Wie ich einmal drei Jahre Stadionverbot bekam
Liebe schwatzgelb.de-User und BVB-Fans,
seit 09 Jahren begleitet schwatzgelb.de unseren geliebten Ballspielverein. Borussia hat uns allen viel gegeben, vielleicht mehr als es das Leben abseits des Fußballs vermocht hätte. Daher möchten wir dem BVB mit einigen ganz persönlichen Worten zum 100-jährigen Bestehen gratulieren. Den Auftakt macht heute unser Mathias alias Scherben.
Der Beginn meiner Fankarriere stand ergebnistechnisch unter keinem guten Stern. Dabei hatte mein Vater - ein glühender Anhänger des BVB, aber schon immer und bis heute nur ein gelegentlicher Stadionbesucher - eigentlich alles richtig gemacht, als er seinen sechsjährigen Sohn an einem Oktobertag des Jahres 1987 erstmals mit ins Stadion nahm: Der BVB war zwar nur mäßig in die Saison gestartet, hatte aber nur drei Tage zuvor mit dem 2:0 gegen Celtic Glasgow seine Rückkehr auf die europäische Fußballbühne standesgemäß zelebriert und den Einzug in die nächste Runde gefeiert.
Die Stimmung war also gut, und dennoch fanden sich (laut diversen Statistikseiten) nur etwa 25.000 Zuschauer im Westfalenstadion ein. Heute undenkbar, aber ich erinnere mich daran, dass mein Vater und ich mehrfach auf der Haupttribüne umziehen konnten, um den Platz zu finden, von dem aus ich einen bestmöglichen Blick hatte. Die Geschichte des Spiels ist dann schnell erzählt: Unsere Jungs, wohl noch leicht verkatert von den Feierlichkeiten am Mittwoch, verloren gegen den Karlsruher SC mit 0:2, und die Namen der Torschützen auf der Anzeigetafel haben sich bis heute in mein Hirn gebrannt: Arno Glesius vor der Pause, Bernhard Raab nach der Pause. Alles in allem ein enttäuschender Nachmittag, und dennoch waren drei Leidenschaften entfacht worden, die mich Zeit meines Lebens begleiten werden: Die für unsere Borussia, die für unser Stadion, und die für unseren Sport an sich.
Vom nächsten Wochenende an verfolgte ich dann regelmäßig die Konferenzschaltung im Radio, sah einige Wochen später mittwochs nachmittags eine 1:2-Niederlage des BVB bei Velez Mostar im Fernsehen (und war noch einige Zeit später fest davon überzeugt, dass wir nicht wegen eines mir unbekannten 2:0-Erfolgs im Hinspiel eine Runde weitergekommen wären, sondern weil wir so gut gespielt hätten), und wenig später begann auch eine lange und glanzlose Karriere als Jugendfußballer beim BV Lünen 05: 1. Kreisklasse von der F-Jugend bis zur A-Jugend, in der Regel also extrem trostloses Gekicke an Samstagnachmittagen (und später sonntags) im Ruhrgebiet. Aus dem Nichts nahm ein mir bis dato unbekannter Sport eine Hauptrolle in meinem Leben ein, und auch 22 Jahre später hat er nichts von seinem Zauber verloren.
Mit dem Handicap, zur besten Fußballzeit in aller Regel selbst auf dem Platz stehen zu müssen, blieb es natürlich nur bei gelegentlichen Besuchen im Westfalenstadion, die dann zumeist anlässlich von Freitagsspielen stattfanden, gelegentlich aber auch an Samstagen zu Saisonbeginn, wenn im Jugendfußball noch Vorbereitungsphase war. Für mich waren diese Spiele dann immer etwas Besonderes, nur mit den Ergebnissen klappte es nicht so recht: Mein zweites Spiel im Stadion dürfte eine 0:1-Heimschlappe gegen Waldhof Mannheim gewesen sein, und selbst wenn ich mal einem Heimsieg beiwohnen durfte (wie etwa im Mai 1991 bei einem 1:0 gegen Bayer Uerdingen), dann war ich schon längst nicht mehr im Stadion, als Jürgen Wegmann den Siegtreffer erzielt hatte, weil wir ja zu unserem Auto mussten, das irgendwo im Kreuzviertel stand, um halbwegs staufrei zurück nach Lünen zu kommen. Sowieso war das Auffinden eines geeigneten Parkplatzes eine Kunst für sich: Früher schwor mein Vater auf die Parkplätze des WDR beim in Stadionnähe gelegenen Studio Dortmund, doch nachdem eine Absperrung ihm diese Möglichkeit genommen hatte, wurde bereits von Beginn der Möllerstraße an die Parkplatzsuche eingeleitet, die nur in wenigen Fällen legal abgeschlossen wurde und nicht selten vor Einfahrten und Garagentoren endete.
