Anfang eines Dialoges? Fankongress in Berlin
Auf Einladung des "Eisernen V.I.R.U.S." von Union Berlin kamen am 01.11. im VIP-Zelt des Stadions an der alten Försterei Fans aus ganz Deutschland zusammen, um über die aktuellen Entwicklungen im Fußball in Deutschland zu sprechen. Aufhänger und wichtigster Anlass war natürlich das DFL-Papier "Sicheres Stadionerlebnis", das seit einiger Zeit durch die Medien geistert und das Stadionerlebnis, wie man es bisher kennt, komplett auf den Kopf stellen würde. Trotz der relativ kurzfristigen Einladung, waren über 250 Fan- und Vereinsvertreter dem Aufruf gefolgt, die von einer stattlichen Anzahl von Pressemenschen abgerundet wurde. Teilweise fühlte man sich wie auf der Bundespressekonferenz.
Diverse Fanvertreter fassten zu Beginn die aktuellen Entwicklungen und die im "Sicheres Stadionerlebnis" zusammengefassten Punkte - sowie die Widersprüche darin - noch einmal zusammen. Alle angereisten Fans waren sich einig, dass das DFL-Papier so nicht hinnehmbar ist. Einen sehr lebhaften Vortrag hielt der - ursprünglich ebenfalls aus der Fanszene stammende - Sicherheitsbeauftragte des FC St. Pauli, Sven Brux. Dieser sprach erstaunlich klare Worte in alle Richtungen und empfahl beispielsweise die Stadionverbotspraxis ganz neu aufzuziehen, weil er sie für komplett widersinnig hält und diese nur sinnvoll sein könne, wenn sie eine Akzeptanz in der Mehrheit der Fanszene hat. Doch auch den Fans hielt er die Frage vor, ob das Thema Pyrotechnik wirklich so wichtig sei, dass man dafür alles aus Spiel setzen müsse? Insgesamt ein guter Vortrag mit klarer Kante. Man muss nicht jede Meinung im einzelnen Teilen, aber solche Beiträge bringen eine Diskussion auf jeden Fall mehr weiter als willfähriges Geschwafel. Daniele Wurbs von Football Supporters Europe wies in einem Einwurf noch mal darauf hin, dass die Bundesliga und ihre Fans Strukturen haben, die z.B. in England immer stärker als Vorbild gesehen werden, weil das "englische Modell" eben doch gar nicht so schön ist, wie man gerne glauben machen will.
Für die DFL versuchte einer der geistigen Väter des DFL-Konzepts, Jürgen Paepke, einige Punkte im Papier zu rechtfertigen. Dabei erfolgten teilweise ins Groteske abrutschende Versuche Paepkes darauf hinzuweisen, dass einige Punkte doch gar nicht im Papier stehen würden. Auch das wörtliche Vorlesen von einzelnen Passagen des Papieres brachten ihn nicht davon ab, zu behaupten, Kollektivstrafen oder Vollkontrollen in Containern würden doch gar nicht im Papier stehen. Es war ihm anzumerken, dass es nicht zu seinen Lieblingsaufgaben gehört, das DFL-Papier zu verteidigen. Trotzdem wäre es natürlich gut, wenn man daraus lernen würde, dass man in Zukunft erst die Fans mit ins Boot holt, bevor man ein Papier in die Welt setzt bei dem man am gesunden Menschenverstand der Verfasser zweifelt und die Aufregung groß ist. Nach dem was man auf dem Kongress in Hintergrundgesprächen mitbekam, hatte die DFL aber nach Düsseldorf massiv Druck von den Innenminister bekommen, was den Aktionismus zwar nicht rechtfertigt, aber erklärt. Trotzdem wäre es wohl auch aus DFL-Sicht schlauer gewesen, wenn man sich dem populistischen Druck widersetzt hätte, statt im Schnellschuss ein Papier rauszuhauen, dass einem nun sowohl von Vereins- als auch von Fanseite um die Ohren fliegt und man vor einem größeren Scherbenhaufen steht als zuvor. Wenn selbst der nicht als Kumpane der Fans verdächtige Frankfurter Vorstand Heribert Bruchhagen einen Text unterzeichnet, der dem Papier massive Mängel unterstellt, sollte einem klar werden, dass man da Unsinn verzapft hat. Der Kodex und das Papier "Sicheres Stadionerlebnis" sollten dahin verschwinden wo sie hingehören: In den Mülleimer. Deutschlands Stadien sind insgesamt sichere Orte und für einzelne Straftäter gibt es das Strafrecht. Billiger Aktionismus hat noch nie zu sinnvollen Ergebnissen geführt.
Ein extrem positiver Punkt des Kongresses war die Anwesenheit des designierten DFL-Geschäftsführers Andreas Rettig, der - anders als in der Tagesordnung geplant - um Zeit für einen Redebeitrag bat - und diese natürlich auch bekam. Man kann den durchaus angenehmen, aber nicht anbiedernden, Vortrag von Rettig durchaus so verstehen, dass die DFL anfängt zu begreifen, dass Bundesliga-Fußball eben nicht gegen die Fans betrieben werden kann. Es wäre schön, wenn durch Rettig als Neueinsteiger ein Anfang für einen Dialog gefunden werden könnte, der den Namen auch verdient.
Und dieser Dialog ist auch nötig, denn bei einem dauerhaften Kampf von Fans auf der einen Seite und DFL / DFB auf der anderen Seite, kann es nur Verlierer geben. Mit permanenten Schuldzuweisungen kommt keine Seite weiter. Hier sind die Fans genauso in der Verantwortung wie Vereine und Verbände. Vielleicht stellt man ja auch irgendwann fest, dass der Gegner in Wirklichkeit einzelne Innenminister sind, die mit populistischen Forderungen von ihrem eigenen Versagen wie den NSU-Morden ablenken wollen und den Fußball als gelungenen Anlass sehen sich zu profilieren.
Redaktion, 02.11.2012