Ralf Jäger bekennt: „Ich bin MSV-Fan.“
Das war dann auch schon die einzige spannende Aussage an diesem Dienstagabend in Dortmund. Bei einer Podiumsdiskussion mit dem NRW-Innenminister prallten auf dem Podium und im Publikum zwei Welten aufeinander. So gab es auch aufgrund der schwachen Moderation der ausrichtenden WDR-Journalisten keine neuen Erkenntnisse im Spannungsfeld zwischen Fans, Polizei und Politik.
In der Reihe „Stadtgespräch“ lud WDR 5 am heutigen Abend zu einer Podiumsdiskussion ins Harenberg City-Center (HCC) in die Nähe des Hauptbahnhofs Dortmund. Zu der überhaupt nicht reißerischen Überschrift „Wer bändigt die Hooligans? Damit Fußball wieder Spaß macht.“ begrüßte Moderator Thomas Koch neben dem sogenannten Fansprecher in Anführungszeichen Jan-Henrik Gruszecki, dem BVB-Fanbeauftragen Jens Volke, der Wissenschaftlerin Judith von der Heyde auch tatsächlich „Ralle himself“: Nachdem NRW-Innenminister Ralf Jäger im Januar noch mehr als dilettantisch eine zugegebenermaßen recht kurzfristig ausgesprochene Einladung zum bundesweiten Fankongress abgesagt hatte und in seinem Absagebrief von bundesweit reisenden Straftätern schwadronierte, traute er sich in den Saal des HCC, der mit Fans verschiedener Vereine bis auf den letzten Platz gefüllt war (leider auch mit NWDO). Die Sicherheitsvorkehrungen am Eingang waren durchaus als gründlich zu bezeichnen, da der WDR-Sicherheitsdienst diese Empfehlungen aussprach (falls sich jemand fragt, wo seine Gebühren landen). Da gab es Stadien in dieser Saison, wo weniger scharf kontrolliert wurde. Und auch die vier anwesenden LKA-Beamten in der Nähe Jägers sahen auch nicht unbedingt so aus, als ob sie Kampfsport nur aus dem DUDEN kennen.
Moderator schlecht vorbereitet
Eine Frau mit langem Namen vom WDR-Landesstudio Dortmund begrüßte die anwesenden Zuschauer. Eine Distanzierung vom Vorspann erfolgte anschließend nicht. Matthias Aust, nicht verwandt/verschwägert mit Schiedsrichter Jürgen vom SV Auweiler-Esch, postierte sich im Publikum, um Zuschauerfragen entgegenzunehmen. Nach der Einführung Kochs, wo Hooliganismus, Rechtsradikalismus und sonstige Randale innerhalb anderthalb Minuten in einen Topf geschmissen wurden, sollten die Diskutanten einen sinnlosen Satz vervollständigen, was glücklicherweise von Gruszecki und von der Heyde direkt ignoriert wurde. Leider zeigte sich dann direkt nach fünf Minuten Koch extrem schlecht vorbereitet, als er den Fanbeauftragten Volke dem Fanprojekt zuordnete. Man sollte sich schon etwas gründlicher auf seine Gäste vorbereiten. Ebenso nervig war es, dass auch die Zuschauer bei ihren Fragen mit dem zu vervollständigenden Satz „Damit Fußball wieder Spaß macht...“ behelligt wurden. Die ersten Zuschauerbeiträge waren dementsprechend bizarr und schwankten zwischen „mehr Frauenfußball zeigen“ und „früher wurden die gegnerischen Spieler mit Applaus begrüßt.“
Jäger-Floskel-Bingo Teil 1: „Versachlichung plädieren“ und „mit meinem Sohn gehe ich weiterhin gerne ins Stadion“ sowie „ein, zwei Prozent Problemfans.“
Gruszecki spielte in seinem ersten Diskussionsbeitrag den Ball zurück an die Medien und warf ihnen eine Skandalisierung der Gewalt rund um den Fußball vor, die mindestens genauso heftig im Dortmunder Nachtleben zu beobachten sei. Von der Heyde referierte über ihre einjährige Forschungsarbeit bei einer Ultra-Gruppierung und die Tatsache, dass kritische Situationen überwiegend im Zusammenhang mit der Polizei stattgefunden hätten.
Jäger-Floskel-Bingo Teil 2: „30 Prozent der Polizeihundertschaften nur beim Fußball“, „den Fußball als Bühne suchen“, „Straftaten!“, „ran an die Rädelsführer.“
Die Veranstaltung war im Folgenden weithin konzeptlos. Moderator Koch gelang es tatsächlich in zwei Atemzügen, den Bogen von dem Angriff auf Jens Volke und Thilo Danielsmeyer in Donezk auf den „Sieg Heil“-Zwischenruf bei der Rieger-Gedenkminute in Hamburg zu spannen.