Ähnlich ging es bei der Suche geeigneter Plätze im Stadion zu: Selbst wenn man Sitzplatzkarten besaß, wusste man nie so richtig, wo man am Ende nun wirklich das Spiel verfolgen können würde. Klar war nur: Für die Südtribüne war ich noch zu klein, und wenn doch mal gestanden werden wollte, dann im Bereich der Nordtribüne, wo es noch bis weit in die Neunziger hinein getrennte Stehbereiche für BVB-Fans und Anhänger der Gästemannschaften gab. So war ich dann bereits elf Jahre alt, als ich am zweiten Spieltag der Saison 1992/93 meine Premiere auf der Südtribüne feiern durfte: Mein Vater hatte eine(!) Karte für das Derby gegen die erst ein Jahr zuvor aufgestiegenen Blauen, und da Kinder unter sechs Jahren ja umsonst mit ins Stadion genommen werden können... Hat aus unerfindlichen Gründen geklappt. Nur das Ergebnis bei meiner Derby- und Südtribünenpremiere war halt so wie immer: Ein 0:2 gegen Udo Lattek und die ungeliebten Nachbarn, und es dauerte 15 weitere Jahre, bis ich meinen ersten (und einzigen) Sieg gegen die Blauen feiern konnte. Dabei begann unsere echte Horrorserie im Revierderby erst 1998, und ich hätte vorher ja noch genug Zeit für ein paar Derbysiege gehabt... Allein, ich durfte nicht. Stadionverbot. Und das kam so:
Auch wenn natürlich nicht jedes Heimspiel dieser Zeit verloren wurde, wenn ich anwesend war, kann ich mich an nicht mehr als drei Siege in den ersten sieben Jahren erinnern, bei denen ich zugegen war: Besagtes 1:0 gegen Bayer Uerdingen, bei Ottmar Hitzfelds Heimpremiere wenig später ein 2:1 gegen Werder Bremen (unvergessen Otto Rehhagel: "Der Mill verarscht uns doch schon seit Jahren!"), und zuletzt ein 4:1 gegen Hansa Rostock in derselben Saison, als wir mit der gesamten D-Jugend Karten für die Nordtribüne hatten. Der Rest waren üble Klatschen wie ein 0:3 gegen den VfB Stuttgart oder auch mal ein enttäuschendes 0:0 gegen Eintracht Frankfurt. Dennoch waren wir auch zu Beginn der Saison 1993/94 unverdrossen, und als erstes Saisonspiel im Stadion hatten wir uns ein Heimspiel des mittlerweile zur Spitzenmannschaft avancierten BVB gegen den gerade aufgestiegenen VfB Leipzig am 7. Spieltag ausgesucht. An einem Dienstagabend gegen einen absoluten Underdog, da konnte ja nichts schief gehen. Konnte natürlich doch, und dass dem so war, ist bis heute eigentlich unfassbar. Mit der einzigen Chance des Spiels gingen die Gäste bereits nach neun Minuten in Führung, und trotz unzähliger Chancen für Borussia und zweier Platzverweise für Leipzig (einer vor der Pause, einer in der 60. Minute) blieb es beim einzigen Auswärtssieg des VfB Leipzig in der Bundesliga, der am Ende der Saison als abgeschlagener Tabellenletzter den Rückweg in die zweite Bundesliga antreten durfte und sich in den verbleibenden 16 Auswärtsspielen noch zu zwei Unentschieden rumpelte.
Trotzdem freute ich mich wie ein Schneekönig über die Karten für ein Freitagabendspiel im Frühjahr gegen den VfB Stuttgart (kein Wunder eigentlich, die Erinnerung an das 0:1 gegen Leipzig war ja schon verblasst, und nach einem halben Jahr Pause geht man doch gern wieder ins Stadion). Entsprechend untröstlich war ich, als mein Vater mir mitteilte, dass das Spiel wegen schlechten Wetters abgesagt sei, nur ist es wie so oft im Leben: Irgendwann sind die Tränen getrocknet, und dann gibt's das Nachholspiel. 1:2. Viel mehr weiß ich von dem Spiel nicht, nur war die Abschlussbilanz im Sommer 1994 verheerend: Zwei Heimniederlagen gab's in der gesamten Saison, bei beiden Spielen waren wir anwesend, und sonst hatten wir kein Spiel gesehen. So konnte es nicht weitergehen, wenn es Borussia nochmal zu etwas bringen will!
Und so begann die Zeit unseres selbstverordneten Stadionverbots, in der an die Stelle gelegentlicher Besuche im Westfalenstadion mehr oder weniger gemütliche Nachmittage vor dem Fernseher traten. Aus dieser Zeit resultiert auch meine entspannte Haltung, was Pay-TV angeht: Für Fans, die (aus welchen Gründen auch immer) ihre Mannschaft nicht durch die Republik begleiten können, ist es Gold wert, wenn sie die Spiele wenigstens zu Hause verfolgen können, und deswegen bin ich auch seit vielen Jahren selbst Abonnent. Obwohl ich mittlerweile ja wieder selbst ins Stadion gehe... Bestätigung für unsere Entscheidung, auf Heimspielbesuche in Zukunft zu verzichten, erhielten wir durch die Ergebnisse: Meister 1994/95 (live vor dem Fernseher), Meister 1995/96 (live vor dem Fernseher), und dass wir nicht den dritten Triumph in Folge bejubeln durften, lag einzig daran, dass wir unsere strikte Haltung aufgaben und in der Saison 1996/97 auch mal wieder den Weg ins Stadion fanden. Zum Glück aber nicht in der Champions League (live vor dem Fernseher). Und siehe da: Die Ergebnisse wurden besser, auch wenn es zunächst nur für diverse Unentschieden gegen den KSC oder den HSV (jeweils 1:1) reichte. Der Fluch der Heimpleiten war jedenfalls besiegt, und spätestens seit der Meisterschaft 2002 weiß ich auch, dass sich Erfolge in der Bundesliga nicht nur mit gelegentlichen Stadionbesuchen meinerseits vertragen, sondern sogar einem Dauerkartenbesitzer gelingen können. Was Niemeiersches Wirtschaften so alles vermag...
Scherben, 14.12.09