"Die Spielerinnen dürfen sich nicht wie Stiefkinder fühlen"
In der kommenden Saison wird Borussia Dortmund mit einem eigenen Frauen-Team an den Start gehen. Erste Details hat der Verein vor wenigen Wochen seinen Vereinsmitgliedern bekanntgegeben. Nach einer Online-Umfrage unter allen interessierten BVB-Fans und intensiven Diskussionen haben sich die Verantwortlichen entschieden, in der untersten Kreisliga zu beginnen. Dabei soll es aber ausdrücklich nicht bleiben: Der "Dortmunder Weg" solle die BVB-Frauen innerhalb eines Jahrzehnts möglichst in die Bundesliga führen, hieß es im Mitgliedermagazin.
Eine anspruchsvolle Aufgabe, für die am Rheinlanddamm nun die Rahmenbedingungen geschaffen werden. Zur verantwortlichen Abteilungsleiterin wurde Svenja Schlenker ernannt, die seit vielen Jahren beim BVB tätig ist und früher selbst unter anderem beim Wambeler SV gespielt hat. In unserem Interview haben wir gemeinsam mit ihr und Geschäftsführer Carsten Cramer über den anstehenden Weg und viele offene Fragen gesprochen: Wie kann Borussia Dortmund erfolgreich sein, ohne anderen Vereinen aus der Region das Wasser abzugraben? Wo sollen die Mädchen und Frauen spielen und trainieren? Wie kann man Frauen- und Männerfußball künftig miteinander verzahnen? Und warum ist man, vielleicht auch im Sinne des gesamten Frauenfußballs, nicht den schnelleren Weg gegangen und direkt oben eingestiegen?
An dieser Stelle bedanken wir uns bei beiden für das ausführliche Gespräch.
schwatzgelb.de (Alexey): Seit
Kurzem leitet Svenja Schlenker die neue Abteilung Frauenfußball beim
BVB. Magst du dich den Fans, die deinen Namen zu diesem Anlass
vielleicht das erste Mal gelesen haben, einmal vorstellen?
Svenja Schlenker: Sehr gerne.
Ich bin 37 Jahre alt und seit über 13 Jahren bei Borussia Dortmund
tätig. Durch ein Praktikum im Rahmen meines Studiums habe ich damals
bei Sportfive angefangen. Als der BVB 2010 dann eine eigene
Marketingabteilung gegründet hat, hatte ich das Glück, direkt zum
Verein wechseln zu können.
Ich habe angefangen, den BVB-KidsClub
weiterzuentwickeln. Anfangs hatten wir 4.000 Mitglieder, mittlerweile
sind es über 22.000 im Alter von 0 bis 14 Jahren. Es hat mir immer
riesigen Spaß gemacht, mit den kleinen Fans arbeiten zu können.
Auch das Maskottchen haben wir über die vielen Jahre
weiterentwickelt, bei den Kids ist es eine echte Institution
geworden.
Im letzten Jahr haben wir auch
begonnen, das Thema der 60-plus-Fans anzugehen. Corona hat uns auf
diesem Weg ein bisschen ausgebremst, mittlerweile haben wir aber ein
Walking-Football-Team in der Fußballakademie. Auch eine erste
Wochenend-Auswärtsfahrt nach Bremen haben wir veranstaltet.
Die Arbeit mit Jugendlichen haben wir
mit dem Fan- und Jugendhaus verknüpft. Aber wie ihr auch wisst, sind
wir aus diversen Gründen hier noch in der Entwicklung.
schwatzgelb.de (Alexey):
Initialzündung
für Frauenfußball beim BVB war die Mitgliederversammlung im
vergangenen Jahr. Wie kam es dazu, dass du die neue
Abteilung nun leitest?
Svenja Schlenker: Wir, Carsten
Cramer und ich, haben früher schon mit der Geschäftsstellentruppe
zusammen gekickt. Bereits als junges Mädel habe ich Fußball
gespielt, und auch noch in den vergangenen Jahren hier in Dortmund,
beim Wambeler SV. Von daher wusste Carsten natürlich, dass ich dem
Thema sehr, sehr zugetan bin. Und als es im vergangenen Jahr dann
konkret wurde, haben wir beide auch relativ schnell gesprochen.
Anschließend haben wir eine
Projektgruppe gegründet. Die Leitung ist nach und nach in meine
Hände übergegangen. Wir haben dann eine Umfrage gestartet, mit
erfreulichen Ergebnissen. Ich fand es sehr wichtig, unsere Mitglieder
und treuesten Fans direkt zu befragen. Deren Meinung zählt. Und nun,
seit dem 1. Oktober, gibt es die Abteilung Frauenfußball.
"Wir sind ein gesellschaftliches Vorbild und schließen 50 Prozent der Menschen am aktiven Sporttreiben aus. Das kann nicht richtig sein."
Carsten Cramer: Unser Ziel war
es von Anfang an, das Ganze auf eine möglichst breite Basis zu
stellen. Deshalb war es wichtig, mit den Mitgliedern, Fans,
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu sprechen. Ich muss zugeben: Wir
sind heilfroh, dass die Umfrage zu diesem positiven Ergebnis gekommen
ist. So hatten wir uns das intern erhofft, und es scheint nicht
unsere Einzelmeinung zu sein.
Die Projektgruppe ist die größte, die
wir momentan beim BVB haben. Alle Abteilungen sind vertreten. Von
vornherein hatten wir ein paar aktive Fußballerinnen dabei, sogar
Kollegen, von denen ich vorher nicht gedacht hätte, dass sie sich so
für das Thema interessieren. Da sind wir sehr breit aufgestellt, und
alle haben richtig Bock.
schwatzgelb.de (Larissa): Obwohl das
Thema Frauenfußball bei der Mitgliederversammlung 2019 nur am Rande
vorkam – konkret ging es um zwei Wortmeldungen –, wurde es beim
BVB vergleichsweise schnell und öffentlichkeitswirksam
vorangetrieben.
Carsten Cramer: Auf der
Mitgliederversammlung wurde uns die Frage “Warum verwehrt ihr
Mädchen beziehungsweise Frauen, unter dem Dach von Borussia Dortmund
Fußball zu spielen?” gestellt. Die Frage war berechtigt und wir
hatten auf sie keine zeitgemäße Antwort.
Wir sind ein gesellschaftliches Vorbild
und schließen 50 Prozent der Menschen am aktiven Sporttreiben aus.
