichtlich beeindruckt zeigte sich das weite Rund im Volkspark über die Verbrüderung der beiden Fanlager, die sich eben nicht gegenseitig beschimpften, sondern über die Lautstärke ihrer Gesänge Eindruck auf der jeweils anderen Seite machen wollten. Dies gelang bis Mitte der ersten Halbzeit auf Dortmunder Seite besser, gegen Spielende drehte sich das Blatt nach langem Wettstreit auf Augenhöhe eindeutig in Richtung des HSV – eine Punkteteilung auf hohem Niveau.
Diese Überschrift würde auch das Spiel hervorragend beschreiben. Borussia begann in Bestbesetzung und legte los wie die Feuerwehr, ohne gegen die massiert stehenden Hamburger allzu viel ausrichten zu können. Noch während das Voltaren Schmerzspray allen verletzen Spielern eine schnelle Rückkehr wünschte, prüften die Mittelfeldstrategen die Konzentration ihres jeweiligen Gegenübers. Keine Torchance in der Anfangsviertelstunde, dafür aber frühe Attacken und aggressives Pressing prägten ein ausgeglichenes Spiel mit leichtem Übergewicht des BVB.
Immer wieder fuchsten sich die jungen Borussen mit guten Ideen ins Spiel, scheiterten jedoch am ungenauen Abspiel und/oder aggressiven Stören der gut sortierten Hamburger Defensive. Nuri Sahin und Änis Ben-Hatira sahen gelb nach überharten Attacken gegen Ze Roberto bzw. Marcel Schmelzer, David Jarolim entging der Karte nach dem Foul an Mario Götze – beide Mannschaften schenkten sich nichts und setzten auf die bewährte Zermürbungstaktik.
Nach einer halben Stunde kam es dann zur ersten nennenswerten Chance des BVB: Der gut aufgelegte Kevin Großkreutz setzte sich toll durch, behauptete den Ball und legte auf den mitgelaufenen Götze ab – leider verlor dieser den Ball im gegnerischen Strafraum, setzte aber das erste Zeichen des Aufbruchs. Kurz darauf fiel auch das verdiente Führungstor für den BVB, als Barrios schön in die freie Gasse angespielt wurde – leider hatte der Schiedsrichter jedoch etwas dagegen und erkannte knapp (aber falsch) auf Abseits.
Drei Minuten später die nächste Fehlentscheidung, diesmal jedoch auf der Gegenseite: Mats Hummels holzte Mladen Petric in die Beine, es blieb nur der Elfmeterpfiff. Zurecht beklagte sich Hummels jedoch über den Schiedsrichter, der ihm bei der Frage nach der vorherigen Abseitssituation eines Gegenspielers direkt die gelbe Karte angedroht hatte – ein klärendes Gespräch zur Halbzeitpause sorgte für einen netteren Umgang in der zweiten Hälfte, da war das 1:0 jedoch schon gefallen: Ruud van Nistelrooy hatte den Ellfmeter unhaltbar für Roman Weidenfeller in die rechte untere Ecke geschossen. Beinahe hätte Ben-Hatira eine Minute später mit einem Fernschuss alles klar machen können – Weidenfeller war weit vor sein Tor herausgekommen, konnte das 30-Meter-Pfund aber doch noch über die Latte abwehren. Gut gemacht und Glück gehabt.
Obwohl bislang kaum Torraumszenen stattgefunden hatten, waren diese Duftmarken des HSV der erste Wendepunkt des Spiels. Die überragende Zweikampfbilanz des BVB (60 Prozent gewonnen in der ersten Halbzeit) sollte nun auch zählbares hervorbringen – doch leider klappte es in der 45. Minute nicht einmal mit der größten Chance des Spiels: Götze war unwiderstehlich an der gesamten Hamburger Hintermannschaft vorbeimarschiert, erreichte mit seiner Abgabe folgerichtig aber nur die massierte Hamburger Defensive. Ausgerechnet von Jarolims Bein sprang der Ball jedoch in Richtung Tor und hätte die Torlinie mit etwas Glück überquert – doch selbst Mario Götzes Nachhilfe aus 30 cm Entfernung sollte nicht gegen den beherzten Einsatz Gojko Kacars ausreichen.
Die zweite Halbzeit setzte genau an diesem Punkt wieder an – der HSV stellte mit dem Wiederbeginn beinahe sein gesamtes Spiel ein, der bislang kaum zu sehen Sahin drehte jetzt auf wie lange nicht mehr. Ein Sahnepass auf Götze, der zwei Gegenspieler alt aussehen ließ und butterweich mit rechts den Abschluss suchte, landete leider ganz knapp über dem Kasten – es wäre zwar ohnehin abseits gewesen, doch Frank Rost zollte Götze Respekt für diesen Geniestreich und klopfte ihm anerkennend auf die Schulter.
