Gut, dass wir darüber gesprochen haben
Alljährlich findet der Kongress der Football Supporters Europe (FSE) statt und so stand dieses Jahr eine Fahrt nach Brøndby und Kopenhagen auf dem Programm. Am Freitag Morgen machten sich die Vertreter von der BVB-Fanbetreuung, der Fanabteilung, schwatzgelb.de, The Unity und den Jubos auf den Weg. Bei durchwachsenen Wetter wurde die Fahrt relativ sachlich und schnell abgespult und man diskutierte die kommende Saison, den kommenden Kongress und alles andere, was einem so zwischen Deutschland und Dänemark einfällt.
Nach einem kurzen Zwischenstopp in Lübeck war man auch schon zeitig an der Fähre und setzte in das nördliche Nachbarland über. Von dort aus war es dann nur noch ein gefühlter Katzensprung nach Brøndby. Da der Kongress hauptsächlich in den Räumlichkeiten des Brøndby Stadions stattfinden sollte, befand sich hier auch das erste Ziel der Reise. Auf einem Nebenfeld des Stadions sah man schon das laufende Turnier unter dem Motto "ACAB – All colours are beautiful". Nachdem man mit den Worten „Ah, da ist Dortmund!“ begrüßt wurde, wusste Daniela leider zu berichten, dass viele Teilnehmer des Turnieres nicht erschienen waren. Dumm sowas, dann sollte man es lieber gleich sein lassen, so wie die lauffaulen Dortmunder. Zusätzlich stand die Veranstaltung zum Thema „Pyrotechnik legalisieren“ auf der Kippe, da die deutschen Vertreter eine sehr optimistische Abfahrtszeit gewählt hatten. So wurde erst einmal die Unterkunft der einen Hälfte der Besatzung angesteuert, die mit direkten Blick auf das Parkenstadion (Nationalstadion und Heimat vom FC Kopenhagen) schon mal etwas nicht Alltägliches zu bieten hatte.
Durch diese Erledigungen, die getan werden mussten, verpasste man die Vorträge zum Thema Rassismus und Homophobie im Fußball. Da immer noch nicht der genaue Abendablauf bekannt war, ging es recht zeitig zur „Hytten“, dem Vereinsheim des Brøndby IF Supporters Club. Dieses Teil kann nach wie vor wirklich überzeugen, wenige Minuten Fußweg zum Stadion in einer bewaldeten Lichtung gelegen, hat man nahezu alles, was das Fanherz begehrt. Nur die etwas schlechte Anbindung nach Kopenhagen ist da als Negativpunkt zu nennen. Doch bei Grill und Fangetränken war dieser Ort perfekt, um die anderen Teilnehmer ein bisschen persönlich kennen zu lernen. Eine Reihe weiterer Vertreter von Vereinen, Fans und Faninitiativen aus ganz Europa traf nun nach und nach ein, u.a. auch Vertreter aus Hamburg, Köln und von „Kein Zwanni“ waren von deutscher Seite aus vor Ort. Mit zweistündiger Verspätung gab es dann wenigstens noch den Vortrag der norwegischen Vertreterin zum Thema Pyrotechnik. In Norwegen hat man eine vorläufige Lösung gefunden, die zwar den Gebrauch noch arg reglementiert und dem spontanen emotionalen Einsatz nicht zulässt, dennoch hat man immerhin schon das totale Verbot aufgeweicht. Zusätzlich hatten die Jungs von Alpha Brøndby ein kleines Video vorbereitet, dass noch von einer kleinen Pyroshow unterstrichen wurde.
Generell muss man allerdings sagen, dass das Thema Pyrotechnik viel zu aufgeblasen und allgegenwärtig war. Sicherlich ist ein kritischer Diskurs und Einsatz für den verantwortungsvollen Gebrauch wünschenswert, dennoch kann man fragen, ob es nicht drängendere Probleme für Fans in Europa gibt. Polizeigewalt, unterschiedliche Preise für Heim- und Gästefans sowie fehlende Stehplätze sind nur einige Punkte, die leider hinten über gefallen sind. Gerade dem Thema Stehplätze kann durchaus mehr Platz eingeräumt werden, denn hier gibt es in England durchaus echte Bemühungen auf nationaler Ebene und die gut organisierten deutschen Gruppen könnten einer solche Initiative am Beispiel Bundesliga sicherlich Schlagkraft geben. Viel zu spät wurde dann Richtung Unterkunft aufgebrochen und es sollten nur wenige Stunden dem Schlaf geopfert werden.
