Niederlage für Martin Kind oder doch eine Abstimmung mit vielen Fragezeichen?
Es war, wenn man so will, eine Übernahmeschlacht, die von den DFL-Vereinen am heutigen Tage geschlagen wurde. Mit deutlicher Mehrheit haben die Bundesligavereine und –gesellschaften am Dienstag Martin Kinds Antrag auf Abschaffung der 50+1-Regel abgeschmettert und dem Hörgeräte-Verkäufer damit einen ordentlichen Satz heißer Ohren verpasst. Aber wie ist das Urteil wirklich zu bewerten? In der Schwatzgelb.de Redaktion gehen die Meinungen auseinander.
Positiver Ausgang der Abstimmung
Denn nicht allein die Ablehnung des Kindschen Antrags ist bemerkenswert, sondern vielmehr die Deutlichkeit, mit der diese geschah. Lediglich eine einzige Stimme bekam Martin Kind demnach bei der Abstimmung für seinen Antrag – man darf wohl davon ausgehen, dass es seine eigene war. Schallender kann eine Ohrfeige kaum sein, immerhin stimmten an diesem Tage alle Vereinsvertreter der ersten und zweiten Bundesliga ab.
Das Ergebnis zeigt nicht nur, dass Martin Kind offensichtlich kein sonderlich gewiefter Taktiker ist, es offenbart auch seine Isoliertheit innerhalb der Liga-Offiziellen, deren übrige Protagonisten sich anscheinend nur ungern von Drohungen mit einem Gerichtsverfahren einschüchtern lassen.
Offenbar – und das ist durchaus bemerkenswert und verdient lobenswerte Erwähnung – sind die Offiziellen der Bundesligavereine anscheinend besser als ihr Ruf. Zumindest in diesem Fall wurde der Mehrheitsentscheid jedenfalls nicht von Dollarzeichen in den Augen der Abstimmenden beeinflusst.
Vor allem Hans-Joachim Watzke darf sich wohl als Sieger fühlen. Als praktisch einziger Vereinsvertreter hatte er Martin Kind über Monate hinweg öffentlich die Stirn geboten und den BVB deutlich gegen die Abschaffung der 50+1-Regel positioniert. Dass er dabei wenig öffentliche Unterstützung der Liga-Kollegen erfahren hat, wird er verschmerzen können.
Martin Kind selbst hat bislang nicht den Eindruck vermittelt, eine derartige Abstimmungsniederlage hinzunehmen. Gut möglich, dass Kind nun tatsächlich vor den Europäischen Gerichtshof zieht, um das demokratisch erzielte Abstimmungsergebnis am Ende auf diesem Weg zu kippen.
Hannover 96, so viel mag man heute schon prophezeien, wird davon am Ende dennoch wohl kaum profitieren. Sollte die Liga sich eines Tages doch für Investoren öffnen (müssen), werden es wohl auch die attraktivsten Vereine sein, die die potentesten Geldgeber an Land ziehen. Hannover gehört, auch wenn Martin Kind das möglicherweise anders sieht, wohl kaum in diese Reihe. Die Schere zwischen armen und reichen Vereinen, die Martin Kind vorgibt schließen zu wollen, würde dann noch weiter auseinander gehen.
Die erste Etappe wurde heute also zwar gewonnen. Doch der Streit darum, ob der Fußball weiterhin mehrheitlich den Fans und Vereinen oder doch den Investoren gehören sollte, hat wahrscheinlich gerade erst begonnen.
Oder doch kein Grund zur Euphorie?
Die DFL hat heute mitnichten für den grundsätzlichen Erhalt der 50+1-Regel gestimmt, sondern lediglich gegen einen „Kompromissvorschlag“ von Hannovers Präsidenten Martin Kind. Bei der Vehemenz, mit der Martin Kind sich in den letzten Monaten gegen die Regelung ausgesprochen hat, ist zu vermuten, dass er bereits Investoren in der Hinterhand hat, die Gewehr bei Fuß stehen und sich auch im Rahmen des vorgeschlagenen Kompromisses bei 96 engagieren würden.
Alle anderen Vereine der Liga hätten zwar prinzipiell die Möglichkeit zur Übernahme durch Investoren, aber die Suche wäre durch die Einschränkungen zweifelsohne erschwert worden. In Hannover hätte man in diesem Fall schon mal einen Wettbewerbsvorteil von vielleicht einem Jahr gehabt. Kein Wunder, dass das nicht gerade uneingeschränkte Begeisterung auslöst. Stattdessen hat man Kind mit dieser Deutlichkeit in der Ablehnung gezwungen, sich entweder als Dampfplauderer zu entlarven, oder den markigen Worten mit einer Klage in Brüssel wirklich Taten folgen zu lassen. Und Martin Kind gilt nicht unbedingt als ein Mann, der freimütig den ersteren Weg beschreitet.
Vielleicht war die Nein-Stimme bei manchem Manager eher Kalkül, um genau das zu erzwingen und womöglich einen generellen Wegfall von 50+1 ohne jede Einschränkung durch die EU zu erreichen.
Aber was wäre letztendlich so schlimm an einer juristischen Prüfung durch die EU? Die 50+1-Regel ist eine freiwillige Wettbewerbseinschränkung der Proficlubs der DFL, die quasi im rechtsfreien Raum existiert. Im besten Fall erhält sie in Brüssel ihre juristische Legitimation. Und im schlimmsten Falle? Da endet dann eben ein Eiertanz, der uns ansonsten noch einige Zeit erhalten bleibt.
So lange deutsche Spitzenvereine angesichts der Dominanz der Vereine aus England und Spanien froh sein können, wenn sie das Viertelfinale der Champions-League erreichen und so lange der Trend weiter geht, dass sich konzerngesteuerte Vereine (Leverkusen und Wolfsburg) oder Vereine mit einem reichen Mäzen im Hintergrund (Hoffenheim) in der Spitzengruppe der Bundesliga festsetzen, so lange wird es Leute geben, die über den Sinn und Unsinn von 50+1 mehr oder weniger konsequent diskutieren. Spätestens dann, wenn der Leipziger Ableger von Red Bull an die Tür zum Profifußball klopft und die DFL über den Einstieg eines weiteren Klubs, der nicht der Selbstbeschränkung entspricht, entscheiden muss, wird es wieder richtig akut. Leider kein unwahrscheinliches Szenario und entweder müssen die Manager bereits die dritte Ausnahme der Regel genehmigen, oder Red Bull wird an Kinds Statt rechtlich dagegen vorgehen.
Und selbst wenn das alles nicht zutreffen wird – irgendwann wird Brüssel von sich aus ein Auge auf die Bundesliga werfen und 50+1 unter die Lupe nehmen. 50+1 wird uns als Thema, trotz der heutigen Abstimmung, noch lange begleiten und das Ergebnis bedeutet erst einmal nichts mehr, als die Hinauszögerung einer endgültigen Entscheidung.
Zugegeben, die Chancen stehen leider mehr als gut, dass 50+1 über kurz oder lang gekippt wird. Aber auch das würde nur die Möglichkeit zur Übernahme eines Investoren bedeuten und keine Pflicht dazu. Auch danach muss jeder Verein für sich entscheiden, welchen Weg er beschreiten wird und letztendlich obliegt es auch den Fans, für sich eine Entscheidung zu treffen und dafür einzustehen. Erst dann wird man sehen, was jede einzelne Nein-Stimme heute wert war.