Fünf Minuten später die nächste Großchance für den BVB. Sahin brachte einen an sich harmlosen Freistoß aus gut 30 Metern in den Strafraum, Lucas Barrios Kopfball strich aber knapp rechts vorbei. Die Partie wurde nun immer hektischer, Borussia agierte bissiger und zwang den HSV wiederholt zu Ballverlusten im Mittelfeld. Mehrere Schiedsrichterentscheidungen gefielen Klopp und seinen Spielern überhaupt nicht, doch lagen die Unparteiischen mit Barrios Abseitsstellung (57.) und der Bewertung weiterer Nickligkeiten nun weitestgehend richtig.
Lukasz Piszczek schmiss jetzt den Turbo an. Ein überragendes Spiel auf der rechten Seite mit einem gelaufenen Kilometer nach dem anderen machte den Hanseaten schwer zu schaffen. Als er in der 64. Minute sein Glück versuchte und einfach mal selbst draufhielt, sorgten abermals die Hausherren für die Gefahr im eigenen Strafraum – diesmal war es Dennis Aogo, von dessen Oberschenkel der Ball an den rechten Pfosten prallte. Das Pech blieb den Borussen nun wirklich treu.
Der HSV zog sich nun komplett zurück. Meist über Schmelzer, Großkreutz und/oder Götze konnten die Gäste schalten und walten, wie sie wollen. Der längst hochverdiente Ausgleichstreffer ließ aber weiter auf sich warten, selbst als Sven Benders Musterflanke in der 70. Minute den allein gelassenen Götze erreichte und erneut ganz knapp rechts am Tor vorbeistrich. Kurz darauf war es wieder Bender, der am Fünfmeterraum auf Barrios ablegte und wieder das 1:1 hätte bringen müssen: Barrios hielt mit Wucht drauf und überwand Freund und Feind, leider aber nicht die Unterlatte – der Abpraller landete beim überraschten Hummels, der den Ball nicht mehr unter Kontrolle bringen konnte und zusehen musste, wie sein Gegenspieler das Leder noch wegspitzelte.
In der 77. Minute der zweite Wendepunkt des Spiels. Aus der kontrollierten Offensive des BVB wurde nun ein wütender Sturmlauf. Weidenfeller hatte das Spiel gemacht und den starken Schmelzer in Szene gesetzt, der von Ben-Hatira nur noch mit einem Foul gestoppt werden konnte – der Hamburger sah gelb-rot und verließ wortlos den Platz, obwohl sich Schmelzer in dieser Situation sehr bereitwillig fallen gelassen hatte und ein Platzverweis sehr hart erschien.
Dem Hamburger Anhang fiel die hoffnungslose Unterlegenheit nun mehr als deutlich auf, erkannte aber auch die unbedingte Notwendigkeit, die eigene Mannschaft beim Erhalt der Führung zu unterstützen. „Hier kommt Hamburg“ auf die Melodie von „Hier kommt Alex“ war beeindruckend und sehr, sehr laut, reichte am Ende aber doch nicht mehr aus, um die Führung durchs Ziel zu retten. Der eingewechselte Patrick Owomoyela hatte bei einer der letzten Szenen des Spiels den Ball schön mit dem Kopf verlängert, der ebenfalls eingewechselte Kuba musste „nur noch“ den Schlappen hinhalten und mit einer Volley-Direktabnahme in die Maschen prügeln. Ein hoch verdienter Ausgleich ganz zu Schluss, der Bender mit Blick auf den kommenden Gegner zu einer kleinen Lobeshymne bewegte: „Owo kann einfach alles spielen und das Ding von Kuba heute war auch viel wichtiger als das in Freiburg.“ Dem gibt es so weit nichts hinzuzufügen.
Statistik
HSV: Rost – Diekmeier, Kacar, Westermann, Aogo – Jarolim – Ze Roberto – Ben-Hatira, Elia – van Nistelrooy, Petric
Wechsel: Jansen für Elia (83.), Demel für van Nistelrooy (83.), Guerrero für Petric (90.)
BVB: Weidenfeller – Piszczek, Subotic, Hummels, Schmelzer – Bender, Sahin – Götze, Lewandowski, Großkreutz – Barrios
Wechsel: Kuba für Lewandowski (62.), Zidan für Barrios (77.), Owomoyela für Bender (80.)
Tore: 1:0 van Nistelrooy (39.) – 1:1 Kuba (92.)
Karten: Ben-Hatira (26. + 78.) – Sahin (21.)