Jäger-Floskel-Bingo Teil 3: „heterogene Ultra-Szene“, „einmalige Fußballkultur in Deutschland“, „wunderbare Choreografien“, "italienische und englische Verhältnisse verhindern“
Im Folgenden wurde von einem Zuschauer aus der Ultra-Szene die Frage an Jäger gestellt, wie es denn mit der Kennzeichnungspflicht für Polizisten in NRW aussehe. Es kam die erwartete Argumentation, dass ja bis hinunter auf den Zug (ca. 10 – 12 Beamte) alle Polizisten zu identifizieren seien. Zudem hätte es in NRW noch nie einen Fall gegeben, wo einzelne Beamte NICHT identifiziert worden seien. Falls doch so ein Fall vorhanden sein sollte, dürfe man sich an den Innenminister wenden und ihm solch einen Fall schildern. Hier die Mail-Adresse: ralf.jaeger@landtag.nrw.de
Die Diskussion gewann dann endlich etwas an Schärfe, als Gruszecki auf den Polizeieinsatz bei Schalke gegen Saloniki anspielte, der von Jäger wie immer mit Verweis auf das vermeintlich „objektive Verfahren der Staatsanwalt“ abgetan wurde. Jäger kritisierte im Folgenden, dass auf diversen ultra-affinen Blogs und Homepages „keine Abgrenzung zu den Straftätern“ erfolge. Dieser temporäre Schlagabtausch endete mit Gruszeckis Satz: „Die Abgrenzung der Ultra-Szene zu den Vorfällen in Gelsenkirchen beim Derby war deutlicher als die der Polizei zum Einsatz im Schalker Fanblock gegen Saloniki.“ Mit Blick auf das kommende Derby kündigte Jäger auch zur sichtbaren Überraschung des anwesenden Fanbeauftragten 2.000 Beamte an. Überraschend selbstkritisch zeigte sich Jäger mit Blick auf die unterschiedlichen Einsatzkonzepte in den verschiedenen Bundesländern. Das eine Mal würde man nach Ankunft freundlich auf Toiletten und Bierstände hingewiesen werden, das andere Mal dürfe man noch nicht einmal aus dem Zug steigen.
Der Blick ins Ausland
Interessanter wurde es noch einmal mit Blick auf das Ausland. Volke rekapitulierte die negativen Erfahrungen in St. Petersburg vor zwei Wochen. Zudem kritisierte er den niedersächsischen Innenminister Pistorius, der in letzter Zeit mit Forderungen nach einer Übernahme des niederländisches Modells in Erscheinung trat. Volke illustrierte eindrücklich dessen Absurdität: So müsste ein Ajax-Fan aus Enschede beim Spiel Twente Enschede gegen Ajax Amsterdam erst nach Amsterdam fahren, um von dort gemeinsam mit den anderen Ajax-Fans zurück nach Enschede zu fahren. Nach dem Spiel heißt es dann wieder zurück nach Amsterdam, um schlussendlich zurück in die Heimatstadt fahren zu dürfen. Dieses Modell hätte zur Folge, dass damit ganz normal interessierte Fußball-Fans lieber zu Hause bleiben, weil der Aufwand zu groß wird. Ähnliche Erfahrungen könne man in Italien machen, wo die Personalisierung auf einen großen Kreis von Fans abschreckend wirke, doch die Gewaltproblematik kein Stück bekämpft wurde. Der Reaktion Jägers nach zu urteilen, hält auch er nicht viel von den Plänen seines Amtskollegen.
Erneute Schärfe gab es abschließend wiederum nur im Duell zwischen Gruszecki und Jäger. Der Fansprecher warf dem Innenminister „Unredlichkeit“ vor, da dieser entglaste Scheiben in Verkehrsbetrieben pauschal der Ultrakultur zugerechnet hat. Auch Rüdiger Raguse vom Czerkus-Fanclub bezog aus dem Publikum Stellung und brachte deutlich zum Ausdruck, dass er sich in der Bundesrepublik in seinen Freiheitsrechten auf den Reisewegen zu Auswärtsspielen beschränkt fühle. Zur Erheiterung sorgte Ralle schließlich, als er allen Ernstes die Zusammensetzung des Auditoriums als „nicht repräsentativ“ für die regelmäßigen Fußballzuschauer bezeichnete. Wenigstens weiß jetzt ganz Fußball-Deutschland, dass Ralf Jäger MSV-Fan und leidensfähig ist. Immerhin eine Neuigkeit brachte also diese Diskussion.
Was bleibt also von diesem Abend? Das Veranstaltungskonzept mit gewollten und ungewollten Emotionen hat durchaus Charme. Leider war der Moderator, für den ein „FC Gelsenkirchen“ unseres Fanbeauftragten schon eine Zuspitzung darstellte, nur leidlich vorbereitet für diese komplexe Thematik und fand keinen roten Faden sowie nur wenig Verknüpfung zwischen dem Podium und den Zuschauerfragen aus dem Publikum. So gab es inhaltlich von beiden Seiten die erwartbaren Argumente und zumindest für alle aktiven Fans war es streckenweise eine langweilige Veranstaltung. Ob unentschiedene und neutrale Zuhörer tatsächlich von der einen oder anderen Seite überzeugt worden sind, bleibt abzuwarten. Das aufgezeichnete Stadtgespräch wird am kommenden Donnerstag um 20.05 Uhr auf WDR 5 zu hören sein.
Malte D., 13.3.2014