Von Euro League und Vizekirchen
Die Partie vom 1. Mai wird in vielerlei Hinsicht als Abschiedsspiel in Erinnerung bleiben. Mit einem 1:1-Unentschieden gegen den Vorjahresmeister aus Wolfsburg absolviert der BVB sein letztes Heimspiel dieser Saison und bietet den Zuschauern eine unterhaltsame Partie.
Gleichzeitig muss die Mannschaft die zuletzt vage aufkommenden Champions-League-Hoffnungen ad acta legen. Und auch ein Publikumsliebling sagt Lebewohl: Paulo Cesar Fonseca do Nascimento, kurz: Tinga. Der 33. Spieltag 2009/2010: ein Spieltag, der es in sich hat, einer von denen, die sowohl in punkto Freude als auch Enttäuschung viel zu bieten haben.
Dank an Tinga, Gruß nach Madrid
Schon vor dem Anpfiff ist die Vorfreude auf den Tribünen förmlich zum Greifen nah. Die gut gefüllten Ränge, die größtenteils in schwarz und gelb schimmern, bieten ein schönes Bild bei ordentlichem Fußballwetter mit 15 °C und leichtem Sonnenschein. Tinga, die Nummer Sieben aus Brasilien, der dem BVB vier Jahre lang die Treue gehalten und besonders in seinen ersten drei Jahren (ohne Verletzungen) beständig starke Leistungen gezeigt hatte, wird mit einem Blumenstrauß von Hans-Joachim Watzke und stehenden Ovationen sowie lautstarkem Applaus von Nord-, Ost-, West- und Südtribüne verabschiedet. Ein weiterer Gruß geht an einen Spieler, der vor nicht allzu langer Zeit ähnlich laut gefeiert wurde: Das Banner „Metze, du Verräter“ ist allerdings ein eher wenig freundlich gemeinter Gruß nach Madrid.
Nach der Seitenwahl, die die Dortmunder verlieren und deshalb schon zu Beginn Richtung Südtribüne spielen, pfeift Dr. Felix Brych die Partie an. Zwei grundverschiedene Hälften sollen die rund 80.300 Zuschauer, die den Weg ins Stadion gefunden haben, zu sehen bekommen. Kurzfristig wurden einige Tage vor dem Spiel aufgrund von Rückläufern aus Wolfsburg Karten für den Gästeblock 60 an Fans der Borussia verkauft, was einen schwarzgelben Pulk auf der Nordtribüne zum Ergebnis hat.
Dennoch, und das darf jetzt schon verraten werden, traten die Wolfsburger Fans nicht nur zahlreicher sondern auch lautstärker als die Hoffenheimer vor zwei Wochen in Erscheinung. Mehr aber auch nicht. Leistungstechnisch bot der BVB das Bild, das er schon die gesamte Saison hinweg geboten hatte. Trotz nach Klopp laut Zahlen belegter Frische auch in den zweiten 45 Minuten waren Sahin, Hajnal und Co. vor allem zu Beginn das deutlich stärkere Team und bauten dann jedoch so stark ab, dass auch der VfL große Chancen hatte, die drei Punkte in die Ferne zu entführen.
Druckvolle erste Halbzeit
Aber von Anfang an. Der BVB in neuem Trikot dreht in den ersten Minuten mächtig auf und zwingt die Wölfe immer wieder zu Stockfehlern in der eigenen Hälfte. Das Forechecking führt auf diesem Wege früh im Spiel zu aussichtsreichen Einschussmöglichkeiten. Vor allem die rechte Defensivseite in Gestalt von Peter Pekarik gibt sich Blöße im Defensivverhalten, die Schmelzer und Großkreutz geschickt auszunutzen wissen. Eine Chance für Barrios (7. Minute), der knapp eine Hereingabe vom durchgebrochenen Großkreutz verpasst sowie ein Schuss vom Dortmunder Jungen nur drei Minuten später sind erste Hinweise für die Wolfsburger Anfälligkeiten. Zwischendurch versuchen sich auch Hajnal (8.) und Hummels (9.), deren Möglichkeiten der heute hervorragend aufgelegte Benaglio glänzend zu parieren weiß. Die Fans im weiten Rund ziehen sofort mit und peitschen das junge Team immer wieder nach vorne. Und so geht’s weiter: Der BVB sucht sein Heil in der Offensive, Köstner setzt in dieser Phase wohl auf gut gesetzte, einzelne Konter.
Nächste Chance für die Borussia in Minute 24: Barrios mit kurz zuvor gewechseltem Schuhwerk, aber alter Frisur köpft nach schöner Flanke von Schmelzers schwächerem rechtem Fuß Richtung Tor von Benaglio, wird aber in letztem Moment vom abwehrendem Madlung am Torjubel gehindert. Aufgrund der viel rotierenden vier Offensivspieler Barrios, Valdez, Kuba und Großkreutz, die immer wieder die Positionen tauschen, kommen auch Hummels (25.) und Sahin (27.) zu weiteren kleineren Möglichkeiten.
