Unsa Senf

Moral

22.10.2008, 23:12 Uhr von:  Redaktion

Elfmeter UdineDer Mensch denkt und spricht gerne in Bildern, wenn er abstrakte Begriffe umschreiben muss. Ein solches Bild könnte die 72. Minute aus dem Bremer Weserstadion am vergangenen Samstag sein. Jakub „Kuba" Blaszczykowski rennt auf das Tor zu, der mitgelaufene Hunt gerät ihm von hinten in die Beine und Kuba stolpert. Normalerweise liegt der Spieler jetzt auf dem Boden, blickt hoffnungsvoll auf den Schiedsrichter und fügt sich mehr oder weniger demütig dessen Urteilkraft. Doch Kuba wollte den Ausgang der Spielszene nicht einfach in die Hände des Schiris legen und auf einen Elfmeterpfiff hoffen. Er nahm das Schicksal selbst in die Hand, rappelte sich flink auf und schob den Ball zwischen den verdutzten Tim Wiese und Aaron Hunt hindurch zu Mats Hummels, der sicher zum 2:1 verwandelte.

Das gesuchte Bild hierbei ist die im Fußball oft bemühte und zitierte Moral. Diese Szene vereinigt ziemlich viel von dem, was unsere Borussia in dieser noch jungen Saison oftmals auszeichnete. Das wieder auf die Beine kommen, wenn man am Boden liegt. Die Entschlossenheit selbst für die Entscheidung zu sorgen, statt sich einfach in sein Schicksal zu fügen.

Beispiele hierfür gibt es bisher schon viele - und alle sind sie irgendwie unterschiedlich. Wer hätte nach dem 0:3 im Derby und der bis dahin gezeigten, wirklich unterirdischen Leistung wirklich noch einen einzigen Pfifferling auf einen Punktgewinn gesetzt? So groß der Rückstand und zu wenig Zeit, um ihn noch aufzuholen. Den Ausgang kennt jeder.

Elfer Frei DerbyGanze 90 Minuten Zeit, um einen Rückstand noch aufzuholen, hatten unsere Borussen in Udine. Das Hinspiel verlor man klar und deutlich gegen einen einfach um Längen besseren Gegner mit 0:2. Mit dieser Last fuhr man zum damaligen Tabellendritten der Serie A, der auch jetzt nach dem siebten Spieltag mit fünf Gegentoren die zweitbeste Abwehr der Liga stellt - und man drehte das Ding noch. Gerade die Art und Weise, wie man sich die Verlängerung erarbeitete, nötigt Respekt ab. In den Nachspielzeiten der Halbzeiten holte man den Rückstand auf. Von Resignation keine Spur, selbst als die Zeiger der Uhr immer weiter unerbittlich Richtung Abpfiff tickten. Und so schoss man doch noch praktisch mit dem Abpfiff den hart erkämpften Treffer zum 2:0.

Vielleicht am beeindruckendsten war das 3:3 in Bremen. Wir haben bis fünf Minuten vor Schluss geführt, kassieren zwei Buden und stehen nach 90 Minuten mit leeren Händen da. Brutale Nackenschläge, die jeden Spieler tief getroffen haben müssen und die nicht viele Mannschaften weg stecken. Trotzdem haben sich unsere Jungs nur einmal kurz geschüttelt und alle Kraft in den letzten, noch verbleibenden Angriff gesteckt. Mit Erfolg. Zidan hämmert das Ding in die Maschen und auf einmal sehen die Bremer aus wie das sprichwörtliche Häufchen Elend.

Natürlich wird der ergebnisorientierte Fan jetzt einwenden, dass die Ausbeute aus diesen drei Spielen mit 2 Punkten und einem Ausscheiden aus dem UEFA-Cup nicht gerade Jubelstürme auslöst, aber das ist für viele Fans der Borussen erst einmal zweitranging. Man hat endlich wieder dieses unglaublich tolle „da geht noch was"-Gefühl im Stadion. Die Spiele nach dem Debakel in Hoffenheim haben eine Dortmunder Elf gezeigt, die an sich glaubt, die kämpft, die sich gegen das scheinbar Unvermeidliche stemmt und einfach munter nach vorne geht. So macht das Spaß und es erfüllt das oft benutzte Klischee vom BVB-Fan, der einfach nur harte und ehrliche Arbeit sehen will, mit neuen Leben.

Zweikampf HannoverWer kann der Mannschaft wirklich böse sein, wenn man sichtbar mit den Kräften am Ende zuhause gegen Hannover „nur" ein 1:1 holt? Die Moral stimmt. Auch dort hat keiner der Spieler dankend das Alibi von zwei englischen Wochen mit zwei Spielen über 120 Minuten angenommen und sich mit dem erreichten zufrieden gegeben. Ganz im Gegenteil, man versuchte bis zum Spielende immer weiter, das Spiel doch noch für sich zu entscheiden.
Die mit viel Skepsis aufgenommenen Ankündigungen von Vollgasveranstaltungen erweisen sich nicht als leere Versprechungen. Manchmal klemmt das Gaspedal zwar ein wenig, der Motor gerät ins Stottern, aber dann schieben eben alle zusammen an und versuchen neuen Schwung zu geben. Auch das ist eine Form von Moral - die Arbeitsmoral.

Dennoch gibt es keinen Grund, sich auf dem derzeitigen Zustand auszuruhen. Die bisherige Saison ist das Ergebnis harter Arbeit und unsere Mannschaft muss einen enormen Kraftaufwand betreiben, um Defizite gegenüber anderen Teams auszugleichen. Das wird zwar nicht immer gelingen und es wird weitere Niederlagen geben, aber dennoch bleibt die Verpflichtung, in jedem Spiel aufs Neue die Moral zu zeigen und mit vollem Einsatz anzugehen. Das ist wie damals in der Schule. Nach etlichen Matheklausuren mit, sagen wir mal freundlich, suboptimalen Erfolgen, kommt man mit einer Eins nach Hause und merkt bei der freudigen Präsentation erst was man damit angerichtet hat. Man hat gezeigt, dass man es kann und die Messlatte um ein deutliches Stück nach oben geschoben.
Der Willen neuen und höheren Ansprüchen gerecht zu werden, statt sich auf dem Erreichten auszuruhen („Bei allem Respekt....") - auch das ist Moral.

Alles in Allem hält die Wundertüte Borussia bisher erstaunlich viele positive Präsente für seine Fans parat. Der Glaube an die Mannschaft und der Stolz auf die Farben, die sie vertreten, wächst von Spieltag zu Spieltag. Die oft ersehnte Entwicklung, sie scheint zum Greifen nah. Auf dem Platz und auch auf den Tribünen. Die Vorfreude auf das nächste Spiel und somit die nächste mögliche „Vollgasveranstaltung" ist wieder da und vertreibt langsam aber sicher die Mattheit und Lustlosigkeit der letzten Spielzeiten.

Sascha, 22.10.2008

Der BVB ist wieder da...

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