Stell Dir vor, es ist Fußball und keiner nimmt dich mit
Liebe schwatzgelb.de-User und BVB-Fans,
seit 09 Jahren begleitet schwatzgelb.de unseren geliebten Ballspielverein. Borussia hat uns allen viel gegeben, vielleicht mehr als es das Leben abseits des Fußballs vermocht hätte. Daher möchten wir dem BVB mit einigen ganz persönlichen Worten zum 100-jährigen Bestehen gratulieren. In dieser Geschichte kämpft unser Peter um seinen ersten Stadionbesuch:
Ich hatte ja früher gar nichts! Nein, nein – Kleidung, Essen, Taschengeld, Fahrrad, Freunde usw.- das war alles vorhanden. Doch das Wichtigste fehlte mir lange Zeit: Ein Stadionbesuch in der Roten Erde, bei einem Spiel meines BVB. Damit Ihr mein Leid besser nachvollziehen könnt, muss ich zunächst etwas weiter ausholen.
Meine ersten Erinnerungen an den großen Fußball stammen aus dem Jahr 1966. Borussia Dortmund hatte anscheinend ein ganz wichtiges Spiel gegen Liverpool, soviel hatte ich mitbekommen. Das Spiel wurde abends im Fernsehen übertragen, aber meine Eltern waren der Meinung, dass ich zu der Uhrzeit ins Bett gehörte – und das mit fast 7 Jahren! So wendete ich zum ersten mal einen Trick an, der mir später häufiger die Qualen eines fehlenden Live-Erlebnisses am Fernseher lindern sollte. An meinem Bett stand ein kleines Transistorradio, mit dem ich heimlich versuchte, beim WDR oder bei BFBS Fetzen des Spiels zu erhaschen. Jedes mal, wenn jemand aus dem Wohnzimmer kam, musste ich das Radio schnell ausschalten, was ein fürchterliches Knacken erzeugte. Ebenso das Einschalten. Ein höchst wagemutiges Unterfangen, riskierte ich doch, dass meine geliebte Informationsquelle für längere Zeit konfisziert werden konnte.
Zu allem Überfluss ließ die Lebensdauer der Batterien rapide nach, so dass ich das Radio immer wieder ausschalten, eine Weile warten, und wieder laut knackend einschalten musste. Dann konnte ich für ein paar Minuten weiterhören. Irgendwann bin ich eingeschlafen, das Ergebnis erfuhr ich am nächsten Morgen. Ich war stinksauer auf meine Eltern, wütend wie nie zuvor.
In den nächsten Jahren verbrachte ich die Samstage so, wie wohl die Hälfte aller Ruhrpottler: Das Auto waschen und nebenbei Kurt Brumme hören. Wenigstens konnte ich dabei mein Taschengeld aufbessern und durfte schon sehr früh das Auto auf dem Hof und in die Garage rangieren. Der Rest meines Fanseins bestand darin, dass ich die Pinwand in meinem Zimmer wöchentlich aktualisierte, alle Artikel von Willi Wittke liebevoll ausschnitt und gemeinsam mit Fotos neben die neueste Tabelle pappte. Wie gerne wäre ich einmal ins Stadion gegangen. Alleine oder mit Freunden durfte ich nicht, von den Erwachsenen erbarmte sich niemand, Klein-Peter wenigstens einmal mitzunehmen.
Mein Vater war am Fußball keinesfalls desinteressiert. Er hatte eine Vorliebe für den HSV, vor allem für "uns Uwe". Doch trotz unendlichem Bitten und Betteln ging er leider nie mit mir ins Stadion, hat Zeit seines Lebens selbst nie ein Fußballstadion betreten. „Denen schmeiße ich doch nicht noch mehr Geld in den Rachen!“ war die stereotype Antwort auf mein Flehen. Man kann sich denken, wie neidvoll ich noch heute auf die „Danke Papa“-Schals schaue...
Es sollte bis 1971 dauern, bis es endlich so weit war. Zu meinem 12. Geburtstag hatte ich mir einen Stadionbesuch gewünscht. Sonst nichts. Und siehe da, unser Nachbar Rudi Raschke, sein Name sei hier aus tiefster Dankbarkeit ausdrücklich erwähnt, nahm mich einen Tag nach meinem Geburtstag zum Spiel BVB – Hannover mit. Endlich war es so weit!