Dennoch fällt sofort auf: Auch Wolfsburg präsentiert sich in der Offensive gefährlich, auch ohne zunächst einmal große eigene Torchancen zu kreieren. Ein Beinahe-Eigentor von Hummels bleibt da die Ausnahme von der Regel. Man spürt, dass die im provokanten Blau-Weiß aufgelaufenen Spieler aus Niedersachsen immer für ein Tor gut sind – hier sticht natürlich Edin Dzeko noch einmal besonders hervor. Unsicherheitsfaktor in der Defensive des BVBs ist auch hier der Rechtsverteidiger: Owomoyela, der Hasebe und Dzeko ab und an zu viel Raum lässt. Durch die Mitte allerdings entsteht dann die größte Möglichkeit für den VfL: Barzagli verzieht allein vor Weidenfeller und setzt den Ball über das Tor (28.).
Von da an wieder der BVB. Dem (glücklichen) Elfmeterpfiff von Brych folgt der verschossene Elfmeter von Sahin (34.), worauf Dortmund mit noch mehr Offensivkraft antwortet. Doch Barrios mit guten Einzelaktionen (35., 40.), sowie Valdez (Kopfball 38., Schuss 42.) und Hajnal mit einem Schuss parallel zur Torlinie (42.), vergeben allesamt beste Chancen. Der Kollege am Ticker zählt am Ende von Halbzeit eins dreizehn Einschussmöglichkeiten für Schwarzgelb und keiner weiß, warum es mit einem 0:0 in die Kabinen geht.
Der Bruch im Spiel
Nach einer Partie Match Attax und dem abschließenden Aufeinandertreffen von Jugend gegen Profis (als Belohnung muss die Profimannschaft die kleinen Kicker beim gemeinsamen Grillabend bedienen), bittet Schiedsrichter Dr. Felix Brych zur zweiten Halbzeit. Und die verläuft grundverschieden zur ersten.
Zwar präsentiert sich das Team von Jürgen Klopp durchaus willig, wie in den ersten 45 Minuten das Spiel zu dominieren und Torchancen herauszuspielen, wirklich Zwingendes kommt dabei aber nicht mehr heraus. Im Gegenteil: Nun ist es immer wieder Wolfsburg, das mit gefährlichen Kontern das Herz der Borussen-Fans das ein oder andere Mal zum Stocken bringt. So ist es vor allem Grafite, der vor dem Tor von Weidenfeller in aussichtsreicher Position auftaucht, aber gleich dreimal scheitert (55., 57., 63.). Die Nummer eins von Dortmund kann sich mit einer Weltklasse-Parade und starkem Stellungsspiel behaupten. Sowieso fällt in dieser Phase auf, wie sehr sich Weidenfeller auch fußballerisch entwickelt hat. Seine Abspiele und Abwürfe kommen nun deutlich präziser und zu den richtigen Zeitpunkten. Doch auch er vermag es nicht zu verhindern, dass schließlich die fast folgerichtige Führung für die Wölfe fällt. Dzeko macht es mit seinem 21. Saisontor (69.). Ein Treffer, so unglücklich in seinem Zustande-Kommen wie die gesamte Partie. Subotic ist es, der zu allem Überfluss auch noch wegrutscht.
So muss der BVB noch mehr Risiko eingehen, was gerade Dzeko immer wieder in gefährliche Schusssituationen bringt. Glücklicherweise wird sich der Bosnier nach dem Spiel ärgern: „Ich muss hier eigentlich noch das zweite Tor machen, deswegen bin ich nicht zufrieden. Aber das ist Fußball.“
Klopp wechselt eine gute Viertelstunde vor Schluss dreimal in drei Minuten. Und der letzte Wechsel ist schließlich der entscheidende. Dem antrittstarken und motivierten Youngster Stiepermann gelingt etwas glücklich der 1:1-Ausgleichstreffer (80.). In den folgenden letzten zehn Minuten geben die Schwarzgelben mit geballter Offensive um die neuen Rangelov, Dede und Stiepermann noch einmal alles. Die Südtribüne versucht den Ball ins Tor zu tragen und fährt das letzte Mal für diese Spielzeit auf Hochtemperatur. Weidenfeller hält es kaum noch in der eigenen Hälfte. Aber es hilft alles nichts: Barrios bietet sich aus spitzem Winkel die letzte Chance (82.), die Benaglio entschärft. Am Ende kann der BVB sogar froh sein, einen Punkt geholt zu haben. Die Fans jedenfalls sind mit sich und der Mannschaft im Reinen, feiern Tinga, den Europapokal und den Titelgewinn der Bayern. Dass es dieses Mal nicht zur Championsleague-Qualifikation gereicht hat, ist nicht weiter schlimm. Das Vertrauen ist groß: Nächstes Jahr wird der nächste Schritt gemacht. Davor zählt aber, Restzweifel um Platz fünf im Spiel gegen Freiburg schnellstens im Keim zu ersticken.