Das kann nicht richtig sein. Uns darauf zu berufen, dass wir eine
Fußballschule betreiben, in der auch Mädchen für 150 Euro Kurse
buchen und mitspielen können, ist nicht der Anspruch von Borussia
Dortmund. Frage: Warum kann ein talentierter männlicher Jugendlicher
auch bei uns in den Grundlagen- beziehungsweise Jugendmannschaften
spielen, Mädchen können das aber nicht?
Deshalb werden wir das künftig professionell und unter der Leitung von Svenja aufziehen. Wir möchten eine ordentliche Infrastruktur bieten, und alle Mädchen und Frauen, die das BVB-Trikot tragen, sollen wissen, dass wir das nicht halbherzig machen. Ich hoffe, dass wir einen Dortmunder Weg einschlagen werden, der so authentisch wie möglich ist.
schwatzgelb.de (Malte): Ihr habt
jetzt schon zwei Mal die Fußballschule beziehungsweise -akademie des
BVB angesprochen. Dort habt ihr in den vergangenen Jahren also schon
bereits Erfahrungen mit Mädchenfußball gesammelt?
Svenja Schlenker: Grundsätzlich
haben wir das Angebot der Fußballschule in den letzten Jahren
geöffnet: Anfangs war es nur für Jungen, dann haben wir aber
gemerkt, dass es hinterwäldlerisch ist, die Mädchen außen vor zu
lassen. Das wollten wir unbedingt ändern. Zunächst haben wir
gemischte Angebote geschaffen, bis zu einem gewissen Alter können
Mädchen und Jungen ja auch zusammenspielen. Der Andrang und der
Wunsch, im schwarzgelben Trikot zu spielen, waren so groß, dass wir
mittlerweile auch eigene Angebote für Mädchen haben – aber noch
nicht in dem Umfang, wie wir ihn haben könnten, wenn wir das Ganze
mit einer eigenen Mädchen- und Frauenabteilung verknüpfen.
Schwatzgelb.de (Malte): Gab es aus
der Fußballakademie Erkenntnisse, die bereits in die Pläne für die
neue Mädchen- und Frauenfußballabteilung eingeflossen sind?
Svenja Schlenker: Wir haben eine
Kollegin aus der Akademie in der Projektgruppe. Wir werden jetzt
zeitnah schauen, wie schnell und wie gut eine Verzahnung stattfinden
kann.
Carsten Cramer: Wir spüren auf
jeden Fall: Immer mehr Mädchen in jungem Alter haben Lust, Fußball
zu spielen.
schwatzgelb.de (Alexey): Es gab dann
auch Gespräche mit Dortmunder Vereinen. Wie ist der Plan des BVB, in
den Frauenfußball einzusteigen, aufgenommen worden?
Carsten Cramer: Ich glaube, es
war sehr gut, dass wir von Anfang an offen kommuniziert haben.
Außerdem hat es uns geholfen, dass der Wunsch nach Frauenfußball
aus der Mitgliedschaft kam – und keine Idee aus der Geschäftsstelle
zu Marketingzwecken war.
Wir hatten ein sehr offenes Gespräch
mit den Vertretern vom SV Berghofen in Form eines drei- bis
vierstündigen Workshops im Stadion. Als ranghöchster Verein in
Dortmund war Berghofen unser erster Ansprechpartner. Beim SV
Berghofen hat man gemerkt, dass wir es ernst meinen und ergebnisoffen
diskutieren möchten. Ich hoffe, diesen Eindruck werden sie
bestätigen, wenn man heute dort noch einmal dort nachfragt.
"Eine Idee wäre, maximal zwei bis drei Spielerinnen pro Verein zum BVB zu holen."
schwatzgelb.de (Alexey): Was konntet
ihr für die Gründung einer eigenen Abteilung beim BVB aus den
Gesprächen mitnehmen?
Carsten Cramer: Bisher war
unsere Argumentation, nichts zu machen, das den bestehenden Vereinen
schadet. Deshalb waren wir froh, dass wir mit dem SV Berghofen vom
ersten Tag an einen extrem offenen Austausch hatten. Wir haben direkt
gemerkt, wo beim Frauenfußball der Schuh drückt, was die Stärken
und Schwächen sind und welche Sorgen einen Verein wie Berghofen, der
für uns repräsentativ für den Frauenfußball steht, umtreibt.
Parallel hat Svenja mit dem Kreisvorstand gesprochen. Ich denke, das
hat uns geholfen, neben unseren eigenen Ideen ein Gespür zu
bekommen, in welche Richtung es gehen soll.
schwatzgelb.de (Malte): Welche
Ängste und vielleicht auch Hoffnungen sind in dieser Phase von den
Vereinen und dem Kreis an euch herangetragen worden?
Svenja Schlenker: Ich glaube, es
gibt zwei sehr große Sorgen. Zum einen besteht die Angst, der BVB
habe eine so große Strahlkraft , dass alle Mädchen und Frauen zu
uns wollen und sich bestehende Mannschaften auflösen müssen. Zum
anderen sind alle Vereine von Sponsoringgeldern abhängig, und die
haben einen sehr, sehr regionalen Bezug. Auch in dieser Hinsicht gab
es natürlich Bedenken, die wir aber ausräumen konnten.
Wir werden den anderen Vereinen nicht
die lokalen Partner und Sponsoren madig machen, außerdem wird es
eine Transferbeschränkung geben, auf die wir uns noch einigen
müssen. Das werden wir gemeinsam mit den Dortmunder Vereinen klären.
Eine Idee wäre, maximal zwei bis drei Spielerinnen pro Verein zum
BVB zu holen, damit auf alle Fälle garantiert wäre, dass alle
bisherigen Mannschaften weiterbestehen können.
Wir möchten auf keinen Fall, dass
andere Teams sich abmelden müssen oder der Dortmunder Frauenfußball
kleiner wird, sondern ihn vielleicht ein klein wenig aufblühen
lassen.
Carsten Cramer: Wir möchten nicht mit dem Staubsauger durch Dortmund fahren und den Vereinen ihre talentiertesten Mädels wegnehmen.
schwatzgelb.de (Malte): Den Blauen,
deren Frauenteams im Sommer in der Kreisliga gestartet sind, wird nun
vorgeworfen, sich an die versprochene Selbstbeschränkung nicht
gehalten zu haben: Ein
Landesligist aus Bottrop musste sein Team abmelden, weil vier
Spielerinnen zu den Blauen gewechselt seien.
