Vom Helden zum Schurken?
Stürmer haben es wirklich nicht leicht in Dortmund. Nach Nelson Valdez und Mohamed Zidan erwischte es am Sonntag nun auch den eigentlichen Helden der Massen, Alex Frei. Ausgepfiffen von den eigenen Fans, die Höchststrafe für einen Fußballer. So sehr der Ärger über Freis trabenden Gang in Richtung Außenlinie verständlich war: Die „besten Fans der Liga" haben einmal mehr ihre Schattenseite präsentiert.
Keine drei Monate ist es her, da wurde Alex Frei in Dortmund noch beinahe als Heiliger verehrt. Seine Joker-Tore im Derby und eine Woche später gegen den VfB Stuttgart ließen die ohnehin schon hohe Sympathie der Massen für den Torjäger nur noch größer werden. Als gegen Hannover, Hertha oder Udinese Calcio nichts mehr ging, war der Schweizer darum der große Hoffnungsträger. „Alex Frei, Alex Frei, Alex Frei" schallte es durchs Westfalenstadion, das Publikum forderte ungeduldig die Einwechslung und überhöhte Frei zum Supermann, dessen bloße Anwesenheit auf dem Platz bereits Wunder bewirkt.
Die hohen Erwartungen, die das Publikum seither an den Stürmer stellt, hat er in der Folge nicht erfüllt. Er konnte sie auch gar nicht erfüllen, denn Frei ist aktuell ziemlich offensichtlich außer Form. Wie sollte es auch anders sein? Nach seiner Verletzung während der Europameisterschaft fehlt Frei die komplette Vorbereitung, obendrein verletzte er sich in der Partie gegen Bochum erneut, diesmal am Sprunggelenk, so dass ein kontinuierliches Aufholen der Defizite kaum möglich war. Und es ist leider auch nicht die erste Verletzung des Schweizers. Bereits die Vorbereitung zur letztjährigen Rückrunde musste größtenteils ohne Frei stattfinden, der zuvor nach seiner Hüft-Operation bereits die gesamte Hinserie der vergangenen Spielzeit pausiert hatte. In den letzten anderthalb Jahren war Frei insgesamt ähnlich lange verletzt wie einsatzbereit. Eine schwere Situation für den Stürmer, der zuvor in seiner Karrie nie ernsthaft mit Verletzungen zu tun hatte und der das Umgehen mit solcherlei Rückschlägen darum selbst offenbar erst lernen muss.
Entsprechend ähnelt Freis aktuelle Situation auch stark der aus der zurückliegenden Rückrunde. Auch unter Thomas Doll kam der Schweizer nur schwer in Tritt - und entsprechend ähnlich sporadisch zum Einsatz. Erst in den letzten Partien der Saison fand er seine Form wieder und zu alter Torgefahr zurück. Kuriosum an Rande: Nimmt man die Noten des Kicker Sportmagazins als Maßstab, liegen die Leistungen Freis in dieser Hinrunde (Durchschnitt 3,5) bislang deutlich über denen der vergangenen Saison (3,68).
Dennoch: In den übrigen zwei Spielen ist mit einer Leistungsexplosion Freis wohl kaum noch zu rechnen. Zu offensichtlich sind aktuell die Defizite in Sachen Spritzigkeit und Antritt. Gerade im laufintensiven System von Jürgen Klopp versetzen ihn diese Mankos ins Hintertreffen. Der Trainer und sein Stürmer befinden sich dabei in einer Zwickmühle: Eigentlich braucht Frei jede Minute Spielpraxis, um wieder zur gewohnter Torgefahr zurückzufinden. Anders herum bringt er die Mannschaft aktuell kaum weiter. Wo er vorher in der Lage war, die gesamte Mannschaft mitzureißen, hat er aktuell genug mit sich selbst zu tun. Das ist in Form seines Haderns auf dem Platz auch kaum zu übersehen.
Die Unzufriedenheit mit dieser Situation ist dem Schweizer sehr deutlich anzumerken. Zuletzt am Sonntag, als er gegen Wolfsburg endlich wieder einmal von Beginn an ran durfte, in einer für Stürmer sehr undankbaren Partie trotz einiger Mühen jedoch nicht wirklich Werbung in eigener Sache betreiben konnte. Negativer Höhepunkt: die mit Pfiffen quittierte Auswechslung in der 77. Minute.
Keine Frage: Durch das Hinaustraben zur Seitenlinie, das häufige Abseitsstehen und das ständige Lamentieren auf dem Platz macht Frei sich angreifbar. Doch ist genau dies die Spielweise, die Frei an den Tag legt, seit er beim BVB ist - und mit der er sich in die Herzen der Leute geschossen hat. Die Körpersprache, die das Publikum derart zu Reaktionen animiert, reißt in guten Zeiten Fans und Mitspieler mit und hat uns im Derby auf gut Deutsch den Arsch gerettet. Die schnelle Reaktion, die ihn gegen Wolfsburgs permanent im Abseits stehen ließ, bedeutet in guten Zeiten den entscheidenden Vorteil gegenüber den Gegenspielern - und damit den sicheren Torerfolg. Es ist darum mehr als unfair, Frei nun seine Gesten oder seine Spielweise vorwerfen zu wollen.
Viel mehr sollten wir darauf vertrauen, dass der Schweizer nach Urlaub und hoffentlich verletzungsfreier Vorbereitung in der Rückrunde wieder zu seiner alten Form zurückfindet. Dann wird sich auch die unsägliche Frage nicht stellen, ob er in das System von Jürgen Klopp wohl passen mag oder eben nicht. In zweieinhalb Jahren bei der Borussia hat Alex Frei deutlich unter Beweis gestellt, was er zu leisten im Stande ist. Und es wäre doch gelacht, wenn Frei - mehr als einmal die personifizierte Lebensversicherung des BVB - ausgerechnet in einer wieder erstarkten Borussen-Mannschaft nicht seine Rolle finden würde. Ein Alex Frei in Normalform gehört definitiv zu den besten Angreifern der Liga und passt in praktisch jedes Spielsystem, solange das oberste Ziel im Fußball immer noch das Tore schießen ist. Jürgen Klopp wird das kaum anders sehen.
Frei aufgrund seines Tiefs vorzeitig abzuschreiben, wäre darum sicherlich das Falscheste, das man tun kann. Er wird wieder in Tritt kommen, aber es braucht offenkundig Zeit und eine ordentliche Vorbereitung. Die sollte man Alex Frei gewähren, das hat er sich durch viele Tore für den BVB verdient.
Er sollte sich diese Zeit aber allen voran auch selbst zugestehen und akzeptieren, dass seine Konstitution es aktuell noch nicht zulässt, wieder Bäume auszureißen, Tore am Fließband zu schießen und die Mannschaft mitzureißen. Ein öffentliches Einfordern des Stammplatzes bringt darum niemanden weiter. Allen voran ihn selbst, denn es erhöht die Erwartungshaltung und den damit verbundenen Druck zusätzlich.
Alex Frei ist ein Vollblutstürmer und wird das Toreschießen wohl kaum verlernt haben. Ist er fit, wird er auch seine Treffer für den BVB wieder erzielen können. Auf dem Weg dorthin allerdings braucht es Unterstützung, keine Pfiffe.
Arne, 02.12.2008