Rückschlag um Rückschlag: BVB verliert Boden im Kampf um Europa
Ein Blick auf das Handy verrät es: Es ist Sonntag, 17:15 Uhr und die Sitzplatztribünen im Westfalenstadion werden bereits von gähnenden Löchern überzogen. Während die ganze Szenerie mit Tausenden von Menschen, die kein Wort herauszubringen imstande sind, etwas gespenstisch anmutet, vernimmt der geübte Beobachter im weiten Rund mit viel Mühe leise, freudetrunkene Rufe.
„Hoffe, Hoffe,“ stimmt ein kleiner, blau-weißer Pulk im Norden an, so laut, wie in den ganzen vorhergegangenen 89 Minuten nicht.
Die Mannschaft, die hier zu Hause ist, nennt sich allerdings BVB, doch schwarzgelbe Anfeuerungsrufe sind inzwischen verstummt. Zu groß sitzt der Schock bei den Fans, die vor wenigen Sekunden mit ansehen mussten, wie der BVB nicht nur zwei wichtige Spieler verliert, sondern auch zwei Punkte und den so ersehnten Platz drei aus der Hand gibt – und das im wahrsten Sinne des Wortes in letzter Minute.
Dabei hatte alles so gut begonnen. Bei bestem Fußballerwetter sollte die Partie ausgetragen werden, der strahlend blaue Himmel ohne Wolken - ja dank des isländischen Vulkans mit dem komplizierten Namen sogar ohne Kondensstreifen - sorgte schon vor dem Anpfiff für gute Laune. Der Geruch von Bier, Bratwurst und Sommer liegt in der Luft und auch die sportlichen Nachrichten lassen sich gut an: Die unter der Woche angeschlagenen Kuba und Owomoyela können spielen, der Sprung auf Platz drei ist bei einem Sieg möglich - und sowieso: Was soll am Ehrentag von Fußballgott Dede, der zudem auch noch in der Startformation steht, schon großartig schief gehen?
Dede feiert Geburtstag
So bekommt das Geburtstagskind zu seinem 32. Geburtstag zunächst einmal auch, was ihm gebührt. Ein Ständchen, gesungen von Norbert Dickel und der Südtribüne, lässt Dede keineswegs kalt. Dass er gerührt war, wird er hinterher, wenn das Spiel gelaufen ist, noch erzählen. Auch die Nordtribüne singt in großen Teilen mit, denn hier steht nicht etwa die große Anhängerschar der TSG, nein, hier darf man eine Miniatur-Ausgabe der schwarzgelben Wand bestaunen. Das alles, weil Anhänger des Vereins aus dem Rhein-Neckar-Kreis in Baden-Württemberg nur sehr spärlich erschienen sind. Rund 800 blau-weiße Fans sind gen Ruhrpott mitgereist und können trotzdem kaum für so etwas wie Stimmung sorgen. Ganz anders als die BVB-Fans. Mit Anpfiff wird der Lautstärkepegel immer größer und verleiht der Mannschaft von Jürgen Klopp so zunächst Flügel.
Immer wieder Kuba
Über den rechten Flügel nämlich ist es in der Anfangsphase immer wieder Kuba, der polnische Nationalspieler, der wirbelt und seinem österreichischem Pendant Andreas Ibertsberger mächtig Probleme bereitet. In der 4. Minute schon verliert Ibertsberger den Ball gegen einen wieselflinken Blaszczykowski und kann nur noch zuschauen, wie dem gut in Position gebrachten Barrios der Ball im Strafraum in letzter Sekunde vom Fuß gespitzelt wird. Der Ex-Nationalspieler Compper kann klären, doch auch die darauffolgende Ecke ist gefährlich: Gewusel im Strafraum, Hummels ist beteiligt, doch im Endeffekt klärt wieder ein Abwehrspieler der Blauen. Nach 10 Minuten zeigt sich – welch Wunder – wieder einmal der polnische Flügelspieler Kuba, der im Vergleich zum Spiel in Mainz wie ausgewechselt wirkt. Nach seiner Hereingabe kommt der argentinische Panther Barrios zum Kopfball, mit dem Timo Hildebrand allerdings keinerlei Probleme hat. Und auch nach einer Viertelstunde hat Kuba noch nicht genug und vernascht zwei Gegenspieler auf rechts. Seinen Flankenball verpassen Bender und Barrios dieses mal um Haaresbreite, den Schuss des heraneilenden Großkreutz hält Hildebrand ohne Mühe.
