Ermäßigte Dauerkarten für Erwerbslose
Bereits 2006 haben wir Euch Martin Domann und seine Unterschriftensammlung für ermäßigte Tickets des BVB für Hartz IV-Empfängervorgestellt. Vor kurzem erschien in der WAZ ein Artikel dazu, der sowohl innerhalb der Redaktion, als auch im Forum kontrovers diskutiert wurde. Manche unterstützen seine Idee, manche lehnen sie ab und wieder andere wollen gerne genauere Informationen. Wir haben mit Martin gesprochen und die aufgekommenen Fragen an ihn weitergeleitet, um ihm die Möglichkeit zu geben, seine Sicht der Dinge darzustellen.
schwatzgelb.de: Hallo Martin, Du setzt dich für Sozialtickets beim BVB für Hartz IV-Empfänger ein. Kannst du uns und unseren Lesern dein Anliegen bitte noch einmal kurz vorstellen?
Martin: Im Jahr 2005 war ich noch Dauerbesitzer einer Stehplatzkarte. Leider war ich auch erwerbslos, was an sich schon schwer genug ist. Da ich auch seit Kindesbeinen ein glühender BVB-Fan und Dauerkartenbesitzer bin, blieben mir nur zwei Möglichkeiten: Weitere Erhöhungen solange mitzumachen, bis ich es mir unmöglich sein würde, diese zu bezahlen - oder aktiv zu werden. Ich habe mich dafür entschieden, auf dieses Manko hinzuweisen. Ich sehe diesen Eingriff als Angriff auf meine existentiellen Bedürfnisse und die vieler anderer. Seit der Einführung von Hartz IV müssen 98 % der Menschen mit dem Risiko leben, innerhalb eines Jahres finanziell ganz tief zu fallen. Leider wird dies auch als Druckmittel gegen Arbeitnehmer genutzt, um Löhne zu senken. Übrigens stammt der Begriff BVB-Sozialticket von der Presse, nicht von mir. Ich nenne es Erwerbslosentarif.
Ich orientiere mich an den 4,63 Euro, die im Regelsatz für Sport- und Freizeit-Veranstaltungen vorgesehen sind. Im Zuge einer geringfügigen Regelsatzanpassung hat sich der Anteil im Jahre 2009 auf 6,38 Euro im Monat erhöht. Der Preis der Stehplatzdauerkarte hingegen ist in den letzten Jahren von (2005) 8,22 auf (2010) 10,39 Euro pro Spiel (!) gestiegen. Bei der Einzelstehplatzkarte hat sich der Preis sogar von 11,00 Euro (2005) auf 14,50 Euro (2010) erhöht. Da klafft für jeden erkennbar eine Lücke. Ich sammle Unterschriften, um diese Lücke für ALG2- und Sozialgeld-Empfänger zu schließen. Mein erster Vorschlag waren 60,00 Euro für eine Stehplatzdauerkarte. Ich finde es sollte neben Sport und Freizeitveranstaltungen auch eine Mindestteilnahme an Kultur möglich sein. Ich könnte auch mit dem Preis für Schülerjahreskarten leben, denn das würde ein Entgegenkommen bedeuten.
schwatzgelb.de: Welchen Weg hast du gewählt, um deinem Anliegen Gehör zu verschaffen?
Martin: Zuallererst habe ich einen zweiseitigen Brief an Dr. Rauball verfasst, bestehend aus einem einseitigen Vorwort sowie einer Unterschriftenliste, um der Angelegenheit Nachdruck zu verleihen. Damit habe ich dann ab Oktober 2005 angefangen, Unterschriften zu sammeln. In unregelmäßigen Abständen bin ich zum BVB gegangen und habe neue Unterschriften übergeben. Im Laufe meiner Aktion habe ich die Mithilfe und Solidarität verschiedener Menschen erhalten. Dafür bin ich sehr dankbar. Dennoch bin ich der alleinverantwortliche Kopf dieser Aktion.
schwatzgelb.de: Du sprichst von Unterstützung durch andere Fans. Wie groß ist sie, beziehungsweise wieviele Unterschriften konntest du bereits sammeln?
Martin: Bislang habe ich 2.509 Unterschriften beim BVB abgegeben. Bei der jüngsten Übergabe-Aktion habe ich im Gespräch mit Herrn Schneck noch mal betont, dass ich an die 80er Jahre (in denen es Karten für Arbeitslose gab) anknüpfen möchte. Ich möchte erreichen, dass der BVB einen Erwerbslosentarif einführt. Und ich habe dem Verein noch mal meine Hilfe bei der Umsetzung angeboten. Anlässlich dieser Übergabe habe ich die örtliche Presse eingeladen. Der Stadtanzeiger und die RN sind tatsächlich auch zum Abgabetermin erschienen.
schwatzgelb.de: Waren die Reaktionen seitens des BVB eher positiv, oder negativ?
