Aufgeschoben ist nicht aufgehoben
Die innere Stimme hatte sich unter der Woche das erste mal gemeldet. Erst zaghaft, doch dann Tag für Tag ein bisschen lauter. "Wir können Meister werden, wir können da verdammt nochmal Meister werden." Der 23. April 2011 hat für die Fans des Ballspielvereins Borussia aus Dortmund gefühlstechnisch zwei grundverschiedene Seiten. Am Morgen dieses sonnigen Tages steht die Aussicht, heute,mit entsprechenden Ergebnissen die siebte Deutsche Meisterschaft vorzeitig in die Bierhauptstadt zu holen. Und das gut sechs Jahre nachdem der BVB am Molsiris-Montag nur um Haaresbreite dem Vorzimmer der Pathologie entfliehen konnte.
Erste Hälfte
Auf dem Platz scheinen elf tapfere Dortmunder, mit da Silva, Kuba und Lewandowski in der Startelf, das selbe Ansinnen auf spielerischer Ebene zu verfolgen. Gerade einmal 30 Sekunden sind gespielt, als Mario Götze einen Kopfball aus wenigen Metern über das Tor setzt. Und Mario ist es auch, der in Minute elf mit einem satten Schuss aus halblinker Position für die zweite Chance unserer Borussia sorgt. Ter Stegen kann allerdings klasse parieren. Wahrlich nicht das letzte mal an diesem Tag. Schwatzgelb ist in dieser Anfangsphase überlegen, von Nervosität keine Spur. Doch der Tabellenletzte, dessen letzte Hoffnung der Relegationsplatz ist, haben sich noch nicht aufgegeben und greifen nach ihrem vielleicht letzten Strohalm. Fortan machen sie dem BVB das Leben schwer, verteidigen tapfer, erobern sich Bälle im Mittelfeld und lauern auf Fehler. Während unsere Elf zusehends die Kontrolle über das Spiel verliert. Auch Götze, der in den ersten Minuten noch in gewohnter Manier durch die gegnerischen Reihen wirbelte, scheint abgetaucht.
Nach 27 Minuten schlägt Arango einen Ball, wie man so schön sagt, „genau in die Schnittstelle der Verteidigung". Reus bekommt die Kugel, Weidenfeller ist bereits geschlagen, doch der Ball kullert knapp am rechten Pfosten vorbei. Glück gehabt, aufwachen bitte! Das Spiel gestaltet sich nun immer offener. Lewandowskis sehenswerter Heber nach Spieleröffnung von Hummels wird von Jantschke im letzten Moment von der Linie gekratzt (30.) und wenige Minuten später macht es doch tatsächlich „Döp, döp, döp!" in der hässlichen Wellblechhütte. Der penetranteste, trashigste und unpassendste Torsound der Liga ertönt aus den Stadionboxen, weil ausgerechnet Idrissou eine Fehlerkette unseres BVB für sich nutzt und ins kurze Eck einschiebt. Erst gibt Toni da Silva, zumindest heute kein Nuri-Ersatz, den Ball in der Vorwärtsbewegung leichtfertig her und dann verpasst Subotic es, den Ball in gewohnter Manier abzulaufen. Wenige Minuten vorher wurde Idrissou noch von seinen eigenen Leuten ausgepfiffen.
Unsere Jungs sind von diesem Rückschlag sichtlich überrascht und schaffen es in den Personen des zurück gemeldeten Mario Götze und Lewandowski nur noch einmal gefährlich vor den gegnerischen Kasten. Doch die Nummer sieben vergibt frei vor dem überragenden ter Stegen eine weitere Großchance. Eine Halbzeit zum vergessen.
Zweite Hälfte
Das Geschehen in der zweiten Hälfte ist dann doch relativ schnell abgehandelt. Die Borussia arbeitet sich langsam in das Spiel herein und Gladbach verteidigt im Stile eines Absteigskandidaten mit Mann und Maus. Auch die Gladbach-Fans haben mittlerweile begriffen, dass ihre Pfohlen die akustische Unterstützung durchaus nötig haben und kommen auf passables Bundesliganiveau.
Der BVB, ebenfalls angestachelt von der Gelben Auswärtswand, marschiert nach vorne. Hummels köpft in der 55. Minute knapp drüber und Götze knallt die Kugel 13 Minuten später volley an die verflixte Latte. An Unterstützung aus dem Süden mangelt es in dieser Phase nicht. Natürlich bietet ein Auswärtsmob von ungefähr 20.000 Feierlustigen mehr Potenzial als das, was letztendlich geboten wurde. Doch in dieser wichtigen Phase wird es mit „Borussia BVB!" noch einmal richtig laut auf Dortmunder Seite. Und seien wir ehrlich: Bei idealem Spielverlauf wäre die Hütte wohl explodiert.
Neue Hoffnung keimt durch die Einwechslungen von Zidan (für Kuba) und Lucas (für Lewandowski) auf, doch es fehlt weiterhin DER Geniestreich. Mo köpft nach 73 Minuten knapp vorbei, kurze Zeit später lenkt ter Stegen einen Schuss von Schmelzer noch an den verflixten Pfosten. Subotic setzt den Schlusspunkt und hämmert aus 25 Metern noch einmal drauf. Doch am erst 18 Jahre alten Marc-André ter Stegen ist heute einfach kein Vorbeikommen.
