Danke, Schipper!
Liebe schwatzgelb.de-User und BVB-Fans,
seit 09 Jahren begleitet schwatzgelb.de unseren geliebten Ballspielverein. Borussia hat uns allen viel gegeben, vielleicht mehr als es das Leben abseits des Fußballs vermocht hätte. Daher möchten wir dem BVB mit einigen ganz persönlichen Worten zum 100-jährigen Bestehen gratulieren. Heute im Zeitraffer der fantechnische Werdegang von unserem Steph.
1984
„Da wohnt Matthias Schipper“, Robin zeigt ehrfürchtig auf das Klingelschild. Ich blicke noch einmal auf mein Paddocks-Trikot und die mitgebrachten Autogrammkarten. Wir nehmen unseren Mut zusammen und drücken auf die Klingel , der Summer lässt uns hinein. Jetzt noch die Treppenstufen hinauf und dann werde ich stolzer Besitzer eines Schipper-Autogramms sein. Auf dem Absatz ist da diese Stimme: „Was wollt ihr hier?“ „Ein Autogramm, Herr Schipper“ „Gibt es nicht!“. „Gibt es nicht“? Gibt es nicht! Nicht an diesem Tag. Voller Wut renne ich die Treppen wieder runter, durch die kleine Gasse, auf die Straße, bis zur Tür meiner Eltern. Ich reiße mir das Trikot runter. „Mit denen will ich nichts mehr zu tun haben“, schimpfe ich den Tränen nahe.
1986
Mein Opa nimmt mich mit in die Westfalenhalle zum Hallenturnier. Der Mucki, so versichert er mir, der Mucki wird mal ein Großer. Mucki Banach spielt damals eigentlich noch in der Jugend, ist aber für das Turnier hochgezogen worden. Pal Csernai steht an der Bande. Am 12.April 1986 steht Csernai immer noch da. Nicht an der Bande. Aber an der Seitelinie. Das Spiel geht mit 3-0 gegen die Bayern verloren. Ich bin zum ersten Mal im Stadion. Unten auf der Ost, nahe der Nordtribüne. Wenig bleibt hängen von diesem Tag. Die Süd existiert in meinem Kopf noch gar nicht. Wenige Wochen später verfällt mein Vater im Holland-Urlaub in tiefste Depressionen. „Alles vorbei, sie sind abgestiegen. Abgestiegen, ich fasse es nicht. Das ist das Ende. Alles ist vorbei. Abgestiegen“. Es ist der 19. Mai. Borussia hat in der Relegation gerade 2-1 gegen Fortuna Köln verloren. Das Ergebnis rückt mein Vater erst auf Anfrage raus. Ein Holländer habe ihm das gerade erzählt, erklärt er mir mit stockender Stimme. Zurück im Hotel schaltet er den Fernseher ein, ein schwaches WDR-Signal ruckelt über den Bildschirm. Und da ist Wegmann, da ist die Nachricht vom 3-1. Doch nicht abgestiegen. Und mit sieben Jahren überkommt mich eine Ahnung, was Borussia bedeuten kann. Beim Wiederholungsspiel springen wir, ich bin jetzt längst der größte Fan, nach jedem Treffer höher Richtung Decke. Im Wohnzimmer meiner Eltern sind immer noch die Druckstellen unserer Köpfe, beim 6-0 haben wir damals die Decke erreicht.
1989
Die Pokalspiele gegen Karlsruhe und Stuttgart sehe ich auf der Nordtribüne. Für die Süd bist Du noch zu klein, wird mir erzählt. Mit jetzt ja auch schon zehn Jahren will ich das nicht so recht verstehen, muss mich aber für den Moment damit abfinden. Obwohl, so male ich es mir aus, dort drüben die fantastischsten Dinge geschehen müssen. Wir stehen direkt an der Bande, im Halbfinale tobt unter uns der wütende Stuttgarter-Mob. Es nützt ihnen nix. Wir sind im Finale. Da bin ich auf Saisonabschlußfahrt in Westerstede. Neben mir Bochumer, Blaue und Bremer. Kaum Dortmunder. Macht nichts. Dickel schießt Bremen ab. Mit den wenigen Dortmunder in der Mannschaft spielen wir das 3-1 nach. Niemand trifft so gut wie Dickel. Gegen Ende des Jahres laufe ich zum ersten und letzen Mal im Westfalenstadion auf. Wir spielen neben sieben anderen Mannschaften das Vorspiel des Länderspiels Deutschland vs Finnland. In der Halbzeit dürfen wir den Ball hochhalten.
1992
Ich kaufe mir sämtliche Borussia-CDs. Im Radio laufen eine Woche lang nur Borussia-Lieder. Die Zeitungen sind voll mit Extrabeilagen. Borussia steht kurz vor der ersten Meisterschaft. Mittlerweile heißt es nicht mehr Borussia. Ich sage jetzt immer wir. Längst ist der Verein Teil meines Alltags. Auch wenn ich spielplanbedingt die meisten Spiele nur hören, aber nicht sehen kann. Zum letzten Spiel fahre ich auf den Friedensplatz. Wir sind auf einmal Meister. Bis Buchwalds Treffer den Friedensplatz aus sämtlichen Träumen reißt. Irgendwo neben mir fliegt ein Kofferradio durch die Gegend. „Verdammter Buchwald. Das kann nicht wahr sein“. In der Bahn zurück kämpfe ich mit den Tränen. „Kopf hoch, das wird schon“, höre ich durch den dichten Nebel. Ich registriere das kaum. Wie soll das jemals wieder werden?