Martin: Der Verein schwieg, es tat sich nichts. In der Presse und beim Sozialforum fand das Anliegen hingegen Gehör. Als ich so in etwa die ersten 1.000 Unterschriften zusammen hatte, bekam ich einen persönlichen Gesprächstermin. Da saßen dann Dr. Rauball, Herr Schneck und ich zusammen. Das war Ende Februar 2006. Es war ein offenes, faires Gespräch. Aber es brachte leider nicht den von mir gewünschten Erfolg.
schwatzgelb.de: Der BVB ist einer der absoluten Zuschauermagneten in Europa. Welches Interesse kann Borussia Dortmund an der von dir angestrebten Ticketregelung haben? Er scheint ja aktuell nicht unbedingt darauf angewiesen zu sein.
Martin: Der BVB sollte Fans, die ihn über Jahrzehnte unterstützt haben, wertschätzen und sie im Stadion halten. Vorteil wären Mehreinnahmen statt irgendwann mal ein halb-volles Stadion.
schwatzgelb.de: Eine Frage, die aufgetaucht ist, war die, worum es dir genau mit deiner Aktion geht. Um richtige Dauerkarten, oder „nur" vergünstigte Einzeltickets?
Martin: Es gibt etliche Leute wie mich, die Ihr letztes Hemd für den BVB hergeben würden und die sich immer wieder eine Dauerkarte kaufen, bis es nicht mehr möglich ist. Viele können sich leider keine Karte mehr leisten. Nun: Fußball ohne Fans wäre eine leere Hülle. Und was ist der BVB ohne seine erwerbslosen Fans? Haben nicht auch die Fans den BVB zu dem gemacht, was er ist? Ich bin in Deutschland und Europa mit dem BVB unterwegs gewesen. Ganz ehrlich, ohne Arbeit bzw. Geld wäre dies gar nicht möglich gewesen. Auch wenn die Preise und das Drumherum viel billiger waren als heute. Ich möchte einfach, dass der Verein diese Fans nicht verliert. Es geht dabei um ermäßigte Stehplatzdauerkarten und Stehplatzeinzelkarten.
schwatzgelb.de: Angesichts der hohen Stadionauslastung, welche Höhe könnten oder sollten derartige Kontingente haben?
Martin: Der BVB wäre der erste Bundesligist, der so etwas hätte. Wie viele? Es sollten mehr sein, als die Handvoll Karten, die es derzeit über das Arbeitslosenzentrum gibt. Ich möchte mich auf keine Zahl festlegen. Trotz der rund 100.000 Betroffenen erwarte ich keine unrealistischen Zahlen, da sich die meisten Erwerbslosen nicht in dem Maße für den BVB interessieren.
schwatzgelb.de: Viele wenden an dieser Stelle ein, dass Fußball, beziehungsweise der Besuch eines Bundesligaspiels, ein „Luxusgut" ist und nicht unbedingt zu den dringenden Bedarfen eines Hartz IV-Empfängers gehört.
Martin: Gut, ich kann diesen Einwand nachvollziehen, auch wenn ich da anderer Meinung bin. Stell Dir vor, Du machst etwas einen Großteil deines Lebens. Es bringt Dir Optimismus, Geselligkeit, Teilhabe. Ich würde Fußball nicht als grundsätzlich lebensnotwendig bezeichnen, aber wenn man mehrere Jahrzehnte daran teilnimmt, dann kann es zu einem existentiellen Bedürfnis werden. Eben weil das nicht nur für mich, sondern auch für viele andere zutrifft, mache ich diese Aktion. Das Problem ist einfach, dass der Regelsatz im Ganzen zu niedrig ist. Ich gebe Dir mal ein Teilhabe-Beispiel mit Fußball. Die Fußballfernsehrechte werden in 18 Teile aufgeteilt. 17 Teile erhält Bayern München. 1 Teil müssen sich alle anderen 17 Teams teilen. So ungefähr läuft es in diesem Land ab, nur wesentlich schlimmer als mit 18 Teilen. Auf Dauer würde so etwas etliche Vereine kaputt machen. Am meisten stört mich das Schwarz-Weiß-Denken vieler Menschen. Auch hierzu ein Fußballbeispiel: Nicht alle BVB-Fans sind gut, nicht alle aus GE schlecht. Fast jeder Fan kennt durch Familie, Freunde(!), Bekannte oder Arbeitskollegen Fans von GE, die in Ordnung sind. Das Bild von Erwerbslosen wird bewusst falsch in die Öffentlichkeit transportiert.
schwatzgelb.de: Wie könnte ein Verkauf ermäßigter Tickets ablaufen?