Am Samstag morgen stand dann wiederum in Brøndby der offizielle Teil der Veranstaltung an. Der Kongress wurde von Daniela Wurbs (FSE) und Brian Halkjaer Jensen (Alpha Brøndby) eröffnet. Als erster Redner trat Senes Erzik für die UEFA ans Pult. Im Vergleich zum Kongress in Hamburg hatte diese Rede deutlich mehr Bezug zum Fankongress. Dennoch fällt es schwer, den warmen Worten wirklich zu trauen, denn zwischen Wort und Tat ist bei der UEFA was Fanbelange angeht immer noch eine große Diskrepanz zu konstatieren.
Senes Erzik folgte dann Claus Thomas für die dänische Profiliga. In seiner Rede stellte er die Vorbildfunktion der deutschen Bundesliga heraus. Allerdings erinnerte er auch daran, dass alle Beteiligten den Blick für das Wesentliche – den Fußball – nicht verlieren dürften. Zum Abschluss referierte Bjarne Jensen (Vorstandsmitglied von Brøndby IF) über die Bedeutung von Fans für die Spieler. Ebenso stellte er fest, dass es wichtig ist, dass Fans teilhaben an den Entscheidungsprozessen in ihren Vereinen.
Nach den warmen Worten verteilten sich die Teilnehmer auf die fünf Workshops. Der von Kristian Rasmussen, einem Wissenschaftler der Universität Aarhus, moderierte Workshop zum Thema Hooliganismus („Die englische Krankheit?“) hatte auf Rednerseite Pedro Presa der European Professional Football Leagues (EPFL), einem Dachverband für 30 Ligen und 900 Vereinen in Europa, der den europäischen Profifußball strategisch führt und koordiniert. Neben der EPFL waren noch Jonas Gabler, der Autor des Buches „Die Ultras – Fußballfans und Fankulturen in Deutschland“ und Bojan Branisavljevic, ein Mitglied der White Angels vom NK Zagreb, Kroatien, vertreten. Die Teilnehmer der Workshops waren vielschichtig vertreten durch Ultras aus u.a. Frankreich, der Slowakei, einem Fanvertreter der englischen Nationalmannschaft, dem Einsatzleiter der Polizei, der die Spiele des FC Kopenhagen koordiniert, einem offiziellen Vertreter von Odense BK und organisierten Fans aus Dänemark, Deutschland und Schweden. Pedro Presa (EPFL) sagte, dass die Fans wie auch die Spieler der „Schlüssel und die Seele des Fußballs“ seien und man Gewalt nicht akzeptieren oder tolerieren darf, wozu einheitliche Sicherheitsstandards notwendig seien. Ein Schritt zu weniger Gewalt sei vor allem auch eine Sensibilisierung der Medien, Fans und Polizei, bei denen keine der Gruppen überreagieren sollte.
Danach stellte Jonas Gabler Theorien aus seinem Buch „Die Ultras – Fußballfans und Fußballkulturen in Deutschland“ zum Thema Gewalt vor. Seine Thesen ist, dass Gewalt in der Gesellschaft zwar verpönt sei, allerdings überall agegenwärtig ist. Die Gewalt sei außerdem nicht größer als vor 20 Jahren, da es immer wieder ein Auf und Ab bei der „Gewaltkurve“ gibt und nach gewalttätigen Phasen auch wieder Phasen vorherrschen, in denen es ruhiger ist. Außerdem sollten die Medien souveräner und feinfühliger agieren und nicht zur Überreaktion neigen, etwa wenn man Gewalt im Fußballzusammenhang verteufelt, aber im Alltag nicht so stark stigmatisiert. Dadurch fühlen sich Vereine angesteckt und neigen aus Angst vor Imageproblemen des eigenen Vereins zu Schnellschussreaktionen. Da Fankurven seiner Meinung nach Freiräume der Kreativität von Fans sind, für die gekämpft wird, sollten Fans auf den Rängen ihre eigenen Regeln aufstellen, an die sie sich halten, da denen der Polizei oder des Vereins nicht Folge geleistet werden. Der Versuch, dem Problem durch die Preiserhöhung von Karten, die Personalisierung von Eintrittskarten und den Ausschluss von ganzen Gruppen, nachdem einige Mitglieder auffällig geworden sind, Herr zu werden, ist ein Weg in die falsche Richtung, da das Problem nur augenscheinlich gelöst wird. Davon abgesehen kann es keine einheitlichen Standards geben, da die Fans von Land zu Land unterschiedlich sind. Jonas Gabler präsentierte dazu drei Strategien, die die Gewalt eindämmen könnten.
