Missbrauchsvorwürfe in der Handballabteilung: Was ich als Mitglied vom BVB erwarte
Die Missbrauchsvorwürfe gegen den ehemaligen Trainer der BVB-Handballdamen, André Fuhr, verschärfen sich. Der Verein hätte wohl früher einschreiten können. Spätestens zur Mitgliederversammlung im November soll er erklären.
André Fuhr soll Spielerinnen psychisch und physisch missbraucht haben. Der BVB hat sich zwar kürzlich von seinem Coach getrennt, doch möglicherweise wussten die Verantwortlichen bereits seit knapp zwei Jahren von den Anschuldigungen. Dies berichtet der Spiegel im Rahmen einer aktuellen Recherche.
Demnach habe Fuhr im Laufe seiner Trainer-Laufbahn zahlreichen Handballerinnen unterschiedlicher Vereine das Leben zur Hölle gemacht, indem er sie systematisch unterdrückte. Betroffene berichten von schweren psychischen Folgen, bis hin zu Suizidgedanken. Und obwohl innerhalb der Handballszene vor dem Trainer gewarnt worden sein soll, verpflichtete der BVB ihn 2019.
Hätte der BVB früher einschreiten müssen?
Nicht nur deshalb steht mittlerweile auch Handball-Abteilungsleiter Andreas Heiermann im Fokus. Die ehemalige Dortmunderin Mia Zschocke, die ihren Vertrag aufgrund der Missstände fristlos kündigte – ebenso wie Ex-Mitspielerin Amelie Berger –, behauptet im Spiegel, sie habe sich im April dieses Jahres bei Heiermann über Fuhr und dessen Methoden beschwert. Doch statt die Spielerinnen zu schützen, habe er Gesprächsinhalte an Fuhr durchgestochen. Der Handball-Chef habe die Anschuldigungen relativiert, lautet auch der Vorwurf einer weiteren Spielerin, die anonym zu Wort kommt. Der Spiegel kommt zu dem Schluss, dass die Verantwortlichen bereits im Oktober 2020 über Fuhrs Fehlverhalten informiert worden seien, aber nicht reagierten. Das rückt auch den Vorstand um Reinhard Rauball und seinen designierten Nachfolger Reinhold Lunow in ein schlechtes Licht.
Als Mitglied des eingetragenen Vereins, zu dem auch die Handballabteilung gehört, erwarte ich eine lückenlose Aufklärung. Wenn Spielerinnen sich unwohl fühlen und konkrete Vorwürfe adressieren, müssen Führungspersonen beim BVB dem konsequent nachgehen. In weniger als einem Monat findet die Jahreshauptversammlung statt. Gegenüber den Mitgliedern darf dieses Thema nicht ausgespart bleiben. Konkret ergeben sich, Stand heute, mehrere dringende Fragen an die Verantwortlichen:
- Waren dem BVB bereits vor der Verpflichtung André Fuhrs Vorwürfe gegen den Trainer bekannt?
- Seit wann wussten Andreas Heiermann und der Vorstand des e. V., insbesondere Reinhard Rauball und Reinhold Lunow, von möglichem schädlichen Verhalten innerhalb der Handballabteilung?
- Wann und wie sind sie eingeschritten?
- Wie ist der Stand der Aufarbeitung?
- Welche Unterstützung erhalten die betroffene Spielerinnen vom Verein?
- Welche präventiven Maßnahmen wird der BVB künftig ergreifen, auch mit Blick auf die ebenfalls zu schützenden Spieler der Fußball-Juniorenabteilung?
- Laut Spiegel gebe es eine Stillschweigevereinbarung zwischen dem BVB und Amelie Berger sowie Mia Zschocke. Von wem und mit welcher Intention ging die Initiative hierzu aus? War eine solche Vereinbarung tatsächlich Voraussetzung, damit die Spielerinnen den Verein verlassen durften?
Heiermann scheint fehl am Platz
Zuletzt hatte der BVB angekündigt, die Vorwürfe aufzuarbeiten – intern wohlgemerkt. Andreas Heiermann ist hierfür in meinen Augen nicht der Richtige, was nicht zuletzt seine öffentlichen Aussagen belegen. “Man kann Reisende nicht aufhalten”, sagte der Funktionär anlässlich der fristlosen Kündigungen von Amelie Berger und Mia Zschocke der dpa. Obwohl die Anschuldigungen gegen Fuhr da bereits publik waren, suggerierte er damit, die Nationalspielerinnen hätten bloß aus einer Laune heraus gehandelt. Zuvor hatte Heiermann in den Ruhr Nachrichten bereits spekuliert, dass die beiden “keine Lust mehr auf den BVB haben”. Nach den Spiegel-Veröffentlichungen wirkt das wie ein Hohn.
Es ist nicht das erste Mal, dass Heiermann unangenehm auffällt. Ein BVB-Mitglied, das anonym bleiben möchte, unserer Redaktion aber bekannt ist, hatte bemerkt, dass der Abteilungsleiter bei Mitgliederversammlungen regelmäßig doppeldeutige Anspielungen auf das "attraktive" Aussehen der BVB-Handballerinnen mache. Mit seinen problematischen Aussagen konfrontiert, habe Heiermann wenig Einsicht gezeigt.
Der Handball-Chef hatte unabhängig von der Causa Fuhr bereits angekündigt, sein Amt 2024 niederzulegen. Er sollte besser nicht so lange warten.
Die Spielerinnen haben Mut bewiesen
Mich persönlich hat die Spiegel-Recherche ziemlich umgehauen. Mehrere Sportlerinnen berichten zum Beispiel, trotz Verletzungen oder Schmerzen während der Periode zum Training gedrängt worden zu sein. Fuhr habe anzügliche Nachrichten geschrieben und ihr Privatleben kontrolliert. Auch Minderjährige seien betroffen gewesen. Wenn einem bereits beim Lesen ganz anders im Magen wird – wie muss es dann erst den Spielerinnen gehen?
Die Vorwürfe nun publik zu machen, war verdammt mutig. Nicht nur weil es in unserer Gesellschaft immer noch den Reflex gibt, Frauen, die öffentlich Gewalterfahrungen schildern, erstmal nicht zu glauben. Den Betroffenen wünsche ich, dass die Vorfälle aufgeklärt werden und sie genügend Unterstützung bekommen, das Erlebte aufzuarbeiten, um irgendwann hoffentlich nicht mehr unter den psychischen Folgen leiden zu müssen.
Die Anwältin von André Fuhr erklärte gegenüber dem Spiegel, die geschilderten Sachverhalte seien in wesentlichen Punkten unzutreffend. Es ist das gute Recht (und ein wichtiges Prinzip unseres Rechtsstaats), die Unschuldsvermutung in Anspruch zu nehmen. Dabei wird jedoch häufig vergessen, dass diese nicht nur für den mutmaßlichen Täter gilt, sondern in beide Richtungen. Schließlich könnte sich das mutmaßliche Opfer mit einer Falschaussage genauso strafbar machen. Es gibt deshalb keinen Grund, Frauen, die Missbrauchsvorwürfe erheben, quasi im Gegenzug Motive wie Habgier oder Rache zu unterstellen. Zumal strukturelle Gewalt gegenüber Frauen – unabhängig vom Fall Fuhr – ein erwiesenes Problem ist.
Nicht nur seinen Mitgliedern, sondern vor allem den Betroffenen schuldet der BVB nun Transparenz und Aufklärung – spätestens auf der Mitgliederversammlung im November, bestenfalls sogar früher.