Tagesausflug ins Reagenzglas
Wie bereits im letzten Jahr erreichten die B-Junioren unserer Borussia das Finale um die Deutsche Meisterschaft. Nach dem ersten Platz in der Bundesliga West und dem Halbfinale gegen die Teufel aus Lautern mussten sich unsere Kleinen nun mit der TSG aus Sinsheim messen. Ein etwas anderes Auswärtsspiel.
Nachdem das Heimrecht in diesem Jahr dem Sieger des anderen Halbfinals zustand, erwischte unsere U17 mit Hoffenheim eine attraktive Aufgabe - immerhin konnte sich der geneigte BVB-Fan so selbst von den Verhältnissen im Sinsheimer Vorort überzeugen. Also machten sich bereits in den frühen Morgenstunden etwa 30 Zugfahrer und 2 Autos aus dem Dortmunder Raum auf den Weg gen Süden, um die Jungens ausgiebig zu unterstützen.
Nach geringer Fahrtzeit begann unser Team im Terror-Focus mit seinem wissenschaftlichen Auftrag am heutigen Tage und verglich in bester Galileo-Manier zwei Kaubonbons: Mamba und Maoam. Schon bei der Verpackung gibt es deutliche Unterschiede. Während das Markenprodukt von Haribo auf stilisierte Früchte und einen blau-weißen Schriftzug setzt, hält sich die Verpackung der Schlange in gedeckten Farben und seriösem Auftritt. Außerdem sind Inhaltsstoffe und Verfallsdatum angegeben, was bei Maoam nicht der Fall ist. Glasklares 1:0 für Mamba.
Doch schon beim Auspacken offenbart das fruchtig frische Kaubonbon Defensivschwächen und wird ausgekontert - Mamba klebt, Maoam lässt sich perfekt entpacken! 1:1! Ausgepackt dann das nächste Duell, es geht um den äußeren Eindruck. Und sowohl im Bereich Größe, als auch bei Geruch und Farbe hat das vermeintliche Plagiat aus dem Hause Storck klar die Nase vorn. 2:1 für Mamba! Bevor wir uns der Königsdisziplin widmen, überprüfen wir beide Kandidaten auf die Konsistenz. Während Maoam vor allem bei Hitze unglaublich weich und klebrig wird, bleibt Mamba immer schön bissfest, zergeht im Mund aber auf der Zunge. 3:1.
Das Finale - der Geschmack. Alle unserer Tester waren sich einig, dass Mamba deutlich fruchtiger schmeckt, wohingegen Maoam zu süß ist und absolut gekünstelt daherkommt. Der Schlusspunkt geht damit ebenfalls an die Schlange, 4:1!
Im weiteren Verlauf der äußerst angenehmen Hinfahrt vernahm der Fahrer ein komisches Geräusch bei geöffnetem Fenster. Er vermutete Leitplankenschäden, bis mehrere andere Verkehrsteilnehmer ihn mit Lichthupe darauf hinwiesen, dass mit seinem Gefährt etwas nicht stimmte. Lange Rede, kurzer Sinn: Auspuff durchgerostet und abgefallen. Es ist verdammt schwer, an einem Samstagmittag in Hemsbach eine vernünftige Werkstatt zu finden, aber wir haben es geschafft. Mit nur vierzig Minuten Verzögerung ging es zurück auf die Bahn.
Gegen 13 Uhr erreichte das Terror-Kommando dann Hoffenheim. Als wir das Ortsschild und sofort darauf auch die Geschäftsstelle der TSG passierten, herrschte im Wagen bereits lähmendes Entsetzen: Hier soll Bundesliga-Fußball gespielt werden? Abgesehen davon, dass das kleine beschauliche Dorf über die Infrastruktur eines Vorvorvorortes verfügt (also quasi eine einzige Straße), waren schon zu einem B-Jugend-Spiel sämtliche Seitensträßchen abgesperrt. Das Dietmar-Hopp-Stadion (es heißt wirklich so) liegt am obersten Ende der Stadt, der offizielle Parkplatz am Fuße des Berges. Der Ordnungsdienst ("Wir sind absolut auf Bundesliganiveau!") hat hier auf jeden Fall noch einiges zu lernen - so wurde zum Beispiel einem Taxi die Durchfahrt verwehrt, obwohl der Fahrgast offensichtlich schwer behindert war und den Berg niemals zu Fuß hätte erklimmen können. Hier half nicht mal die Vorlage des Schwerbehinderten-Ausweises, also durfte der Herr dann auf Krücken den Weg bestreiten - sehr schwacher Auftritt. Und da der durchschnittliche Dortmunder Fußballfan überdurchschnittlich gut gebaut ist, könnte zukünftig es schon hier zu Konflikten kommen, zumal der Andrang heute ja noch absolut gering war. Ich will nicht wissen, wie das bei mehreren hundert Gästefans aussieht.
