Unsa Senf

Fanszene(n)

29.09.2008, 13:17 Uhr von:  Redaktion

Block Drölf IntroEin häufig bemühtes Wort: Die Fanszene. Ein diffuser Begriff für eine Masse von Fans, die eine Einigkeit suggeriert, die heute kaum noch in einem Stadion sichtbar ist. Die Tribünen haben sich verändert und viele der Älteren denken mit Wehmut an „früher" zurück, als man noch wie ein Mann hinter der eigenen Mannschaft gestanden hat, sich nicht von Nebenkriegsschauplätzen hat ablenken lassen und der Fußball überhaupt viel besser und reiner war. Gerade hier in Dortmund, mit seinem riesigen Stadion, werden die Probleme besonders deutlich. Die Dortmunder Fanszene präsentiert sich alles andere als eine geschlossene BVB-Familie, weil eine Vielzahl unterschiedlicher Charaktere aufeinander prallen. Deutlich werden solche Unterschiede z.B. in der Diskussion über die Evonik-Fahne oder auch ganz einfach in dem Verständnis darüber, ob man die eigenen Spieler auspfeifen darf oder nicht. Aber woher kommt es, dass es oftmals mehr Trennendes als Einendes zwischen Menschen gibt, die doch eigentlich die gleichen Farben teilen?

Um das zu erklären, muss man sich erst einmal vor Augen führen, welche umwälzenden und tiefgehenden Veränderungen der Fußball in den letzten 10 bis 15 Jahren durchgemacht hat. Er hat sein Proleten-Schmuddel-Image abgelegt und ist salonfähig geworden. Alles ist größer, bunter und familienfreundlicher als zuvor. Speziell für Deutschland kommt noch die Weltmeisterschaft 2006 als Verstärker hinzu. Die Stadien wurden ausgebaut, die Unterhaltungsangebote rund ums Spiel vergrößert, das Spiel zum Event und zur Massenparty Die Osttribüne in Actionaufpoliert. Fußball ist in - ganz besonders in Dortmund. Hier hat man sich bewusst eins der größten Stadien Europas hingesetzt und den BVB zu einem „must have" für Jedermann ausgebaut. Der Arbeitersport von einst ist zu einem durchgestylten und durchorganisierten Wirtschaftsunternehmen geworden. Ob man das jetzt gut oder schlecht finden mag, ist persönliche Einstellungssache, aber das sind die gegebenen Rahmenbedingungen, unter denen Fans ihre Identität finden müssen. Kein leichtes Unterfangen, da Leitbilder oder gelebte Werte, die einer Fanszene als einendes Element dienen könnten, den Profiklubs heutzutage fast vollständig abgehen.

Diese Veränderungen sind natürlich auch nicht ohne Auswirkungen auf die Tribünen geblieben. Durch den Ausbau der Süd zur größten Stehplatztribüne der Welt hat man die „Fanszene" nachhaltig verändert. Alte, gewachsene Strukturen wurden aufgebrochen und neue Fans zugeführt. Und dann hat man sie sich selbst überlassen. Da waren auf einmal keine festen Gruppen von Alteingesessenen mehr, die den Neulingen zeigen konnten, wie man sich benimmt Support im Block Drölfund worauf es ankommt. Die Flut an neuen Gesichtern und neuen Charakteren war einfach zu groß. Parallel dazu entwickelte sich in den deutschen Stadien eine Gegenkraft. Die Ultra-Bewegung hielt Einzug, die man in den Wurzeln als Wunsch zur Rückbesinnung auf den altbekannten Sport verstehen kann. Gegensätze, wie sie größer kaum sein können, sammeln sich heute unter der schwarzgelben Fahne.

Und so ist aus der Südtribüne von einst der Schmelztigel von heute geworden. Statt von einer Fanszene ist es mittlerweile richtiger, von vielen parallel existierenden Fanszenen zu sprechen. Und genau so muss man die Dortmunder Fanlandschaft betrachten. Wer von einer Fanszene spricht, läuft Gefahr, einen nachvollziehbaren und dennoch verhängnisvollen Fehler zu machen: Sich selbst, seine Ideale und die Leute, die diese Ideale teilen, als Herzstück der Fanschar zu definieren und allen anderen diese Ideale aufdrücken zu wollen. Das kann aber niemals funktionieren und führt im Endeffekt zum gegenteiligen Ergebnis: Einem schleichenden Auseinanderdriften und zur Frontenbildung. Niemand lässt sich gerne ihm fremde Überzeugungen Gesamtübersicht Westfalenstadionund Ideale aufdrücken. Ist dieser Prozess erst einmal in Gang gesetzt, darf es niemanden verwundern, dass die gelbe Wand nicht „wie ein Mann" hinter der Mannschaft steht und sie nach vorne peitscht. Wie soll das funktionieren, wenn man sich mit sich selbst nicht im Reinen ist und den Nebenmann nicht als anders sondern als gleichberechtigt akzeptieren kann?

Wie lässt sich so etwas vermeiden und ein einheitlicher Strang finden, an dem alle ziehen können?

Was helfen würde, ist Akzeptanz und Toleranz. Der Renter auf dem Sitzplatz Osttribüne, der schon seit Rote Erde-Zeiten vor Anpfiff bereits weiß, dass man heute bestimmt was auf den Sack kriegt - der Familienvater, der seinen kleinen Sohnemann und seinen blauen Arbeitskollegen mit zum Derby nimmt und mit Gesängen von Tod und Hass nichts anzufangen weiß - der Typ mit dem drolligen Wikingerhut auf dem Kopf, der auf dem Weg zum Stadion eine Humba anstimmt - das alteingesessene Fanclubmitglied, das schon seit Jahren hin rennt und alle Autogramme aller Spieler hat - der kommerzkritische Ultra, der die Evonikfahne am Totale Eskalationliebsten eigenhändig vom Dach holen will - der Fan aus dem tiefsten Bayern, der es nur zwei Mal in der Saison zu Heimspielen schafft, aber trotzdem auf „seinem" Platz auf der Süd besteht. All das und noch viel mehr sind für sich gesehen kleine Fanszenen und alle zusammen sind Borussia Dortmund. Viele Dinge mögen einem daran nicht gefallen, aber oft fehlt einfach die notwendige Gelassenheit, um über Nebensächlichkeiten einfach hinweg zu sehen. Man muss die Art des Anderen, sein Fansein auszuleben, nicht verstehen, vielleicht nicht einmal gutheißen, aber man sollte ihm deswegen das Fansein nicht ganz oder teilweise absprechen. Wir sind alle ursprünglich mal zum Fußball gekommen, weil uns dieser Sport und (gleichzeitig oder später), ganz besonders unser BVB, einmal unheimlich und unvoreingenommen fasziniert hat. Auch da gab es Leute, die anders waren und fanmäßig „anders tickten", aber hat das jemandem im Stadium der ersten Verliebtheit wirklich davon abgehalten dieser Faszination zu erliegen?

Akzeptieren wir doch einfach mal, dass es im Stadion um nicht mehr als den kleinsten gemeinsamen Nenner, nämlich den BVB, gehen kann und nicht um Ideale und Lebenseinstellungen. Letzteres werden wir anderen nämlich nie aufzwingen können. Wenn man aber andere „Konfessionen" grundsätzlich akzeptiert und sie ihr Fansein ausleben lässt, schafft man zumindest eine friedliche Koexistenz und ein besseres Stadionklima.

Unserer Borussia würde das bestimmt nicht schaden.

Sascha, 28.09.08

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