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Die Nachricht sorgte für Aufsehen: Markus Högner, Trainer des etablierten Frauen-Bundesligisten SGS Essen, wechselt zur kommenden Saison zum BVB – einem Verein, dessen Frauenmannschaft derzeit mit Aufstiegsambitionen in der vierten Liga spielt. Dieser Vorgang steht sinnbildlich für ein grundlegendes Problem: Borussia Dortmunds Einstieg in den Frauenfußball folgt einem unausweichlichen Dilemma, das kleinere, traditionsreiche Vereine wie die SGS Essen vor existenzielle Probleme stellt.
Zwei Wege, beide problematisch
Der Grundgedanke, den Frauenfußball zu fördern und auch Mädchen und Frauen die Möglichkeit zu geben, im schwarzgelben Trikot für ihren Herzensverein auflaufen zu können, ist zunächst einmal löblich und wünschenswert. Für einen Klub von der Größe des BVB gibt es jedoch keinen „charmanten“ Weg, in den Frauenfußball einzusteigen.
Entweder man kauft eine Lizenz für eine höhere Liga, wie es etwa RaBa Leipzig im Männerfußball getan hat. Das wäre jedoch eine künstliche und unfaire Abkürzung, die den sportlichen Wettbewerb untergräbt und zudem unsere Kritik an dem Brauseprodukt ad absurdum führen würde.
Oder man startet wie der BVB im Frauenfußball von unten – mit vorhersehbaren Konsequenzen. Die Mannschaft ist aufgrund der besseren Infrastruktur, höherer finanzieller Mittel und der Strahlkraft eines (noch) Champions-League-Teilnehmers kaum aufzuhalten. So wird auch auf diesem Wege der sportliche Wettbewerb verzerrt, denn das Frauenteam profitiert enorm vom BVB-Zugpferd der Männer und genießt so extreme Vorteile gegenüber ihren Konkurrentinnen auf Ligaebene. Die bisherige Geschichte der BVB-Frauen zeigt es: überlegene Kantersiege im zweistelligen Bereich, das Abwerben von Talenten aus dem Umkreis und ein Dauerabo auf die Aufstiegsplätze.
Parallelen zum Männerfußball – und die Doppelmoral
Im Männerfußball gibt es zahlreiche Beispiele für künstlich hochgezogene Vereine, die zurecht von den Fanszenen – auch von uns – kritisiert werden. Extremfall RaBa Leipzig oder bspw. Hoffenheim erschaffen sich sportliche Erfolge durch finanzielle und strukturelle Vorteile. Würde das, was der BVB gerade im Frauenfußball treibt, auf Männerebene passieren, wäre der Aufschrei groß.
Wenn wir als Player Borussia Dortmund auftreten, wird es für die Klubs relativ schwierig. Wir haben uns bewusst dafür entschieden, ganz unten anzufangen, weil wir keinen aufgrund seiner guten Leistungen von vornherein killen wollten.
Nicht von vornherein, aber langfristig schon:
Die SGS Essen ist ein Paradebeispiel für bodenständige, ehrliche Arbeit im Frauenfußball. Ohne einen finanzstarken Männerverein im Rücken hat man sich seit Jahren in der Bundesliga etabliert, Nationalspielerinnen ausgebildet und eine Identität geschaffen. Doch gegen die Anziehungskraft eines aufstrebenden BVB kann ein Klub wie Essen auf lange Sicht kaum bestehen. Erst recht nicht, wenn Borussia Dortmund bereits zu Westfalenligazeiten dem Bundesligisten sein Personal abgreift.
Nur zum Verständnis: Markus Högner ist Rekordtrainer der SGS und führte die Essenerinnen zwei Mal ins Pokalfinale. In Essen hätte man gerne mit dem 57-Jährigen weitergearbeitet, doch wenn der Gang in die vierte (ggf. dritte) Liga attraktiver erscheint (Stichwort Geld), dann sollten alle Alarmglocken klingeln. Und das ist erst der Anfang.
Der Preis des Wachstums
Ganz ehrlich: Ich bin nicht nur von kleinauf BVB-Fan, sondern eben auch gebürtige Essenerin und SGS-Sympathisantin. Aber auch ohne diesen Hintergrund war und ist mir sportlicher Wettbewerb als Grundlage dieses fantastischen Sports immer essenziell wichtig. Als Frau, die als junges Mädchen davon geträumt hat, eines Tages für den BVB zu spielen, würde ich die BVB-Frauen heute gerne sympathisch und unterstützenswert finden.
Schließlich soll der Frauenfußball wachsen, und ein großer Verein wie Dortmund bringt mehr Aufmerksamkeit. Doch zu welchem Preis? Wenn ein etablierter Bundesligist durch die Dominanz eines Großklubs langfristig seine Existenzgrundlage verliert, ist das keine Erfolgsgeschichte, sondern ein weiteres Beispiel für die ungleiche Verteilung der Ressourcen im Fußball. Der Frauenfußball braucht Wachstum – aber nicht auf Kosten jener, die ihn über Jahre mit harter Arbeit am Leben gehalten haben.
Für Borussia Dortmund mag es keinen „charmanten“ Weg und somit auch keine Lösung für dieses Dilemma geben, für mich persönlich jedoch schon:
Vorwärts, SGS!
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