Die traurigen Sieger von Udine
Was für ein Abend. Was niemand für möglich gehalten hatte, wurde im äußersten Nordosten Italiens Realität. Was 14 Tage zuvor im Dortmunder Westfalenstadion noch einer Vorführung glich, wurde gestern Nacht im Friaul wieder ins rechte Licht gerückt.
Mit einer unglaublichen Energieleistung wurde über 90 Minuten das Spiel gedreht. Aus einem aussichtslosen 0:2 wurde so ein 2:2. Vom eigenen Anhang - ca. 2.000 lautstarke Fans waren ihrer Borussia nach Italien gefolgt - frenetisch nach vorn gepeitscht, hatte man schon in der regulären Spielzeit die Italiener am Rand des totalen Desasters.
Das erste Schockerlebnis für die Italiener gab es bereits vor dem Anpfiff. Das Stadion war nicht einmal zur Hälfte gefüllt. Im weiten Rund verloren sich knapp 10.000 Besucher. Plötzlich ergab auch die rigorose Kartenvergabe von Udinese Calcio einen Sinn. Man hatte auch schon so ein zweites Auswärtsspiel. Der BVB-Anhang war auf den Rängen ganz klar tonangebend. Der Away-Sektor in der Curva Sud war mehr als gut gefüllt, im Gegensatz zum restlichen Stadion. Ganze Blöcke auf der Gegengerade wurden nicht einmal geöffnet. Ein eher trauriger Rahmen für dieses Spiel.
Bereits in Minute 03+1 die erste Riesenchance durch Alex Frei. Spätestens da wurde klar: Hier war das letzte Wort noch lange nicht gesprochen. Udinese Calcio kam im Verlauf der ersten Halbzeit überhaupt nicht ins Spiel. Borussia hingegen mit einem kampfstarken, couragierten Auftritt. Der Führungstreffer Sekunden vor dem Pausentee von daher hochverdient. Eine feine Co.-Produktion vom enorm laufstarken Kuba und Tomas Hajnal. 0:1 zur Pause. Der Lärmpegel in der Südkurve erreichte den ersten Höchststand.
Der zweite Durchgang verlief weitestgehend ausgeglichen. Die Dortmunder hielten sich strikt an ihre Vorgaben, man wollte den Italienern nicht zu viel Platz für ihr gefürchtetes Konterspiel lassen. Andere Mittel wollten den pomadig wirkenden Italienern allerdings auch nicht einfallen. In der Dortmunder Abwehr verdienten sich Robert Kovac und Marcel Schmelzer absolute Bestnoten. Einzig Neven Subotic wirkte nach seinem grandiosen Saisonstart abermals verunsichert. Im Aufbauspiel wollte dem jungen Mann nicht viel gelingen. So lief den Dortmundern die Zeit davon.
Das erlösende zweite Tor wollte einfach nicht fallen. Zu allem Überfluss wurde Alex Frei ein reguläres Tor aberkannt. Da musste sich der gute Schiedsrichter aus Spanien auf seinen Mann an der Linie verlassen. Leider eine Fehleinschätzung. Verdammt. Das Anrennen dauerte bis zur 02. Minute der Nachspielzeit. Plötzlich führte der Wahnsinn in Udine Regie. Tomas Hajnal mit seinem zweiten Treffer. 0:2 nach regulärer Spielzeit. Borussia hatte das Spiel gedreht.
Die Kurve der schwarzgelben Berufsoptimisten explodierte förmlich. Die erste Rechnung war beglichen. Die Italiener zitterten sich jetzt regelrecht durch die Verlängerung. In der 120.Minute dann die große Chance für den jungen Sadrijaj. Lediglich der beste Italiener, seines Zeichens slowenischer Nationaltorwart, bewahrte seine Mannschaft vor dem 0:3. Jammerschade - auch ein 0:3 wäre nach 120 Minuten nicht unverdient gewesen.
Der Rest ist leider schnell erzählt. Im Duell vom Punkt hatte Udinese Calcio das bessere Ende für sich. 4:3 n.E. Ausgerechnet die beiden besten Dortmunder Akteure, Kuba und Hajnal, scheiterten vom Punkt.
Was bleibt von diesem Abend? Ein glücklicher Sieger und ein ganz großer Verlierer. Borussia Dortmund hat sich in Italien von seiner besten Seite präsentiert. Auf dem Rasen und auf den Rängen. Ein großes Spiel einer jungen Mannschaft - und ein großartiger Support auf den Rängen.
Im Laufe des Tages folgen weitere Stimmen & Stimmungen aus Udine und aus dem Sonderzug, der mit 950 Mitfahrern die Reise nach Italien angetreten hatte.
Jungs, wir sind stolz auf EUCH.