Als letztes stellte sich Bojan Branisavljevic von den White Angels NK Zagreb vor, der von seinen Erfahrungen aus Kroatien berichtete. Gewalttätige Auseinandersetzungen haben in Kroatien Tradition, da die Ultras generell bereit sind Gewalt zu nutzen, und sich viele auch so stark dadurch definieren, dass bei ihnen der Fußball nur an zweiter Stelle hinter der Randale steht. Der Nationalismus vieler Fans hat seine Ursache darin, dass man Krawalle romantisiert, da ein Kampf zwischen Anhängern von Roter Stern Belgrad und Dinamo Zagreb 1990 für den Bürgerkrieg und letztendlich für die Unabhängigkeit gesorgt haben soll. In Kroatien ist auch eine Doppelmoral festzustellen, wenn Schlägereien in Diskotheken nahezu gar nicht weiterverfolgt werden, aber im Zusammenhang mit Fußballschlägereien unverhältnismäßig harte Strafen ausgesprochen werden. Sollte man auf einer Auswärtsfahrt mit mehr als 0,5 Promille erwischt werden, droht einem bei einer Kontrolle sofort Polizeigewahrsam. Vor Jahren war es sogar für auswärtsfahrende Fans unmöglich Getränke im Stadion zu erwerben bzw. mitzubringen, was durchgehend zu einem Reizklima führte.
Nach den Redebeiträgen fing das moderierte Gespräch an, bei dem es darum ging Modelle zu entwickeln, die für eine Eindämmung von Gewalt sorgen. Viele Diskussionsteilnehmer monierten, dass ihre Fanbetreuer nicht von ihnen selbst bestimmt oder ihnen gar gänzlich unbekannt sind, so dass sie den Dialog mit ihnen meiden, ihre Vereine aber nicht mit sich reden lassen und man aus Trotz daher so reagiere, wie es der Verein erwarte. In England sei es sogar üblich Fanbetreuer dadurch einzuführen, dass man irgendeinem Manager im Verein den Doppelposten zuteilt, indem man ihm den Titel verleiht, nur damit man die Bestimmungen der UEFA erfüllt. Förderlicher für ein Miteinander auf den Tribünen wären „Fanordner“, die zwischen dem regulären Ordnungsdienst und der Polizei vermitteln, weil sie eher den Draht zu den Fans haben als die Ordner oder die Polizei. Von der UEFA sollte grundsätzlich ein Komitee eingeführt werden, welches sich für die Gleichbehandlung von Fans in allen Ländern einsetzt, da der Fan momentan noch derjenige sei, der dafür bezahlt, dass man gesagt bekommt, was man zu tun hat und von dem alles Böse ausgeht, ohne dass die Polizei ihre Strategien hinterfragt.
Der Einsatzleiter der Kopenhagener Polizei berichtete abschließend noch von einem in Deutschland undenkbaren Szenario, wo die Polizei von sich aus, um Kosten zu reduzieren, die einzusetzenden Polizisten um 50% senkte und man außerdem durch weniger Präsenz und das nicht-eskalierende Zugehen auf Fans sich Vertrauen erarbeitet hat; ein durch die Universität Aarhus ausgearbeitetes Konzept.
Insgesamt bleibt aber festzustellen, dass die Diskussion um Gewalt keine wirkliche war, da es im Prinzip doch nur darum ging zurecht zu beklagen, dass man nicht so erhört und für voll genommen wird, wie man es eigentlich erwarten kann, wenn man ein zahlender, aber vor allem frei denkender Mensch ist, der zudem immer wieder gesagt bekommt, wie wichtig er doch für den Fußballsport sei.