Eine schlaflose Nacht, dann unglaubliche innere Aufregung als wir am Kassenhäuschen die Karten geholt hatten und über die Treppen am Wall neben dem Marathontor in die Rote Erde gingen. Neben einem Gewirr aus Stahlrohren liefen wir bis zu den Holzbänken der provisorischen Tribüne hinter dem Südtor, die sich vom Spielfeldrand nach oben erstreckte und setzten uns recht nahe an die Torausline, hinter das Tor. (Anmerkung: Bis heute habe ich noch kein einziges vernünftiges Bild von dieser Tribüne in der Südkurve gesehen. Vielleicht hat jemand noch eins, das er mir freundlicherweise zuschicken könnte.)
Endlich war ich so richtig bei meinem BVB angekommen! Auf dem Platz vor mir standen meine Helden, die ich alle kannte, von denen ich alles wusste und sie waren zum Greifen nahe. Später mogelte ich mich auf die Laufbahn und hockte mich vor die Werbereiter, um noch dichter dabei zu sein. Dieser Platz wurde für alle restlichen Spiele in der Roten Erde mein Stammplatz. Im Stadion verloren sich an dem Tag laut Statistik 7.000 Zuschauer – für mich war es eine gewaltige Menschenmenge. Gegenüber, in der Nordkurve, standen auf der einen Seite die Dortmunder Fans, auf der anderen die Hannoveraner. Viele hatten Fahnen und sangen irgendwelche Lieder, die ich nur teilweise verstand. Und immer, wenn der BVB im Angriff war, erschallten aus allen Richtungen laute Trötentöne. Ich war fasziniert. Das war es, was ich seit Jahren ersehnt hatte. Heute frage ich mich, um wieviel gigantischer der Anblick und die Geräuschkulisse der Südtribüne für die Steppkes von heute sein müssen, wenn sie erstmalig dabei sein dürfen.
Zu Hause angekommen, wollte ich sofort auch so eine Dreiklangtröte, es wurde aber lediglich meine Fahrradhupe, der ich einfach den Gummikopf abriss um sie mit ins Stadion zu nehmen. Später besorgte ich mir noch Stoffreste, aus denen mir meine Mutter eine Fahne nähte. Ich sehe sie noch heute kopfschüttelnd am Fenster stehen, wenn ich Samstags mit selbstgestricktem Schal und der Fahne zum Bahnhof ging und konnte förmlich ihre Gedanken lesen: „Hoffentlich sehen die Nachbarn den verrückten Jungen nicht.“
In der kurzen Zeit bis zu unserem Abstieg habe ich in der Roten Erde noch alle großen Mannschaften erlebt. Gladbach mit Netzer und Vogts, und auch die übermächtigen Bayern - im letzten Heimspiel vor unserem Abstieg. Eins ist mir allerdings verwehrt geblieben: ein Derby im Stadion Rote Erde, obwohl es einmal fast geklappt hätte. Wir hatten uns im Vorfeld mit ein paar Leuten unserer Klasse dazu verabredet, zunächst zum Eislaufen zu gehen, um anschließend das Spiel gegen die Blauen zu schauen. Einer war leider kurzfristig nicht dabei, weil er am Tag vor dem Spiel eine Lateinarbeit mit einer glatten Fünf in den Händen hielt. Er hat am Radio gelitten wie ein Hund...
So richtig schräg wurde mein Leben mit dem BVB erst mit dem Westfalenstadion, aber ich höre an dieser Stelle lieber auf, sonst reicht der Speicherplatz des SG-Servers nicht mehr aus. Nur eins noch: Als sich später Nachwuchs einstellte, war eine meiner größten Sorgen, dass sie die falschen Farben wählen könnten. Also nahm ich die Kröten so früh wie möglich immer wieder mit ins Stadion und so mussten sie sich einfach für Borussia Dortmund entscheiden.
Zu meinem 50. Geburtstag, im Jahr des 100. Jubiläums meines BVB, bekam ich von meinem Filius dann dieses Poster geschenkt.
Anscheinend alles richtig gemacht ;)
Peter, 29.12.2009