Theo Zwanziger und die Kommunikationsherrschaft: Ein Machtspiel
"Wenn sie die Kommunikations- herrschaft nicht haben, sind sie immer Verlierer." (Theo Zwanziger, 25. Juli 2008)
Wer in den letzten Wochen den Blick in einschlägige Blogs zu Fußball, Medien und Sportpolitik warf, konnte Zeuge einer Provinzposse werden, in deren Mittelpunkt DFB-Präsident Theo Zwanziger und dessen bizarres Verständnis von Anstand und Kritikfähigkeit standen. Doch was nach dem ersten Lesen nur eine Mischung aus Heiterkeit und Kopfschütteln hervorgerufen hatte, hat sich mittlerweile zu einem handfesten Skandal entwickelt, der sich in etwa so zusammenfassen lässt: Wie der DFB versucht, die Existenz eines freien Journalisten zu zerstören. Grund genug um nochmal nachzuhaken.
Alles begann harmlos im Juli, als das Bundeskartellamt seine vielbeachtete Entscheidung zur Vermarktung der Fernsehrechte an den Samstagsspielen der Fußball-Bundesliga bekanntgab. Zur Erinnerung: Das Amt entschied, dass die Nachmittagsspiele zeitnah am frühen Abend frei zugänglich zusammengefasst werden müssen - ein dicker Strich durch die Rechung von DFB und DFL, die sich durch mehr Exklusivität für Premiere und dessen Live-Übertragungen einen höheren Batzen Geld versprochen hatten. Theo Zwanziger sah in der durchaus umstrittenen Entscheidung des Amtes einen unerlaubten Eingriff in die Autonomie des Fußballs und forderte mehrfach öffentlich ein Einschreiten der Politik. Was den freien Journalisten Jens Weinreich, den zweiten Protagonisten, dazu veranlasste, Zwanzigers Auftreten bei einer Veranstaltung des Deutschen Olympischen Sport-Bundes in einem Internetblog wie folgt zu kommentieren:
"[...] Ich darf noch anfügen, dass ich schon viele (zu viele) Auftritte von Sportfunktionären erlebt habe, aber dieser von Zwanziger war einer der schlimmsten in meiner nach unten offenen Peinlichkeitsskala. Er dreht nach der Kartellamtsentscheidung völlig durch. Er ist ein unglaublicher Demagoge. [...]"
Deutliche (und diskutable) Worte von Weinreich, aber selbst für Nicht-Juristen dürfte offenkundig sein, dass hier jemand vom vollen Umfang seines Rechts auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht hat. Theo Zwanziger, seines Zeichens promovierter Jurist, sah das jedoch anders und reichte beim Landgericht Berlin im August einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen Weinreich ein. Dieses entschied jedoch, wie auch die nächsthöhere Instanz in der Revision, zu Gunsten des Beklagten und stellte fest, dass es sich bei Weinreichs Äußerung um eine "zulässige Meinungsäußerung handelt, die keinen schmähenden Charakter hat." So weit, so gut - und so erledigt. Würde man meinen. Nachdem Weinreich den Vorgang Ende Oktober auf seiner Webpräsenz erstmals öffentlich gemacht hatte, zündete Zwanziger dann jedoch Stufe zwei: Parallel zu einem Interview mit dem Direkten Freistoss (dem Blog, in dem Weinreichs ursprünglichen Kommentare veröffentlicht wurden) ließ Zwanziger durch seine Anwälte ausrichten, dass er Weinreich bis zum 12. November die Möglichkeit einer Distanzierung von der Verwendung des Begriffs "Demagoge" einräume, andernfalls jedoch beim Landgericht Koblenz einen erneuten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung einreichen würde.
Koblenz? Die Stadt an der Moselmündung, in der Zwanziger unter anderem als Regierungspräsident amtiert hatte? Die Stadt, an deren Oberverwaltungsgericht Zwanziger über fünf Jahre als Richter tätig war und welches er im letzten Jahr noch als besonderer Ehrengast besucht hatte? Zur Erinnerung: Die ersten beiden Anträge wurden in Berlin gestellt - und als Fußballer weiß Zwanziger natürlich um die enorme Bedeutung des Heimrechts. Das Ganze nahm nun jedenfalls Fahrt auf. Weinreich veröffentlichte nach Verstreichen des Ultimatums ein Schreiben seiner Anwälte an Zwanziger, in dem noch einmal mit Verweis auf die Entscheidung der beiden Berliner Gerichte darauf hingewiesen wird, dass es aus seiner Sicht nichts gibt, von dem er sich distanzieren müsse. Und dann platzte die Bombe.
