BGH bestätigt die Rechtmäßigkeit von Stadionverboten auf Verdacht
In einem Urteil vom 30.10.09 wies das BGH in Karlsruhe die Klage eines Fans des FC Bayern München ab, der im Rahmen des Bundesligaspiels Duisburg gegen Bayern 2006 ein zweijähriges Stadionverbot erhalten hatte. Gegen das damals 16-jährige Mitglied der Münchener Schickeria wurde, wie noch gegen 58 weitere Personen, aufgrund von Auseinandersetzungen mit der Polizei, Anzeige wegen Landfriedensbruch erhoben. Als Folge der Anzeige wurde das bundesweite Stadionverbot verhängt und zusätzlich die Mitgliedschaft beim FCB gekündigt.
Das BGH wies die Klage mit der Begründung ab, dass die Erteilung des Stadionverbots im Rahmen der Ausübung des Hausrechts der Vereine rechtens ist. Anders als beim privaten Hausrecht, das beliebig und ohne Angaben von Gründen verhängt werden kann, ist eine willkürliche Erteilung in öffentlichen Bereichen unzulässig. Diese Willkür wäre gegeben, wenn der Tatvorwurf gegen das Schickeriamitglied wegen eines nicht ausreichenden Tatverdachts fallen gelassen worden wäre. Hier aber liegt der Hase im Pfeffer: Das Verfahren wurde nur wegen Geringfügigkeit eingestellt, der Kläger vom juristischen Tatvorwurf also nicht frei gesprochen. Genau um diesen, im BGB nicht eindeutig geregelten Fall, ging es in diesem Musterprozess.
Die Richter in Karlsruhe kamen im Verfahren zu dem Urteil, dass schon die Zugehörigkeit zu einer auffällig gewordenen Gruppe ausreiche, um für die Zukunft einen Aufenthalt in einer gewaltbereiten Gruppe anzunehmen – und in diesem Fall die Vereine ihr Hausrecht ausüben dürfen, um die Allgemeinheit der Zuschauer vor Gefahren zu schützen. Das BGH stütze sein Urteil also nicht auf den Tatvorwurf an sich, der nicht nur, wie beschrieben, eingestellt wurde, sondern dessen Teilnahme vom Kläger auch grundsätzlich bestritten wurde, sondern auf eine potentielle und zukünftige Gefahr, die sich aus seiner Mitgliedschaft in einer als gewaltbereit einzustufenden Gruppe ergäbe. Der DFB und die Polizei begrüßte dieses Urteil als „eine Bestätigung“ ihrer Linie, mit Stadionverboten „friedliche Fans“ zu schützen.
Dennoch ist dieses Urteil im besten Fall als schwammig zu bezeichnen, da einige Fragen offen bleiben. Wie genau ist die Mitgliedschaft in einer gewaltbereiten Gruppe genau zu definieren? Mitgliedsausweise dafür wird es kaum geben. Reicht eine einmalige und zufällige räumliche Nähe bei Ausschreitungen aus, um als Gruppenmitglied zu gelten, obwohl man selbst nicht negativ aufgefallen ist? Ab wann gilt eine Gruppe als gewaltbereite Gruppe? Reicht es aus, wenn ein Gruppenmitglied als Gewälttäter aufgefallen ist? Müssen mindestens 50 Prozent an Randale beteiligt sein? Oder noch mehr? Diese offenen Fragen öffnen der Willkür Tür und Tor und ermöglichen Polizei und Vereinen auch weiterhin einen Doppelpass, dem der Betroffene meist hilf- und machtlos gegenübersteht. Von der Polizei wird eine Anzeige erstattet, die dem Verein mitgeteilt wird. Die juristische Verfolgung wird dann als Bagatelle eingestellt, die Strafe des Stadionverbots bleibt aber weiterhin bestehen. Als zusätzliche, böse Konsequenz kann sich für den Fan daraus ein Eintrag in die Datei „Gewalttäter Sport“ (die im übrigen ohne ausreichende Rechtsgrundlage existiert) ergeben, die eine Einschränkung der Reisefreiheit bei fußballerischen Großereignissen nach sich ziehen kann. Genau diese Praxis hat das BGH als nicht willkürlich klassifiziert und deren Rechtmäßigkeit bestätigt.
Um eins klar zu stellen: Es geht hier nicht um die Existenz von Stadionverboten an sich. Ein Großteil der verhängten Stadionverbote sind mit Sicherheit berechtigt und die Betroffenen haben sich ihre Strafe redlich verdient. Aber eine Verteilung nach Art der Sippenhaft, bei der die Einteilung, wer zu der Sippe gehört und wer nicht, allein und ohne Möglichkeit des Widerspruchs den Vereinen und der Polizei obliegt, ist nach rechtsstaatlichen Gesichtspunkten ein Schlag ins Gesicht.
Wenn Stadionverbote nicht einfach nur einen Bestrafungscharakter, sondern auch einen - und das ist ein Prinzip der Rechtssprechung - „resozialisierenden“ haben sollen, dann müssen sie zwingend einheitlich, fair und auch anfechtbar erteilt werden. Hier ist der DFB in der Pflicht, der zwar von einem „sensiblen“ Umgang mit Stadionverboten spricht, in der Realität allerdings seinen Worten kaum Taten folgen lässt. So ist die seit langer Zeit geforderte unabhängige Ombudstelle immer noch nur ein schöner Wunschtraum. Praxis ist, dass die Vereine unabhängig voneinander in dieser Thematik verfahren. In manchen Vereinen gibt es zumindest die Möglichkeit einer Anhörung, die Berücksichtigung von sozialen Kriterien (Alter, zum ersten Mal oder mehrmals auffällig geworden) und die Chance eines verkürzten Stadionverbots zur Bewährung. In anderen wird das Strafmaß vom Verein ohne derartige Möglichkeiten verhängt.
Das BGH hat mit seinem Urteil die Chance verpasst, den DFB und die DFL zu zwingen, die Vergabepraxis von Stadionverboten auf transparente und einem Rechtsstaat angemessene Füße zu stellen und statt dessen eher einen Persilschein für die Weiterführung in bisheriger Art und Weise ausgestellt. Für einen einzelnen und unschuldigen Fan wird es nahezu unmöglich sein zu beweisen, dass man nicht Teil einer gewalttätigen Gruppe und eine Gefahr für die Umgebung darstellt. Ganz davon abgesehen, dass die Richter damit auch den Grundsatz der Unschuldsvermutung ausgehebelt haben. Der Fan muss nämlich nachweisen, dass er eben kein Unrecht begangen hat und keine Gefahr für andere darstellt. Man kann nur hoffen, dass der Fall in Karlsruhe noch einmal aufgerollt wird. Dann allerdings vor dem Bundesverfassungsgericht.
Sascha, 01.11.2009