Carsten Cramer: Spätestens wenn
sich zwei Mädchen oder Frauen bei einem Verein aus der Region
abmelden, wird uns das mit Sicherheit vorgeworfen: “Da siehste, was
der BVB macht.” Aber wir glauben – und dieses Feedback haben wir
auch von lokalen Vereinen bekommen –, dass durch den BVB der
Frauenfußball auch belebt wird. Vielleicht haben durch den BVB mehr
Mädchen oder Frauen Lust, Fußball zu spielen. Und die können am
Ende bestimmt nicht alle für Borussia Dortmund auflaufen. Wir haben
uns für eine ambitionierte Herangehensweise entschieden und möchten
entsprechend ausbilden. Natürlich verliert ein Vorortverein dadurch
auch mal ein Talent an Borussia Dortmund. Aber irgendwann kommt es ja
vielleicht auch wieder zurück, wenn es sich zum Beispiel beim BVB nicht
durchsetzen kann. Bei den Jungs läuft es ja auch so.
schwatzgelb.de (Larissa): Gibt es
auch Bereiche, in denen eine Kooperation zwischen dem BVB und
anderen, lokalen Vereinen denkbar wäre?
Carsten Cramer: Im Jugendbereich
müssen wir uns die Frage stellen, ob wir zu einem Teil Doppelpass
mit anderen Vereinen spielen möchten. Vielleicht müssen wir nicht
in jedem Jahrgang eine Mannschaft haben.
schwatzgelb.de (Alexey): Habt ihr auch Gespräche mit den großen Vereinen hier in der Gegend, beispielsweise SGS Essen aus der Bundesliga, geführt, um ein Meinungsbild über einen BVB-Einstieg in den Frauenfußball zu holen oder gar eine Lizenz zu übernehmen?
Svenja Schlenker: Wir haben
zumindest kurz überlegt, eine Lizenz zu übernehmen. Auch weil es
zunächst für Essen – nach dem Weggang einiger Stammspielerinnen –
nicht ganz so rosig aussah. Aber die haben sich, nach meinem letzten
Stand, wieder gut gefangen.
Persönliche Gespräche gab es jedoch
nicht. Und an grundsätzlichem Feedback haben wir das aufgesogen, was
in Fußball-Deutschland über die sozialen Kanäle und Co. ging. Dort
gab es ja sehr positive Rückmeldungen. Alle haben sich gefreut, dass
wir endlich starten und irgendwann auch bestimmt konkurrenzfähig in
den höheren Ligen sein werden.
"Unser Traum ist es, in der Roten Erde zu spielen."
schwatzgelb.de (Alexey): In
Gelsenkirchen ist man in dieser Saison gleich mit zwei Damenteams in
der Kreisliga gestartet. Wäre das auch eine Option für den BVB?
Svenja Schlenker: Ich würde mal
spontan behaupten, dass wir keine zwei Mannschaften machen. Aber das
müssen wir noch exakter herausarbeiten. Zum Beispiel, ob es Sinn
macht, im ersten Jahr nur mit einer Damenmannschaft zu starten, oder
direkt auch eine Mädchenmannschaft zu gründen. Um zu schauen, was
langfristig sinnvoll ist, möchten wir uns noch mit den Kollegen aus
dem Sport hier beim BVB zusammensetzen.
schwatzgelb.de (Malte): Wenn
Borussia Dortmund zum ersten Probetraining ruft, würde der Andrang
riesig sein. Um ein letztes Mal ein Beispiel aus Gelsenkirchen zu
bemühen: Nach eigener Aussage haben sich dort auch Spielerinnen aus
der zweiten englischen Liga vorgestellt. Denen habe man klarmachen
müssen, dass sie zwar das Schalke-Trikot tragen, aber trotzdem in
der Kreisliga A starten würden. Auch beim BVB würden bestimmt viele
Mädchen und Frauen auch aus höheren Ligen auf der Matte stehen,
die schon ihr ganzes Leben davon träumen, das BVB-Trikot zu tragen.
Dann stellte sich die Frage, wie man damit umgeht. Schickt man sie
wieder weg oder ist es am Ende die Verantwortung der Spielerin, ob
sie entgegen ihrer Fähigkeiten recht weit unten spielen
möchte?
Svenja Schlenker: Wir wollen uns faire
Leitplanken für alle Parteien bauen. Auch wenn es vielleicht der
Traum ist, im schwarzgelben Trikot aufzulaufen, macht es für eine
Frau, die in der ersten oder zweiten Liga spielt, relativ wenig Sinn,
zum BVB in die Kreisliga zu wechseln. Das würde auch nicht zu dem
von uns gewählten Weg passen, und wir möchten authentisch bleiben.
Inwieweit wir unsere selbst gesetzten Regeln im Laufe der Jahre
optimieren werden, müssen wir schauen. Das wird sicher ein
fließender Prozess sein.
Carsten Cramer: Wir haben kein Dogma. Nur weil wir bei den Männern oft junge Spieler verpflichten, heißt das ja auch nicht, dass Michael Zorc keine alten Spieler verpflichten wird. Und möglicherweise wird es die Situation geben, in der eine Bundesligaspielerin, deren Traum es immer war, für den BVB zu spielen, nach dem Ende ihrer Profikarriere bei uns in der Bezirksliga anklopft. Wollen wir dann wirklich so selbstverliebt sein und einer Frau und ihr diesen Traum verwehren? Das muss man austarieren. Solche Fragen hoffen wir durch möglichst transparente Kommunikation zu klären. Sicher werden wir nicht versuchen, mit nebulösen Maßnahmen schnellstmöglich Erfolg sicherzustellen.
schwatzgelb.de (Larissa): Wenn ein
Verein unten einsteigt, aber über professionelle Strukturen verfügt,
stellt sich zwangsläufig auch die Frage nach einer möglichen
Bezahlung der Spielerinnen …
Carsten Cramer: Andere Vereine
können ihren Spielerinnen in unteren Ligen höchstens das Spritgeld
bezahlen. Wir werden sicherlich keine Gehälter zahlen. Die
ersten fünf oder sechs Jahre wird es wahrscheinlich so ablaufen wie
auch bei den anderen Vereinen.
schwatzgelb.de (Alexey): Gibt es
schon Ideen oder Wünsche, wo die neuen Teams spielen und trainieren
sollen?