Von Anfang an macht der BVB das Spiel. Wenn eine interessante Offensivaktion zustande kommt, dann nur über die Dortmunder, bei denen vor allem Kuba zu überzeugen weiß. Wirklich gute Chancen vor dem Tor fehlen aber noch, was allerdings nur eine Frage der Zeit zu sein scheint.
Der erste Akt: Sorge um Sahin und Zidan
Dann folgt Rückschlag Nummer eins. Nach 18 Minuten muss ein sichtlich angeschlagener Sahin nach einem Ellbogenschlag von Salihovic vom Feld. Der Verdacht auf einen Nasenbeinbruch zieht wie eine dunkle Wolke über das Westfalenstadion und schon fragen sich die ersten, ob der junge Türke wohl schon gegen Nürnberg mit Maske wieder auflaufen kann. Ganze vier Minuten und ein Schuss von Barrios verstreichen, als mit Tamas Hajnal endlich der Vertreter von Sahin eingewechselt wird. Und der reiht sich ein in die Doppelsechs mit Sven Bender, das Erfolgssystem der letzten Wochen und Monaten wird demnach beibehalten. Kurz darauf - die Mannschaft ist gerade dabei, sich neu zu organisieren - folgt schon der nächste Dämpfer.
Dabei ist das in Minute 27 gebotene durchaus ein vertrautes Bild: Mohamed Zidan jagt einem Ball hinterher, um den Hoffenheimer Compper im Aufbauspiel zu stören. Der flinke Ägypter allerdings knickt bei einer Körperdrehung um und bleibt mit schmerzverzerrtem Gesicht in der gegnerischen Hälfte liegen. Ein Raunen geht durch das Stadion, als der Mannschaftsarzt schon nach wenigen Sekunden seiner Begutachtung das Zeichen zur Auswechslung gibt und Zidan auf einer Trage von den Katakomben des Westfalenstadions verschluckt wird. Der nächste Wechsel: Valdez kommt ins Spiel, übernimmt haargenau die Position seines Vorgängers, wenngleich er die Ausführung im folgenden etwas anders interpretiert.
Langsam verlagert auch Hoffenheim sein Spiel ein wenig nach vorne, der BVB verliert dadurch etwas an Dominanz, gerät aber nie wirklich in Gefahr. Das ohnehin nicht allzu ansehnliche Spiel verflacht sogar noch etwas, Hoffenheim begnügt sich mit Ballbesitz und gibt bis zur Pause keinen einzigen Torschuss ab. Auch der BVB baut etwas ab, wirkt sichtlich geschockt. Weiterhin ist es nur Kuba, der ab und zu für etwas Gefahr in der gegnerischen Hälfte sorgt. Doch Barrios (31., 36.) kann seine Anspiele nicht optimal verwerten. Die Fans sind dankbar für jede gute Aktion, erholen sich aber nur langsam von der doppelten verletzungsbedingten Auswechslung. Es zentriert sich alles ein bisschen auf das unfaire Spiel der TSG, bei denen Luis Gustavo an der Grenze eines Platzverweises wandelt.
Bald schon machen sich die ersten Nachrichten auf der Pressetribüne breit. Der Nasenbeinbruch von Nuri Sahin, der von vielen schon vermutet worden war, wird bestätigt. Zidan scheint es gar noch schlimmer getroffen zu haben: Verdacht auf Kreuzbandriss lautet die erste Diagnose. Ein niedergeschlagener Jürgen Klopp ahnt später auf der Pressekonferenz Böses: „Es sieht wirklich nicht gut aus, aber solange wir noch nichts genaues wissen, geben wir natürlich auch keine Prognosen ab. Warten wir die Bilder ab.“
Der zweite Akt: Rückschlag folgt Treffer folgt Rückschlag
Die zweite Hälfte beginnt mit einer Kundgebung der Südtribüne. Diverse ironische Beleidigungen an den überaus spendablen Mäzen des Gegners aus der Provinz sind dort auf Plakaten zu lesen. „Bild: Haltet eure Cam's bereit, jetzt ist wieder Pöbelzeit“, steht darunter auf einem Banner geschrieben, eine Anspielung auf die Berichterstattung nach den Vorfällen bei den letzten Aufeinandertreffen. Ein Hinweis auf den schlechten Teamgeist und die unterirdischen Leistungen des letztjährigen Herbstmeisters darf da ebenso nicht fehlen.
Der BVB startet ähnlich giftig. Gerade einmal wenige Sekunden in Hälfte zwei sind verstrichen, da zappelt der Ball schon im Netz. Barrios heißt der Kopfball-Schütze, dem 99% des Stadions zujubeln, ehe Schiedsrichter Stark auf Abseits entscheidet. Ein Pfiff, der allerdings alles andere als stark war. Zum Zeitpunkt des Zuspieles stand der Angreifer nicht im Abseits, das Tor hätte gelten müssen. So langsam schien auch der letzte daran zu glauben, dass dieser Tag für die Schwarzgelben wie verhext war.