Statistik
Borussia in der folgenden Aufstellung: Weidenfeller - Y.-P. Lee, Subotic, R. Kovac, Schmelzer - Kehl - Tinga, Kringe - Hajnal - Blaszczykowski, Frei
68. Valdez für Tinga
78. N. Sahin für Frei
84. Sadrijaj für Kringe
Udine zitterte sich wie folg in die Gruppenphase: Handanovic - Ferronetti, A. Coda, Domizzi, Pasquale - Isla, G. d'Agostino, Inler - Pepe, Floro Flores, di Natale
55. Lukovic für Pasquale
68. Quagliarella für Floro Flores
90. Sanchez für di Natale
Tore: 0:1 Hajnal (45. + 1, Linksschuss abgefälscht, Vorarbeit Kuba über rechts) 0:2 Hajnal (90. + 2, Rechtsschuss aus dem Gewühl, Vorarbeit Valdez)
Die Dortmunder Riesen in der Einzelkritik
Weidenfeller: Verlebte einen relativ ruhigen Abend. Mit ganz, ganz viel Pech bei einem Elfmeter. (ein trauriger Riese)
Lee: Löste seine Aufgabe sehr engagiert und fleißig. Ohne große Fehler auf seiner Seite. Unspektakulär, aber keineswegs unberechenbar. (ein trauriger Riese)
Subotic: Ihm merkte man so etwas wie Nervosität an. Steigerte sich aber von Minute zu Minute. Leider mit einigen Patzern im Aufbauspiel. Das kann er weitaus besser - und hat das in der Saison auch schon gezeigt. (ein trauriger Riese)
Kovac: Spielte seine ganze internationale Erfahrung aus. 50 Champions League Auftritte hinterlassen Spuren und Eindrücke. Erwies sich als der große Stabilisator in der Hintermannschaft. Gemeinsam mit dem jungen Schmelzer sicherlich einer der besten Dortmunder an diesem Abend. (ein trauriger Riese)
Schmelzer: Der Jungspund aus Magdeburg mit einem ganz großen Spiel. Zweikampfstark, sehr gute Laufarbeit und klasse Stellungsspiel. So unbekümmert, aber auch abgebrüht, spielt man wohl nur in jungen Jahren. Bärenstark. (ein trauriger Riese)
Kehl: Der Kapitän gewohnt fleißig und unermüdlich. Unzählige, auch harte, Zweikämpfe im Mittelfeld. Arbeit, die man oft nicht richtig sieht und einschätzen kann. Ganz starker Auftritt. (ein ganz trauriger Riese)
Tinga: Die Arbeitsbiene im Dortmunder Mittelfeld. Leider manchmal etwas
ungenau und überhastet. Verliert ab und an die klare Linie. Aber ohne
seine bekannten Schwächen würde er auch wohl nicht in Dortmund spielen.
(ein ganz trauriger Riese)
Kringe: Enorm fleißig und lauffreudig. In der Bundesliga haben wir ihn aber in der noch jungen Spielzeit schon stärker gesehen. Wirkte in der Nähe des Tores unglücklich in seinen Aktionen. Wurde kurz vor der Verlängerung erschöpft ausgewechselt (ein trauriger Riese)
Hajnal: Zwei Tore gemacht. Das hätte sein Abend werden können. Aber wie das Leben auf dem grünen Rechteck so spielt - scheiterte vom Punkt am bärenstarken Handanovic. (ein ganz trauriger Riese)
Kuba: Laufstark, Lücken reißend. Der junge Pole ist in dieser Form nicht aus der Mannschaft wegzudenken. Hat über seine Seite immer wieder für Unruhe gesorgt. Später für einige Minuten auf der linken Seite weniger glücklich. Auch er scheiterte an Handanovic. (ein ganz trauriger Riese)
Alex Frei: Ein unglücklicher Abend. Mit einer Riesenchance im ersten Durchgang. Im zweiten Durchgang wird ihm ein regulärer Treffer aberkannt. Der Schweizer einfach mit einem glücklosen Auftritt an diesem Abend. (ein trauriger Riese)
Valdez: Kam nach knapp 70 Minuten für Tinga. Sollte die Offensive beleben. Das ist ihm auch gut gelungen. Ein ständiger Wühler. Mit seiner unermüdlichen Rackerei auch Vorbereiter des 0:2. (ein trauriger Riese)
Sahin: Ein guter Auftritt des jungen Türken. Hat sich durch sein robustes Spiel nicht viele Freunde in Nordostitalien gemacht. Muss er auch nicht - uns hat seine Spielweise richtig gut gefallen. (ein trauriger Riese)
Sadrijaj: Mit der Riesenchance kurz vor Ablauf der 120 aufreibenden Minuten. Gott, das hätte die Kurve in einen Taumel gestürtzt. So bleibt nur die Rolle des traurigen Riesen.
geschrieben von Rolf