Svenja Schlenker: Nein, noch
nicht ganz. In Brackel sind momentan alle Kapazitäten komplett
erschöpft. Wir können uns also von der Idee verabschieden, das
Trainingszentrum zu benutzen. Darüber hinaus haben wir die
Fußballakademie [am Rabenloh, die Redaktion], wo wir abends
mit Sicherheit trainieren könnten.
Unser Traum ist es, in der Roten Erde
zu spielen. Das würde natürlich einiges mit sich ziehen. Wir wissen
ja, wie oft der Platz aufgrund von Unbespielbarkeit schon allein für
die U23 gesperrt ist. Das Problem müsste man also noch
angehen.
Carsten Cramer: Wo würdet ihr das denn sehen?
schwatzgelb.de (Larissa): Grundsätzlich wäre es in
der Roten Erde sehr charmant. Allerdings reden wir da natürlich von
einer Rasenqualität, die vermutlich mit einer weiteren Mannschaft
auch nicht besser wird als ohnehin schon.
schwatzgelb.de (Alexey): Am
Trainingsgelände zu spielen, fände ich persönlich nicht so gut.
Man würde dort weniger Leute erreichen, weil es weit außerhalb
liegt, eine gute Öffi-Verbindung nicht gegeben ist und man es
eigentlich nur mit dem Auto vernünftig erreichen kann. Die Rote Erde
wäre eigentlich am besten. Man könnte aber auch schauen, ob man in
Richtung Nordstadt ziehen kann, zum Beispiel in den Hoesch-Park. Wäre
schön, in der Umgebung zu spielen, in der der BVB gegründet worden
ist.
Carsten Cramer: Aber jetzt
mal eine Gegenfrage: Würde nicht der Eindruck entstehen, dass die
Mannschaft beziehungsweise der Frauenfußball nicht richtig
integriert wäre, wenn wir sie auf einem Außengelände spielen
ließen, obwohl in Brackel das Trainingszentrum mit den vielen
Plätzen ist, wir die Fußballakademie und zusätzlich noch die Rote
Erde haben? Würde es nicht negativ rüberkommen, wenn die Frauen da
spielen, wo vor 20 oder 30 Jahren noch die Jugendmannschaften spielen
mussten?
"Das Team gehört auf ein Gelände von Borussia Dortmund."
schwatzgelb.de (Larissa): Hat man
diesen Eindruck nicht eh schon? Ich meine, die Frauen können ja
nicht mal auf demselben Gelände trainieren wie die Profis und sollen
woanders hin ...
Carsten Cramer: Deswegen frage
ich. Wir haben noch keine abschließende Meinung dazu. Ich finde den
Standort und dessen Wirkung nicht ganz unwichtig.
schwatzgelb.de (Malte): Den Gedanken
an den Hoesch-Park finde ich auch sehr charmant. Auch weil der BVB in
der Nordstadt, wo er herkommt, sonst sehr wenig hat. Andererseits ist
das in erster Linie eine romantische Vorstellung von Fans des
Männerfußballs. Sollte es nicht im Zweifel wichtiger sein, was die
Spielerinnen und die Trainer dazu sagen? Grundsätzlich könnte man
sicherlich in den Hoesch-Park gehen – dort ist neben dem Rasen- ja
auch ein Kunstrasenplatz –, aber nur wenn der Staff und die
Spielerinnen diese Bedingungen vernünftig finden. Alles andere wäre
wirklich schwierig.
Svenja Schlenker: Ja, am Ende
müssen wir halt die Romantik mit den funktionellen Überlegungen
vereinen.
Carsten Cramer: Die Spielerinnen dürfen sich nicht wie Stiefkinder fühlen. Ich persönlich fände die Rote Erde mit die beste Lösung, die Verzahnung von U23 und Frauen ist charmant.
Über den Hoesch-Park haben wir ganz kurz gesprochen, kamen aber schnell zum Schluss, dass sich ein Frauenteam dort sehr isoliert fühlen würde. Das Team gehört am Ende auf ein Gelände von Borussia Dortmund. Und das ist entweder hier am Stadion, auch wenn die Rote Erde uns aktuell nicht gehört, im Rabenloh oder drüben in Brackel.
schwatzgelb.de (Alexey): Aktuell
nicht gehört? Vor ein paar Jahren gab es ja bereits Pläne des BVB,
die Rote Erde zu übernehmen. Gibt es da etwa Neues?
Carsten
Cramer: (lacht) Nächste Frage bitte.
schwatzgelb.de (Alexey): Wo soll der Frauenfußball denn angesiedelt werden, in der KGaA oder im e. V.?
Carsten Cramer: In der KGaA.
Schwatzgelb.de (Malte): Nach meinem
Empfinden wurde lange suggeriert, dass das Ganze eine
e.-V.-Angelegenheit werden würde. Sowohl auf der letzten
Mitgliederversammlung, wo die Idee entstanden ist, und zuletzt
öffentlich war ja immer die Rede davon, den Mitgliedern am Ende
etwas vorzustellen.
Carsten Cramer: Das haben wir
durch Mitgliedermagazin und die Fandelegiertentagung vorgezogen, weil
wir bedingt durch Corona in diesem Jahr keine Mitgliederversammlung
veranstalten können. Wir wollten dann auch einfach nicht länger mit
unserer Entscheidung auf uns warten lassen.
Das Ziel war in der Tat, unser Konzept
auf der Mitgliederversammlung im November als Erstes zu präsentieren.
Ich formuliere es mal so: Mir als Fan, Mitglied oder Außenstehender
wäre es eigentlich egal, ob die Frauenmannschaft über den e. V. oder
die KGaA läuft. Hauptsache, es ist schwarzgelb. Ich glaube, da wird
in der Außendarstellung eh nicht immer so unterschieden.
schwatzgelb.de (Malte): Warum hat
man sich am Ende für die KGaA entschieden?
Carsten Cramer: Tatsächlich ist Frauenfußball auf
Dauer im e. V. schwierig zu organisieren. Das hat sicher auch
fiskale Gründe. Denn das Frauenfußball-Thema, das weltweit wächst,
wird auf Sicht sicher auch eines, das sukzessive an Professionalität
auf allen Ebenen – intern wie extern – gewinnen wird.
"Hochklassig kann für mich aber auch bedeuten, in sieben oder zehn Jahren in der zweiten Liga zu sein."
schwatzgelb.de (Malte): Also
wird es auch keine formale Mitgliederabstimmung mehr über das
Konzept geben?
