Rute statt Raute
In Nürnberg hatten sie sich in der Woche vor dem Auswärtsspiel in Dortmund die Köpfe zerbrochen. Wie wird der BVB uns empfangen? Welche Taktik wartet auf uns im Westfalenstadion? Spielt der BVB mit einer doppelten Sechs? Überrascht das Dortmunder Mittelfeld mit einer Raute?
Pustekuchen! (Lebkuchen - wie man auf dem Nürnberger Christkindlesmarkt sagt). In Dortmund gab es über 90 Minuten die Rute.
Wenn man am Einsatz der Rute Umfang und Schwere des Nürnberger Sündenkatalogs erkennen kann, dann müssen sich Auftritte dieser Art in den letzten 12 Monaten im Frankenland angesammelt haben. Der Zeugwart hatte so kurz vor Nikolaus die Stiefel an der Tür noch nicht richtig in Reih und Glied, da war das Spiel in Dortmund bereits entschieden.
Der erste Durchgang
Der BVB setzte die Nürnberger von der ersten Minute an gehörig unter Druck. Das Spiel war gerade einmal acht Minuten alt, da durfte Kevin Großkreutz seinen ersten Treffer im Westfalenstadion feiern. Was für ein unbeschreiblicher Jubel auf der Südtribüne: Der Dortmunder Junge hatte nach ganz feiner Vorarbeit von Sven Bender in seinem Stadion getroffen.
Kaum war die Rute aus dem Sack, sollte sie auch ihre Einsatzzeit bekommen. Müsste ich jetzt alle Torchancen beschreiben, ich müsste im Telegrammstil fortfahren. Fünf Minuten später bereits das 2:0 durch Lucas Barrios. Das war die frühzeitige Entscheidung in diesem mehr als einseitigen Spiel. Das spürten offenbar auch die über 4000 mitgereisten Club-Fans. Die Nordtribüne, gestern bei Weitem nicht so gut gefüllt wie in einigen Jahren zuvor, wurde nach einem guten und lautstarken Beginn von Minute zu Minute leiser. Daran konnten auch die 50 besungenen Freunde nichts ändern.
Mit dieser sicheren Führung im Rücken spielte der BVB den Gast mit überfallartigen Spieleröffnungen und Kontern förmlich an die Wand. Nach 36 Minuten das zu diesem Zeitpunkt bereits überfällige 3:0 durch Mohamed Zidan. Jetzt musste der Club aufpassen. Kurz vor dem Seitenwechsel schienen Hintermannschaft & Rute außer Rand und Band. Das war schon auffallend. Zwischen diesen beiden (sehr jungen) Mannschaften lagen an diesem Nachmittag Welten.
Der zweite Durchgang
In der zweiten Halbzeit konnte es für die Nürnberger nur noch um Schadensbegrenzung gehen. Das klappte, bis auf eine Ausnahme in der 60. Minute (4:0, Mats Hummels), auch noch ganz gut. Der Club konnte sich nach 90 Minuten bei seinem Ersatztorwart Stephan und nachlässigen Dortmundern bedanken. Das 4:0 spiegelte den Spielverlauf über 90 Minuten nicht annähernd wieder. Der völlig überforderte Club war an diesem Nachmittag noch sehr gut bedient. Das hätte auch noch weitaus schlimmer ausgehen können.
Die Dortmunder Fans feierten diesen Heimsieg auf ihre eigene Art und Weise. Mit winterlicher Vorfreude (auf den Weihnachtsmarkt? Oder weil man der Rute entgangen war?) präsentierte man alte Lieder, flotte Walzer und ein richtig tolles "Leuchte auf...". Das hatte schon was von Gänsehaut bei einbrechender Dunkelheit. Später wurden die Gäste aus dem Frankenland mit tausenden (!) von weißen Taschentüchern auf der Süd verabschiedet. Das ging über ganze Blöcke im Unter- und Oberrang. Ein tolles Bild. Kennt man ja aus anderen Ländern, aber mit dieser Wucht durfte man das bis jetzt noch nicht beobachten.
War das ein dankbares Wochenende. Der VfL Wolfsburg kommt über ein Unentschieden gegen den SC Freiburg nicht hinaus (2:2), die Hoffenheimer schwächeln sich beim arg strapazierten HSV zu einem 0:0, der FSV Mainz 05 verliert das Derby in Frankfurt mit 0:2, die Bremer quälen sich zu einem 0:0 in Köln und selbst die Leverkusener mögen da nicht aus der Reihe tanzen (0:0 in Hannover). Der BVB ist jetzt auf direkter Tuchfühlung mit der Spitzengruppe. So ein Wochenende hat man lange nicht mehr gesehen. Die Spitzengruppe ist auf weniger als vier Punkte zusammengeschmolzen. Das verspricht ein packendes Finish vor der Winterpause. Die angeschlagenen Wolfsburger und der SC Freiburg zum 100. Geburtstag (19.12.2009) lassen da Platz für Hochrechnungen und Gedankenspiele.