Am vergangenen Freitag veröffentlichte der Deutsche Fußball-Bund eine Presseerklärung zum Thema. Adressaten des Pamphlets, dessen einziges Ziel neben der Verbreitung von Halbwahrheiten der Entzug des Existenzgrundlage von Jens Weinreich sein dürfte, waren die führenden Vertreter der deutschen Sportpolitik, Bundestagsabgeordnete und befreundete Journalisten. Weinreich selbst hat das Schreiben auf seiner Webpräsenz bis ins Detail seziert, daher hier nur die wesentlichen Aspekte: Der DFB teilt mit, dass Zwanziger nach einer Entschuldigung Weinreichs auf eine Klage verzichtet, weist aber dennoch seitenlang daraufhin, wie sehr er die Diffamierungskampagne gegen Zwanziger missbilligt. Der Witz ist nur: Eine solche Entschuldigung gab es nicht, eine Diffamierungskampagne gab es nicht, und die Entscheidungen der Berliner Gerichte werden mit keinem Wort erwähnt. Als Krönung werden zuletzt hochrangige Vertreter aus Sport und Verbänden zitiert, die gleichsam als Zeugen die Integrität Zwanzigers bekunden und durch die Blume mitteilen, was sich so ein Rotzlöffel vom Schlage Weinreichs eigentlich erlaubt, wenn er einen der ihren mal etwas harsch angeht.
Besonders peinlich aus schwatzgelber Sicht: Präsident Rauball ist sich nicht zu schade, in seiner Funktion als DFL-Vorsitzender eine tragende Rolle in dieser Schmierenkomödie zu spielen, wird er doch in der Presseerklärung als einer der hochrangigen Verteidiger des ehrenwerten Theo Zwanziger zitiert. Und man weiß letztlich gar nicht, was schlimmer ist: Macht Rauball (ebenfalls promovierter Jurist) in voller Kenntnis der Sachlage bei diesem Theater mit, um seinem Busenfreund Theo einen Dienst zu erweisen, oder spielt er die Rolle des Strohmanns und vertraut den DFB-Presseleuten Niersbach und Stenger, dass sie in seinem Namen keinen Unsinn anstellen? In beiden Fällen bleibt zu konstatieren, dass der Vorgang kein gutes Licht auf Rauball und Borussia Dortmund wirft.
Was uns das sonst noch angeht? Neben der Verstrickung Rauballs bleibt die nicht unwichtige Erkenntnis, dass das Internet keinen rechtsfreien Raum darstellt. Wer in Foren und Blogs agiert und Beleidigungen ausspricht, kann dafür vor Gericht zur Verantwortung gezogen werden. Was diesen Fall aber so besonders macht, sind zwei viel weitergehende Dinge: Die Person des Beklagten selbst und der Umgang des DFB mit den Urteilen der Gerichte.
Beginnen wir mit Jens Weinreich, Jahrgang 1965, freier Journalist. Sein Hauptarbeitsgebiet sind die Verflechtungen von Sport, Wirtschaft und Politik, und dort eigentlich alles, was der gemeine Sportjournalist eher ungern bearbeitet: Korruption, Doping, Vermarktung. Wenn man das halbwegs investigativ betreibt (oder mit anderen Worten: seinen Beruf halbwegs ernst nimmt), macht man sich mit dieser Art des Journalismus bei den Verbänden keine Freunde. Weinreich selbst kommentiert das auf seiner Website ziemlich ironisch: In der Rubrik "Lob & Tadel" wird neben einem gewonnenen Medienpreis und einer weiteren Nominierung darauf verwiesen, dass er 2006 nach kritischen Berichten über die FIFA, insbesondere über ihren Vizepräsidenten Jack Warner und ihren damaligen Generalsekretär Urs Linsi, von der Ethikkommission des Weltverbandes zur "persona non grata" erklärt wurde. Vorausgegangen war unter anderem die Gründung des "Sportnetzwerks", eines Zusammenschlusses kritischer Sportjournalisten, in dessen Rahmen Weinreich 2006 das umfassende Werk "Korruption im Sport: Mafiose Dribblings - Organisiertes Schweigen" herausgab. Ein kritischer Kopf offenbar, jemand der offensiv seine Meinung vertritt und der vor allem weiß, dass Verbände gern dünnhäutig reagieren, wenn ihre Politik angegriffen wird.