Martin: Ich könnte mir vorstellen, dass das ALZ diese Aufgabebewerkstelligen kann. Außerdem wäre eine Koppelung an den DO-Pass eine Möglichkeit.
schwatzgelb.de: Wobei aber auch immer die Gefahr von Missbrauch oder des Erschleichens einer derartigen Leistung durch Nichtberechtigte besteht.
Martin: Das ist ein wichtiges Thema. Als ich im März 2006 die Fanabteilung um Unterstützung der Aktion bat, waren das die größten Bedenken. Ich hab zwei Dinge dazu auf Lager:
Der Dortmund-Pass ist immer an einen gültigen Personalausweis gebunden. Durch diese Verbindung wäre das die optimale Lösung. Es würde die Abwicklung ohne weiteren Aufwand ermöglichen. Zudem würde der Do-Pass dadurch aufgewertet. Bei der erwähnten Achtziger-Jahre-Arbeitslosenversion gab es meines Wissens nach einen Ausweis mit Lichtbild vom Arbeitsamt. Auch das wäre eine Möglichkeit, aber mit einem Aufwand verbunden. Jahrelange Erfahrung mit einer Handvoll Karten hat das ALZ. Deshalb halte ich es auch für diesen Umgang für passender. Nun, ich habe dem BVB jetzt zwei Mal meine Hilfe bei der Umsetzung angeboten. Mehr kann ich nicht tun.
schwatzgelb.de: Die von dir angesprochene Problematik, dass ein Fan, der sein Herz an den BVB verloren hat, sich aber aus Kostengründen keine Dauerkarte leisten kann, betrifft aber nicht nur Hartz IV-Empfänger.
Martin: Nun, grundsätzlich finde ich auch Ermäßigungen für Schüler, Studenten, Behinderte und Rentner gut und richtig. Allerdings gibt es für Schüler und Behinderte (noch!) ermäßigte Stehplatzdauerkarten. Leider gibt es seit der Saison 2009/2010 keine Stehplatzdauerkarten für Rentner mehr. Und ich rede hier von Rentnern, die noch viel länger als ich zum BVB gehen, aber eben eine sehr kleine Rente beziehen. Ich finde das ehrlich gesagt eine Zumutung. Das wäre dann die nächste Gruppe, die man ausschließt. Aber klar, meine Aktion ist jetzt nur für Erwerbslose. Mir geht es um eine angemessene Teilhabe an Sport, Freizeit und Kultur.
schwatzgelb.de: Es gibt aber auch etliche Fans, die zwar einen Beruf haben, aber trotzdem nicht oder nur geringfügig mehr im Monat haben als Erwerbslose. Die würden dann aber weiterhin ausgeschlossen bleiben.
Martin: Der Kreis der Dortmund-Pass-Bezieher ist zu eng gesteckt. Ich wäre dafür, dass Menschen, die nur knapp mehr als Hartz IV verdienen, auch in diesen Kreis aufgenommen werden. Und dann würde die Koppelung des BVB-Erwerbslosentarifs an den DO-Pass erst recht Sinn machen.
schwatzgelb.de: Danke für deine Antworten Martin. Noch ein paar abschließende Worte deinerseits?
Martin: Bei meiner Aktion halte ich mich an Regeln, Freundlichkeit, Fairness. Und vor allem akzeptiere ich auch ablehnende Meinungen, solange sie nicht beleidigend geäußert werden. Wer mich wegen meines Engagements unangemessen behandelt, muss hingegen damit rechnen, dass ich mich wehre. Einige Menschen, die zu den oben genannten 98% gehören, wollen oder können einfach nicht verstehen, dass sie morgen genauso betroffen sind. Und dann möchte ich das Geschrei dieser Leute hören. Arbeit sollte sich nicht nur für die oberste Schicht lohnen, sondern gerade für Gering- und Normalverdiener. Dass die anderen 2% versuchen, Schwarz-Weiß-Malerei zu betreiben und Hetze zu fördern, ist mir klar.
Außerdem habe ich für die Aktion eine neue E-Mail Adresse eingerichtet: Forever_bvb1968@web.de
Eine Übersicht über den bisherigen Verlauf meiner Aktion findet ihr auf der Internetseite http://agora.free.de/sofodo, dort unter dem Titel: "Aktion für ermäßigte BVB-Eintrittskarten".
Sascha, 17.07.2010