"Sicheres Stadionerlebnis": Ein Medikament ohne Packungsbeilage
Die große Hoffnung, die DFL würde ihr Sicherheitspaket nach den medienwirksamen Protesten von Fußballfans aus ganz Deutschland weiter entschärfen, hat sich am Mittwoch jäh zerschlagen. Statt einen Schritt Richtung Anhänger zu gehen, beugten sich die Verantwortlichen der Wortgewalt der Innenminister. Fans, Vereine und Ordnungshüter bekommen im Sommer ein neues Sicherheitspapier zur Hand – und niemand weiß, wie es das Fandasein verändern wird.
Das Medikament, das die Vereine der ersten und zweiten Bundesliga am 12. Dezember 2012 auf den Markt geworfen haben, heißt „Sicheres Stadionerlebnis". 16 Anträge, alle mit großer Mehrheit beschlossen, sollen zur Gesundung der vermeintlich kränkelnden Fankultur beitragen. Allein, die Macher versäumten, ihr Produkt mit einer vernünftigen Packungsbeilage auszustatten. Risiken und Nebenwirkungen lassen sich nur erahnen.
Wie oft werden wir ab Sommer 2013 auf (halb-)leere Gästeblöcke blicken? Gehört es zukünftig zum guten Ton, sich vor dem Besuch eines Fußballspiels, zumindest teilweise, zu entkleiden? Und wie lange wird es dauern, bis der nächste Innenpolitiker den Fußball als Experimentierfeld für konservative Law-and-Order-Politik entdeckt? Dass das 47-seitige neue Sicherheitspapier der DFL darauf keine klaren Antworten liefert, wundert nicht. Zu groß war der Druck von außen, zu gering die Zeit. So zumindest verteidigen die Offiziellen ihr rasantes Vorgehen, bei dem ein gemeinsamer Dialog auf Augenhöhe zu oft auf der Strecke blieb. Die Folge: Vieles kann, nichts muss sich mit Beginn der kommenden Spielzeit ändern. Ein unbefriedigender Zustand.
Gerade mit Blick auf die mögliche Reduzierung des Gästekontingents durch den Heimverein bei Risikospielen fehlen klare und transparente Kriterien, die das Wie und Wann solch harter Repressionen regeln.
Verlorenes Vertrauen
Die Entwicklung der Fankultur hängt davon ab, wie die Vereine in Zukunft mit ihren Fans umgehen werden. Im Idealfall führt der Dialog, nun immerhin statuarisch vorgegeben, zur Annäherung und gemeinsamen Lösungen auf lokaler Ebene. Denn das Verhältnis zwischen Klubs und Anhängern hat in den letzten Wochen gelitten. Viel mehr als der Inhalt des nun verabschiedeten Papiers frustriert die Tatsache, dass unsere Vereine, für die wir einen Großteil unserer Freizeit opfern, sich mehrheitlich der künstlichen Drohkulisse von Friedrich, Jäger und Co. gebeugt haben, anstatt den Fußball, seine Fans und damit auch das eigene Produkt offensiv zu verteidigen. Ein symbolischer Schritt in die falsche Richtung. Ganz davon zu schweigen, dass die Pläne des Sicherheitskonzeptes ursprünglich nicht für die Öffentlichkeit gedacht waren und nur zufällig ans Licht kamen. Dieses verlorene Vertrauen muss nun behutsam wiederhergestellt werden.
Für alle, die in den vergangenen Wochen 36 Minuten und 36 Sekunden geschwiegen haben, die für den Erhalt der Fankultur friedlich auf die Straße gegangen sind, sind die Entscheidungen der Ligaversammlung deshalb ein Schlag ins Gesicht. Erst recht für die Personen, die sich mit der Organisation und Durchführung der Proteste Tage und Nächte um die Ohren gehauen haben.
Trotzdem dürfen wir eines nicht vergessen: Die bundesweiten 12:12-Aktionen waren in vielerlei Hinsicht ein Erfolg. Fußballfans aus ganz Deutschland und von unterschiedlichster Coleur haben es geschafft, zusammen für die eigenen Interessen einzustehen. Sie haben sich der breiten Öffentlichkeit als eine kritische und mündige Gruppe präsentiert, deren Belange es zu berücksichtigen gilt. Nie war das Bild von Fußballanhängern in den Medien positiver besetzt als in diesen Tagen. Auch weil die persönlichen Differenzen unter den Gruppen dem gemeinsamen Ziel untergeordnet wurden. Der Protest war so stark, dass die DFL mit dem verbindlichen Fankodex „von oben" (inklusive Kollektivstrafen für Fanlcubs), der Erhöhung der maximalen Stadionverbotsdauer auf zehn Jahre und der Weitergabe polizeilicher Ermittlungen an die Vereine bereits im Vorfeld ihrer Mitgliederversammlung einige kritische Punkte entfernt hat. Ohne 12:12 wäre am Mittwoch wahrscheinlich der erste Entwurf des „Sicheren Stadionerlebnisses" von den Vereinen verabschiedet worden – nicht auszudenken!
Natürlich wird der Medienzirkus, nachdem er bunte Stories verkauft hat, seine Zelte wieder abreißen. Und doch: Dank der Erkenntnis, gemeinsam etwas erreichen zu können, können wir trotz der Ungewissheit über die Konsequenzen des neuen Sicherheitspapiers mutig in die Zukunft blicken. Während die DFL sich von der Politik in ein kommunikatives Desaster treiben ließ, haben wir unsere Position gestärkt. Gelingt es uns, die neu geschaffenen Strukturen langfristig zu festigen, bescheren uns die Ereignisse der letzten Wochen mehr Chancen denn Schäden.
Malte S., 18.12.2012