Und der Umgang des DFB mit der Entscheidung der Justiz? Stellen wir uns mal einen Augenblick vor, was geschehen wäre, wenn eines der beiden Berliner Gerichte dem Antrag von Theo Zwanziger stattgegeben und die Äußerungen Weinreichs als nicht durch die Meinungsfreiheit gedeckt angesehen hätten. Nicht dass der konkrete Fall eine derartige Rechtsauffassung hergeben würde, sehen wir es als reines Gedankenexperiment an. Wer sich einmal näher mit dem Selbstbild des DFB beschäftigt, der weiß, dass er nicht nur einer der wichtigsten Sportverbände der Welt ist, sondern sich selbst auch für eine bedeutende moralische Instanz im Land hält. Dies muss dem Verband nicht immer nur zum Nachteil gereichen, denn gerade die aktuelle Führung hat sich in vielerlei Hinsicht verdient gemacht: Projekte zur Integration von Zuwanderen im Kontext des Sports werden gefördert, Frauenfußball wird nicht mehr verhindert oder marginalisiert, sondern bekommt einen angemessenen Raum, und auch das letzte Tabu der Homosexualität der Sport wird nicht mehr totgeschwiegen. Entsprechend gibt eine Tendenz in den Reihen des DFB, aus einer Position der Stärke heraus seinen moralischen Anspruch souverän zu vertreten.
Im konkreten Fall hätte man sich gut vorstellen können, dass bei einem aus Sicht des DFB positiven Entscheid des Gerichts die Presseerklärung deutlich nüchterner und präsidialer ausgefallen wäre. Der Verband hat sich trotz (oder wegen) seiner Geschichte eine bemerkenswerte Selbstsicherheit bewahrt, nach der alles, was der DFB tut, auch dem Fußball nützt, und nach der alles, was dem Fußball nützt, auch der Gesellschaft nützt. Wird diese Selbstwahrnehmung höchstrichterlich bestätigt, neigt der DFB zur Generösität. Und der Gegner, der zuvor noch erbittert bekämpt wurde, lässt sich nach einer kurzen Rekapitulation des Geschehenen und einer genugtuenden Kommentierung des Urteils als Geläuterter umarmen und in den Kreis der großen Fußballfamilie wiedereingliedern. Geschieht das nicht und wird sogar in einem richterlichen Beschluss festgestellt, dass sich die Meinung des DFB nicht unbedingt mit Recht und Gesetz verträgt, wird mit allen Mitteln zurückgeschlagen. Nach diesem Muster durfte bereits die Stiftung Warentest erkennen, dass Kritik an Tütensuppen und Waschpulver erlaubt ist, eine Studie zur Sicherheit in Fußballstadion wenige Monate vor Beginn der Weltmeisterschaft aber einem Angriff auf Franz Beckenbauer, den Fußball insgesamt und Deutschlands Ruf in der Welt gleichkommt. Und das Bundeskartellamt, dessen Entscheid zur Übertragung von den Samstagsspielen der Bundesliga im Free-TV mittelbar den Zivilprozess Zwanziger ./. Weinreich ausgelöst hat, wird zum Totengräber aller deutschen Europapokalhoffnungen. Und nun Weinreich selbst: Es reicht schon aus, den DFB und seine handelnden Personen im Rahmen des Rechts auf freie Meinungsäußerung zu kritisieren, um die Wucht zu spüren zu bekommen, mit der in Frankfurt mit inhaltlichen Gegnern umgegangen wird.