Carsten Cramer: Nein. Wir haben das als Auftrag der Mitglieder empfunden und eine Prüfung zugesagt. Dabei sind wir zu der Überzeugung gekommen, dass es richtig ist, eine Frauenfußballabteilung zu gründen. Unsere Ergebnisse, die wir jetzt mit euch diskutieren und im Mitgliedermagazin vorgestellt haben, hätten wir genauso im Rahmen einer Mitgliederversammlung präsentiert.
schwatzgelb.de (Malte): Wir
würden gerne über die vielen unterschiedlichen Erwartungen
sprechen, die an den BVB herangetragen worden sind, nachdem er
bekanntgegeben hat, sich intensiv mit der Gründung einer Abteilung
für Frauenfußball zu beschäftigen. Da waren die Wünsche der
Mitglieder und Fans, die durch die Umfrage ins Boot geholt wurden.
Und neben den Erwartungen der Dortmunder Vereine gab es natürlich
auch die Stimmen aus dem Profifußball, zum Beispiel von Alex Popp,
Lina Magull oder Funktionären ...
Carsten Cramer: Letztere hatten,
um das mal abzukürzen, maximal Verstärkerqualität. Es war nicht
unsere Motivation, Frauenfußball spielen zu lassen, nur weil alle
anderen das machen.
Wir haben ja auch Kritik bekommen.
Leute haben gefragt, warum wir denn nicht den Weg wählen, der
schnellstmöglich zum Erfolg führt. Aber das war nicht unser Ansatz.
Wir wollten einen glaubwürdigen, einen Dortmunder Weg zu finden.
schwatzgelb.de (Malte): Wobei es für
diesen Weg und vor allem die damit verbundene Zielsetzung wiederum
Kritik gab. Sieben Aufstiege in zehn Jahren haben mit organischem
Wachstum nicht mehr viel zu tun. Schon weil man sich dieses Ziel nur
leisten kann, wenn man über die entsprechenden finanziellen Mittel
sowie eine gute Infrastruktur verfügt.
Carsten Cramer: Aber das ist doch Blödsinn. Die Aufstiege kann man vielleicht in Sportarten planen wie Basketball oder Volleyball, die eben keine Kontaktsportarten sind. Aber wenn mir jemand sagen will, beim Fußball könne man regelmäßige Aufstiege so stringent planen – das glaube ich nicht. Wer sagt uns heute, dass wir sieben Mal hintereinander aufsteigen werden?
schwatzgelb.de (Malte): Sonst hätte
man das Ziel doch so nicht ausgerufen.
Carsten Cramer:
Wir haben das nicht als Ziel formuliert. Wir haben gesagt, dass wir
so schnell und ambitioniert wie möglich hochklassig spielen wollen.
Hochklassig kann für mich aber auch bedeuten, in sieben oder zehn
Jahren in der zweiten Liga zu sein. Wo hört das denn auf? Sollen wir
erst dann zufrieden sein, wenn wir im Champions- League-Finale
Olympique Lyon geschlagen haben? Nein, das ist ja nicht der Ansatz.
Ambitioniert ja, aber kein Erfolg um jeden Preis.
schwatzgelb.de
(Malte): Ich würde schon behaupten, dass man einen großen Vorteil
gegenüber den konkurrierenden Mannschaften hat. Allein schon
aufgrund der Infrastruktur. Außerdem hat man die Einnahmen aus dem
Männerbereich. Ressourcen, die ein Zweitligist wie beispielsweise
Berghofen nicht zur Verfügung hat. In meinen Augen kann man schon
fragen, warum man dann nicht einen einfacheren Weg gegangen ist, wenn
man ohnehin in acht oder zehn Jahren in der Bundesliga spielen
möchte. Man hätte ja zum Beispiel in der Regionalliga einsteigen
können.
Carsten Cramer: Diese Fragen haben wir uns
ja auch selber gestellt und diskutiert, deshalb kann ich das an
dieser Stelle abkürzen. Wir haben nämlich schnell gemerkt, dass ein
Großteil der Menschen, die wir gefragt haben, diesen Weg für falsch
hält, und wir glauben auch, dass dieser Weg einfach nicht zu
Borussia Dortmund passt. Und er wäre auch nicht glaubwürdig. Wir
können nicht einerseits Hoffenheim und Leipzig für deren Modell
kritisieren, selbst aber bei erstbester Gelegenheit den bequemen Weg
gehen, indem wir die Lizenz eines anderen Vereins übernehmen.
In meinen Augen wäre das auch nicht
wertschätzend gegenüber den Vereinen, die sich den Erfolg selbst
erarbeitet haben. Wie bereits gesagt: Über Kooperationsmodelle,
beispielsweise im Jugendbereich, können wir nachdenken, wenn wir ein
etabliertes Team haben. Aber nun haben wir den Ehrgeiz, uns das
selbst und aus eigener Kraft zu erarbeiten – und unter fairen
Bedingungen.
"Franchise-Systeme heißen wir schon vom Grundsatz her für nicht gut."
Ich glaube übrigens auch nicht, dass
der Frauenfußball anfangs subventionsbedürftig sein wird. Zu Beginn
wird er uns nicht viel kosten. Anders wäre das, würden wir uns elf
Legionärinnen kaufen und diesen dann eine Aufwandsentschädigung von
450 Euro bezahlen. Dann kämen schnell Kosten von 150.000 bis 250.000
Euro auf uns zu. Das soll es, darf es und wird es aber am Anfang
nicht kosten. Am Anfang wird sich der Frauenfußball, das glaube ich
ganz ehrlich, selber tragen.
schwatzgelb.de (Malte): Mit
Blick auf die Diskussionen über ein zweites Leipzig oder Hoffenheim
wurde auch kritisiert, man würde den Frauenfußball so vom
Männerfußball her denken – und dem Frauenfußball damit nicht
gerecht werden. Vor allem in der Premier League und in der
französischen Liga ist Querfinanzierung durch Männerteams gang und
gäbe, was ja einem Mäzenatentum gleichkommt. Hätte man nicht
einfach akzeptieren können, dass es im Frauenfußball nun mal ganz
anders läuft als bei den Männern, und beispielsweise direkt weiter
oben starten können?
Zumal man als Borussia Dortmund
trotzdem weiterhin hätte glaubwürdig verkaufen können, dass man
nicht das Gleiche macht wie RB Leipzig bei den Männern: Weil das
Motiv nicht ist, möglichst viele Energy Drinks zu verkaufen, sondern
man, im besten Fall, ehrlich den Frauenfußball nach vorne bringen
möchte.