Schon scheint das Spiel zu verflachen, als Valdez plötzlich einen Kopfball in die rechte Torecke, vorbei an Hildebrand, setzt (56.). Diesmal gilt das Tor und der BVB führt mit 1:0. Kevin Großkreutz ist es, dem dabei ein großer Anteil am Treffer des Paraguayer zuzuschreiben ist. Der „Dortmunder Jung“ hatte eine missratene Flanke von Kuba erlaufen und den Ball mustergültig in die Mitte gehoben. Das Westfalenstadion bebt jetzt, das Tor ist wie eine Befreiung, Erleichterung pur, Platz drei zum Greifen nahe.
Wer nun allerdings glaubt, der Bann sei gebrochen, wird schnell eines
besseren belehrt. Nach dem Treffer geht für den BVB nach vorne kaum
noch etwas. Zu sehr lassen sich alle elf Spieler - Ausnahme ist hin und
wieder Barrios - in die eigene Hälfte drängen und können so selten für Entlastung sorgen.
Da die TSG aus Hoffenheim sich aber die ganze Spielzeit über gänzlich ungefährlich präsentiert und keine einzige Torchance kreiert, sieht alles nach einem sicheren Sieg und drei Punkten für die Heimmannschaft aus. Bis zur 89. Minute. Nachdem bis dahin nur die Südamerika-Fraktion um Dede und Valdez mit Schüssen neben das Tor (60., 83.) sowie Hajnal mit einer Freistoß-Flanke (84.) ein wenig Gefahr vor dem Tor heraufbeschwören können, trifft Hummels mitten ins Dortmunder Herz. Nach Ballverlust von Hajnal und Flanke von links bugsiert der ehemalige Münchener den Ball fast zeitgleich mit Ibisevic unglücklich ins eigene Netz. Der schwarzgelbe Unglückstag war vollendet.
Noten
Weidenfeller: Überhaupt nicht geprüft, beim Tor in letzter Sekunde traf ihn keine Schuld – Note 3
Owomoyela: Bis auf zwei mittelschwere Fehlpässe eine solide Partie, bei der er allerdings offensiv effektiv nicht allzu oft in Erscheinung trat – Note 4
Subotic: Agierte gut in den Zweikämpfen und ließ gegen allerdings auch harmlose Hoffenheimer nicht viel zu. Stark seine Grätschen, die Tagoe zur Verzweiflung brachten – Note 3
Hummels: Spielte nicht so souverän wie sonst, verlor bei einem unnötigen Ausflug in die Offensive in gefährlicher Situation den Ball, war unglücklicher Eigentorschütze, aber hatte auch einige gute Szenen – Note 4
Dede: Das Geburtstagskind mit einer überraschend spritzigen und kämpferisch überzeugenden Partie. Auch nach vorne durchaus ansprechend. Respekt für so ein Comeback nach so langer Pause - Note 2,5
Bender: Wie man es von ihm kennt. Ein unauffälliges Spiel, in dem er allerdings vor allem in Hälfte eins das Spiel gut ordnete und den ein oder anderen Ball gut abfing. Ließ in der letzten halbe Stunde aber nach – Note 3,5
Sahin: Zu kurz im Spiel, um benotet zu werden. Hoffentlich kommt er schnell wieder zurück. Gute Besserung!
Großkreutz: Gute Leistung. Bereitete das Tor mit einer Energieleistung vor, spielte klug und durchdacht nach vorne, verstand sich auch mit Dede gut – Note 2,5
Zidan: Auch er zu kurz in der Partie. Hoffentlich nicht die vermutet schlimme Verletzung, denn ein Zidan in guter Form ist für den BVB in dieser Saison mittlerweile mehr als wichtig geworden. Auch hier: Gute Besserung!
