Der bessere Rosicky
Tomas Rosicky ist tschechischer Fußballprofi, inzwischen 30 Jahre alt und verdient sein Geld seit fast fünf Jahren beim Arsenal FC in Englands Hauptstadt London. "Der kleine Mozart", wie Rosicky aufgrund seiner virtuosen Spielweise genannt wird, spielte jedoch bis 2006 auch fünfeinhalb Jahre für unsere Borussia.
Als der junge Tscheche vor fast genau zehn Jahren an die Strobelallee wechselte, war sein Transfer von Sparta Prag mit einem Volumen von fast 15.000.000 Euro noch einer der teuersten der Bundesligahistorie. Dementsprechend waren die Erwartungen und anfangs auch die Leistungen. In der ersten kompletten Saison in Dortmund führte der Regisseur unsere Borussia zur Meisterschaft und ins UEFA-Cup-Finale. Mit der Zeit ließen diese Leistungen aber nach, Rosicky beschränkte sich auf "Dienst nach Vorschrift", ließ zunehmend Torgefahr vermissen und beklagte sogar zu schwache Mitspieler. Trotz allem gilt der Tscheche, inzwischen Kapitän der Nationalmannschaft, bis heute als bester Fußballer, der je für Borussia gespielt hat.
Seine Nachfolge sollten verschiedene Spieler antreten. Neben dem Südafrikaner Steven Pienaar durfte sich vor allem der Ungar Tamas Hajnal auf der Position "10" versuchen, uns machte dies - bis zu einer Verletzung - auch absolut befriedigend. Als dann jedoch der Ägypter Mohamed Zidan mit seiner schnellen, quirligen Spielweise die Position der hängenden Spitze im neuen 4-2-3-1 einnahm, verlor auch der fitte Hajnal seinen Platz - bis sich Zidan schwer verletzte, was den BVB letzte Saison vermutlich die Teilnahme an einem noch lukrativeren Wettbewerb kostete.
Im Sommer legte der BVB auf dem Transfermarkt also nach. Neben dem Königstransfer Robert Lewandowski, der mit rund 4,8 Millionen Euro den teuersten Einkauf seit Torsten Frings bedeutet und Nelson Valdez als zweiten Stürmer ersetzen sollte, verpflichtete man vor allem einen jungen Japaner. Shinji Kagawa war gerade mit Cerezo Osaka in die erste Liga Japans aufgestiegen und hatte mit 24 Treffern in 26 Spielen (bei weiteren 16 Torvorlagen) maßgeblichen Anteil an diesem Erfolg. Auch in der neuen Saison, die im März begann, hatte der quirlige Japaner in elf Einsätzen bereits siebenmal getroffen, was ihm fast einen Platz in der japanischen Weltmeisterschaftsmannschaft brachte.
Vor allem aber brachte es dem 21-jährigen die Aufmerksamkeit von Michael Zorc und dessen Scoutingteam. Volker Finke, nach 16 Jahren beim Sportclub Freiburg nun für die Urawa Red Diamonds tätig, hätte den Beidfüßer gern verpflichtet, hatte aber das Nachsehen hinter Borussia, die Kagawa den Wechsel schon mit einer Einladung zum Vereinsjubiläum schmackhaft machten. Für letzten Endes gerade ein mal 350.000 Euro Ausbildungsentschädigung verlegte der 1,72m große Offensivkünstler seinen Lebensmittelpunkt nach Dortmund.
Schon früh lobte Klopp Kagawa, der oben erwähntem Rosicky aus der Ferne erschreckend ähnlich sieht, für dessen Lernwille und Laufbereitschaft (welche nur durch die seines noch kleineren Dolmetschers getoppt wird). Anfänglich anstelle von Großkreutz auf den offensiven Außenpositionen eingesetzt, entpuppte sich Kagawa immer mehr zu dem, was eben jener Rosicky zu seiner Anfangszeit in Dortmund darstellte: ein kreativer Spieler, der mit hoher Geschwindigkeit durch das Mittelfeld jagen kann, eine Menge Zug zum Tor hat und mit Spielwitz die gegnerischen Abwehrreihen schwindelig spielt. Sogar seine Ballführung ähnelt der des Tschechen, sodass sich Vergleiche wohl nicht vermeiden lassen.
Doch Kagawa ist nicht Tomas Rosicky. Shinji vermag es nicht, den Ball so magisch mit dem Außenrist zu schlenzen, holt sich die Kugel selten bei der eigenen Viererkette ab und packt selten eine Grätsche aus. Kagawa ist deshalb aber nicht schlechter als Rosicky, ganz im Gegenteil! Der Japaner ist mit dem linken Fuß nur minimal schwächer als mit dem Rechten, scheut kein Kopfballduell und stellt die Gegenspieler meist stehend. Er ist weniger Ballverteiler als Ballverwerter, kreiert Unruhe und ist dabei vor allem eines: torgefährlich. Wo Kagawa ist, da ist Gefahr!
Es kommt sogar noch besser. Passend zur aktuellen Mannschaft ist Kagawa teamfähig und selbstkritisch, sucht den Fehler zuerst bei sich und arbeitet an seinen Schwächen. Bezeichnend dafür ist seine Aussage nach dem Europa-League-Spiel in Paris, er müsse öfter den Abschluss suchen, welche er in Hannover nach nur elf Minuten erfolgreich in die Tat umsetzte. Immer, wenn man dachte, Kagawa sei schlapp oder überspielt, setzte der Japaner im kommenden Spiel ein Ausrufezeichen und strafte alle Kritiker Lügen. Eine fast schon beängstigende Eigenschaft.
Bleibt festzuhalten, dass die sportliche Leitung um Michael Zorc mit diesem Transfer einen absoluten Volltreffer gelandet hat. Schon jetzt traf Kagawa in der Bundesliga häufiger ins Netz, als Rosicky je in einer Saison zu vollstrecken wusste. Schon jetzt dürfte Shinji seinen Marktwert vervielfacht haben. Schon jetzt ist der Japaner die Entdeckung der Saison. Shinji Kagawa ist aufgrund des Preises, der Leistung und dem entsprechenden Verhältnis der bessere Tomas Rosicky. Und ein Derbyheld obendrein. Möge er das immer wieder bestätigen.
NeusserJens, 15.11.2010