1995
Beginnt für mich am 6.12.1994. Ricken trifft zum 3-1, ein kurzer Aufschrei dann liege ich auf den Stufen. Unten im 12er Block. Fünf Jahre nach der Pokalsaison stehe ich nun regelmäßig dort. Und tatsächlich: Dort passieren fantastische Dinge. Ricken hat sich gerade drum gekümmert. Wenngleich der schwitzende, nach Alkohol stinkende Typ da über mir jetzt wirklich mal aufstehen könnte. Dieser Typ bekommt sich nicht mehr ein. Beim Rausgehen kauft er die Fliegenden Händler leer. Mein Kumpel und ich schütteln ihn ab, er sich zu. Am nächsten Tag in der Schule gibt es kein anderes Gesprächsthema. Im April fällt Möller und auf der Nord brennen die Freundschaftsschals. Einen Monat später sitzen wir zu viert im Zug nach Freiburg. Das WET kostet gerade mal 15 DM. Los geht es um 3 Uhr ab Dortmund Hauptbahnhof. Gegen 15.15 Uhr sind wir im Stadion. Möller, der wieder mitspielen darf, verabschiedet sich nach 33 Minuten. Er rennt aus der Mauer und sieht Gelb/Rot. Der Babysturm trumpft auf, Zorc schießt das 1-0, aber Sammer haut das Ding kurz vor Schluß aus 20m ins eigene Netz. Das Spiel gegen Duisburg wird auf dem Sportplatz live übertragen. Während wir auf dem Platz stehen, hören wir vom Reuter-Doppelpack. In der Woche drauf stürme ich den Rasen. Und nehme ein Stück aus dem 16er mit. Auch ein Stück Tornetz wandert in meine Tasche
1997
„Kommst Du auch zu Krause?“, es ist Sonntag. Nicht einmal zehn Uhr. Ich überlege kurz und fahre los. Wir tragen uns in eine Liste ein. Ich bin die Nummer 37. In der Nacht wird immer wieder abgezählt. Im Bus nach München schießen sich die meisten Fans bereits vorher ordentlich ab. Einer erzählt immer wieder von Ricken, der heute das entscheidende Tor schießen wird. Klar! In der zweiten Halbzeit schaue ich nur noch auf die Uhr. Meine Krücke habe ich längst zur Seite gelegt.
1999
Hänge in einem Kaff fest, hab dazu noch eine ordentliche Mandelentzündung. Auf der anderen Seite der Kuhweide hat einer eine Fahne der Blauen geflaggt. Schon seit drei Monaten sehe ich die jetzt jeden verdammten Morgen. Lehmann ist in der Nachspielzeit vorne und irgendwie landet der Ball im Tor.
2002
Ich stehe mit meinem Koller-Trikot in einem Keller in Berlin. Astra Kid aus Waltrop spielen. Um mich herum schauen mich die Leute blöd an. Dabei habe ich im Gegensatz zu den meisten Indiepoppern dort verdammt gute Laune. Vielleicht sind es die falschen Lieder, die ich da laut singe? Toppmöller hat immer noch die Hände vorm Gesicht. Eine Woche später kommt pünktlich zum Titelgewinn der Platzregen runter. Das Bild von Toppmöller und der Nürnberger Anzeigetafel hängt in den kommenden Jahren neben dem „Ich fraß einen Berliner“-Plakat der BZ in der WG-Küche.
2005
Borussia steckt ordentlich in der Scheiße. Der Verein ist auf Abschiedstour, da bin ich mir sicher. In meiner Kneipe zeigen sie nur die Konferenz. Am Molsiris-Tag kann nicht arbeiten. Der Blick wandert maximal aus dem Fenster, auf die Amsel, die dort unverdrossen ihr Lied singt.
2007
Die Bahn ist voller Schwatzgelber. Der Bahnhof ist schwatzgelb, die Stadt ist schwatzgelb. Unter einer der Nordstadtbrücken hindurch, rüber auf die Sonnenseite der Stadt. Die Möllerstraße hoch. Ein Bier an der Bude, die Lindemannstraße hoch, ein Bier vor der Kneipe. Die Stadt kocht. Rein ins Stadion. Frei, Smolarek – wieder raus aus dem Stadion. Beschließe, dass ich zurück nach Dortmund muss.
2009
Als in Frankfurt das Tor fällt jubelt der Biergarten in der Roten Erde. Wir stehen auf der Tribüne und freuen uns riesig. In der Stadionkneipe haben wir es nicht ausgehalten. Jemand kommt aus der Kneip und tritt den Mülleimer um. „Ungewöhnlich“, denke ich noch, bevor die Gewissheit einsetzt. Runter zum Kanal. Nicht mal Bier hilft. Den Ruderern zuschauen. Am nächsten Tag ist alles wieder in Ordnung. Dumm gelaufen. „Soll ich Dir noch eins mitbringen?“ „Nö!“ „Aber anders hälste das doch nicht aus. Da bekommste doch Depressionen“. Diese Dialoge sind in den letzten zwei Jahren rar geworden.
Steph, 22.12.2009