Carsten Cramer: Das ist eine
These, die wir nicht teilen.
Schwatzgelb.de (Malte): Warum nicht?
Carsten Cramer: Ich habe ja gerade versucht zu erklären, warum der andere Weg der passendere ist. Du hast jetzt Leipzig auf den reinen Zweck reduziert, indem du gesagt hast: Die spielen nicht Fußball um des Fußballspielens Willen, sondern weil es ein reines Marketingkonstrukt ist. Lasse ich jetzt mal so stehen. Nichtsdestotrotz heißen wir Franchise-Systeme schon vom Grundsatz her für nicht gut. Und nichts anderes wäre es, wenn wir einfach die Lizenz eines anderen Vereins übernehmen würden.Ja, es stimmt: Ab einem bestimmten Level wird Frauenfußball Profifußball und mit einem gewissen Trainingsaufwand verbunden sein. Das führt dazu, dass die Spielerinnen nebenbei keinen anderen Job mehr ausüben können. Dass sie dann eine angemessene Aufwandsentschädigung erhalten müssen, ist klar. Dass diese Aufwandsentschädigung, Stand heute, nicht mehr allein durch Ticketing und Sponsoring aus dem Frauenfußball selbst refinanzierbar ist, ist auch klar. Da reden wir dann aber über Bundesliga, und zwar die erste. Die Kollegen aus Berghofen, damals noch Regionalliga, haben uns das bestätigt: Die sind in der Lage, ungefähr 80.000 bis 90.000 Euro über eigene Mittel beizubringen, und arbeiten so einigermaßen kostendeckend.
Und ich glaube, so wird das auch bei
uns in den ersten Jahren sein. Ja, vielleicht wird das Trainerteam
bei uns mehr kosten. Vielleicht sagen wir, wir wollen bestmögliche
Ausbildung garantieren. Trotzdem bleibe ich bei der Einschätzung,
dass Frauenfußball am Anfang bei uns nichts sein wird, das wir
subventionieren müssen. Weil ich sicher bin, dass Frauenfußball
beim BVB eine große Resonanz erfahren wird und wir nicht nur 100
Zuschauer, die je zwei Euro Eintritt zahlen, haben werden, wenn wir
in der Roten Erde spielen werden.
Richtig ist aber auch: Wenn wir heute
Bundesliga spielen würden, wäre das ohne Quersubventionen aus dem
Männerfußball nicht kostendeckend zu betreiben. Die Erkenntnis
bestätigt jeder klassische Männer-Bundesligist, der auch ein
Frauenteam in der ersten Liga hat.
schwatzgelb.de (Malte): Es gab ja
häufig die Forderung an den BVB, eine Art weiterer Leuchtturm neben
Bayern oder Wolfsburg, die mittlerweile die Aushängeschilder in
Deutschland sind, zu sein beziehungsweise zu werden. Ist das
überhaupt etwas, das ihr anstrebt? Und wenn ja, wie könnte das
überhaupt aussehen?
Carsten Cramer: Also in diesem
Raum sind Svenja und ich zwei Fünftel vom BVB, ihr seid drei
Fünftel. Was wäre denn eure Erwartungshaltung an den BVB?
schwatzgelb.de (Malte): Ich finde
ein Engagement des BVB im Frauenfußball vor allem gut, weil er so
weibliche Identifikationsfiguren schaffen kann. Ich konnte als
kleiner Junge – auch wenn es wohl nichts Entfernteres gab –
zumindest davon träumen, vielleicht mal für den BVB zu spielen.
Viele Mädchen und Frauen können das wahrscheinlich nicht. Ich fand
es immer einen schönen Gedanken, dass Borussia Dortmund nun auch
diese Perspektive aufzeigen kann. Außerdem kann ich mir schon
vorstellen, dass auch andere Vereine mitziehen werden, wenn sie
sehen, dass der BVB ganz selbstverständlich Frauenfußball betreibt.
Es gibt ja leider immer noch viele Vorurteile.
schwatzgelb.de (Alexey): Das glaube
ich auch. Letztens habe ich auch mit Freunden, die viel auswärts
fahren, darüber gesprochen, dass das sehr schön wäre, wenn der BVB
eine Frauenmannschaft hätte. In der Kreisliga könnte man zu allen
Spielen, die ja in der näheren Umgebung sein werden, mit dem Fahrrad
fahren. Ich selbst bin mir aber noch nicht sicher, ob ich viele
Spiele sehen werde. Einerseits hätte ich Lust, andererseits gibt es
die erste Mannschaft, ihre Auswärtsspiele, vielleicht noch die
Amateure – ob man am Wochenende noch genug Zeit für ein viertes
Spiel hat? Aber allein schon, weil es mein Verein ist, würde ich die
Spiele der Frauen gerne sehen.
schwatzgelb.de (Larissa): Ich bin
selbst im Frauen- beziehungsweise Mädchenfußball tätig. Deshalb
habe ich natürlich auch aus persönlichen Gründen ein großes
Interesse an diesem Thema. Ich fände es – gerade als BVB-Fan –
total charmant, wenn Dortmund im Frauenfußball ein gewisser Name
würde. Für den deutschen Fußball wäre es natürlich auch nicht
schlecht, wenn es auf dem internationalen Markt noch ein weiteres
Schwergewicht gäbe, gerade mit Blick auf Frankreich oder England.
Für mich persönlich muss es aber gar nicht der maximale Erfolg
sein, solange es Spaß macht. Ich bin zum Beispiel auch total gerne
bei den Amateuren. Schauen wir mal …
schwatzgelb.de (Alexey): Ich habe
nur die Befürchtung, dass nach ein paar Jahren gar nicht mehr so
viele Leute ins Stadion gehen. Ich war gestern beim 1. FFC
Recklinghausen, die spielen Regionalliga und da waren zwischen 45 und
50 Zuschauer. Berghofen hatte in der Regionalliga im Schnitt 68
Zuschauer, glaube ich. Gestern, beim ersten Zweitligaspiel und bestem
Wetter, waren 240 da.
Carsten Cramer: Ich glaube
schon, dass das Thema dann unter dem Dach von Borussia Dortmund eine
andere Strahlkraft haben wird. Und dass nun auch junge Mädchen das
Fußballspielen mit dem Traum beginnen können, am Ende für den BVB
aufzulaufen, ist ein Gedanke, der uns sicherlich helfen wird.