Der Workshop „Medien-Hooligans! Fans und Medien“ wurde von Michal Karas, einem polnischen Journalist und Fußballfan, moderiert. Michael Brunskill von der Football Supporters Federation (FSF) präsentierte die Pressearbeit seiner Organisation. Er betonte die Bedeutung der regionalen Medien, die den Input für die großen Medien liefern. Zusätzlich achtet das FSF sehr darauf, mit welchen Medien kommuniziert wird.
Danach stellte Jeppe Laursen von der dänischen Tageszeitung „Politiken“ die Arbeit eines Sportredakteurs in dem Bereich vor und erklärte auch, wie es zu negativen, undifferenzierten und schlecht recherchierten Artikeln kommt. Dabei zeigte er auch Beispiele seiner eigenen Arbeit, wie er über die Jahre mehr Einblick in das Themenfeld Fußball und Gewalt bekam und dementsprechend seine eigenen Aussagen änderte. Er betonte, dass Fans damit leben müssen, dass Medien ein schnelllebendes Medium sind, dass in kürzester Zeit Informationen braucht und dabei auch Qualitätsverluste in Kauf genommen werden.
Die folgende Diskussion fixierte sich dann auch auf den Punkt, wie man am besten die Medien zeitnah und zuverlässig mit adäquaten Informationen füttern kann, um seine eigene Sicht der Dinge kommuniziert zu bekommen. Es wurde betont, dass es wichtig ist, für die Medien einen festen Ansprechpartner zu bieten, der auch in einem kurzen Zeitraum verlässliche Informationen geben kann. Dabei betonte noch einmal Johannes Liebnau von den CFHH, dass man bei der Zusammenarbeit mit den Medien immer vorsichtig sein muss und nie vergessen darf, dass man auf unterschiedlichen Seiten steht.
Nach der Pause wurden in kleinen Gruppen mögliche Szenarien betrachtet und Empfehlungen gegeben, wie man hier als Fans agieren sollte. Dieser Teil fand bei den meisten Teilnehmern weniger Interesse und ließ auch vermissen, wozu dieses Spiel gemacht wurde. Im Anschluss an die Arbeitsgruppen wurden die Ergebnisse noch einmal im Plenum vorgestellt und danach verteilten sich die Teilnehmer.
Die dänischen Teilnehmer hatten noch eine Podiumsdiskussion zum Thema Sicherheit beim Fußball im Parken Stadion zwischen den beteiligten Akteuren bei einem Fußballspiel. Hierbei sollen sinnvolle Absprachen getroffen worden sein und gemeinsame Ziele für die Zukunft angepeilt werden. Sicherlich auch auf Grund der größe Dänemarks ist es natürlich deutlich leichter, alle wichtigen Akteure an einen Tisch zu bekommen und national verbindliche Absprachen zu treffen.
Am frühen Abend fiel einem dann der Himmel auf den Kopf und das Grillen in Kopenhagen ersoff geradezu. Die Dortmunder teilten sich nun auf. Während die U-30-Fraktion Schlaf nachholte und bei Blitz und Donner schlummerte, waren die alten Herren gesellschaftlich aktiv. Gegen 0 Uhr kehrten sich allerdings die Verhältnisse um: Während die Alten die Waagerechte aufsuchten, machten sich die Jungen noch einmal nach Kopenhagen auf und erkundeten die schöne Innenstadt, besichtigten Nyhavn und fuhren nach Dragør, um das alte Fischerstädchen zu sehen und einen Blick auf die Öresundbrücke zu werfen. Das Ganze um drei Uhr nachts hatte sein ganz eigenes Flair. Nach viel zu kurzem Schlaf ging es zur abschließenden Mitgliederversammlung in Brøndby.
Während es in den letzten Jahren noch teilweise hart auf hart ging, war dieses Jahr das Interesse eher gering. Da sich keine größeren Fraktionen gegenüber standen, war das Interesse der Mitglieder eher gering. Nach der Versammlung machte sich dann weitere Teile der Dortmunder Besatzung auf den Rückweg in den Ruhrpott, während andere noch zu einigen letzten Diskussionen und Gesprächen bis Montag vor Ort blieben, die dann am Abend in der Freistadt Christiania.ausklingen ließen.