Nach einem Anstieg, der selbst den Betzenberg zu einem kleinen Sandhügelchen am Strand verkommen lässt, hatten wir das Prachtstück schlussendlich erreicht. Bundesligaluft vermissten wir auch hier oben. Die „Dietmar-Hopp-Stadion-Gaststätte Fair Play" war wirklich eine Gaststätte, mit Karte und Bedienung. Neben einem weiteren Grill suchte man vor dem Stadion jedoch vergeblich nach Verpflegungsmöglichkeiten und ließ sich daher bedienen. Die Wartezeiten lassen ziemlich zu wünschen übrig, zumal ich nicht glaube, dass das Gaststättenkonzept in einem Bundesliga-Stadion wirklich funktionieren wird - aber hier wird nächste Saison ja zum Glück gar nicht gespielt. Auch das Publikum erinnerte wenig an das eines gewöhnlichen Fußballstadions - man fühlte sich eher wie auf dem örtlichen Dorffest. Also lieber mal ab und rein ins gute Ding!
Zuerst fällt auf: Der Ordnungsdienst im Stadion ist teilweise ungewohnt locker, Körperkontrollen bleiben gänzlich aus. Ein kurzer Blick auf die Karte, das war's. Dann wollte der gute Herr uns auch persönlich zum Gästeblock führen, ließ aber davon ab, als wir ihm klar machten, dass wir selbst wüssten, wo er sei. Das gleiche Spiel vor dem Block noch ein Mal, nur hier musste unsere weibliche Mitreisende kurz ihre Tasche öffnen. Schade, dass das nicht in jedem Stadion so ist. Unter dem Gästeblock fanden sich dann auch noch eine weitere Fressbude, sodass man nicht ganz ohne Fangetränk im Block auskommen musste - wohl aber ohne Alkohol. Ansonsten sagt das Fassungsvermögen von 6.000 Zuschauern eigentlich alles über das Stadion aus. Nichts Berauschendes und vor allem nichts Bundesligareifes - schließlich bietet der Hexenkessel nicht mal eine Uhr.
Angeführt von Peter Gagelmann betraten unsere Helden dann schließlich das satte Grün und stellten sich in Position für die Nationalhymne. Pünktlich um 14.00 Uhr begann das Spiel und der Stimmungsblock der Hoffenheimer auf der gegenüberliegenden Seite präsentierte ein Spruchband mit der Aufschrift "Unsere Tradition ist die Zukunft - Und ihr seid ein Teil davon!". Man fragt sich an dieser Stelle zurecht, welche Tradition gemeint ist. Fortan unterstützten einige wenige Hoffenheimer ihre Mannschaft mit relativ unkreativen Gesängen - hat man alles irgendwo schon gehört. Die Lautstärke war akzeptabel, jedoch hörte man jeden Trommelschlag und jede einzelne Person. Auf dem Feld sah man typischen Jugendfußball: erfrischende Offensive, relativ wackelige Defensivreihen. Die Kraichgauer wirkten engagierter, geordneter und cleverer und gingen so auch folgerichtig schnell mit 1:0 in Führung. Das Tor entstand zwar durch eine tolle Einzelaktion, der nachfolgende Jubel des Torschützen war aber ebenso übertrieben wie künstlich. Vom Luca-Toni-Ohrdreher bis zum Klose-Salto war alles dabei - in einem einzigen Torjubel. Wahre Freude sieht anders aus. Borussia war total von der Rolle und kassierte wenig später das 2:0, wieder wunderbar herausgespielt.
Mit gehöriger Verspätung aufgrund eines verpassten Anschlusszuges in Heidelberg trafen dann auch die Zugfahrer ein und enterten den Gästeblock mit lauten Sprechchören gegen den Mäzen des Gegners. Sie hingen ein Spruchband auf ("Und jetzt "Hopp Hopp" zurück ins Reagenzglas!"), postierten sich geschlossen dahinter und wiederholten ihre Äußerungen nachdrücklich, was ob der durchaus harten Wortwahl zu Pöbeleien aus dem angrenzenden Sitzplatzblock führte. Die Stimmung heizte sich ein wenig auf, was den Ordnungsdienst dazu veranlasste, sich am Zaun zwischen den Blöcken zu postieren - absolut friedlich. Auf dem Platz kam Borussia nun ins Spiel und verkürzte nach einem verkorksten Abschlag auf 2:1, was die Unterstützung aus dem Gästeblock noch mal verbesserte, während der Rest der immerhin 4.800 Zuschauer zusehends verstummte.