"Ich fände es sehr schade, wenn am Ende genau die gleichen Vereine in der Frauen-Bundesliga spielen wie in der Herren-Bundesliga."
schwatzgelb.de (Larissa): Wie war
denn innerhalb des BVB die Resonanz auf den nun eingeschlagenen Weg
ab der Kreisliga?
Carsten Cramer: Ein Verein wie
Borussia Dortmund, der darf auch ehrgeizig sein. So sieht es
beispielsweise auch Sebastian Kehl. Auch im Ältestenrat war das
Thema. Da sagte zum Beispiel Theo Redder: “Wir machen das dann aber
schon richtig, ‘ne? Wir sind ja Borussia Dortmund.” Das fanden
wir beide eine coole Botschaft. Wir wurden auch gefragt: “Ihr wollt
aber nicht auf Dauer da unten drin bleiben, oder?” Nein, das wollen
wir nicht. Aber irgendwo müssen wir ja anfangen. Wir möchten so
häufig wie möglich aufsteigen. Andererseits wird niemand im Boden
versinken, wenn wir nicht sofort von der Kreisliga B in die Kreisliga
A aufsteigen.
Svenja Schlenker: Außer ich! (lacht)
schwatzgelb.de (Larissa): Das passt
ganz gut zur nächsten Frage. Der BVB steht ja für einen gewissen
Erfolg. Und irgendwann möchte man mit Sicherheit oben mitspielen.
Nun standen im Viertelfinale der Champions League mit Wolfsburg,
Madrid, Barcelona, Arsenal London, Paris, Lyon und Bayern sieben
Mannschaften, die auch im Herrenfußball international etabliert
sind. Bis der BVB dahin aufschließt, dauert es vermutlich noch über
ein Dutzend Jahre. Gab es auch schon mal die Überlegung, ob man
nicht ein bisschen zu spät dran ist?
Carsten Cramer: Hey Leute, wir
haben ja noch nicht mal angefangen. Das Glas ist immer halbvoll, und
nicht halbleer. Aus unserer Sicht hatte es auch Gründe, warum wir
nicht schon in den vergangenen Jahren in den Frauenfußball
eingestiegen sind, das haben wir bei vollem Bewusstsein gemacht.
Jetzt haben wir gemerkt, dass sich die
Zeiten geändert haben. Ich denke, dass wir nun offener mit dem Thema
Frauenfußball empfangen werden als vielleicht noch vor drei, vier
Jahren. Warum sollten wir uns jetzt über die Situation beklagen?
Ich bin felsenfest davon überzeugt,
dass das gut wird. Wir haben da total Bock drauf. Ihr merkt
hoffentlich, dass wir das mit vollem Enthusiasmus machen.
schwatzgelb.de (Larissa): Das
strahlt ihr aus, und man hat wirklich das Gefühl, dass ihr das Thema
ernst nehmt.
"Ich erhoffe mir eine höhere Akzeptanz von Mädchen- und Frauenfußball, in der Gesellschaft und auch im Männerfußball."
Svenja Schlenker: Das freut
mich. Wir sind auch wirklich ehrgeizig. Gerade am Anfang wollen wir
schon extrem Gas geben, auch wenn natürlich nicht alles sofort
perfekt klappen wird.
schwatzgelb.de (Larissa): Wir haben
ja in der nahen bis halbnahen Umgebung auch ein paar Vereine, die vom
Herrenfußball kommend im Frauenfußball herumrennen und bei denen man
eigentlich nicht das Gefühl hat, dass sie das Ganze ernsthaft verfolgen.
Dort macht man es eher, weil es gesellschaftlich eben verlangt wird,
aber Enthusiasmus steckt dort nicht dahinter. Das ist bislang der
Vorteil beispielsweise der SGS Essen. Dort wird etwas Anderes geboten
und die Durchlässigkeit zur Ersten ist noch sehr hoch.
Sieht man als BVB vielleicht auch
die Gefahr, dass etablierte Vereine ohne Herrenfußball im Rücken,
wie SGS Essen oder Turbine Potsdam, langfristig aus der Bundesliga
verdrängt werden?
Carsten Cramer: Das ist eine
gute Frage. Ich fände es sehr schade, wenn am Ende genau die
gleichen Vereine in der Frauen-Bundesliga spielen wie in der
Herren-Bundesliga.
schwatzgelb.de (Malte): Noch wäre
ja ein bisschen Platz in der Frauen-Bundesliga. Es sind ja aktuell
nur zwölf Teams.
Carsten Cramer: Ja, aber trotzdem wäre es schade. Das ist ja auch in anderen Sportarten so. Wenn am Ende eine Basketball-Bundesliga genauso aussieht wie die Fußball-Bundesliga? Ne. Wird alles immer nur von den Platzhirschen belegt, verliert das für mich an Charme und Reiz.
schwatzgelb.de (Malte): Das ist wirklich eine Gratwanderung.
schwatzgelb.de (Larissa): Hat der BVB in der Frauenfußball-Branche denn bereits Netzwerke?
Carsten Cramer: Zum Beispiel hat sich unser
ehemaliger Spieler Christian Timm angeboten. Der ist Spielervermittler,
war lange Zeit bei Roger Wittmann und hat sich jetzt fast ausschließlich
auf den Frauenbereich spezialisiert.
Eine Sache, die in meinen Augen auch super interessant wird, ist die Frage, nach dem Trainer oder der Trainerin. Gibt es im Orbit von Borussia Dortmund einen Mann oder eine Frau, die passen würde? Mittlerweile haben wir beispielsweise in der Fußballakademie so viele ehemalige Spieler, die auch Trainer sind. Vielleicht ist da einer bei, der Bock hat, das Ding mit hochzuziehen. Oder braucht es vor allem Leute, die aus dem Frauenfußball-Geschäft kommen? Das wird alles noch zu klären sein.
schwatzgelb.de (Alexey): Wird man
versuchen, mehr auf weibliches Personal zu setzen?
Svenja
Schlenker: Ich habe gerade einen interessanten Artikel bei mir
liegen, der genau dieses Thema behandelt: die Vorteile von männlichem
und weiblichem Personal im Frauenfußball. Leider habe ich den
Artikel aber noch nicht gelesen, deswegen kann ich dir noch nicht
sagen, was besser ist. Aber wir haben darüber auch bereits
diskutiert.