Ein Blick auf die Tabelle
Dortmund (mit 57 Punkten) kann in der letzten Partie noch Bayer Leverkusen, das mit einen Punkt mehr den 4. Platz belegt, abfangen. Platz 5 scheint bereits relativ gefestigt. Stuttgart hat als Sechstplatzierter nicht nur drei Punkte weniger als die Borussen auf dem Konto, sondern auch eine um vier Tore schlechtere Differenz. Trotz Unentschiedens und Bremer Sieg gibt also es deutlich positiv hervorzuhebende Nebeneffekte, die die Ergebnisse des 33. Spieltags mit sich bringen: Der größte davon ist die Vize-Meisterschaft des ungeliebten Nachbarns aus Gelsenkirchens. Dank der Niederlage gegen Bremen wird deren Serie auf nun 52 Jahre ohne Deutsche Meisterschaft ausgebaut. Also: Dortmund im Europapokal, Schalke kein Meister. Borussenherz, was willst du mehr?
Noten
Weidenfeller: Starke Partie des auch fußballerisch gut aufgelegten Weidenfeller. Eine Weltklasse-Parade gegen Grafite, chancenlos beim Gegentor – Note 2
Owomoyela: Oftmals wurde von Wolfsburger Seite versucht, seine Unsicherheiten in der Defensive auszunutzen. Offensiv eine gute Flanke von Valdez, ungewöhnlich, aber nachvollziehbar, seine Auswechslung – Note 4
Subotic: Erste Halbzeit kein Durchkommen, zweite Halbzeit häufiger mit Stellungsfehlern bei allerdings auch offenen Dortmundern – Note 3
Hummels: Tat sich im Aufbauspiel mit einigen Fehlpässen schwer, hatte es auch schwer, als Klopp auf die Karte Offensive setzte – Note 4
Schmelzer: Gutes Spiel, erst auf links, dann auf rechts. Ordentliche Flanken, die nicht immer das Ziel fanden - Note 3
Hajnal: Deutlich besser als gegen Hoffenheim, kluge Pässe, leitete das Tor ein – Note 2,5
Sahin: Starke erste Halbzeit mit verschossenem Elfmeter, schwächere zweite Hälfte – Note 4
Großkreutz: Gute Anfangsphase, holte den Elfmeter heraus, war dann schnell platt. Ihm würde eine Pause gut tun – Note 4
Valdez: Bereitete den Ausgleich vor, ansonsten blieb er ungefährlich und blass – Note 3,5
Kuba: Ganz unglückliche Partie, kaum eine gelungene Aktion – Note 4,5
Barrios: Eine geniale Aktion, als er sein Ziel aus spitzem Winkel knapp verfehlte, auch ansonsten einige Male gefährlich vor dem Tor. Verlor allerdings das Fernduell gegen Dzeko – Note 3,5
Statistik
BVB: 1 Weidenfeller – 25 Owomoyela (72. Dede), 4 Subotic, 15 Hummels, 29 Schmelzer – 30 Hajnal, 8 Sahin – 16 Kuba (72. Rangelov) , 9 Valdez, 19 Großkreutz (75. Stiepermann) – 18 Barrios
VW: 1 Benaglio – 19 Pekarik (46. Johnson), 17 Madlung, 43 Barzagli, 4 M.Schäfer – 14 Santana – 13 Hasebe, 25 Gentner – 10 Misimovic – 23 Grafite, 9 Dzeko
Tore: 0:1 Dzeko (Hasebe, 69. Minute), 1:1 Stiepermann (Valdez, 80.)
Schiedsrichter: Dr. Felix Brych (München)
Gelbe Karten: Hasebe, Grafite
Zuschauer: 80.300
Stimmen
Nuri Sahin: Ich bin enttäuscht, dass ich den Elfmeter verschossen habe und wir die Champions-League verpasst haben. Das war mein größter Traum, auf Platz drei zu landen und die Qualifikation zu erreichen. Wir hatten genug Chancen und es tut mir wirklich Leid für die Jungs. Heute bin ich einfach nur traurig. Ich werde nächstes Jahr gestärkt zurückkommen und noch besser spielen. Ich freue mich riesig für Stiepermann, dass er ein Tor gemacht hat.
geschrieben von Daniel R.