Kuba: In der ersten Halbzeit bester Spieler seiner Mannschaft. Dann etwas unauffälliger, aber immer noch einer der aktivsten Dortmunder. Warum nicht immer so? – Note 2,5
Barrios: Eher unauffällig, mit nur einem halbwegs gefährlichen Schuss. Abgesehen davon erzielte er ein reguläres Tor, das allerdings nicht gegeben wurde. Arbeitete viel, aber hatte nur wenige gelungene Aktionen. Manchmal vertändelt er die Bälle zu leicht. Alles in allem nicht sein Tag – Note 4
Hajnal: Entscheidender Ballverlust vor dem Gegentor, auch sonst viele Ballverluste. Ordentliche Bälle wechselten sich mit Fehlpässen ab. Macht oft einen Haken zu viel – Note 4,5
Valdez: Kam für Zidan und ackerte. Trat nicht häufig in der Offensive in Erscheinung, was an der Gesamtperformance der Mannschaft lag. Schöner Kopfballtreffer – Note 3
Stimmen
Ralf Rangnick: „Ich denke, wir haben heute genau die Tugenden gezeigt, die wir von der Mannschaft auch sehen wollten. Wir haben gut verteidigt als gesamter Block. In der Phase, in der wir zum ersten mal gute Ballpassagen nach vorne hatten und auch der eigene Ballbesitz etwas stabiler wurde, haben wir leider wieder ein Gegentor kassiert. Dass die Mannschaft es trotzdem bis zum Schluss versucht hat, den Ausgleich zu machen und ganz am Ende auch dafür belohnt wurde, kann man ein oder zwei Minuten vor Schluss als glücklich bezeichnen. Doch wenn man das gesamte Spiel sieht, dann ist es nicht ganz unverdient und für uns natürlich enorm wichtig, dass wir endlich auch mal wieder Zählbares mitgenommen. Dementsprechend war jetzt natürlich auch die Stimmung in der Kabine.“
Jürgen Klopp: „Bei uns ist die Stimmung in der Kabine auch dementsprechend. Wir haben heute in einem ganz, ganz schweren Spiel gegen einen unglaublich defensiv eingestellten Gegner gespielt und mussten uns wirklich jeden kleinen Vorteil brutal erarbeiten. Das ganze ist erschwert worden durch die frühen Verletzungen. Nuri Sahin hat einen Nasenbeinbruch und bei Mohamed Zidan wissen wir noch nicht genau, was es ist. Das sieht nicht gut aus, aber solange wir noch nichts genaues wissen, warten wir auf die Bilder und geben wir natürlich auch keine Prognosen ab. Dazu haben wir unter der Woche Probleme im Mannschaftstraining gehabt. Patrick und Kuba waren nicht dabei und wenn schon zwei Wechsel weg sind, ist das nicht leicht. Und wenn das so beginnt, dann passiert es meisten, dass das Ding komplett in die falsche Richtung läuft. Darauf haben wir uns in der Halbzeit eingeschworen, das wollten wir unbedingt verhindern. Die zweite Halbzeit beginnen wir mit einem wunderschönen Tor nach einer Standardsituation, das uns nicht gegeben wird. In so einem engen Spiel tut das unglaublich weh. Aber wir machen dann trotzdem noch das 1:0 und werden für den einzigen wirklichen Fehler, den wir heute gemacht, bestraft. Bis auf die ein oder andere tiefe Staffelung, wo wir sicher nicht den ganz großen Druck auf den Ballbesitz ausgeübt haben und zwischendurch dann auch mal mit Mann und Maus verteidigt haben. Fühlt sich total ungerecht an und ist einfach ein mieses Gefühl. Trotzdem müssen wir jetzt natürlich damit umgehen. Jetzt gucken und hoffen wir einfach, dass wir sowohl Nuri mit seiner Nase irgendwie hinkriegen und dass das mit Mo nicht allzu schlecht ist. Dann werden wir uns neu aufstellen und dann fahren wir nach Nürnberg.“
Neven Subotic: "Wir waren die bessere Mannschaft und haben wirklich kein schlechtes Spiel gemacht. Wir hatten auch genug Tormöglichkeiten, um das Spiel für uns zu entscheiden. Wir wollten heute unbedingt gewinnen, mit drei Punkten hätten wir eine gute Ausgangsposition gehabt, und durch einen kleinen Fehler kriegen wir heute das Gegentor in der letzten Minute. Das darf uns nicht passieren."
Tamas Hajnal: "Heute war es nicht einfach, denn wir hatten viel Pech. Es ist vieles schiefgegangen mit den beiden Verletzungen, mit dem Tor kurz vor Schluss und auch mit den Entscheidungen."
Statistik
TSG: 28 Hildebrand – 2 Beck, 14 Simunic, 5 Compper, 26 Ibertsberger – 21 Luis Gustavo (46. 37 Gulde) – 17 Weis, 23 Salihovic – 20 Obasi (63. 19 Ibisevic), 18 Tagoe (7 Maicosuel), 10 Carlos Eduardo
Tore: 1:0 Valdez (56., Großkreutz), 1:1 ET Hummels (89., Carlos Eduardo)
Gelbe Karten: Weidenfeller, Dede – Simunic, Luis Gustavo, Ibertsberger
Zuschauer: 80.100
geschrieben von Daniel R.