Der Gästeblock nahm jetzt kurzzeitig Abstand vom Hoffenheimer Mäzen und konzentrierte sich auf die eigene Mannschaft, was jedoch wenig erfolgreich blieb. Die Buben von der TSG trafen doppelt und erhöhten auf 4:1 - natürlich nicht, ohne beim Torjubel wieder vollkommen zu übertreiben und den halben Platz zu umrunden. Borussia fand langsam über den Kampf ins Spiel (*pling*), konnte vor dem Pausentee jedoch nur auf 4:2 verkürzen. Während der Halbzeit wurde der offizielle Vereinsvertreter dann vom heimischen Ordnungsdienst angesprochen, weil die Äußerungen aus dem Gästeblock inakzeptabel seien. Der Mann von der Fanabteilung reagierte aber sehr souverän und tat die Forderungen nach Zensur ab, da in Deutschland freie Meinungsäußerung herrscht. Als das Spruchband im Gästeblock von einem Wellenbrecher an den oberen Rand des Zauns gehängt wurde, war ein übereifriger Ordner kurz davor den Block in Begleitung eines einzelnen Polizisten zu stürmen. Ein deutlich erfahrenerer Kollege pfiff ihn aber in der Aussicht auf Deeskalation zurück, was die richtige Entscheidung war.
Die zweite Hälfte begann mit deutlich verbesserten Borussen auf dem Rasen. Die taktische Ordnung stimmte plötzlich, der Ballbesitz wurde besser genutzt und man kam endlich mal besser nach vorne. Der Ansturm wurde belohnt, als Gagelmann nach einem Foul im Strafraum auf Strafstoß entschied. Der fällige Elfmeter wurde sicher verwandelt und die Borussen kämpften weiter gegen die Niederlage. Aus dem Gästeblock ertönten jedoch immer seltener Anfeuerungsrufe, leider überwogen die Pöbeleien gegen Dietmar Hopp. Nach einigen guten Torchancen für schwarz-gelb kam aber der Gegentreffer: beide Abwehrseiten waren dank der Dortmunder Offensivbemühungen ungedeckt, was die Hoffenheimer eiskalt nutzten - 5:3, mitten in die Drangphase. Ein weiterer Konter der Jungs in blau konnte nur durch ein Foul gestoppt werden - Elfmeter! Der Kapitän der Hoffenheimer verwandelte zum vorentscheidenden 6:3, der Widerstand war gebrochen. Borussia versuchte zwar weiterhin, das Spiel zu drehen, aber man merkte den Spielern an, dass sie selbst nicht mehr wirklich an den Sieg glaubten. Selbst nach dem finalen 6:4 keimte keine Hoffnung mehr auf, der Drops war gelutscht.
Mit dem Schlusspfiff rannte der Hoffenheimer Torhüter wie von der Tarantel gestochen zur Eckfahne, zog sein Trikot dabei aus und riss sie aus dem Boden. Danach schien er auf dem Rasen mit ihr zu kuscheln - vollkommen deplatziert, wo doch der Rest der Mannschaft gemeinsam feierte. Der Gästeblock leerte sich recht schnell, da die Zugfahrer die Bahn erwischen mussten, sodass sich keiner der Dortmunder Fans die Siegerehrung ansah. Die Stadionlautsprecher waren jedoch so laut, dass man selbst noch in der Nachbarschaft das ausgelutschte „We are the Champions"-Gedudel hören musste. Da die Straßensperren aufgehoben waren konnte man das Dörfchen jedoch glücklicherweise sehr schnell verlassen.
Während sich die WET-Fahrer auf eine Rückfahrt mit 6 Umstiegen und voraussichtlicher Ankunft in Dortmund gegen Mitternacht freuen durften, freute sich die Besatzung unseres Terror-Autos auf ein gediegenes Abendessen. In weiser Voraussicht auf die bevorstehende Portionsgröße hatten die Mitreisenden den gesamten Tag gehungert und waren dementsprechend hungrig, als das Ziel erreicht wurde: Restaurant Waldgeist in Hofheim am Taunus. Trotz fehlender Reservierung ergatterten wir einen begehrten Tisch und wurden schnell bedient. Die Schnitzel werden in den Portionsgrößen 1/4-Schwein, 1/2-Schwein und 1/1-Schwein angeboten - und die Namen sind absolut gerechtfertigt! Gefräßige Stille überkam unsere Reisegruppe beim Vertilgen der Monster, was jedoch nur der Hälfte der Anwesenden gelang. Für das schlechte Wetter am Sonntag dürft ihr euch also bei den anderen beiden bedanken.
Vollgestopft und leicht ermüdet nahmen wir also die letzte Etappe unserer Reise auf uns, welche gegen 20.30 Uhr in Hagen endete. Die Zugbesatzung sollte nach Problemen beim Umstieg in Gießen dagegen erst gegen 01.30 Uhr in Dortmund eintreffen.
NeusserJens, 24.06.2008