Fazit des 23. April 2011
Was bleibt nach so einem Tag? Mönchengladbach ist an und für sich wirklich nicht schön, eine Niederlage gegen den Tabellenletzten und drei Spiele vor Schluss schmilzt der Vorsprung auf Leverkusen auf fünf Punkte. Drei Zähler am 31. Spieltag waren auf dem Weg zum Ziel fest eingeplant. Trotzdem bleibt es dabei: In noch drei ausstehenden Spielen, zwei davon im heimischen Tempel, müssen weiterhin vier Punkte geholt werden, um die Meisterschaft perfekt zu machen. Den Kopf nicht hängen lassen, denn für heute zählt: Aufgeschoben ist längst nicht aufgehoben. Noch 270 Minuten dieser fantastischen Saison. Genießen wir sie!
Und dann waren da noch...
... Pyrotechnik und Gladbach-Fahnen im Gästeblock. Anders als die Rauchtöpfe vor dem Spiel sahen die Bengalos zu Beginn der zweiten Halbzeit zumindest gut aus. Hilft leider trotzdem nichts, da die Teile – nicht zu Unrecht – in deutschen Stadien verboten sind und das regelwidrige Abbrennen der Teile ist wohl das letzte, was die Gesetzeshüter zur Legalisation von Pyrotechnik bewegt. Die Frage allerdings, ob das ganze das hohe Maß an (Video-)Überwachung sämtlicher Zuschauer im Stadion rechtfertigt, wie es der Gladbacher Stadionsprecher mehrfach erwähnte, darf trotzdem durchaus kritisch betrachtet werden. Einfach schade ist hingegen die Tatsache, dass in Halbzeit eins schwarz-grün-weiße Fanutensilien präsentiert wurden. Eigentlich dachte man, in Dortmund diesem Kindergarten entwachsen zu sein.
Noten
Weidenfeller: Sah bei dem Gegentor nicht gut aus, da Idrissou das Dingvon links in die kurze Ecke haut. Sonst gab es nix zu halten für ihn. Note 4.
Schmelzer: Ackerte vor allem in der zweiten Hälfte auf der linken Seite und brachte ter Stegen mit seinem Hammer aus 20 Metern mächtig in Bedrängnis. Note 2,5.
Hummels: Patzte einmal mächtig gegen Reus, was glücklicherweise ohne Folgen blieb. In Halbzeit eins allerdings auch sonst ungewohnt unkonzentriert. In den zweiten 45 Minuten dann solider. Note 3,5.
Subotic: Das 1:0 geht klar mit auf seine Kappe. Schloss sich in der ersten Halbzeit der fehlerhaften Mannschaftsleistung an. Note 4.
Piszczek: Bemüht, engagiert, fehlerlos. Note 3.
Bender: Agierte im Vergleich zu den letzten Spielen relativ unauffällig. Ohne großen Offensivdrang, aber auch ohne Fehler. Note 3,5.
da Silva: Hatte wirklich keinen guten Tag. Leitete mit seinem Fehler den Rückstand ein und kam über 90 Minuten als Vertreter von Nuri nicht mit der Rolle des Regisseurs zurecht. Note 4,5.
Großkreutz: Mühte sich auf links zusammen mit Schmelzer ab, war allerdings auch machtlos. Note 3.
Götze: In der Anfangsphase überpräsent, dann zwischenzeitlich abgetaucht und am Ende wieder gefährlich. Man sollte die Maßstäbe beim 18-Jährigen auch nicht zu hoch setzen. Note 3.
Kuba: Von ihm ging auf dem rechten Flügel wenig Gefahr aus. Note 4.
Lewandowski: Was soll man sagen? Sein klasse Heber der Kategorie „Kann man machen" verfehlt mit Pech das Ziel, bevor er eine Großchance der Kategorie „Muss man machen" vergibt. Note 4.
Barrios und Zidan: Beide kamen in der 64. Minute, hatten ihre kleinen Chancen und machten zu wenig raus. Note 3,5.
Stiepermann: Kam erst fünf Minuten vor Schluss.
Stimmen
Großkreutz: „In der ersten Halbzeit hatten wir viele Fehlpässe, aber trotzdem die besseren Chancen und fangen uns dann durch einen Konter das Gegentor. In Hälfte zwei hat jeder gesehen, dass es besser läuft. Letzte Woche waren wir noch Deutscher Meister, warum sollen wir jetzt das große Flattern kriegen?"
Weidenfeller: „Das heißt gar nix und ist kein Problem. Wir machen uns keine Sorgen und müssen einfach unsere Heimspiele gewinnen."
Klopp: „Glückwunsch an Gladbach zu einem durchaus verdienten Sieg. Sie haben es in der ersten Halbzeit verstanden, uns das Leben schwer zu machen. Sie standen hinten gut und haben auf Ballgewinne gelauert. Wir hingegen waren unruhig und haben die Bälle zu früh in die Spitze gespielt. Unsere zwei riesigen Chancen haben wir nicht genutzt. In Halbzeit zwei haben wir das richtig gut gemacht, es war ein sehr enges Spiel."
Favre: „Wir mussten heute unbedingt punkten und haben in der ersten Hälfte gut gespielt. Es war sehr, sehr schwer gegen diesen technisch und läuferisch starken BVB. Egal, gegen wen wir als nächstes spielen: Wir brauchen noch sechs Punkte für die Relegation."
MalteS, 24.4.2011