Carsten Cramer: Diskriminierungsfreie
Jobbesetzung. So würde ich das mal formulieren.
Svenja Schlenker: Das definitiv.
schwatzgelb.de (Alexey): Gibt es
schon Ideen, wie man Männer- und Frauenfußball beim BVB künftig
verzahnen kann? Ich erinnere mich, dass vor einigen Jahren die
Handballerinnen bei einem Spiel der Fußballer im Stadion vorgestellt
worden sind. Vielleicht wäre das auch bei den Fußballerinnen eine
Möglichkeit. Und die Fußball-Junioren haben sich eine Zeit lang
während der Halbzeitpausen mit kleinen Wettbewerben im Stadion
präsentiert.
Carsten Cramer: Eins muss aber
auch klar sein: Wir fangen jetzt nicht an, Frauenfußball in eine
Unterhaltungsecke zu drängen. Ein solches Halbzeit-Format hat nichts
mit dem unserem eigentlichen Ansatz der Gleichberechtigung zu tun.
Wir möchten die Bereiche verzahnen, zum Beispiel sollen männliche
Profis regelmäßig Spiele der Frauen schauen und umgekehrt – bei
den Handball-Damen klappt das übrigens wunderbar.
schwatzgelb.de (Larissa): Was ist
denn sonst noch geplant, Stichwort gemeinsame Teamfotos oder
Autogrammstunden, wie es der FC Barcelona macht?
Carsten Cramer: Gute Ideen, aber
erstmal müssen wir eine Mannschaft haben. (lacht) Erstmal
wollen wir Fußballspielen, Marketingmaßnahmen planen wir noch
nicht. Eine starke Verzahnung haben wir aber bereits organisatorisch,
weil die neue Frauenfußball-Abteilung bei uns im Haupthaus sitzt.
schwatzgelb.de, Malte: Denken wir
mal zehn Jahre weiter. Welche Dinge würdet ihr aus der heutigen
Perspektive dann, nicht nur mit Blick aufs Sportliche, gerne erreicht
haben?
Svenja Schlenker: Ich würde mir
wünschen, dass wir dann eine erfolgreiche erste Mannschaft haben.
Außerdem einen, im Rahmen unserer Möglichkeiten, erfolgreichen
Unterbau, der so gut entwickelt ist, dass die Spielerinnen auch
später in einer ersten Mannschaft höherklassig spielen können. Ich
hoffe auf eine gute Verzahnung mit unserer Fußballakademie. Denn da
haben wir schon sehr gute Grundlagen geschaffen, um Mädchenfußball
dort anzusiedeln. Und ich erhoffe mir natürlich grundsätzlich eine
höhere Akzeptanz von Mädchen- und Frauenfußball, in der
Gesellschaft und auch im Männerfußball, sodass man selbstbewusster
durchs Land ziehen kann und der Fußball sich in dieser Richtung
weiterentwickelt.
"Wir wollen Top-Rahmenbedingungen bieten, aber wir werden sicherlich nicht mit einem Mannschaftsbus in der Kreisliga B vorfahren."
Carsten Cramer: Ich würde in
zehn Jahren gerne wieder in einer solchen Konstellation
zusammensitzen und sagen: “Überlegt mal, was damals war – mega,
was wir seitdem auf die Beine gestellt haben!” Ich finde den
Gedanken, nun auch Mädchen einen aktiven Sporttraum ermöglichen zu
können, stark. Dass nicht nur wie selbstverständlich mein Sohn
sagen kann “Ich möchte gerne Fußballprofi in Schwarzgelb werden”,
sondern dass man auch Mädchen diese Vision geben kann. Das ist ein
Antrieb, unsere Pläne ambitioniert zu verfolgen. Denn dieser Traum
kann sicherlich nicht zu Ende geträumt werden, wenn man Bezirks-
oder Landesliga spielt.
Wenn Fußballerinnen irgendwann von
sich sagen können, bei Borussia Dortmund einen Weg gegangen zu sein
wie zuvor Norbert Dickel oder Michael Zorc, fände ich das sehr
zufriedenstellend.
schwatzgelb.de (Alexey): Darf ich
auch noch einen Wunsch äußern?
Carsten Cramer: Klar.
schwatzgeb.de (Alexey): Derbysieg in
der Bundesliga vor 80.000 Menschen im Westfalenstadion.
Carsten Cramer: Da sage ich mal
ganz selbstbewusst: Bekommen wir hin! Unsere Wege werden sich mit
Sicherheit irgendwo kreuzen. Aktuell haben die Blauen sicher andere
Sorgen …
schwatzgelb.de (Malte): Wie sieht nun der Fahrplan bis Juli/August 2021 aus?
Svenja Schlenker: Ich kann dir das Ziel sagen, nämlich dass wir eine Mannschaft melden können. (lacht) Aber
im Ernst: Ich denke, dass wir im ersten Quartal des neuen Jahres
Sichtungstrainings machen können. Und ich hoffe, dass wir um Ostern
herum mit Testspielen starten können. Wie das dann sportlich-inhaltlich
aussieht, muss natürlich das Trainerteam entscheiden.
Carsten Cramer: Die nächsten drei Monate werden
sicherlich erstmal genutzt, um die Roadmap festzulegen, und dann müssen
wir irgendwann anfangen, uns um das sportliche Team Gedanken zu machen.
Das muss gut überlegt werden, denn wir müssen dem Trainerteam ja auch
die Chance geben, den Weg, den wir eben vorgezeichnet haben, vom ersten
bis zum letzten Tag mit zu gehen. Jetzt beginnt die eigentliche Arbeit.
Svenja Schlenker: Ich bin gerade quasi dabei, den Rahmen des Puzzles zu legen.
schwatzgelb.de (Larissa): Gibt es denn schon Überlegungen, wie beispielsweise der Staff aussehen soll?
Svenja Schlenker: Das steht noch in den Sternen.
Carsten Cramer: Wir wollen Top-Rahmenbedingungen bieten, aber wir werden sicherlich nicht mit einem Mannschaftsbus in der Kreisliga B vorfahren. Da bekommen wir ja den Vogel gezeigt, und das macht auch keinen Sinn. Genauso wäre es die falsche Botschaft, direkt mit zwei Physiotherapeuten aufzulaufen. Damit würden wir vieles von dem, was wir eben erzählt haben, konterkarieren. Es muss passen.
Hinweis: Das Interview haben wir Anfang Oktober geführt.