Stimmen
Nuri Sahin: „Es ärgert mich jedes Mal, wenn ich gefragt werde, warum wir so viele Chancen versieben. Ganz ehrlich, ich habe das bestimmt schon 25-mal gesagt und jedes Mal versucht jemand aufs Neue, etwas Negatives zu finden. Wir spielen eine überragend gute Saison, haben ein tolles Spiel gegen den HSV gezeigt, der mit Frank Rost und van Nistelrooy mindestens zwei Weltklassespieler hat. Letzte Woche haben wir 4:1 gegen Hannover gewonnen, auch da sind manchen nicht genug Tore gefallen – lasst uns doch das Positive sehen und nicht mit Gewalt nach negativen Punkten schauen.“
Nachfrage: „Dennoch war das heute der 20. Pfostentreffer, so viel Pech hatten nicht viele.“
Nuri Sahin: „Und das gerade ist doch der Beweis, wie gut wir eigentlich sind. 20-mal den Pfosten treffen und trotzdem so gut da zu stehen, darauf können wir richtig stolz sein. Dass wir irgendwann auch wieder mehr Glück haben werden, ist doch klar.“
Michael Zorc: „Der HSV hat es uns ganz schwer gemacht in der ersten Halbzeit, hat sehr gut mitgespielt. Dass wir uns nicht früher für die Überlegenheit der zweiten Halbzeit belohnen konnten, war natürlich schade. Denn gerade diese Phase war nahe am perfekten Spiel, das hätte ohne weiteres mit 5:1 für uns ausgehen können. Aber so ist das eben mit einer jungen Mannschaft, man muss da auch Geduld haben.“
Jürgen Klopp: „Das war aus dieser Konstellation heraus eines der verdientesten 1:1, die ich bislang gesehen habe. Da sicher wieder viele Fragen stellen werden, wie das mit unserer Chancennutzung aussieht, möchte ich euch allen gleich eines vorausschicken: Es ist mir völlig egal. Diese junge Mannschaft spielt so toll und so viel nach vorne, es entstehen so viele Chancen, die kann man einfach nicht alle nutzen. Zweimal haben wir heute den Gegner fast zu einem Eigentor gezwungen, ich glaube da einfach an die Gerechtigkeit: Alles, was wir heute an Pech und ausgelassenen Chancen zu ertragen haben, wird sich auf lange Frist mit Glück wieder aufwiegen.“
Noten
Weidenfeller: Bekam von Klopp den Tipp für die richtige Ecke beim Elfmeter, kam aber nicht ganz heran. Sonst stark wie immer, trotz weniger Torschüsse des Gegners ein immer sicherer Rückhalt – Note 2.
Piszczek: Erste Halbzeit kaum zu sehen, zweite Halbzeit bärenstark. Noch immer geht er dank seiner unauffälligen Spielweise etwas unter, bei der Leistung muss sich das irgendwann ändern – Note 2,5.
Subotic: Souverän alles abgeräumt, was so entgegen kam – der HSV gegen Subotic zu keiner einzigen Chance, das war beeindruckend. Note 2.
Hummels: Nach eigener Aussage beim Elfmeterpfiff dumm verhalten, zwei Großchancen nicht genutzt – manchmal kommt halt alles zusammen. Ansonsten eine solide Partie mit den meisten gewonnen Zweikämpfen beim BVB, Note 3.
Schmelzer: Unfassbar, wie locker er in der zweiten Halbzeit auftrumpfen konnte – Gegner schienen da meist gar nicht existent. Tolle Flanken, schneller Antritt und kluge Pässe geben die Note 2.
Bender: Starkes Spiel in der zweiten Halbzeit, in der ersten eher wenig zu sehen. Schöne Ablage auf Barrios, Note 2,5.
Sahin: Vor dem Pausentee kaum zur Entfaltung gekommen und mit der massierten Hamburger Gegenwehr beschäftigt, nach dem Wiederanpfiff in Topform mit überragenden Qualitäten. Die meisten Vorlagen (7) und Ballkontakte auf dem Platz (97), das gibt insgesamt eine solide Note 2.
Götze: Die meisten Torschüsse auf dem Platz – das unnachahmliche Spiel ab der 40. Minute kann man obendrein nur mit der Note 1 belohnen, ohne jede Diskussion.
Lewandowski: Zweikampfstark, leidenschaftlich, hoch motiviert – leider mit ganz großem Pech in der 45. Minute. Note 2,5.
Großkreutz: Einer der Aktivposten des Dortmunder Offensivdrangs, in der ersten Halbzeit etwas untergetaucht – insgesamt Note 2,5.
Barrios: Vor der Pause so gut wie gar nicht zu sehen, danach mit zwei Riesenchancen und viel Pech im Abschluss. Mit Muskelproblemen ausgewechselt, Note 3.
Knüppler17, 09.4.2011