Was beiden Aspekten gemein ist, ist dass in diesem Fall erstmals seit längerer Zeit wieder offen zu Tage tritt, welchen Stellenwert Macht, Machterhaltung und Machtausübung in der Altherrenriege des DFB besitzen. Und dass eine Krähe der anderen erst dann ein Auge aushackt, wenn diese bereits klinisch tot ist. Über viele Jahre hinweg war die Medienlandschaft im Fußball übersichtlich sortiert. Um ein Zitat von Gerhard Schröder abzuwandeln: Wer den DFB vernünftigt regieren will, braucht kicker, Sport-Bild und Premiere. Und sonst eigentlich nichts. Das hat jahrelang besonders deswegen so gut funktioniert, weil sich die Hauptbeteiligten seit Jahren freundschaftlich verbunden sind und gerne auch mal von einer gut bezahlten Stelle beim DFB auf eine gut bezahlte Stelle bei den diversen Medien wechseln. Und umgekehrt. Das Paradebeispiel ist sicher Rainer Holzschuh, der erst Redakteur beim kicker war, danach das Amt des Pressesprechers beim DFB ausübte, und nun seit zwanzig Jahren als Chefredakteur bei seinem alten Arbeitsgeber kicker amtiert. Aber auch seine Nachfolger als Pressesprecher des DFB können ähnliche Karrieren vorweisen: Wolfgang Niersbach wechselte vom Sport-Informations-Dienst (sid) nach Frankfurt, Harald Stenger war zuvor Ressortleiter Sport bei der Frankfurter Rundschau. Und da wundere sich noch jemand, weshalb die Kritik an DFB und DFL in den etablierten Medien gern allzu moderat ausfällt.
Diese heile Welt hat in den letzten Jahren jedoch Risse erhalten. Seit der Fußball seinen Weg in die Mitte der Gesellschaft gefunden hat, berichten auch die Qualitätsmedien von der Süddeutschen über die Zeit bis hin zur FAZ regelmäßig und überregional über den Sport und seine Hintergründe. Zudem haben sich mit dem Entstehen des Internets alternative Formen des Sportjournalismus entwickelt, die in vielen Fällen fan-näher berichten und dem Hurra-Journalismus von kicker und co. eine kritische Sicht der Dinge entgegensetzen. Dazu gehören einerseits Fanzines, die in ihrer abgewandelten Form über 11 Freunde in Deutschland oder den Ballesterer in Österreich mittlerweile auch als Printmedium einen signifikanten Leserkreis gefunden haben, andererseits aber auch die Blogs von Oliver Fritsch (direkter-freistoss.de) oder eben Jens Weinreich, die nicht nur über Abseits und Kopfballtore reden, sondern Sport und Sportpolitik insgesamt unter die Lupe nehmen. Und halt nicht willfährig die Propaganda des DFB nachplappern.
So fasst Zwanzigers Zitat von der Kommunikationsherrschaft den Kern des Falls treffend zusammen: Meinungspluralismus ist egal, die Wahrheit ist egal, der Rechtstaat ist egal, Hauptsache das Bild in der Öffentlichkeit stimmt. Und man nimmt beim DFB gern in Kauf, dass auf dem Weg dahin ein paar unliebsame Gegner aus dem Weg geräumt werden müssen. Wollen wir hoffen, dass den Verantwortlichen dieser Machtmissbrauch nicht durchgehen wird und vor allem, dass Weinreichs düstere Zukunftsprognose nicht in Erfüllung geht:
"Der Inhalt dieser Mitteilungen lässt mir als Betroffenem mäßige Interpretationsmöglichkeiten: Es geht einzig und allein darum, die Wahrheit zu beugen, mich zu diffamieren, meine Integrität, Kompetenz und Professionalität als Journalist in Frage zu stellen und damit meine wirtschaftliche Existenz als freier Journalist zu gefährden. Ich habe durch diese Auseinandersetzung schon jetzt finanzielle Nachteile hinnehmen müssen. Und ich frage mich, um mal ein Beispiel zu nennen, wie potenzielle Kunden (Zeitungen, Zeitschriften, Rundfunkstationen) wohl reagieren, wenn ich ihnen im März 2009, wenn Theo Zwanziger in Kopenhagen in das Exekutivkomitee der UEFA gewählt werden will, Beiträge anbiete. Ich glaube die Antwort zu kennen."