Die Statistik an diesem Spieltag
Die Aufstellung des 1. FC Nürnberg
Stephan, Diekmeier, Nordtveit, Wolf, Maroh, Gygax (46, Judt), Bunjaku, Choupo-Moting (81, Gündogan), Boakye (61, Charisteas), Kluge, Pinola
Aufstellung des BVB (Spieler in der Einzelkritik)
Roman Weidenfeller: Hätte den Nachmittag auch auf dem Dortmunder Weihnachtsmarkt verbringen können. Hoffentlich hat er nicht gefroren. Eine glatte 3,0
Neven Subotic: Überzeugender Auftritt in der Defensive. Das wirkt hinten mit Hummels richtig gut eingespielt. Hatte da hinten gegen überaus harmlose Nürnberger alles im Griff. 2,5
Mats Hummels: Fast identisch zu Neven. Richtig gut gespielt. Vermutlich kommt das nächste große Turnier für ihn ein Jahr zu früh. Schade, sonst hätte er gestern noch mit einem Treffer eindrucksvoll auf sich aufmerksam machen können. Neven fährt mit Serbien zur WM 2010 nach Südafrika, Mats bekommt dafür die etwas bessere 2,0
Patrick Owomoyela: Hat in dieser Saison noch nicht eine Sekunde gefehlt. (gemeinsam mit Roman Weidenfeller, Neven Subotic und Nuri Sahin) Das haben ihm auch nicht viele zugetraut. Dazu hat er gestern auch noch mindestens einen Treffer direkt vorbereitet. Richig guter Nachmittag. Scheint der typische Vertreter "...der benötigt Spielpraxis" zu sein. 2,0
Marcel Schmelzer: Grundsolide Vorstellung. Hat aber auch bestimmt schon intensivere Nachmittage erlebt. Wurde weitaus weniger gefordert als noch in den letzten Spielen. 3,0
Nuri Sahin: Seine spielerische Klasse blitzte immer wieder auf. Fand nicht immer so ins Spiel, aber ingesamt eine ruhige und gute Vorstellung. 2,5
Sven Bender (46, Felipe Santana): Ganz starke erste Halbzeit. Sein Zuspiel zum 1:0 war ganz große Klasse. Musste in der Halbzeit leider mit Übelkeit raus. Für die gute erste Halbzeit gibt es eine 2.0
Felipe Santana: Hatte in der etwas ruhigeren Halbzeit nicht sonderlich viel zu tun. Wenn er gefordert wurde, machte er seine Sache sicher und abgeklärt. 3,0
Mohamed Zidan (80, Feulner): Der beste Mann auf dem Platz. Torschütze und Unruheherd. Stellte mit seiner Laufstärke und unorthodoxen Spielweise die Nürnberger immer wieder vor Rätsel. 1,5
Kuba (69, Nelson Valdez): Hat noch etwas Luft nach oben. Hatte aber auch den stärksten Part der Nürnberger Elf auf seiner Seite. Dort war der Laden oft dicht. Leistete dabei enorme Laufarbeit. Das wird belohnt mit einer 3,0
Kevin Großkreutz: Hat mit seinem Tor in der 8. Minute den Widerstand der Nürnberger früh gebrochen. Danach lief es für die Mannschaft. Der erste Treffer in seinem Stadion. Muss ein tolles Gefühl sein. 2,5
Lucas Barrios: Torschütze, Vorbereiter und wieder einige vergebene Großchancen. An so einem Tag, nach einem 4:0 Heimsieg, kann man es ihm nachsehen. Könnte in der laufenden Spielzeit schon 2-3 Treffer mehr auf dem Konto haben. 2,5
Valdez und Feulner kann man in den letzten 20 / 10 Minuten nicht mehr ausreichend bewerten.
Trainerstimmen:
Michael Oenning: Erst einmal herzlichen Glückwunsch nach Dortmund. Wir hatten uns sehr viel vorgenommen. Vielleicht wollten wir auch zu spielerisch zum Erfolg kommen? Das hat nicht funktioniert. In der ersten Halbzeit war das viel zu naiv, da bezahlt man als Aufsteiger vielleicht auch mal Lehrgeld in Dortmund. Was sollten wir in der zweiten Halbzeit tun? Wir wollten das Ganze natürlich etwas angenehmer gestalten, müssen uns aber wohl bei unserem guten Torwart bedanken. Na ja, man kann in Dortmund - auch in dieser Deutlichkeit - mal verlieren. WIr haben eine sehr junge Mannschaft und werden versuchen, das gegen den HSV wieder gutzumachen.
Zuschauerzahl im Dortmunder Westfalenstadion
72.100
geschrieben von Rolf